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Jahresrückblick 2023 von Florian Schaffer

Wieder ein Jahr vorbei, wieder eine Menge Musik gehört: So schwierig es war, eine Nummer eins zu küren, so sehr genoss ich dieses Luxusproblem. Denn 2023 gab es eine ganze Menge Alben, die das Rennen um die vorderen Plätze unglaublich spannend gehalten haben. Hier ist er also: der Jahresrückblick 2023 als Momentaufnahme.

Es ist wieder so weit. Wieder ein Jahr vorbei, wieder eine ganze Menge Eindrücke gesammelt, wieder viel zu viel Musik gehört. Das Positive: Zumindest die Pandemie scheint im Konzertsektor allmählich überwunden. Klar, die Kosten bleiben hoch und noch ist nicht alles rosig: Gerade die kleinen Veranstalter, die ihre Events mit Herzblut hochziehen, haben weiterhin zu leiden – das soll man gar nicht schönreden und es wäre ein ungemeiner Verlust, wenn gerade dieser Teil der Szene komplett wegbrechen würde. Ansonsten aber ist die Lust an Live-Shows offenbar wieder da: Nahezu alle Konzerte, die ich 2023 besucht habe, waren genreübergreifend außerordentlich gut besucht. Eine schöne Entwicklung, die für 2024 optimistisch stimmen darf.

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Musikalisch kann ich mich ebenfalls kaum beklagen. Gerade im Kurzformat erschienen in den vergangenen zwölf Monaten eine ganze Reihe starker Platten, welche es mir nicht einfach machten. ORBIT CULTURE sorgten auf „The Forgotten“ für konstant starken Nachschub, WALDGEFLÜSTER überraschten auf „Unter bronzenen Kronen“ mit der fantastischen Cover-Version „The Pit“ und von CYPECORE gab es einen abwechslungsreichen Zwischenhappen in Form von „Version 4.5: The Dark Chapter“, der vor allem im Songwriting frischen Wind brachte. Ebenfalls überzeugend waren „The Fear Of Fear“ aus dem Hause SPIRITBOX, die in sechs Songs ihre komplette Bandbreite abdeckten, das düstere „Necrotic Assimilation“ von WRATH OF LOGARIUS und der teils überraschende Nachschlag „Epilogue(s)“ von CELESTE. Der Titel für die beste EP geht aber an eine Formation, deren Kreativität keine Grenzen gesetzt scheinen.


Die beste EP 2023

THE CALLOUS DAOBOYS: God Smiles Upon The Callous Daoboys
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Drei Tracks in 13 Minuten ist natürlich im Bestfall eigentlich nur ein kleiner Snack für zwischendurch. Aufgrund der schieren Fülle an Ideen und Wendungen machen THE CALLOUS DAOBOYS daraus aber ein Erlebnis für sich. Mit unverschämt eingängigen Gesangslinien, verspulten Synthesizern und ungezügeltem Wahnsinn lässt „God Smiles Upon The Callous Daoboys“ den Mathcore wieder aufleben und erinnert dabei nicht nur einmal an THE DILLINGER ESCAPE PLAN. Kreativität trifft auf Witz und technisches Können – stark!


Das beste Live-Album

ORPHANED LAND: A Heaven You May Create
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Ehrlich gesagt ist “A Heaven You May Create” das einzige Live-Album, das ich dieses Jahr gehört habe. Ein wunderbares Monument, um 30 Jahre ORPHANED LAND zu feiern, ist es dank der gelungenen Songauswahl und des begleitenden Orchesters dennoch. Dass die Veröffentlichung von einer der schlimmsten Terrorattacken der letzten Jahre überschattet wurde, welche nun genau diesen Hass befeuert, gegen den die israelische Band seit ihrer Gründung anzukämpfen sucht, ist mehr als bitter. Relevanter als im Jahr 2023 ist die Botschaft dieser Stücke wohl nie gewesen, auch wenn der Titel dieses Mitschnitts wohl auf absehbare Zeit Wunschdenken bleiben muss.


Die 25 besten Alben 2023

Es ist immer wieder aufs Neue eine Qual, die besten Alben eines Jahrgangs auszuwählen. Zu den 114 Platten, die ich 2023 selbst besprochen habe, kommen zahllose andere, die mal mehr, mal weniger oft rotierten. Und trotzdem habe ich es nicht geschafft, allen potenziell interessanten Veröffentlichungen die Zeit zu geben, die sie verdient hätten. Ob eben schlicht zu wenig Zeit, bloßes Bauchgefühl oder diverse anderweitige Ursachen – die Gründe, weshalb es viele Scheiben letztendlich nicht in meine persönliche Topliste geschafft haben, könnten Seiten füllen.

Ganz unerwähnt lassen möchte ich einige Releases dennoch nicht: So haben AETHERIAN auf „At Storm’s Edge“ mit ihrem Melodeath von internationalem Format eigentlich rein gar nichts falsch gemacht. Auch AUGUST BURNS RED haben diesmal mit „Death Below“ den Schnitt knapp verpasst, obwohl sie vielen Genre-Veröffentlichungen eigentlich in Nichts nachstehen. Der Deathcore hatte zudem mit MENTAL CRUELTYs „Zwielicht“, TO THE GRAVEs „Director’s Cuts“ und DISTANTs „Heritage“ drei weitere respektable Veröffentlichungen am Start, wohingegen ich ENDs humorloses Metalcore-Inferno „The Sin Of Human Frailty“ schlicht zu spät für mich entdeckte.

Auch 2023 gab es eine ganze Menge starker Alben

Im Black Metal gab es mit AARAs „Triade III: Nyx“ und …AND OCEANS‘ „As In Gardens, So In Tombs“ zwei Platten, die auf packende Art und Weise Melodie mit Härte balancierten, wohingegen die atmosphärische Schiene durch WAYFARERs „American Gothic“ und AFSKYs „Om Hundrede År“ hochkarätig vertreten wurde. Für PANOPTICONs „The Rime Of Memory“ hatte ich hingegen zu wenig Zeit. Außerdem nicht unerwähnt bleiben sollten „Aftermath“ von ANGELUS APATRIDA, „Time Will Take Us All“ von ENTHEOS, „Heavy Heart“ von MOOR, „V: Bones Of The Extinct“ von LATE NIGHT VENTURE, „Den Tapte Krigen“ von BIZARREKULT sowie „Deities Of Deathlike Sleep“ von GRAND CADAVER.


25. IMPERIUM DEKADENZ: Into Sorrow Evermore
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Ein Strudel aus Emotionen: Mit „Into Sorrow Evermore“ gelint IMPERIUM DEKADENZ endlich der große Wurf. Zwischen Schwermut und Aufbruch pendeln die acht Songs, die teils wunderschöne Melodien auffahren und doch die Ruppigkeit des Black Metals nie ganz aufgeben. Es ist ein Qualitätssprung, den ich nicht erwartet hatte, der mir aber schon Anfang 2023 zu verstehen gab, dass ich das Duo diesmal ganz sicher in der eigenen Bestenliste wiedersehen würde.

24. BARONESS: Stone
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Was für eine schwere Geburt: nach dem Release einmal angehört und semi-enttäuscht zur Seite gelegt. Es dauerte viele Wochen, bis ich „Stone“ eine zweite, eine dritte, eine vierte Chance gegeben habe. Und jedes Mal erschloss sich das Album dann ein kleines Stück mehr. Nach dem enttäuschenden und schrecklich produzierten „Gold & Grey“ (2019) sind die US-Amerikaner endlich wieder zurück in der Spur, auch wenn bis zu „Blue Record“ (2009) und „Yellow & Green“ (2012) noch ein ganzes Stück fehlt.

23. TESSERACT: War Of Being
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War Of Being” ist ein weiteres Album, das erst gegen Ende des Jahres so richtig auf meinem Radar erschien. Was ich zunächst als nett, aber etwas steril abgestempelt hatte, fand dann seltsamerweise doch immer öfter den Weg in die Anlage. Die Prog-Arrangements TESSERACTs sind auf dem fünften Album so sauber wie nachvollziehbar – und dabei trotz härterer Ausbrüche beizeiten fast schon unaufgeregt. Trotzdem entwickelte „War Of Being“ mit jedem Durchlauf einen immer stärker wirkenden Sog: ein seltsames Gefühl aus Entspannung und Abenteuerlust. Irgendeinen Nerv haben die Briten bei mir wohl getroffen.

22. KATATONIA: Sky Void Of Stars
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City Burials” (2020) benötigte noch eine Weile, um mich einzufangen. Mit „Sky Void Of Stars” hatten mich KATATONIA recht schnell zurückgeholt. Die Atmosphäre ist dicht, die Balance aus progressiven Elementen, Melancholie und Tagträumerei nahezu perfekt ausbalanciert. Es mag auch mit etwas Abstand nicht mein Lieblingswerk der Band sein, so stark und souverän wie 2023 agierten die Schweden aber schon lange nicht mehr.

21. MARATHONMANN: Maniac
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Klar, es ist schon ein Stilbruch: Der kantige Punk Rock der Vergangenheit ist auf einmal gar nicht mehr so rau. Stattdessen finden wir Synthesizer und 80er Flair an allen Ecken und Enden. Das ist eine Umstellung, die aber letzten Endes gut funktioniert, immerhin verschmelzen MARATHONMANN die eigene DNA mit den neuen Stilmitteln auf eine Weise, die überaus natürlich ist. Noch mag in diesem Stil nicht jeder Song in gleicher Weise ins Mark treffen und doch ist „Maniac“ ein Beleg dafür, dass sich Vergangenheit und Gegenwart durchaus gut ergänzen können.

20. AVATAR: Dance Devil Dance
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Es ist deutlich zu spüren, wie befreit AVATAR auf „Dance Devil Dance“ agieren. Die Rock-Attitüde steht den Songs erstaunlich gut zu Gesicht, während es hier uns da genug Ausflüge in andere Genres gibt, um das treibende wie tanzbare Fundament interessant zu halten. Anarchie und Hysterie haben dabei ebenso ihren Platz wie das eine oder andere Gitarrensolo. Erfrischend und kreativ ist „Dance Devil Dance“ vielleicht das Rock-Album des Jahres – wer hier still sitzen bleibt, macht etwas falsch.

19. BURY TOMORROW: The Seventh Sun
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Auf dem ersten Album mit runderneuertem Line-up präsentieren sich BURY TOMORROW erstaunlich befreit. Das Songwriting ist ungezwungener, orientiert sich nicht immer an haargenau denselben Strukturen und Keyboarder Tom Prendergast erweitert den Klargesang um ganz neue Farben. Dadurch können wir den Verlust des markanten Organs Jason Camerons tatsächlich leichter verschmerzen als gedacht. Ganz leichte Abnutzungserscheinungen trüben den Gesamteindruck zum Ende des Jahres nur unwesentlich: Wenn BURY TOMORROW so weitermachen, dürfen wir uns schon jetzt auf den Nachfolger von “The Seventh Sun” freuen.

18. TO KILL ACHILLES: Recovery
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Mit “Recovery” entwickeln TO KILL ACHILLES den Sound ihres Vorgängeralbums „Something To Remember Me By” (2021) bedacht und kompetent weiter. Der zusätzliche Klargesang findet nur sporadisch und wohldosiert Verwendung, schenkt dem melodischen Post Hardcore allerdings eine zusätzliche Facette. Zwischen den härteren und aggressiveren Ausbrüchen und den filigranen, sehr bedacht arrangierten Stücken wie „The Cave“ oder „Blue“ finden TO KILL ACHILLES das für sie perfekte Spannungsfeld. Mittels authentischer und emotionaler Texte geht das Quartett dabei nicht selten unter die Haut – auch ohne zugrundeliegendes Story-Konzept findet „Recovery“ die richtigen Worte. Hut ab!

17. UNPROCESSED: …And Everything In Between
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Eines vorab: Nummer 17 ist eher als Platzhalter zu verstehen – zum Ende des Jahres hatte ich schlicht noch nicht genug Zeit, um „…And Everything In Between“ die Zeit zu geben, die es verdient hätte. Schon jetzt aber bin ich mir sicher, dass UNPROCESSED hier nicht nur ein verdammt starkes Prog-Album vorgelegt haben, sondern das bislang beste Werk ihrer Diskografie. Nach dem etwas zwiespältigen „Gold“ (2022), das mir zu sehr in Richtung Pop abwanderte, entdeckt das Quartett nun den Metal und damit die Härte neu, ohne die Lehren aus dem vorherigen Exkurs über Bord zu werfen. Das Resultat ist ein bisweilen exzentrisches, oft sehr eigenes Prog-Album, das definitiv Suchtpotenzial entwickeln kann.

16. NEBELKRÄHE: ephemer
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NEBELKRÄHE schaffen auf ihrem Drittwerk das, woran so viele Bands scheitern: Sie finden ihre eigene Nische, ohne dabei zu verkopft oder konstruiert zu Werke zu gehen. Konventionen werden überwunden, Klangfarben des Black Metal durch zahlreiche Instrumente wie Blechbläser, Akkordeon oder Cello erweitert. Hinzu kommt eine extravagante Gesangsperformance, welche den interessanten und durchdachten Texten Leben einhaucht. „ephemer“ ist kein Album für jede Stunde des Tages, aber eines, in dem man sich nach kurzer Eingewöhnungszeit verlieren kann.

15. THY ART IS MURDER: Godlike
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THY ART IS MURDER haben sicherlich ein turbulentes Jahr hinter sich. Nachdem sie kurz vor Album-Release Shouter CJ vor die Tür gesetzt und „Godlike“ innerhalb kürzester Zeit mit Tyler Miller (AVERSIONS CROWN) neu aufgenommen hatten, explodierten auf den Social-Media-Kanälen die Kommentarspalten. Gelitten hat die Platte darunter jedenfalls nicht: Millers Version ist von CJs Aufnahmen bestenfalls in minimalen Details zu unterscheiden. Ansonsten bewahren sich die Australier weiterhin Biss und Durchschlagskraft. „Godlike“ ist ein mächtiges und doch recht zugängliches Deathcore-Album, das hier und da wie in „Bermuda“ auch neue Facetten einfließen lässt. Kein Meisterwerk, aber so etwas wie „Comfort Food“, das immer dann in der Anlage landete, wenn es mal verlässlich groovend ballern musste.

14. THE ACACIA STRAIN: Failure Will Follow
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Es sind rund 40 zermürbende Minuten, in denen THE ACACIA STRAIN den Deathcore sein lassen und sich ihrer zweiten großen Leidenschaft widmen. Zwischen schleppendem Doom und sumpfigem Sludge erreicht „Failure Will Follow“ ein Maß an Intensität, das ich in dieser Form nicht erwartetet hatte. Dabei bewegen sich die Musiker in atmosphärisch beklemmenden Dimensionen, die trotz des zähfließenden Grundcharakters eine ganze Menge zu entdecken bieten. THE ACACIA STRAIN haben sich damit definitiv ein kleines Monument errichtet.

13. DOWNFALL OF GAIA: Silhouettes Of Disgust
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Kollege Christoph hat es eigentlich sehr gut auf den Punkt gebracht: Auf „Silhouettes Of Disgust“ sind DOWNFALL OF GAIA wütend, ängstlich, melancholisch, aber auch immer authentisch. Ob mir der ungezähmte Ansatz des aktuellen Werks nun besser zusagt als der ausladende des Vorgängers, ist allein stimmungsabhängig. Wie so oft in dem Genre zählt die Platte daher keineswegs zu meinen meistgehörten Alben des Jahres, aber zu jenen, die im richtigen Moment besonders unter die Haut gehen. Obwohl „Silhouettes Of Disgust“ für seinen verbitterten Grundcharakter recht gut ins Ohr geht, sind wir hier selbstverständlich weit von Easy-Listening entfernt; dafür sind DOWNFALL OF GAIA zu mutig, zu ungezügelt und in ihrer Herangehensweise zu inspiriert.

12. PERIPHERY: Periphery V: Djent Is Not A Genre
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Kaum eine moderne Band verbindet spieltechnischen Anspruch und zuckersüße Gesangslinien so routiniert wie PERIPHERY. Das ist auch auf „Periphery V: Djent Is Not A Genre“ nicht anders, wobei ich mit etwas Abstand den Vorgänger „Periphery IV: HAIL STAN“ (2019) doch ein Stück lieber mag. Das mag an der etwas zu ausladenden Spielzeit des aktuellen Werks liegen oder an den zahlreichen Instrumental-Outros, die zwar atmosphärisch passen, allerdings die Laufzeit noch weiter aufblasen. Gerade im Streaming-Zeitalter setzen PERIPHERY damit aber ein Statement für das Gesamtwerk und gegen die Zerstückelung der Streaming-Rotation. Gut, dass die US-Amerikaner auch diesmal wieder genug Ideen haben, um uns bei der Stange zu halten.

11. IN FLAMES: Foregone
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Es war jahrelang die große Krux im Hause IN FLAMES: Die richtige Balance aus Tradition und Moderne zu finden, schien den Schweden mit Blick auf die öffentliche Resonanz nie so richtig gelungen. Bis jetzt: Nachdem die Band auf „Foregone“ halbvergessene Trademarks und ihren Biss der Vergangenheit wiederentdeckt hatte, war man plötzlich doch wieder relevant. Dabei machen IN FLAMES eigentlich gar nicht so viel anders als in der Vergangenheit. Es gibt weiterhin Synthesizer und Klargesang, aber – und das ist wohl der Unterschied – der Schwerpunkt liegt nun wieder auf den Gitarren. Zwar verhindert das in der zweiten Hälfte nicht gänzlich das Abflauen der Spannungskurve, mit Hitmaterial wie „The Great Deceiver“, „State Of Slow Decay“ und „Meet Your Maker“ findet die Gruppe aber endlich die goldene Mischung aus alt und neu. Man darf sich auf die Zukunft freuen.

10. DYING WISH: Symptoms Of Survival
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Metalcore, wie sie ihn heutzutage eigentlich nicht mehr machen. Aber es ist herrlich: DYING WISH haben die Riffs, sie haben den Drive und sie haben den Furor, um mich für eine gute halbe Stunde in der Zeit zurückzuschicken. Dank starker Vocals und pointiertem Songwriting lässt „Symptoms Of Survival” von Anfang bis Ende kein bisschen locker, weshalb die Platte schlussendlich mehr ist als ein Nostalgietrip. Es ist ein verdammt starkes Genre-Werk, das allein deshalb schon aus der Masse heraussticht, weil es eben so unverbraucht oldschool klingt.

9. INSOMNIUM: Anno 1696
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Was für sie funktioniert, haben INSOMNIUM bereits vor einer Weile herausgefunden. Das hat neben konstanter Qualität natürlich auch zur Folge, dass sich über die Jahre etwas Routine eingeschlichen hat. Gänzlich frei davon ist „Anno 1696“ leider nicht, fesselt aber dennoch aufgrund des abwechslungsreichen Songwritings, das sich in den Dienst der zugrundeliegenden Konzept-Story stellt. Obwohl die acht Stücke der Platte auch einzeln funktionieren, entfalten sie erst im Verbund ihr vollständiges Potenzial, wenn etwa das stampfende „White Christ“ von der Ankunft des namengebenden Inquisitors kündet. „Anno 1696“ mag trotz allem kein Opus Magnum sein, ein rundes und vor allem packendes Werk ist den Finnen damit dennoch gelungen.

8. DÉCEMBRE NOIR: Your Sunset | My Sunrise
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Ihren Stil haben DÉCEMBRE NOIR mittlerweile perfektioniert: Den melodischen Doom-Death des Quintetts erkennt man bereits anhand der charakteristischen Gitarrenleads sofort. Das ist kein Nachteil, denn obwohl „Your Sunset | My Sunrise“ als Nachfolger des ebenfalls starken „The Renaissance Of Hope“ (2020) keine wirklichen Überraschungen in der Hinterhand hat, treffen die sechs emotionalen und aufrichtigen Stücke ins Herz. Depression, Trauer und Sucht scheinen im Zentrum zu stehen – eine gefährliche Kombination, deren potenzielle Spirale DÉCEMBRE NOIR in gewohnt akribischer Manier vertonen: ein Album, das unter die Oberfläche blicken lässt und dabei auch die wunden Punkte nicht außer Acht lässt.

7. SHORES OF NULL: The Loss Of Beauty
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Man kann “The Loss Of Beauty” sicherlich als Geheimtipp bezeichnen, doch würde ich gerne einen Schritt weitergehen. Das vierte Album der Italiener SHORES OF NULL ist für mich in Sachen Melodic Doom-Death sogar Pflichtprogramm, immerhin vereint die Band Melancholie, Düsternis und eine Spur Wärme in nicht weniger als elf packenden Stücken. Dabei findet Sänger Davide Straccione das richtige Maß an Melodramatik, um trotz Pathos nicht allzu dick aufzutragen. „The Loss Of Beauty“ zeigt Verwundbarkeit, ohne in Selbstmitleid zu versinken – ein wunderbares Album für den Herbst.

6. POLARIS: Fatalism
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Es war nur Liebe auf den zweiten Blick: Anfangs war ich von „Fatalism“ sogar regelrecht enttäuscht: Trotz sanfter Evolution ist das Drittwerk der Australier nicht ganz so frisch und explosiv wie die beiden Vorgänger. Mit der Zeit entfalteten sich aber zusehend die Stärken POLARIS‘, die schlussendlich dafür sorgten, dass die Platte doch regelmäßig den Weg in die Anlage gefunden hat. Glanzstück auf „Fatalism“ sind dabei natürlich abermals die abwechslungsreichen Riffs gepaart mit der markanten Lead-Gitarre des 2023 leider verstorbenen Ryan Siews. Drive, Groove und Eingängigkeit: POLARIS haben all das und ein wunderbares Gespür für Melodie.

5. INVENT ANIMATE: Heavener
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Heavener” ist aus gutem Grund einer der wichtigsten Metalcore-Beiträge des Jahres. INVENT ANIMATE halten nicht nur die Balance zwischen Anspruch und Eigenständigkeit, sie nutzen dafür auch eigenes Vokabular. Während sich das Genre anno 2023 weiter in eine Sackgasse manövriert, erfindet sich das Quintett über eine gute Dreiviertelstunde beständig neu, ohne berechenbar zu werden. Spieltechnisch und gesanglich ist „Heavener“ ein Ausnahmewerk und ein Rüffel für all jene Querschläger, die Modernität mit stumpfen Powerchords, Octanecore-Refrains und platten Synths gleichsetzen.

4. ORBIT CULTURE: Descent
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Von ihrem grundlegenden Erfolgsrezept weichen ORBIT CULTURE auf „Descent“ nicht ab, erweitern dieses aber dezent um neue Facetten, indem sie ihren Tracks etwa mit atmosphärischen Synth- und Gitarrenspuren einen plastischen Unterbau spendieren. Ansonsten agiert die Band gewohnt massiv, verbindet eingängige Gesangslinien mit drückenden Riffs, mächtigem Groove und einem Schuss Hetfield-Timbre. Melodischer Death Metal klang selten so gewaltig – und das über 50 Minuten ohne einen Ausrutscher. ORBIT CULTURE zeigen sich hier definitiv in der Form ihres Lebens.

3. SLEEP TOKEN: Take Me Back To Eden
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TikTok-Hype hin oder her, SLEEP TOKEN haben sich in den vergangenen Jahren eine eigene Nische geschaffen, die zwischen Pop, RnB, Djent, Prog und Alternative Metal eine Menge frischen Wind mit sich bringt. Dabei entwickeln sich die Briten beständig weiter und nutzen den dritten Anlauf, um ehemals festgefahrene Strukturen ihres genre-fluiden Ansatzes aufzubrechen. Natürlich ist das extrem modern – und über weite Strecken verdammt eingängig; dank des starken Drummings und einer markanten Gesangsperformance bleibt „Take Me Back To Eden“ aber im Gedächtnis. Es hat schon seinen Grund, warum SLEEP TOKEN von Mike Portnoy (DREAM THEATER) bis hin zu Corey Taylor (SLIPKNOT) überaus prominente Fürsprecher für sich gewonnen haben.

2. THE OCEAN: Holocene
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Holocene” war für mich eine zunächst überraschend schwere Geburt: Obwohl ich dem neuen Songwriting-Ansatz der Berliner prinzipiell aufgeschlossen war, war mir das Album zunächst ein bisschen zu ruhig. Vor allem die erste Hälfte lässt sich enorm viel Zeit und lebt bisweilen stark von den – glücklicherweise starken – Synth-Landschaften. Die benötigte Zeit zur Annäherung war allerdings gut investiert: Als sich mir die Arrangements mit ihrer Vielzahl an Details zusehends erschlossen, entwickelte „Holocene“ bald einen gewissen Suchtfaktor, auch weil es eines dieser Werke ist, das im Gesamtverbund so viel besser funktioniert als die einzelnen Tracks voneinander losgelöst. Am Ende bleiben sich THE OCEAN also weiterhin treu, ohne sich im Kreis zu drehen.

1. SVALBARD: The Weight Of The Mask
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The Weight Of The Mask” ist ein ungemein intensives Album, das viele Gesichter kennt und doch geschlossen klingt. Wie SVALBARD das schaffen, ist eigentlich gar kein Hexenwerk: Die Briten mögen eine Menge Düsternis in sich tragen, wie die emotionalen und von Selbstzweifeln geplagten Texte verraten. Gleichzeitig setzen sie dieser Seite aber auch ihre eiserne Entschlossenheit entgegen, was sich in der packenden und unnachgiebigen Wall of Sound ihres Genre-Cocktails äußert. Post Hardcore vermengt das Quartett mit Shoegaze-, Crust- und Black-Metal-Spitzen, wodurch sich selbst ruhige Momente der Introspektion finden. Eine Gefühlsachterbahn also, wie sie aufwühlender kaum sein könnte, und deshalb auch zum Ende des Jahres noch ganz weit vorne mit dabei ist.

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BEYOND THE BLACK: Beyond The Black
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Besser als der Vorgänger, aber trotzdem nicht wirklich gut. Auf „Beyond The Black“ gibt es Metal von Schlager-Songwriter:innen für ein entsprechend weit gefasstes Publikum. Darf man gut finden und holt live sicherlich eine Menge Leute ab, mir ist es aber zu fad.

BEARTOOTH: The Surface
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Caleb Shomo geht es besser, was auch seiner Musik anzumerken ist. „The Surface“ ist zum ersten Mal in der Karriere von BEARTOOTH durchzogen von Optimismus und Positivität. Leider gefiel mir die andere Seite in musikalischer Hinsicht besser: Das Rohe, Rotzige und Ungezügelte ging auf dem Weg verloren, weshalb die aktuelle Platte für mich leider zu glatt und zuckrig ausgefallen ist.

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ZEAL & ARDOR am 19. August 2023 auf dem Summer Breeze 2023
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„[…] Zu später Stunde bleibt die Moral folglich ungebrochen. Weil Gagneux in den erzwungenen Pausen fleißig Sympathiepunkte einheimst und weil ZEAL & ARDOR mit einem tight gespielten Set eine Dringlichkeit entwickeln, welche die Energie von der Bühne direkt ins Publikum zu übersetzen weiß. Die Stimmung ist daher bis zu den letzten Takten des aufrüttelnden „Baphomet“ geradezu euphorisch und setzt auf diese Weise ein dickes, fettes Ausrufezeichen hinter einen der besten Gigs der letzten Tage. […]”

DISILLUSION am 27. Januar 2023 im Backstage Club, München
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“[…] Das frenetisch gefeierte „Alone I Stand In Fires“ oder das herrlich proggige „Alea“ sind ein Erlebnis, weil das abwechslungsreiche Drumming auf den Punkt ist und der leidenschaftliche Gesang ganz offenbar aus dem Herzen kommt. Dass zumindest atmosphärisch noch eine Schippe mehr geht, hätten wir daher gar nicht erwartet, als im introspektiven Mittelteil von „The Mountain“ unruhige Windböen aus den Lautsprechern pfeifen, während sich durch die dichten Nebelschwaden auf der Bühne ein klagendes Horn zu schälen beginnt. […]“

IOTUNN am 19. August 2023 auf dem Summer Breeze 2023
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„[…] Dass IOTUNN in dieser Dreiviertelstunde gerade einmal fünf Songs präsentieren können, ist eigentlich der einzige Wermutstropfen dieser außergewöhnlichen Performance, die aber immerhin mit dem starken „Voyage Of The Garganey I“ ein würdiges Finale auffährt: Instrumental wie gesanglich spielt das Quintett heute in der absoluten Königsklasse, wodurch der heißeste Geheimtipp schlussendlich auch zu einem der absoluten Höhepunkte des Festivals avanciert.“

HEAVEN SHALL BURN am 17. Februar 2023 im Zenith, München
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“[…] Dass man mit einer Show wie dieser im Jahr 2023 selbst das WACKEN OPEN AIR headlinen kann, versteht sich von selbst. Viel beeindruckender aber ist letzten Endes die Authentizität, mit welcher HEAVEN SHALL BURN jeden Abend aufs Neue die Bühne betreten. Selbst vor nahezu 6000 begeisterten Fans sprechen aus jedem Wort Marcus Bischoffs sowohl Aufrichtigkeit als auch Bescheidenheit. Deshalb ist es gar nicht so abwegig, dass ein zentrales Thema des heutigen Abends die Freundschaft war: zwischen den beteiligten Künstler:innen, aber auf abstrakter Ebene sogar zwischen den Bands und ihrem Publikum. […]“

CYPECORE am 29. April 2023 in der Backstage Halle, München
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“[…] Dank des starken Stageactings, einer gut aufgelegten Band sowie eines ebenbürtigen Publikums, das die Temperaturen in der ausverkauften Backstage Halle zwischenzeitlich an den Rand des Erträglichen gebracht hatte, endet die Rückkehr CYPECOREs nach der langen Live-Pause folglich geradezu triumphal […]“

AMENRA am 17. August 2023 auf dem Summer Breeze 2023
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“[…] Der Sound ist dabei exzellent, so dass wir zusehends in der Laut-Leise-Dynamik von Stücken wie „Diaken“ oder „A Solitary Reign“ versinken. Massive Riffwände sterben in zerbrechlichen und stillen Passagen, nur um sich alsbald wieder mit unvergleichlicher Wucht aufzubäumen. AMENRA live ist ganz großes Kino und zweifelsohne einer großen Höhepunkte an diesem zweiten Festivaltag.“

GOJIRA am 2. März 2023 im Zenith, München
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“[…] Mit einem rund viertelstündigen Zugabeblock gewährt uns das spielfreudige Quartett nämlich einen üppigen Nachschlag, der mit goldfarbenem Lametta und dem starken „The Gift Of Guilt“ den Abend nicht minder eindrucksvoll zu Ende führt. Eindrucksvoll aufgrund der Show, aber auch aufgrund der makellosen Performance und des unermüdlichen Arbeitsethos GOJIRAs, für welches diese Show auch zum Sinnbild gereichen kann. […]”

SWALLOW THE SUN am 30. April 2023 in der Backstage Halle, München
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„[…] Die stoische Art Kotamäkis, dessen warme Stimme nicht nur im umjubelten „Firelights“ direkt ins Herz geht, ist derweil keinesfalls mit Lustlosigkeit zu verwechseln. Vielmehr entweicht SWALLOW THE SUN unter ihren Kapuzen immer wieder mal ein kleines Lächeln angesichts der überwältigenden Reaktionen: Sei es die finnische Landesflagge, die in der ersten Reihe ausgebreitet wird oder die zahlreichen Arme, die den Musikern entgegengestreckt werden und welche Gründungsmitglied Juha Raivio immer wieder zu erwidern sucht. […]“

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Der doppelte Familienzuwachs, der uns ganz schön auf Trab hält, aber auch so viel Leben und Freude ins Haus bringt: Willkommen, Veno und Kitana!

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Trotz Dauerregens war auch der diesjährige Schwedenurlaub eine schöne Abwechslung zum Alltag – ein bisschen mehr Sonne wäre fürs nächste Mal dennoch wünschenswert.

Außerdem wie jedes Jahr das SUMMER BREEZE OPEN AIR (Link zum Festivalbericht), das aufgrund unseres selbstgesteckten engen Zeitplans unglaublich anstrengend ist und trotzdem so viel Spaß macht.

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Nach fast 18 Jahren mussten wir uns im April von unserer Katzendame Puma trennen. Die vielleicht schwierigste Erfahrung in meinem Leben, nachdem wir doch fast die Hälfte davon gemeinsam verbracht hatten. <3

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Zum Abschluss gibt’s wie jedes Jahr eine Reihe willkürlicher Auszeichnungen meinerseits.

Bestes Albumcover: INCANTATION: Unholy Deification

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Schlechtestes Albumcover: SAVAGE GRACE: Sign Of The Cross

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Meistgehörter Song: GLORYHAMMER – “Keeper of The Celestial Flame Of Abernathy”

Emotionalster Song: WALDGEFLÜSTER – “The Pit”

Beste Eigenproduktion: UNPROCESSED: …And Everything In Between

Unheiligste Atmosphäre: WRATH OF LOGARIUS: Necrotic Assimilation

Nostalgischstes Oldschool-Feeling: DYING WISH: Symptoms Of Survival

Bestes Drama: LORD OF THE LOST kommen beim ESC ohne deutsche Flagge auf die Bühne.

Bestes Comeback: NEBELKRÄHE: ephemer

Bestes Gimmick: Tintenfischkostüm bei „Death Throes Of The Terrorsquid” live (ALESTORM)

Beste Choreo: BABYMETAL

Schlimmster Stilbruch: WHILE SHE SLEEPS – “Self Hell”

Bester Albentitel: NANOWAR OF STEEL: “Dislike To False Metal”

Bester Songtitel: THE CALLOUS DAOBOYS – “Designer Shroud Of Turin”

Größter Hype: SLEEP TOKEN

Peinlichste Social-Media-Präsenz: Ronnie Radke (FALLING IN REVERSE)

Bester Breakdown: END – Gaping Wounds Of Earth

Beste Neuaufnahme: THY ART IS MURDER: Godlike (digital)

Beste LORNA SHORE-Imitation: MENTAL CRUELTY: Zwielicht

Metal of Honor: ORBIT CULTURE, die während der Hochwasser-Situation auf dem METAL DAYS Open Air spontan einen Pop-up-Gig in einer Bar organisierten und dort kostenlos Merch verteilten.

Dämlichster Trend: TikTok-Publikum auf Metalkonzerten

Größter Gierhals: alle Konzerthallen/Veranstalter mit Merch-Cut

Unfreundlichster Kundenservice: ELLENDE

Peinlichster Lustmolch: Till Lindemann (RAMMSTEIN)

Wertlosestes PR-Blabla: Christoph Schneider (RAMMSTEIN) nach den Enthüllungen um Till Lindemann, bevor auch er genau so weitermacht, als wäre nie etwas geschehen.

Peinlichste Lyrics: ARCHITECTS – Seeing Red

Erfolgreichste ESC-Teilnehmer: LORD OF THE LOST

Nebligste Bühnenshow: HEALTH

Größte Quasseltante (live): Attila Dorn (POWERWOLF)

Bester Entertainer: Manuel Gagneux (ZEAL & ARDOR) auf dem SUMMER BREEZE 2023

Familiärstes Festival: WISDOM TOOTH FESTIVAL

Beste Konzertlocation: Backstage München

Beste Security: Grabenschlampen

Beste Videospiele:

  1. The Legend of Zelda: Tears Of The Kingdom (2023)
  2. Immortality (2022)
  3. Yakuza: Like A Dragon (2020)
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