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IN FLAMES: Foregone

Indem IN FLAMES auf “Foregone” halbvergessene Trademarks und ihren Biss der Vergangenheit wiederentdecken, finden sie schlussendlich auch die richtige Balance aus Tradition und Moderne.

Die Uhr tickt. Mit jeder Sekunde geht es weiter und unausweichlich auf das Ende zu. Um also ob dieser düsteren wie deprimierenden Weltsicht nicht komplett den Verstand zu verlieren, flüchten wir oft in die andere Richtung: Wer keiner oder bestenfalls einer unsicheren Zukunft entgegenblickt, sucht sein Glück in der Vergangenheit. Romantisierte Erinnerungen und Nostalgie sind dann wie Balsam für die Seele – eine Medizin, der sich auch IN FLAMES nicht ganz entziehen wollen, obwohl „Foregone“ thematisch den Finger in die offene Wunde legt.

Entstanden während der Pandemie prägt diese Erkenntnis das 14. Studioalbum der Göteborger Urgesteine in entscheidender Weise. Wie verbringen wir die Zeit, die uns bleibt? Auf jeden Fall nicht ohne das wertzuschätzen, was hinter uns liegt: War der Vorgänger „I, The Mask“ (2019) insgesamt ein sehr gesangsfixiertes Werk, entdecken IN FLAMES nun die eigene Vergangenheit neu. „Foregone“ rückt den Schwerpunkt nicht einfach nur auf die Gitarren, sondern flirtet ganz offen mit halbvergessenen Trademarks, die wir zuletzt in den Neunzigern gehört haben.

IN FLAMES integrieren auf “Foregone” halbvergessene Trademarks der Vergangenheit in ihren modernen Sound

Charakteristisch dafür ist das eröffnende Instrumentalstück „The Beginning Of All Things That Will End“, das mit Akustikgitarren und dezenter Cello-Untermalung die skandinavischen Folk-Interludes des Debüts „Lunar Strain“ (1994) in Erinnerung ruft. Diese Einflüsse prägen darüber hinaus die Melodieführung von „Foregone Pt 2“, das auch als moderne Symbiose aus „Moonshield“ („The Jester Race“, 1995) und „Satellites And Astronauts“ („Clayman“, 2000) durchgehen könnte.

Dass sich die neue Schwerpunktsetzung überdies im Härtegrad bemerkbar macht, versteht sich von selbst: „State Of Slow Decay“ hat zwar einen klar gesungenen Refrain, ansonsten aber ein kurzweiliges Solo und treibendes Riffing in bester AT THE GATES-Manier. Den typisch göteborgschen Gitarrensound zelebrieren IN FLAMES dabei nicht zum letzten Mal. Während das düstere „Foregone Pt 1“ die Band so wild und gierig zeigt, wie es zuletzt vor vielleicht anderthalb Dekaden der Fall war, mausert sich das mitreißende „The Great Deceiver“ schnell zum heimlichen Hit des Albums.

“Foregone” findet die richtige Balance aus Tradition und Moderne, auch wenn im letzten Drittel die Spannungskurve etwas abflacht

Obwohl sich „Foregone“ zwischendurch den traditionellen Werten der Band zuwendet, verzichten IN FLAMES darauf, die Retro-Welle zu reiten. Mit Groove und eingängigem Refrain zelebriert „Meet Your Maker“ die besten Qualitäten der modernen Ära, während die allzu glatte und moderne Produktion Howard Bensons das Album soundtechnisch in vergleichbaren Sphären verortet wie die letzten beiden Outputs. Der Haken: Der komprimierte Sound lässt gerade dann etwas Kraft und Kante vermissen, wenn Gelotte und Broderick an den Gitarren vorsichtig mit Death-Metal-Vibes experimentieren („In The Dark“).

Dennoch findet die schwedisch-amerikanische Co-Produktion am Ende doch immer die richtige Balance aus Tradition und Moderne, egal ob sie nun das Gaspedal durchdrückt oder sich in „Pure Light of Mind“ oder „A Dialogue In B Flat Minor“ an groovenden Midtempo-Hymnen versucht. Einzig im letzten Drittel lässt „Foregone“ die Geschwindigkeit und damit die Spannungskurve etwas abflachen, was man mit einem weiteren schnellen Track sicherlich hätte beheben können.

IN FLAMES entdecken den Biss wieder, der in ihrer modernen Ära nicht immer an vorderster Stelle stand

In letzter Konsequenz ist dies jedenfalls ein Makel, den wir nicht allzu hoch hängen möchten. Immerhin entdecken IN FLAMES ausgerechnet im Angesicht schwieriger Zeiten und düsterer Ausblicke den Hunger bzw. den Biss wieder, welcher in der modernen Ära der Modern / Melodic Death Metal-Veteranen nicht immer an vorderster Stelle stand. Das neue Material jedenfalls zeigt uns fast schon beispielhaft, wie in einer unsicheren Zeit ein Blick in die Vergangenheit geradezu revitalisierend sein kann. Und während die Uhr dabei weiter unausweichlich Richtung Ende tickt, ist es doch schön zu wissen, dass jede Minute mit „Foregone“ prinzipiell auch sinnvoll investierte Lebenszeit ist.

Veröffentlichungstermin: 10.02.2023

Spielzeit: 46:46

Line-Up

Anders Fridén – Vocals
Björn Gelotte – Guitar
Chris Broderick – Guitar
Bryce Paul – Bass
Tanner Wayne – Drums

Produziert von Howard Benson und Joe Rickard (Mix)

Label: Nuclear Blast

Homepage: https://www.inflames.com/
Facebook: https://www.facebook.com/inflames

IN FLAMES “Foregone” Tracklist

1. The Beginning Of All Things
2. State of Slow Decay (Video bei YouTube)
3. Meet Your Maker (Video bei YouTube)
4. Bleeding Out
5. Foregone Pt. 1 (Video bei YouTube)
6. Foregone Pt. 2 (Video bei YouTube)
7. Pure Light Of Mind
8. The Great Deceiver (Video bei YouTube)
9. In The Dark
10. A Dialogue In B Flat Minor
11. Cynosure
12. End The Transmission

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