IN FLAMES: Clayman (20th Anniversary Edition)

Dass das TREAT-Cover „World Of Promises” der limitierten Erstauflage auf der „Clayman“-Jubiläumsedition kein Comeback feiern würde, überrascht uns wenig, ist angesichts des Songtitels aber vermutlich auch besser so. Obwohl wir uns ohnehin nicht allzu viel versprochen haben, enttäuscht die Neuauflage des Klassiker-Albums gleich mehrfach.

Eigentlich unmöglich, möchte man meinen, schließlich gilt das fünfte Studioalbum der schwedischen Melodic Death Metal-Veteranen IN FLAMES völlig zurecht als zeitloser Genre-Klassiker: für viele der Höhepunkt der Diskografie, für einige sogar das letzte genießbare Werk der Göteborger. So drastisch sehen wir das zwar nicht, können die Bedeutung dieses Albums allerdings nicht genug herausheben.

Die Energie von “Clayman” ist weiterhin unerreicht

Viel wurde in den Jahren bereits über „Clayman“ geschrieben – und das mit gutem Recht. IN FLAMES haben ein Album geschaffen, das mit „Only For The Weak“ nicht nur einen unsterblichen Live-Klassiker in seinen Reihen zählt, sondern quasi im Vorbeilaufen auch einen Jahrhundert-Hit wie „Pinball Map“ aus dem Ärmel schüttelt. „Clayman“ (2000) steht einerseits noch fest im klassischen Melodeath, tastet sich aber selbstbewusster als noch „Colony“ (1999) in neue musikalische Gefilde vor. Rückblickend sehen wir natürlich einige Fingerzeige in Richtung Zukunft, bevor „Reroute To Remain“ (2002) mit seinen präsenten Synthesizern endgültig ein neues Kapitel aufschlagen sollte. Auf „Clayman“ bleiben IN FLAMES jedoch puristischer, experimentieren vorsichtig mit Clean-Vocals, die etwa den explosiven Ausbruch in „Square Nothing“ noch dynamischer erscheinen lassen.

Selbst die Songs aus der zweiten Reihe treffen regelmäßig ins Schwarze: Die Gitarrenarbeit in „Swim“ ist schlicht wunderbar, „Satellites and Astronauts“ lädt ein wenig zum Träumen ein und das eingängige „Suburban Me“ ist auch nach zwei Dekaden noch ein hartnäckiger Ohrwurm. Und dann ist da natürlich noch der Titeltrack, dessen Energie nach wie vor unerreicht ist. „How come it’s possible?“, fragt ein giftiger Anders Fridén im Refrain – und wir müssen ihm weiterhin die Antwort schuldig bleiben, wie eine Platte aus dem Jahr 2000 auch heute noch so satt und druckvoll klingen kann.

Das Remaster hätten sich IN FLAMES sparen können

Vielleicht liegt es an der kräftigen Doublebass; vielleicht am organischen Mix, der damals versuchte, den warmen Klang einer Vinyl-Scheibe auf CD festzuhalten. Dass ein Remaster zum 20-jährigen Jubiläum daher nicht unbedingt nötig gewesen wäre, hört man der Wiederveröffentlichung an. Oder eben auch nicht, denn es braucht schon gute Kopfhörer und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, um festzustellen, dass die Becken vielleicht ein bisschen weniger präsent sind als früher.* Keine Mogelpackung, aber auch kein besseres Hörerlebnis.

Bleiben das gelungene Artwork und das brandneue Bonusmaterial, für das IN FLAMES fünf Stücke beigesteuert haben. Die Streichersuite „Themes And Variations in D-Minor“ fungiert als Übergang zwischen dem Original-„Clayman“ und den folgenden vier Neuaufnahmen, indem es Melodien des Albums als recht kantiges Medley arrangiert. Es ist eine Ouvertüre zum Desaster, denn aus der eigentlich vielversprechenden Idee, eine Handvoll Songs des Klassiker-Albums neu aufzunehmen, folgt eine regelrechte Karikatur des Ausgangsmaterials.

Die Neuaufnahmen zeigen IN FLAMES als Karikatur ihrer selbst

Insofern ist es geradezu ironisch, dass ausgerechnet „Only For The Weak“ den Anfang macht. Ein Songtitel, der angesichts der kraftlosen, dumpfen und schlicht unwürdigen Produktion aus der Feder Howard Bensons augenscheinlich zum Kredo wurde. Es ist tatsächlich eine Leistung für sich, die unbändige Energie der Urversion im Keim zu ersticken – Benson schafft es gleich viermal hintereinander, auch wenn „Bullet Ride“ und „Pinball Map“ dank der originalgetreuen Arrangements zumindest hörbar bleiben. Das sonst so urgewaltige „Clayman“ versumpft schließlich in laschen Synthesizern, obwohl zumindest Frontmann Anders Fridén hier eine beherzte Leistung abruft.

Optisch aufgehübscht, doch ohne Mehrwert, ist „Clayman (20th Anniversary Edition)“ für den Sammler in etwa so wie die überarbeitete „Special Edition“ der ursprünglichen „Star Wars“-Trilogie: Wirklich haben möchte man sie nicht. Ein wenig sprachlos bleiben wir trotzdem zurück: Wir hätten nie gedacht, dass ein einfaches TREAT-Cover jemals attraktiver sein könnte als vier neu eingespielte IN FLAMES-Klassiker.

*Als Vergleich diente uns eine klanglich unveränderte Neuauflage von “Clayman” aus dem Jahr 2010. (Link zu discogs.com)

Veröffentlichungstermin: 28.08.2020

Spielzeit: 68:05

Line-Up

Anders Fridén – Vocals
Björn Gelotte – Guitar
Jesper Strömblad – Guitar
Peter Iwers – Bass
Daniel Svensson – Drums

Line-Up (Re-Recordings)

Anders Fridén – Vocals
Björn Gelotte – Guitar
Chris Broderick – Guitar
Bryce Paul Newman – Bass
Tanner Wayne – Drums

Produziert von Fredrik Nordström und Ted Jensen (Remaster) | Re-Recordings: Howard Benson und Chris Lord-Alge (Mix)

Label: Nuclear Blast

Homepage: https://www.inflames.com/
Facebook: https://www.facebook.com/inflames

IN FLAMES “Clayman (20th Anniversary Edition)” Tracklist

  1. Bullet Ride
  2. Pinball Map
  3. Only For The Weak
  4. …As The Future Repeats Today
  5. Square Nothing
  6. Clayman
  7. Satellites And Astronauts
  8. Brush The Dust Away
  9. Swim
  10. Suburban Me
  11. Another Day In Quicksand
  12. Themes And Variations In D-Minor (Instrumental)
  13. Only For The Weak (Re-Recorded) (Video bei YouTube)
  14. Bullet Ride (Re-Recorded) (Lyric-Video bei YouTube)
  15. Pinball Map (Re-Recorded) (Video bei YouTube)
  16. Clayman (Re-Recorded) (Lyric-Video bei YouTube)
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