IN FLAMES: Lunar Strain

Lange bevor IN FLAMES der große internationale Durchbruch gelang und viele Jahre bevor die Schweden dem Genre, das sie in den Neunzigern mitbegründeten, Stück für Stück entwuchsen, erschufen sie etwas Wegweisendes. Obwohl „Lunar Strain“ seit jeher im Schatten des meisterhaften Nachfolgers „The Jester Race“ steht, war es das Debüt, das im Jahr 1994 mithalf, den Melodic Death Metal zu begründen. An der Seite von AT THE GATES und DARK TRANQUILLITY bereiteten IN FLAMES den Weg für ein Subgenre, das die Welt im Sturm eroberte. Dennoch fristet das stilgebende „Lunar Strain“ im IN FLAMES-Katalog ein seltsames Schattendasein. Die Gründe dafür sind tatsächlich auch die gleichen, die das manchmal vergessene Album so prägend machen.

Ein Sinnbild des melodischen Death Metals

Wild und roh startet die Platte durch: Der Sound ist ungeschliffen, aber differenziert. Das Schlagzeug – hier noch gespielt von späterem Gitarrist Jesper Strömblad – ist erdig und trocken abgemischt, wodurch „Lunar Strain“ ein organisches Fundament gelegt wird, das sich selbst heute noch gut hören lässt.

Davon profitieren nicht zuletzt die Gitarren, die sich in „Behind Space“ einen Weg durch die Gehörgänge sägen, um diese umgehend mit melodischem Riffing und doppelläufigen Gitarrenleads zu balsamieren. Dass sich bereits im ersten Song des Albums all jene Markenzeichen finden, die später zum Sinnbild des göteborgschen Melodic Death Metals wurden, spricht Bände und führte schließlich dazu, dass IN FLAMES den heutigen Klassiker für ihr viertes Album „Colony“ neu aufnahmen.

“Lunar Strain” glänzt beim Songwriting

Trotz der jugendlich-ungehaltenen Herangehensweise, glänzt „Lunar Strain“ beim Songwriting. Das Quintett verbindet mühelos musikalische Aggressivität mit melodischen Arrangements, die im abwechslungsreichen Titelsong auch mal mehrstimmige Melodiebögen umspannen. Das rotzige „Upon An Oaken Throne“ durchzieht im Gegenzug eine heftige Thrash-Schlagseite. Drosseln die Göteborger zwischendurch das Tempo wie in „In Flames“, dauert es meist nicht lange, bis der gemächliche Rhythmus durch Leadgitarren oder schnellere Parts aufgebrochen wird. Nur im allzu schleppenden „Everlost (Part 1)“ verlieren sich die Musiker im zähen Songaufbau.

Dass IN FLAMES auf ihrem Frühwerk ihren guten Kollegen von DARK TRANQUILLITY musikalisch enorm nahestanden, begründet sich nicht nur im Herkunftsort Göteborg, sondern auch in Sänger Mikael Stanne, welcher bekanntlich nach „Lunar Strain“ mit dem damaligen DARK TRANQUILLITY-Sänger Anders Fridén die Plätze tauschte. Stanne liefert auf „Lunar Strain“ eine wahnsinnig beißende und leidenschaftliche Performance ab, wenngleich sich sein stimmliches Spektrum anno 1994 primär auf keifende Screams beschränkte.

IN FLAMES wagten bereits auf dem Debüt Experimente

Was IN FLAMES jedoch damals schon von AT THE GATES und eben DARK TRANQUILLITY abhob, waren die zahlreichen genrefremden Einflüsse. Im balladesken „Everlost (Part 2)“ betten Akustikgitarren den warmen Gesang von Jennica Johansson, während in „Hårgalåten“ Violine und E-Gitarre im Duett einen schwedischen Folk-Song neu interpretieren. Zwischendurch finden sich Streicher-Intros („Starforsaken“) oder Akustikgitarren, die das eröffnende „Behind Space“ ausklingen lassen. Diese Folk-Anleihen prägen den Charakter des Albums und sind Beleg einer Band, die schon in ihren Anfangstagen zu experimentieren wagte.

Was zum einen das große Alleinstellungsmerkmal von „Lunar Strain“ ist, kann ihm vielleicht auch als Schwachpunkt angekreidet werden. Die ausgearbeiteten Folk-Elemente lassen das Erstlingswerk neben dem strafferen „The Jester Race“ in der Folge ein Stück weit sperriger erscheinen.

Inspiration für Bands in aller Welt

Nichtsdestotrotz war „Lunar Strain“ bei Erscheinen seiner Zeit voraus. Es bereitete den Weg für einen Stil, der tausende Metalbands in aller Welt bis heute inspiriert. Das lässt die Platte musikalisch vielleicht nicht aus dem Schatten seines legendären Nachfolgers treten, ist aber mehr als Grund genug, das „vergessene“ Album in ehrwürdiger Erinnerung zu halten.

Veröffentlichungstermin: 01.04.1994

Spielzeit: 36:44

Line-Up:
Mikael Stanne – Vocals
Glenn Ljungström – Gitarre
Carl Näslund – Gitarre
Johann Larsson – Bass
Jesper Strömblad – Schlagzeug, Keyboards

Produziert von H. Bjurkvist, Fredrik Nordström und J. Karlsson

Label: Wrong Again / Regain (Re-Release)

Homepage: https://www.inflames.com
Facebook: https://www.facebook.com/inflames/

IN FLAMES “Lunar Strain” Tracklist

1. Behind Space
2. Lunar Strain
3. Starforsaken
4. Dreamscape
5. Everlost (Part I)
6. Everlost (Part II)
7. Hårgalåten
8. In Flames
9. Upon An Oaken Throne
10. Clad In Shadows

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