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DISILLUSION: Konzertbericht – Backstage Club, München – 27.01.2023

DISILLUSION kommen erstmals mit dem neuen Album “Ayam” (2022) auf Tour. Zum Auftakt in München bringen die Leipziger neben neuem Material auch das “große Line-up”, sprich Keyboard, Cello und Trompete, mit.

Gleich zwei Fragen beschäftigen uns an einem frostigen Freitagabend, als wir gerade am Münchner Hirschgarten aus der S-Bahn steigen: „Gibt es heute nun ein Vorprogramm?“ und „Passen DISILLUSION mit dem ‚großen Line-up‘ überhaupt auf die Bühne des kleinen Backstage Clubs?“ Ein Support-Act war zwar nicht offiziell angekündigt, es wäre aber nicht das erste Mal, dass man in der bayerischen Landeshauptstadt kurzfristig einer lokalen Band eine Plattform geboten hätte. Insofern überrascht es uns keineswegs, dass in der Warteschlange vor der Halle genau dieses Thema ebenfalls aufgegriffen wird.

Wir selbst rätseln jedenfalls weiter, während wir mit einer guten Viertelstunde Verspätung – der Hauptact war offenbar zuvor noch mit dem Soundcheck beschäftigt – die winterliche Kälte erstmals hinter uns lassen und den angenehm temperierten Club erkunden. Der Merch-Stand ist schon zu diesem Zeitpunkt regelrecht umlagert, während im oberen Geschoss die Galerie mit Tischen und Stühlen zum entspannten Zeitvertreib einlädt.

Ein Angebot, das wir im Nachhinein hätten nutzen sollen, denn die Antwort auf die erste unserer Fragen erübrigt sich nach einer Weile von selbst: Den offiziellen Konzertbeginn um acht Uhr haben wir zu diesem Punkt schon lange überschritten, als sich gegen halb neun die ersten Besucher im bereits gut gefüllten Club um einen alternativen Zeitvertreib bemühen. Der Projektionsstrahl des installierten Beamers dient bald als Schaufläche für allerlei Schattenspiele – ein notdürftiges Unterhaltungsprogramm angesichts der ausbleibenden Kommunikation vor Ort.

DISILLUSION

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Tatsächlich warten wir bereits seit guten anderthalb Stunden, als DISILLUSION endlich mit rund 60 Minuten Verspätung das zweite Mysterium des Abends lösen wollen: Die kleine Bühne im Eck der Lokalität mag nicht allzu viel Bewegungsspielraum bieten, mit etwas logistischem Geschick finden die Bretter neben der vierköpfigen Rockbesetzung jedoch durchaus Platz für ein zusätzliches Keyboard, Cello sowie Trompeterin Birgit.

Na gut, die komplette Besetzung ist während dem eröffnenden „The Great Unknown“ noch nicht mit von der Partie, wo die Band zunächst als Fünfergespann mit regelrechter Urgewalt im Backstage Club aufschlägt. Klanglich lässt der Mix nach anfänglichen Ungereimtheiten zumindest an unserer Position keine großen Wünsche offen, weshalb selbst die kleineren Details in lauten wie ruhigen Momenten nicht von Schlagzeug oder Bass verschluckt werden. Das kommt selbstverständlich auch den langen Tracks wie dem fantastischen „Am Abgrund“ zugute, wo Cellistin Klara und Keyboarder Frederik für eine wahnsinnig dichte Atmosphäre sorgen.

Das Material des aktuellen Albums “Ayam” wächst live zu unbeschreiblicher Größe heran

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Den teils von weither angereisten Fans ist es derweil egal, ob DISILLUSION auf die Tube drücken oder zur Abwechslung das Tempo rausnehmen: Auch das in sich gekehrte „Driftwood“ wird mit enthusiastischem Applaus bedacht – und das nicht nur, weil Bassist Robby durch seinen unterstützenden Klargesang einige wunderbare Akzente zu setzen weiß. Wobei man in München doch so seine heimlichen Favoriten zu haben scheint: Auf die eher trockene Ankündigung Andy Schmidts in der Diskografie ein wenig weiter zurückzugehen, bricht in so mancher Ecke spontaner Jubel aus. Den heute leicht gekürzt dargebotenen Klassiker „And The Mirror Cracked“ begleiten folglich fliegendes Haupthaar genauso wie die zahlreich gereckten Fäuste des textsicheren Publikums.

DISILLUSION wiederum danken es nach dem groovenden „The Black Sea“ mit einer Live-Premiere. Obwohl die Band ein wenig mit der Technik zu kämpfen hat – Gitarrist Ben Haugg tauscht schließlich Funk-Empfänger gegen altmodisches Kabel -, belegt das intensive „Abide The Storm“ endgültig, was sich ohnehin schon angedeutet hatte. Dank stimmungsvoller Synthesizer und zusätzlicher Blechbläser wächst auch das Material des aktuellen Albums „Ayam“ (2022) im Live-Format zu unbeschreiblicher Größe heran. Die Atmosphäre im kuscheligen Backstage Club ist dementsprechend elektrisierend, wenngleich Sänger Andy die „halbwegs gelungene Premiere“ im Anschluss ungleich nüchterner zusammenfasst.

Bei DISILLUSION ist deutlich zu spüren, wie jeder Ton und jede Note aus dem Herzen kommt

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Die Lacher hat der sympathische Bandkopf jedenfalls auf seiner Seite; unsere Aufmerksamkeit sowieso, da sich DISILLUSION ansonsten auch spieltechnisch auf der Höhe zeigen. Das frenetisch gefeierte „Alone I Stand In Fires“ oder das herrlich proggige „Alea“ sind ein Erlebnis, weil das abwechslungsreiche Drumming auf den Punkt ist und der leidenschaftliche Gesang ganz offenbar aus dem Herzen kommt. Dass zumindest atmosphärisch noch eine Schippe mehr geht, hätten wir daher gar nicht erwartet, als im introspektiven Mittelteil von „The Mountain“ unruhige Windböen aus den Lautsprechern pfeifen, während sich durch die dichten Nebelschwaden auf der Bühne ein klagendes Horn zu schälen beginnt.

Kurzum, ein wahnsinnig guter Schlussakt der Leipziger, die uns allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Kälte entlassen wollen. So üben sich DISILLUSION – natürlich im Schulterschluss mit den begeisterten Münchner:innen – zunächst durchaus erfolgreich im Synchron-Headbangen, bevor sie auf das knackige „Don’t Go Any Further“ mit „From The Embers“ einen ungleich versöhnlicheren Ausklang folgen lassen.

DISILLUSION geben alles – und das Publikum zieht mit

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Jedenfalls scheint das die ursprüngliche Absicht gewesen zu sein, bevor das hiesige Publikum nun den Spieß kurzerhand umdreht und die Band selbst nicht gehen lassen will. Nach dem gemeinsamen Foto halten die Jubel-Arien tatsächlich so lange an, dass das sichtlich überwältigte Gespann spontan doch nochmals auf die Bühne zurückkehrt. Man habe jetzt keine weiteren Stücke vorbereitet, lässt uns ein leicht verlegen strahlender Andy Schmidt wissen. Deshalb gebe es nun mit „Tormento“ eben die erste Single des aktuellen Studioalbums ein weiteres Mal.

Dass man im Backstage diese aufrichtige und sympathische Geste zu würdigen weiß, versteht sich natürlich von selbst. Wenn DISILLUSION am ersten Abend ihrer kleinen Tour bereits alles geben, dann ziehen die treuen Anhänger:innen selbstredend mit Begeisterung mit. Die zu Beginn noch ob der langen Wartezeit verstimmten Mienen – wie weggeblasen. Stattdessen blicken wir auf ein Meer aus strahlenden Gesichtern sowohl vor als auch auf der Bühne. Und wir, die wir zunächst mit zwei bohrenden Fragen aus der S-Bahn gestiegen waren, grübeln nun auf dem Heimweg bereits vollkommen geplättet über einem neuen Mysterium: Wie zur Hölle machen DISILLUSION das bloß?

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DISILLUSION Setlist – ca. 105 Minuten

1. The Great Unknown
2. Am Abgrund
3. Driftwood
4. And The Mirror Cracked
5. The Black Sea
6. Abide The Storm
7. Tormento
8. ALEA
9. Alone I Stand In Fires
10. The Mountain
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11. Don’t Go Any Further
12. From The Embers
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13. Tormento

Fotogalerie: DISILLUSION

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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