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DISILLUSION: Ayam

“Ayam” klingt nach dem Versuch, alles noch weiter auf die Spitze zu treiben. DISILLUSION sind noch perfekter. Noch emotionaler. Noch vertrackter. Noch intensiver. Noch einzigartiger. Vielleicht von allem ein bisschen zu viel?

Ich kann es mir nicht erklären. Aber zum ersten Mal in meiner leidenschaftlichen Beziehung zu DISILLUSION lässt mich ihr neues Lebenszeichen “Ayam” erschreckend kalt. Was ist los – und wie konnte das nur passieren?

Keine Frage: DISILLUSION waren, sind und bleiben eine Ausnahmeband. Ich hatte schon immer – meine erste musikalische und kurz darauf persönliche Begegnung mit DISILLUSION geht schon etwa zwanzig Jahre zurück – gigantischen Respekt davor, was die Leipziger in wechselnder Besetzung, aber immer um DISILLUSION-Kopf Andy Schmidt machen: Technisch perfekten (Prog)-Metal, voller Zauber, voller Energie, voller Aggression, voller Emotion – also allen Zutaten, mit denen mich DISILLUSION bislang dankbar abholten, mich in einen Rausch versetzten, mir live die Tränen in die Augen trieben – und trotzdem packt mich “Ayam”, ihr viertes Album, nicht. Warum nur?

DISILLUSION sind einfach perfekt auf “Ayam”. Zu perfekt?

Liegt es daran, dass mich DISILLUSION bislang immer genau zur richtigen Zeit mit ihrer Wandlung und Entwicklung mitten ins Herz trafen – und ich diesen Stich bei “Ayam” nun vermisse? Ich weiß, das Wort “ich” ist in diesem Review schon deutlich zu oft gefallen. Doch es soll erklären, weshalb mein innerer und so gerne nach außen getragener Jubel gerade ausbleibt.

Was machte diesen Stich aus? Womit haben sie mich immer abgeholt, was mir bei “Ayam” nun offenbar fehlt?

Vielleicht haben wir uns einfach auseinandergelebt.

“Ayam” klingt für mich nach dem Versuch, alles noch weiter auf die Spitze zu treiben. Noch perfekter. Noch emotionaler. Noch vertrackter. Noch intensiver. Noch komplexer. Noch kompromissloser. Noch facettenreicher. Noch atmosphärischer. Noch überwältigender. Noch einzigartiger. Noch extremer.

Das ist mir einfach eine Spur zu viel geworden. Zu viel Kopf? Zu viel Perfektion? Noch mehr? Musik auf der Überholspur? Ich brauche Luft.

Oder ist das alles nur Mäkeln auf hohem Niveau?

Bereits der Opener “Am Abgrund” deckt so viele Facetten und Stärken DISILLUSIONs ab, dass einem schwindelig werden kann: Ein atmosphärisches Intro mündet in einem fetten Gitarrenriff, begleitet von düsteren Bläser-Passagen und derben Blastbeats – bereits nach anderthalb Minuten Spielzeit herrscht eine Atmosphäre wie beim großen Finale. Faszinierend. Aber irgendwie auch abschreckend.

Das ist Jammern und Mäkeln auf hohem Niveau, ich weiß. Und wer bin ich, die gigantische Leistung dieser Ausnahmeband infrage zu stellen? Als Hobbymusiker kann ich ganz gut einschätzen, auf welchem Niveau sich DISILLUSION bewegen. Und aus früheren Gesprächen mit Andy Schmidt weiß ich, wie viel Herzblut in der Musik, in seiner Arbeit steckt. Mit welcher Akribie – fast schon Besessenheit – an Musik, Text, dem gesamten Werk gearbeitet wird, bis die DISILLUSION-Welt perfekt ist. Das war schon beim Vorgänger “The Liberation” so. Das war schon bei ihrem 2004er-Meisterwerk “Back To Times Of Splendor” so, bei dem sie ihr damaliges Label Metal Blade durch ihren Anspruch an sich selbst fast in die Verzweiflung trieben (was ich seinerzeit sehr sympathisch fand). Nun ist mir das alles auf “Ayam” aber eine Spur zu viel.

Natürlich geht es nach dem Opener “Am Abgrund” auf höchstem Niveau weiter. “Tormento” und das melancholische und wunderschöne “Driftwood” konnten bereits vorab gehört werden. “Abide The Storm” ist eine waschechte Prog Death Metal Walze, “Longhope” erinnert stimmungsmäßig und kompositorisch an “Alea” – wunderschön. “Nine Days” begeistert mit mehrstimmigen Gesängen, viel Dynamik, Melancholie und dichter Atmosphäre. “From The Embers”, und das abschließende “The Brook” sind ebenfalls voller Schönheit, Tiefgang, Komplexität. Sagte ich schon, dass sich die Gesangsleistung auf dem Album nochmals gesteigert hat? Alleine die Passage um Minute fünf in “The Brooks” ist zum Niederknien.

Es ist kompliziert

DISILLUSION, es ist fantastisch, was ihr macht! Wahrscheinlich bin nur ich nicht so weit.

Ach, es ist kompliziert.

Andy, wir müssen reden.

 

VÖ: 4. November 2022

Produzent: Jens Bogren

Recording Line-up “Ayam”
Andy Schmidt – vocals, guitar
Sebastian Hupfer – guitar (Sebastian hat DISILLUSION inzwischen verlassen)
Ben Haugg – guitar
Robby Kranz – bass, backing vocals
Martin Schulz – drums

Aktuelles Line-up
Andy Schmidt – vocals, guitar
Ben Haugg – guitar
Robby Kranz – bass, backing vocals
Martin Schulz – drums

DISILLUSION “Ayam” Tracklist

1. Am Abgrund
2. Tormento
3. Driftwood (Audio bei YouTube)
4. Abide the Storm
5. Longhope
6. Nine Days
7. From the Embers
8. The Brook

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