Wenn selbst Musiker mit derart verschiedenen Hintergründen wie Mike Portnoy (ex-DREAM THEATER) oder Corey Taylor (SLIPKNOT) aus dem Häuschen sind, muss der Hype um das maskierte Phänomen SLEEP TOKEN auf durchaus solidem Fundament gebaut sein. Dabei kam der kometenhafte Aufstieg der Briten nicht über Nacht, wenngleich das Drittwerk „Take Me Back To Eden“ vom gegenwärtigen Momentum enorm profitiert.
Schon der Vorgänger „This Place Will Become Your Tomb” (2021) setzte die Band mit ihrem gewagten Crossover aus Alternative Metal, Prog, Djent und Synth Pop seinerzeit auf die Landkarte. Eine günstige Ausgangssituation, die sich SLEEP TOKEN nun zu eigen machen, um sich in bislang nicht gekannte Stratosphären zu katapultieren. Denn während das neue Material den genre-fluiden Charakter beibehält, bricht die Formation das ehemals eingefahrene und vorhersehbare Songwriting bewusst auf.
SLEEP TOKEN brechen auf ihren Drittwerk die zuvor festgefahrenen Songstrukturen auf
Die Arrangements zeigen SLEEP TOKEN gereift und wandelbar, wenn „The Summoning“ plötzlich TOOL– und MESHUGGAH-Einflüsse mit einem sphärischen Solo sowie Jazz-Vibes vermählt. Doch auch der klassische Ansatz funktioniert weiterhin ausgezeichnet: „Chokehold“ profitiert von seinem langsamen Aufbau genauso wie den charismatischen Gesangslinien Vessels, die punktuell durch ein modernes, leicht von Djent geprägtes Rhythmusfundament gestützt werden.
Klar ist jedenfalls, dass man mit Engstirnigkeit und verbohrtem Traditionalismus auf „Take Me Back To Eden“ nicht weit kommt, da SLEEP TOKEN durch teils zurückgenommene Instrumentierung, stimmige Synth-Untermalung und Drum-Pads immer wieder in Richtung Pop vorstoßen. Bevor die tief gestimmten Gitarren einsetzen, durchzieht „Granite“ etwa – ähnlich wie das manchmal jazzige „Aqua Regia“ oder die erste Hälfte von „Ascensionism“ – ein getragenes R&B-Feeling, während in der Ballade „DYWTYLM“ der Gesang nicht ohne dick aufgetragenes Pathos davonkommt.
Mit “Take Me Back To Eden” leisten SLEEP TOKEN in gewisser Weise Pionierarbeit
Das andere Extrem bedient „Take Me Back To Eden” mittels oft unvorhersehbarer und deshalb umso effektiverer Ausbrüche, bei denen das akzentuierte und abwechslungsreiche Schlagzeugspiel von Drummer II ebenso viele Akzente setzen darf wie in den ruhigen Momenten. So erinnern die heftigen Eruptionen von „Vore“ aufgrund der hysterischen Screams und der unruhigen „Wall of Sound“ an ebendiese Seite ROLO TOMASSIs, wohingegen der ausladende Titeltrack den betörenden Refrain mittels Laut-leise-Dynamik noch attraktiver erscheinen lässt.
Ihren einzigen Fauxpas leisten sich SLEEP TOKEN somit auf Makro-Ebene: Ein bisschen schlanker hätte „Take Me Back To Eden“ mit seinen rund 63 Minuten Laufzeit gerne sein dürfen. Zwar bleibt die Platte vor Ausfällen verschont, leistet sich aber dramaturgisch einen Strauchler, indem das ruhige „Are You Really Okay?“ in der Mitte das Album etwas zu sehr ausbremst. Zu Fall bringen kann dies die Pionierarbeit der vier Musiker:innen derweil nicht. Dafür fußt der außergewöhnliche sowie versiert ausgestaltete Stilmix auf zu trittfestem Fundament. Es hat schon seinen Grund, warum ausgerechnet SLEEP TOKEN derart prominente Fürsprecher aus den verschiedensten Lagern für sich gewonnen haben.
Veröffentlichungstermin: 19.05.2023
Spielzeit: 63:23
Line-Up
Vessel – Vocals, Gitarre, Bass, Keyboards/Synthesizer
II – Drums
III – Bass
IV – Gitarre
Produziert von Vessel, Carl Bown und Ste Kerry (Mastering)
Label: Spinefarm Records
Homepage: https://www.sleep-token.com/
Facebook: https://www.facebook.com/sleeptoken/
SLEEP TOKEN “Take Me Back To Eden” Tracklist
01. Chokehold (Visualizer bei YouTube)
02. The Summoning (Visualizer bei YouTube)
03. Granite (Visualizer bei YouTube)
04. Aqua Regia (Visualizer bei YouTube)
05. Vore (Visualizer bei YouTube)
06. Ascensionism
07. Are You Really Okay?
08. The Apparition
09. DYWTYLM (Visualizer bei YouTube)
10. Rain
11. Take Me Back To Eden
12. Euclid