ABSOLUTE TOPSCHEIBEN 2022
DISILLUSION: Ayam
Vermutlich wäre ohne den Corona-Lockdown der „The Liberation„-Nachfolger nicht so schnell aus den Wolken gefallen. In diesem Fall Glück für die DISILLUSION-Patreoneaner und auch für alle, die ohne monatliche Abbuchungen gierig nach neuem Stoff der Leipziger lechzen. „Ayam“ ist – wie Kollege Markus in seinem Review richtig festgestellt hat – ich zitiere: „Noch perfekter. Noch emotionaler. Noch vertrackter. Noch intensiver. Noch komplexer. Noch kompromissloser. Noch facettenreicher. Noch atmosphärischer. Noch überwältigender. Noch einzigartiger. Noch extremer.“
Im Gegensatz zu ihm muss ich ob der überbordenden Extremen nicht nach Luft schnappen – und wenn, dann höchstens vor vollkommener Ekstase. „Ayam“ ist eine emotionale Achterbahnfahrt, ein wirbelreicher Ritt in einer stürmischen See, die im nächsten Moment alle Wogen geglättet bekommt, nur um urplötzlich wieder aus vollstem Getöse loszuschlagen. Ein Album, das mich jedes Mal fassungslos und beglückt zugleich zurücklässt und selbst nach etlichen Tiden im Stübchen meines Herzens seinen Logenplatz nicht räumen müssen wird. 10 Punkte!
BRUTUS: Unison Life
Wenn es ein Album im vergangenen 2022 gibt, das mich vom Stand weg zutiefst berührt hat, ist das die dritte Scheibe eines belgischen Trios namens BRUTUS: „Unison Life“ ist im auf diesem Album nach vielen Seiten offenen Post-Hardcore-Kontext mit einer fantastisch schlagzeugspielenden und einer noch umwerfender performenden Sängerin Stefanie Mannaerts (diese Vocals aus verzweifelter Wut und zerbrechlicher Schönheit sind das Ergreifendste, was dieses kriegs-, entschuldige Vladdi, spezialoperationsverseuchte Jahr hervorgebracht hat) ein absolutes Genrehighlight und fährt auf allen 10 Positionen mit voller Wucht direkt in Mark und Bein. Das Trio ist im Songwriting unglaublich gereift und stattet jedes Stück, das ohne Umschweife auf den Punkt kommt, mit unverschämt viel Charisma und Tiefgang aus.
WEITERE JAHRESHIGHLIGHTS 2022
WATAIN: The Agony & Ecstasy Of Watain
Nach der „Business As Usual“-Abfertigung „Trident Wolf Eclipse“ ziehen Erik Danielsson und seine Watainianer wieder alle Register und fertigen ein vor – wie der Titel treffend formuliert – Todeskämpfen und vollkommener Hingabe durchtränktes, schwarzmetallisches Glanzstück an. Raserei, Anmut, total fucking darkness! Aber auch Mut, neben aller flirrender Gitarrenaggression weitflächig-atmosphärische Arrangements einzubringen, die nur von einem zauberhaften Gastbeitrag Farida Lemouchis (ex-THE DEVIL’S BLOOD, MOLASSES, GOTT) auf ‚We Remain‘ getoppt wird. Den Uppsala-Jungs ist im fortgeschrittenen Karriereverlauf eine Scheibe geglückt, die ein hohes künstlerisches und ästhetisches Verständnis für die Schönheit von Tod und Nacht in Wort und Ton transportiert.
MESSA: Close
MESSA haben mit „Close“ ihr bislang reifstes Album abgeliefert: eigenwilliger, in den Bann ziehender Doomrock mit fuzzig-schweren Riffs in zarter THE DEVIL’S BLOOD– bzw. JEX THOTH– Couleur, einer betörenden Sängerin Sara Bianchin (grobe Richtung Anneke Van Giersbergen) und einem absolutem Unverständnis für harmonische Konstanz. Was die Sache aber unglaublich spannend macht: Die Dekonstruktion wird hier neben einigen anderen überraschenden und unbequemen Momenten (also starring: ein schräges Saxofon in ‚0=2‘) als wirkungsvolles Stilement grandios in Szene gesetzt und lässt das dritte Album der Italiener zu einem intensiven und sinnlichen Eintauchen in die Dark Noir-Materie avancieren.
THE SPIRIT: Of Clarity And Galactic Structures
Der selbsternannte „Stellar Blackened Death Metal“ driftet auf „Of Clarity And Galactic Structures“ in progressive Galaxien ab und das ist gut so. Die saarländischen Verwalter des DISSECTION-Erbes erschaffen mit flirrender Rasanz, kompositorischer Artistik und melodieverliebtem Sverige-Todesblei ein galaktisch großartiges Album, das weiterhin die Bedeutungslosigkeit der menschlichen Existenz zum Inhalt hat, diese aber mit fortgeschrittener kreativer Eleganz zum Ausdruck bringt.
RIOT CITY: Electric Elite
Aus dem traditionellen Metalbereich geht für mich in diesem Jahr nichts über „Electric Elite“ von RIOT CITY, die mit ihrem zweiten Album ihren Anspruch untermauern, im großen Stile noch größere Bühnen zu entern. Einen kleinen Vorgeschmack dessen bekam man schon beim frenetisch abgefeierten „Keep It True Rising 2“-Gig, bei dem die Posthalle schon früh am Nachmittag zum Bersten voll war. Auch mit dem neuem Sänger Jordan Jacobs (für manche ist das permanente Verharren in der Kopfstimme nicht auszuhalten, für mich passt das aber wie die Faust aufs Auge zum hohen Energielevel) ist das pfeilschnelle Stahlgeschoss aus Kanada gnadenlos auf der Überholspur unterwegs.
EVERGREY: A Heartless Portrait (The Orphean Testament)
Die schwedischen Prog/Power Metaller mit starkem Hang zur Melancholie haben mit ihrer 13. Scheibe ein weiteres, spätes Highlight in ihrer 30jährigen Karriere fertiggestellt: kraftvolle Bombasthymnen, die mit opulenten Refrains und mächtigem Sound ausgestattet sind und vor allem von einem Tom Englund in Bestform getragen werden, der es wie kaum ein zweiter zu verstehen weiß, mit seinen butterweichen Gesangslinien tiefgehende Emotionen in einfachen Worten und bittersüßen Tönen zu transportieren. Und dabei literweise Herzblut Herzblut und Passion zu versprühen!
IMHA TARIKAT: Hearts Unchained-At War With A Passionless World
Neben WATAINs „Agonie und Ekstase“-Dingens DAS Black-Album-Must-Have 2022: Das Duo mit türkischen Wurzeln haut nach „Sternenberster“ in allen Belangen nochmal ne Schippe drauf und bringt in „Hearts Unchained – At War With A Passionless World“ Verzweiflung, Wut und Wahnsinn auf ein neues Schmerzlevel. Basierend auf der Schwarzlehre der Neunziger werden auf dem dritten Schlag der „Vernichtungssekte“, so die deutsche Übersetzung des Bandnamens, grandiose Arrangements aus dem BÖLZER- und THE RUINS OF BEVERAST-Universum zelebriert und tief in die Seele gehende Lyrics voller Qual und Pein rausgepresst. Danach braucht man erstmal nix mehr.
PANZERFAUST: The Suns Of Perdition, Chapter III: The Astral Drain
Der dritte Teil der „The Suns Of Perdition“-Tetralogie dringt noch weiter in die atmosphärischen, teilweise sogar postblackmetallischen Areale ein, zündet aber auch nicht zuletzt dank des wieder einmal vielschichtigen und atemberaubenden Drummings von Alexander Kartashov, das auf „The Astral Drain“ deutlich in den Vordergrund rückt, mit abgrundtiefer Negativität. Die Kanadier mussten dieses Jahr zwar ordentlich Kritik wegen ihrer Teilnahme an der „Freedom Convoy“-Demo einstecken, spülen sich aber mit einer erneut bärenstarken Scheibe und somit einem lupenreinen „The Suns Of Perdition“-Hattrick weit nach vorne.
GHOST: Impera
Die Dichte an süßlichen Melodien mit unverschämten Ohrwurmflair ist auf „Impera“ exorbitant hoch ausgefallen. Und verdammt, ist das geil! Papa Emeritus IV und seine Nameless Ghouls spalten zwar nach wie vor die metallische Glaubensgemeinde, wer aber auf eine perfekte Vertonung (und live auch Inszenierung) okkult-sakraler Hartmusik mit poppigem Charme steht, kommt an diesem Album nicht vorbei. Ich leg mich fest: wir haben es hier mit dem bis dato besten GHOST-Album zu tun!
UND ANDERE SEHR GUTE SCHEIBEN (in alphabetischer Reihenfolge)
ARÐ: Take Up My Bones
CAUCHEMAR: Rosa Mystica
COHEED AND CAMBRIA: Vaxis II: A Window Of The Waking Mind
HÄLLAS: Isle Of Wisdom
THE HELLACOPTERS: Eyes Of Oblivion
KAMPFAR: Til Klovers Takt
MANTAR: Pain Is Forever And This Is The End
MUNICIPAL WASTE: Electrified Brain
THE NEPTUNE POWER FEDERATION: Le Demon De L’Amour
PHANTOM SPELL: Immortal’s Requiem
PORCUPINE TREE: Closure/Continuation
PROTECTOR: Excessive Outburst Of Depravity
SPIRITUS MORTIS: The Great Seal
SUMERLANDS: Dreamkiller
THRESHOLD: Dividing Lines
TOXIK: Dis Morta
TRIAL: Feed The Fire
ULTHA: All That Has Never Been True
ULTRA SILVAM: The Sanctity Of Death
CANDLEMASS: Sweet Evil Sun
Die Sonne scheint so langsam unterzugehen im Edling-Reich. Die nochmal aufgebrühten Riffs auf „Sweet Evil Sun“ können meines Erachtens den hohen Anforderungen der CANDLEMASS-Jünger nicht gerecht werden. Wie es besser geht, zeigen mittlerweile STYGIAN CROWN!
BLOOD INCANTATION: Timewave Zero
Ok, die Jungs von BLOOD INCANTATION können einigermaßen Ambient (aber auch net wirklich so dolle), aber muss das dann unter dem firmeneigenen Banner veröffentlicht werden? Zum Glück bin ich mittlerweile weit weg von Blindkäufen, aber ich musste einige in meinem Umkreis trösten, die nach ungehörtem Erwerb dieser EP bitterliche Tränen vergossen haben.
THERION: Leviathan II
Von den ehemaligen Großmeistern des orchestral-symphonischen Metalls gotischer Prägung (‚Vovin‘, ‚Theli‘) sind meine Erwartungen seit fast zwei Dekaden eh begrenzt, „Leviathan II“ ist jedoch definitiv der vorläufige THERION-Tiefpunkt. Ohrenbluten deluxe bei diesem zusammengewürfelten Mix, der stellenweise so klingt, als ob Arjen Lucassen hier seine unausgegorenen Fragmente gewinnbringend weiterverkaufen konnte.
BLIND GUARDIAN: The God Machine
Nachem Deaf Forever-Kollege Stefan Franke, der Monate vorher schon reinhören durfte, die neue BLIND GUARDIAN als absoluten Knaller bezeichnet hatte, auf den man sich freuen dürfe, war ich heiß gemacht und natürlich ultragespannt, ob die Krefelder härtetechnisch wieder in die Vollen gehen und an alte Glanztaten anknüpfen können oder nicht. Ernüchterndes Fazit: Ok, die Tolkien-Verehrer ziehen wieder etwas an, es regieren aber nach wie vor viel zu verkopfte Arrangements und zu verkünsteltes Songwriting.
DARK EASTER METAL MEETING
IN FLAMMEN OPEN AIR
CHAOS DESCENDS FESTIVAL
EREMIT, MIDNIGHT, NEKROMANTHEON, SIJJIN
HEADBANGERS OPEN AIR
PARTY.SAN OPEN AIR
BENEDICTION, KATATONIA, MISERY INDEX, SHAPE OF DESPAIR
STORM CRUSHER FESTIVAL
CARONTE, LIEGE LORD, PAGAN ALTAR
KEEP IT TRUE RISING 2
HAMMER OF DOOM FESTIVAL
THRONEHAMMER, VILLAGERS OF IOANNINA CITY, ATLANTEAN KODEX
EINDHOVEN METAL MEETING
CHAPEL OF DISEASE, MY DYING BRIDE, ULTHA
EINZELGIGS
GEOFF TATE (Nürnberg, Hirsch), GHOST (München,Olympiahalle), IRON MAIDEN (Frankfurt, Deutsche Bank Park), PORCUPINE TREE (Stuttgart, Porsche Arena)
Früh morgens eine Stunde lang am Steg des vom Nebel umhüllten See Plav (Montenegro) zu stehen, einen Schwarm Vögel und ein herannahendes Anglerboot zu beobachten und dabei DISILLUSIONs „Ayam“ zu hören.
Das zögerliche Verhalten von Olaf Scholz und der gesamten Regierungskoalition nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine zum Thema Waffenlieferungen.
Wie in den Jahren zuvor gibts ein Zitat aus den „Die nackte Kanone“-Filmen:
„Die Wahrheit schmerzt. Hab ich recht? Oh natürlich, nicht so wie auf ein Fahrrad zu springen, das keinen Sattel hat. Aber es schmerzt!“ (Frank Drebin, Spezialeinheit)