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BRUTUS: Unison Life

Werden die haushohen Erwartungen erfüllt? Aber klar doch. BRUTUS spielen sich mit „Unison Life“ mühelos in die nächste Liga.

So ein perfektes Leben, eines im Einklang mit allem, das uns umgibt, so ein „Unison Life“, das wäre es doch. Vor allem, wenn mal wieder alles kacke ist. Aber diese Idealvorstellung vom Dasein, sie will einfach nicht eintreten. Nicht für die Macher und Umsetzer, die wegen Corona ausgebremst werden und plötzlich mit sich selbst konfrontiert sind, ebenso wie für die Introvertierten, die einfach gern mal eine halbe Stunde Ruhe hätten und die keine Pause von den Aufgaben des Tages bekommen. Freilich, ein permanentes Leben in Harmonie würde niemanden weiterbringen. Ohne Reibung keine Entwicklung. Meine Zähne knirschen gerade wieder einmal.

Spürbare Leidenschaft: BRUTUS katapultieren ihre Intensität auf „Unison Life“ in neue Sphären.

Apropos Reibung. BRUTUS reiben als Musiker gerne verschiedene Stilistiken aneinander. Was nur sehr grob als Post Metal verortet werden kann, trägt Einflüsse aus Alternative, Indie, Punk, Hardcore und Metal in sich. Die ziemlich originelle Mischung des Trios ging zwei Alben lang schon ziemlich gut. Stichwort: Trio. BRUTUS wissen instinktiv, wie sie die Stärken dieser Besetzungsform bestens ausspielen können. „Burst“ und „Nest“ waren temperamentvolle Alben zum Verlieben, die Shows waren noch besser. Und nun, dreieinhalb Jahre nach dem letzten Album sind die Erwartungen natürlich haushoch.

Dass BRUTUS besonders viel Leidenschaft in sich tragen, weiß jeder, der die Band bereits live gesehen hat. Überhaupt, das Trio gehört zu den wenigen, deren Alben und Shows auf derselben Ebene liegen. Nun katapultiert „Unison Life“ diese Intensität in neue Sphären – was die Erwartungen für künftige Touren ziemlich in die Höhe schnellen lässt. Andererseits, was soll da schiefgehen? BRUTUS haben ihr Songwriting derart verfeinert, dass kein Anlass zur Sorge besteht, die Shows würden verkopft werden. Im Gegenteil, alle zehn Stücke sind punktgenau komponiert und dabei überraschend vielschichtig.

„Unison Life“ zeigt BRUTUS mit reifer Ernsthaftigkeit statt jugendlicher Frische – und es steht ihnen gut!

Der nicht so heimliche Star ist dabei natürlich Stefanie Mannaerts. Der Wow-Effekt der singenden Drummerin mag weg sein, ihre Stimme hat auf Album Nummer drei aber deutlich an Charakter gewonnen. Sie singt vielschichtiger, passionierter, rauer. Damit schafft sie es, jeder Facette die passende oder kontrastierende Stimmfärbung zu geben und die emotionalen Momente zu unterstreichen oder gar zu erweitern. Die Leistung von Gitarrist Stijn Vanhoegaerden darf dabei nicht überhört werden: Seine Riffs und Melodien sind eine andere Ausdrucksform als der Gesang, jedoch genauso treffsicher eingesetzt und gehen tief unter die Haut.

Der große Entwicklungsboost an „Unison Life“ findet sich aber hier: BRUTUS klingen reifer, erwachsener, ernster. Die jugendliche Frische ihrer ersten Alben ist ein Stück weit gewichen, aber genau das steht der Band so gut. Das sorgt für mehr Leidenschaft, für mehr Ecken und Kanten – und schließlich dafür, dass sich das Songmaterial weniger schnell abnutzt. Im Gegenteil, es dauert ein wenig, bis „Unison Life“ an Fahrt gewinnt, dafür wird es mit jedem Durchlauf besser. Nach dem Intro „Miles Away“, das auch ohne Drums in zwei Minuten gewaltige Spannung aufbaut, zeigt „Brave“ noch relatives Understatement in Form einer relativ klassischen BRUTUS-Nummer.

Alles scheint möglich bei „Unison Life“ – BRUTUS zeigen das volle Gefühlsspektrum.

Im Anschluss nimmt das Trio den Fuß vom sprichwörtlichen Gaspedal. Und das ausgerechnet bei dem überraschend ruhigen, shoegazigen „Victoria“. Hier reduzieren BRUTUS den Lärm, die Gitarren sind zum Weinen schön, Stefanie Mannaerts singt aus vollem Herzen, und genau dorthin trifft auch der Song. Ob es im Anschluss dann düsterer und langsam wird („What Have We Done“), die Band zu rasen beginnt (das besonders intensive „Dust“), oder sich gar boshaft gibt („Liar“) – in der ersten Hälfte ist bei „Unison Life“ so ziemlich alles möglich. Auch in Bezug auf die Produktion: Das Album klingt unglaublich wuchtig und trotzdem transparent und wirkt zu jeder Sekunde organisch.

„Chainlife“ zeigt dann, dass die neue, verträumte Seite von BRUTUS auch zur Wut ihrer frühen Tage passt und wird mit einer gewaltigen Klimax zu einem der besten Stücke des Albums. Dass „Storm“ seinem Namen nicht gerecht wird und das Stück verglichen mit dem Rest eher zahm rüberkommt, ist schade und bildet die Achillesferse von „Unison Life“. Das treibende und trotzdem fast poetische „Dreamlife“ entschädigt dann wieder mit einer wundervollen Vereinigung aus Shoegaze und Punk und einem zarten Finale. Bei „Dessert Rain“ lassen BRUTUS zum Abschluss die Muskeln spielen: Sieben Minuten Power, Groove, Melodien und ein Showdown zum Niederknien. Das hallt nach und sorgt dafür, dass „Unison Life“ gleich nochmal läuft.

„Unison Life“ zeigt BRUTUS kurz vor dem großen Sprung auf das nächste Level in ihrer Karriere.

Dass es nach „Live in Ghent“ nochmal zwei Jahre dauern würde, bis BRUTUS „Unison Life“ veröffentlichen, war nicht abzusehen, das lange Warten wird nun aber mehr als belohnt. Dieser Qualitätssprung bei gleichzeitiger Identitätswahrung war selbst BRUTUS nicht zuzutrauen. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn die Band spätestens jetzt nicht Kurs auf die nächstgrößeren Bühnen nehmen würde. „Unison Life“ zeigt eine Band kurz vor dem großen Sprung auf das nächste Level im künstlerischen Bereich und in ihrer Karriere sowieso. Wie BARONESS zu „Yellow & Green“ oder ROLO TOMASSI zu „Time Will Die And Love Will Bury It“, wenn es auf dieser Welt gerecht zugehen würde.

In diesem Fall sollte das nicht zuletzt durch eine neue Facette von BRUTUS gelingen: Während „Burst“ und „Nest“ eher Alben sind, die auf den Plattenteller kommen, wenn die Laune gut ist, ist „Unison Life“ auch geeignet für trübere Stimmungen, weil es einfach wahrhaftiger ist. Album Nummer drei mag nicht sofort klicken, aber nach wenigen Durchgängen sind diese zehn Songs fest in Hirn und Herz verankert. „Unison Life“ ist äußerst emotional und hingebungsvoll, packt sowohl zu und befreit zugleich – wie gemacht für Tage, an denen ein Leben in Harmonie eher nicht möglich ist. BRUTUS erinnern uns hiermit daran, was die beste Medizin für solche Tage im Leben ist: Musik. Also, laut aufdrehen und alles rauslassen!

Wertung: 9 von 10 Therapiesessions

VÖ: 21. Oktober 2022

Spielzeit: 42:51

Line-Up:
Stefanie Mannaerts – Vocals, Drums
Stijn Vanhoegaerden – Guitar
Peter Mulders – Bass

Label: Hassle Records

BRUTUS „Unison Life“ Tracklist:

1. Miles Away
2. Brave
3. Victoria (Official Video bei Youtube)
4. What Have We Done (Official Video bei Youtube)
5. Dust (Official Audio bei Youtube)
6. Liar (Official Video bei Youtube)
7. Chainlife
8. Storm
9. Dreamlife
10. Desert Rain

Mehr im Netz:

http://wearebrutus.com/
https://wearebrutus.bandcamp.com
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https://www.instagram.com/wearebrutus/

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