Wenn man diesem 2020 eins zu gute halten kann, dann das, dass es aus hartmetallischer Sicht unglaublich viele, teils auch überraschende, Highlights gegeben hat, die auf den verschiedensten Medien sich ihren Weg zum Endverbraucher gebahnt haben.
Vor allem Joey Vera darf sich mit dem vermutlichen Abschiedsalbum von FATES WARNING („Long Day Good Night„) und eines erneut grandiosen ARMORED SAINT-Werks („Punching The Sky„) diesmal sogar mit zwei Lorbeeren schmücken. Bass’d scho!
Bleiben wir noch kurz im US-Metal: die Überraschung des Jahres kommt aus dem seit 27 Jahren verwaisten Tonträger-Haus HITTMAN: mit „Destroy All Humans“ melden sich die New Yorker nach einem überzeugenden 2018er-Keep It True Auftritt nun auch studiotechnisch eindrucksvoll zurück. Ohne große Erwartung oder auch nur ohne die leiseste Vorahnung auf eine dritte HITTMAN-Scheibe reihen sich diese US-Metal-Urgesteine noch vor CIRITH UNGOL, die mit „Forever Black“ 2020 ein ebenfalls überzeugendes Comeback hinlegten, in die Jahreshitliste ein.
Was lange währt wird endlich gut auch bei Buddy Lackey und seinen Mannen: Drei Jahre nach seiner Aussage auf dem PSYCHOTIC WALTZ-Konzert in München, dass an neuen Songs gearbeitet wird und diese auch bald veröffentlicht werden, konnte ich im Frühjahr mit „The God-Shaped Void“ in den Händen dieses Versprechen als eingelöst betrachten. Mit brillianter, verträumter Entrücktheit zementiert das fünfte Album von PSYCHOTIC WALTZ einmal mehr die ureigene in sich gekehrte Eigensinnigkeit der Prog-Weirdos, auch wenn der Wahnsinn in gut abgepackten Dosen verabreicht wird. Trotzdem nicht von dieser Welt.
Mit diabolischem Blick von unten schauen NECROPHOBIC aus dem zehnten Kreis der Hölle zu uns Unwürdige herauf und kommen aus dem Grinsen nicht mehr heraus, denn „Dawn Of The Damned“ ist DAS Nonplusultra in der Diskografie der Schweden mit Anders Strokirk am Mikro. Fieser, melodischer und tight gezockter blackened Death Metal, wie man ihn nicht viel besser machen kann.
Wer hätte gedacht, dass ich mal wieder ein Album mit christlicher Prägung dermaßen stark abfeiere, dass es sogar in meinen Jahreshighlights auftaucht? WYTCH HAZEL’s „III: Pentecost“ ist vertonte Warmherzigkeit zwischen Anlagen von NWoBHM, epischer Verklärtheit und angestaubtem 70s Rock und der schöpferische Höhepunkt in einer bislang stetig gen Himmel aufsteigenden Karriere.
Über all dem, was in diesem Jahr herausgekommen ist, thront jedoch das zweite Album von DOOL, die sich in einengenden Lockdown-Stunden als Tor zum „Summerland“ redlich verdient gemacht und sich in mein Herz eingebrannt haben. Die Niederländer mit The Devil’s Blood-Hintergründen verzücken mit einer unvergleichlichen Mélange aus Psychedelic und Gothic Rock, Doom und natürlich noch vorhandenem okkultem 70s Rock und statten jeden einzelnen dieser künstlerisch so wertvollen und tief berührenden Songs mit einem hohen Wiedererkennungswert aus.
Was war sonst noch? ENSLAVED ziehen mit „Utgard“ in noch höheren Regionen weiter einsam ihre VikingProg-Kreise. PAIN OF SALVATION stehen auch nicht auf der Stelle und wagen den „Panther“-Sprung in bis dato unbekannte, elektronische Ströme. HIGH SPIRITS („Hard To Stop„) und THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA („Aeromantic„) hingegen lassen sich auch in trüben Zeiten nicht den Partyfaktor runterschrauben.
Auf selbigem geben BLACK CURSE auf dem alles zerschmetternden „Endless Wound“ ebenso einen Dreck wie meine Neuentdeckung des Jahres: SELBST aus Chile zocken auf „Relatos De Angustia“ intelligent angeordneten Black Metal mit hohem Melodieverständnis, wie er nicht nur Mgla-Gourmets schmecken dürfte.
Aus dem Doombereich müssen unbedingt noch die Newcomer STYGIAN CROWN erwähnt werden, die auf ihrem selbstbetiteltes Debüt mit der ausdrucksstarken Melissa Pinion am Gesang die Candlemass-Fußstapfen ordentlich zu füllen vermögen. Und nach den letzten – stellenweise etwas langatmigen – KATATONIA-Releases hat mich „City Burials“ (ein verkapptes Renkse-Solowerk) endlich wieder über eine längere Strecke begeistern können.
Aus dem aus irgendwelchen Gründen seit längerem vernachlässigten Speed/Thrash-Bereich sind unbedingt BÜTCHER zu nennen, die mit „666 Goats Carry My Chariot“ Unbezähmbares auf die Menschheit losgelassen haben.
Und als ich diese Zeilen schreibe, hat sich IMHA TARIKAT mit ihrem zweiten Album „Sternenberster“ noch reingeschmuggelt. Wütender, dennoch mit viel Herz rausgeprügelter melodischer Black Metal, der für Fans der hier ebenfalls schon erwähnten polnischen Szenevorreiter, aber auch derjenigen der Schweizer BÖLZER zu empfehlen ist.
Prinzipiell ist mir jede Minute, die ich mit schlechter Musik verbringen muss, eine zu viel. Natürlich kommt man trotzdem nicht umher, sich mit einigem Kram von namhaften Vertretern der Zunft beschäftigen zu müssen und sich deren neueste Ergüsse zu geben. Als ein besonders erschreckendes Beispiel, welche Züge die stetig voranschreitende Abwärtsentwicklung einer ehemals szenerelevanten Band nehmen kann, hört man auf „Nightmares Of The Decomposed“ von SIX FEET UNDER. Ein heruntergewirtschaftetes, krächzendes Gesangsorgan versucht toten Songfragmenten Leben einzuhauchen. Leichensack zu und ins Grab damit.
In die abgeschwächte Flop-Kategorie „ich hätte mir mehr erwartet“ fallen unter anderem: OZZY OSBOURNE „Ordinary Man„, DARK TRANQUILLITY „Moment„, AYREON „Transitus„, COMMUNIC „Hiding From The World“, SÓLSTAFIR „Endless Twilight Of Codependent Love“.
Da dies die beiden letzten Konzerte unmittelbar vor dem drohenden Lockdown waren, sind mir die Bilder der Auftritte von ATROPHY und AUDREY HORNE (beide im Nürnberger Roten Salon) noch sehr präsent: erstere lieferten vor einer mehr als überschaubaren Menge ein kleines Thrash-Leckerli ab, wohingegen die Norweger einen Tag vor deren Quarantäne im eigenen Land wie gewohnt eine spritzige, schweißtreibende und spielfreudige Performance an den Tag legten und es sich auch nicht nehmen ließen, inmitten des Auditoriums ihr Tagwerk zu verrichten. Andere Zeiten…
Darüberhinaus rissen sowohl BÜTCHER mit ihrem wüsten und räudigen Speed Metal als auch BELLROPE mit monumentaler Sludge Doom- Soundgewalt die kleine bzw. große Markthalle auf dem Hell Over Hammaburg nach allen Regeln der Kunst ab.
DISILLUSION boten im Sudhaus in Tübingen backlinelos (und zunächst mit gehörigen Soundproblemen) ein allumfassendes Abtauchen in überlebensgroße Klanglandschaften. Ebenfalls von den Socken waren übrigens die Vampsters Andrea und Markus (Konzertbericht der beiden findet ihr hier), die Ex-ZOSH!ie Frank eine Beherbergung gewährt haben, um nach diesem konzertalem Highlight keine strapaziöse Heimreise antreten zu müssen. Danke nochmals hierfür 🙂 .
Weit oben rangiert ein noch im ersten Quartal für undenkbar gehaltener Sommerurlaub mit meiner Partnerin. Zwei Wochen mit dem Wohnmobil durch Slowenien haben mir Raum zum Atmen, einen Anflug von Freiheit und umwerfend schöne Landschaften verschafft. Auch diverse Trips in alpine Regionen mit verschiedenen Freunden haben dazu beigetragen, nährende Inseln in der schwarzen Lockdown-See zu sein.
Und: Das erste (Abstands-) Konzert nach fünf Monaten Livemuckeabstinenz war natürlich ein besonderer (Gänsehaut-) Moment, den mir TAV und NEKROVAULT im Münchner Backstage beschert haben. Eine dringend benötigte Substitution für Abhängige. Es folgten weitere Gigs in sitzender Weise von: ASPHYX (Mannheim), (DOLCH) (Leipzig), ARROGANZ und GOATH (ebenfalls Backstage). Der Auftritt von TORPËDO auf einer privaten Gartenparty unter „regulären Bedingungen“, dem ich stehend und mitfeiernd beiwohnen durfte, soll natürlich auch nicht unerwähnt bleiben.
Ich denke, es ist kein offenes Geheimnis, wenn ich die unzähligen abgesagten Angebote im Kulturbereich auf den oberen drölfzig Rängen anführe. Aber auch die Stilblüten, die dieses Virus und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Einschränkungen mit sich brachte, mögen hier kurz Platz finden. Denn diese trugen mitunter zu einem verständnislosen Kopfschütteln bei mir bei (wenngleich auch teilweise mit einer gewissen Belustigung verbunden). Ob Panikkäufe in Supermärkten, beleidigende Kommentare statt sachliche Auseinandersetzung bei gegensätzlichen und scheinbar unvereinbaren Standpunkten in der Corona-Diskussion, hanebüchene Querdenker-Konstrukte, die evtl. auch durch unvorsichtige und angst schürende Statements von Politikern genährt wurden oder fehlende Abgrenzung und Gleichgültigkeit gegenüber mitmarschierenden Rechtsextremen – all das sind Phänomene unserer Zeit, die unseren Zeitgeist definieren und die es zu hinterfragen gilt.
Immer dran denken: „Man geht schon ein Risiko ein, wenn man Morgens aufsteht, über die Straße geht und sein Gesicht in einen Ventilator steckt.“ (Die nackte Kanone)