blank

Jahresrückblick 2023 von Andreas Holz

Andreas hat 2023 in jeder freien Minute in viele Alben reingehört, einige unglückliche Impulskäufe getätigt, einiges Großartiges entdeckt – also alles wie immer. Und am Ende bleiben für seinen Jahrespoll 25 Alben übrig, die hier erwähnt werden wollen.

Es war mal wieder ganz schön viel los. Zum Glück habe ich es trotzdem geschafft, ein einigermaßen anständiges Pensum an Musik zu hören auf meinen zahlreichen Spaziergängen und Bahnfahrten (ich empfehle dafür einen High-End-Audioplayer und gute Kopfhörer – ihr werdet nie wieder mit Handy Musik hören wollen!) – zuhause vor der Anlage Musik hören geht nämlich aus Gründen kaum. Da die Welt aber ist wie sie ist, muss Musik gehört (und gemacht) werden, denn die Tage ohne sind oft sehr anstrengend.

Besonders viel verändert hat sich bei meinen Vorlieben diesbezüglich nicht – Black Metal, Epic Metal, ein bisschen Folk und Punk, und immer noch darf es gerne eher Underground und eher verschroben mit “Fuck Off”-Attitüde sein; aber immer sehr melodisch bitte! Haltung jedoch ist mir wichtiger geworden – wer z.B. meint, die Bühne mit Rechtsextremen teilen zu müssen, kann mir gestohlen bleiben.

Ich habe also in jeder freien Minute in sehr, sehr viel reingehört, einige unglückliche Impulskäufe getätigt, einiges Großartiges entdeckt und dann wie blöde totgehört – alles wie immer. Und am Ende bleiben diesmal 25 Alben übrig, die hier erwähnt werden wollen:

blank

1. RANÂ: Richtfeuer

blank

Warum „Richtfeuer“ mein Album des Jahres ist, habe ich im Großen und Ganzen schon in meiner Rezension beschrieben: RANÂ sind antifaschistisch, kämpferisch und dreckig – und gleichzeitig erhaben, episch und voller Weltschmerz. Das ist in einem Jahr, in dem global und national gesehen weiter alles den Bach runtergeht und Rechtsextreme überall in Führungspositionen drängen, enthusiastisch gewählt vom nationalistischen Otto-Normal-Idioten, dann doch recht wohltuend.

2. LANKUM: False Lankum

blank

LANKUM begleiten mich jetzt auch schon fast l0 Jahre lang, seit ihrem ersten Album. Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass sie beständig besser geworden seien (vermisse die Pub-Songs der ersten beiden Alben und bin kein großer Fan von Drones und Ambient-Sounds), aber schlechter werden sie natürlich auch nicht, und es imponiert mir, wie man im Mainstream erfolgreich und gleichzeitig so integer bleiben kann; so ist „False Lankum“ eines der am meisten gespielten Alben 2023 geworden – und hat neben der ersten Single “Go Dig My Grave”, einem überlangen Doom-Drone-Folk-Song, mit „Lord Abore and Mary Flynn“ die wohl schönste und traurigste Liebesballade aller Zeiten drauf.

3. LE PROCHAIN HIVER: Talvi

blank

Meine Underground-Black-Metal-Überraschung des Jahres kommt aus Frankreich und hat mich vor allem mit seiner Liebe zu Melodie und Bombast (und mit einem Gitarrensound wie Schnee) begeistert. Man stelle sich vielleicht eine Mischung aus 90er-Black- und Gothic-Metal und den frühen Alben von QNTAL vor – und landet mitten in einem nostalgischen Wintertraum, in dem man selbst ein depressiver Sechzehnjähriger ist, der das “Beauty and the Beast”-Gesangskonzept im dunklen Metal für die größte künstlerische Innovation aller Zeiten hält. Wunderschön! (Hier geht’s zur Bandcamp-Seite!)

4. PASCOW: Sieben

blank

Das ist wirklich langsam unheimlich: Über 20 Jahre Bandgeschichte, live immer noch eine Wucht und die Alben werden immer besser. „Sieben“ ist das beste Werk von PASCOW, unglaublich wütend und melancholisch, dabei aber immer mit dem Blick für die Party. Und für den Song über Hermes Phettberg und das dezent anarchistische Metalpunk-Video zur ersten Single “Mailand” (gedreht in Düsseldorf) liebe ich „Sieben“ ganz besonders.

5. THRONEHAMMER: Kingslayer

blank

Der Grower des Jahres! Es hat bestimmt fünf Durchläufe gebraucht, aber dann hat‘s geklickt, und wie! Der „Kingslayer“ macht süchtig, walzt alles nieder, hat den perfekten Klang und eine unfassbar geile Stimme – und wartet mit Comic-Artwork und einer klaren antifaschistischen Haltung auf. Und dann kommt die Sängerin auch noch aus Durham!

6. ØXN: Cyrm

blank
Radie Peat von LANKUM hat während der Corona-Pandemie mit Katie Kim, Spud Murphy und Eleanor Myler dieses Nebenprojekt gegründet – und sein Debüt ist ein unglaublich intensives Stück „Doom Folk“ geworden, quasi wie LANKUM mit zusätzlicher Rock-Instrumentierung (und ohne Männer-Stimmen), unglaublich fett produziert, faszinierend düster. Gebt euch nur mal das packende Video zu “Cruel Mother” – eine intensivere Steigerung innerhalb eines Liedes habe ich selten gehört, noch dazu in Verbindung mit diesem Text…

7. MEGATON SWORD: Might & Power

blank

Was hat mir dieses Album Freude bereitet! Epic Metal mit Groove und 80s-Rock-Schlagseite kann richtig großartig klingen.

8. SMOULDER: Violent Creed Of Vengeance

blank

Lustige Anekdote: Im September fahre ich mit meiner Band zu einem Plattenladen in Hamburg, um dort ein Akustik-Konzert zu geben und trage stolz mein neues „Dragonslayer“-Shirt von SMOULDER. Sagt der Plattenladenbesitzer: „Ach, witzig, die Sängerin von denen ist gerade bei uns im Laden.“ Und was soll ich sagen – war sie tatsächlich. Und hat sich sehr gefreut, das Shirt zum ersten Mal live zu sehen. Für unseren Auftritt konnte sie dann zwar nicht bleiben, aber wir machen auch keinen geilen Trad Metal, das passt schon. „Violent Creed Of Vengeance“ jedenfalls ist das bemerkenswerte Zeugnis einer Band, die genau weiß, wie nerdiger Epic Metal anno 2023 zu klingen hat.

9. AARA: Triade III: Nyx

blank

Meine Lieblinge von AARA haben mit dem Abschluss ihrer „Melmoth“-Trilogie mal wieder ein Meisterwerk geschaffen. Ich kenne keine andere Black-Metal-Band, die eine derartige Leidenschaft transportiert, mühelos so viele schöne Melodien am Stück aus dem Ärmel schüttelt und dabei noch ballert wie nichts Gutes. Herrlich!

10. LEGENDRY: Time Immortal Wept

blank

Apropos nerdiger Epic Metal – so kann der natürlich auch klingen. Wie eine Mischung aus alten CARAVAN und MANILLA ROAD nämlich. Das ist mal richtig was für Liebhaber und hat sich den letzten freien Top-Ten-Platz deshalb redlich verdient.

11. AFSKY: Om Hundrede Ar

blank

Social Media ist ja sowohl Segen als auch Fluch – wenn, wie im Falle von AFSKY, das Bild von der Band durch desolate Außendarstellung kaputt gemacht wird, fällt es schwer, die Musik weiter so gut zu finden wie man das mal getan hat. Trotzdem ist „Om Hundrede Ar“ das bisher beste Werk der Band und kann hier nicht unerwähnt bleiben.

12. GRIFT: Dolt Land

blank

Tja, ich war ein bisschen enttäuscht von „Dolt Land“ – hab es aber sehr oft gehört. Und ich liebe einfach Erik Gädeförs verschrobene Kompromisslosigkeit und Naturverbundenheit (und dieses wunderschöne Artwork). Ab nach Kinnekulle!

13. NEBELKRÄHE: ephemer

blank

Was ist das denn, bitte? Black Metal mit weißgeschminkten Gesichtern, aber ansonsten völlig unkonventionell (dieses Artwork allein schon!); Gesang, der mich in seiner schamlosen Expressivität an ANGIZIA erinnert; Riffs zwischen Groove und Epik, hier und da eine wunderschöne Melodie, sogar mit Bläsern, Streichern oder Akkordion gespielt… Und zu allem Überfluss noch Haltung und Konzept, die mich in meiner Lebenssituation einfach total abholen – eine echte Überraschung!

14. OROMET: Oromet

blank

Es gab eine Phase dieses Jahr, da habe ich verzweifelt nach richtig gutem Funeral Doom bzw. Death Doom gesucht – und kaum was gefunden, das mich ähnlich mitnimmt wie meine Lieblinge aus dem Genre, nämlich LOSS und OPHIS. OROMET aber habe ich dadurch gefunden, und die haben etwas ganz Spezielles, nämlich die Gabe, Funeral Doom und pure Schönheit miteinander verschmelzen zu lassen; ein wundervolles Album für Sonnenuntergänge im Spätsommer.

15. TENHI: Valkama

blank

Gut, „Valkama“ ist für seine Schwere vielleicht etwas zu lang – aber dafür intensiver, erhabener und melancholischer als so mancher Doom Metal; ein wunderschönes Album, das seine Höhepunkte nach und nach preis gibt und dabei nachhaltig bewegt.

16. 1476: In Exile

blank

Trotz meines eher ambivalent gehaltenen Reviews (oder gerade deshalb?) hat mich „In Exile“ so häufig und tief bewegt, dass es hier genannt werden muss. Und spätestens mit diesem sympathisch dilettantischen Heimvideo hatten sie mich…

17. NOCTE OBDUCTA: Karwoche (Die Sonne der Toten pulsiert)

blank

Dies das Ananas, „Karwoche“ ist einfach geil.

18. CENTURY: The Conquest Of Time

blank

Einfach geil ist auch dieses Old-School-Heavy-Metal-Album aus Schweden. Von einer Zeitmaschine aus den 80ern direkt ins Jahr 2023 gebeamt und über die Facebook-Seite von SMOULDER direkt in mein Herz. So kann‘s manchmal gehen!

19. HOLY LOCUST: Beneath The Turning Wheel

blank

HOLY LOCUST spielen einen Stil, der noch relativ neu ist – eine Art epischen Folk Crust, aber komplett mit Bluegrass-Instrumenten dargeboten und ungemein düster und melancholisch. Erfunden wurde das von der Band BLACKBIRD RAUM, bei der HOLY-LOCUST-Sängerin Summer Newman mittlerweile auch singt, und HOLY LOCUST kommen auf “Beneath The Turning Wheel” fast schon an die großen Vorbilder ran.

20. MARTHE: Further In Evil

blank

„Antifaschistisch, misanthropisch, feministisch“ sei das Ein-Frauen-Projekt MARTHE aus Italien, und so klingt es dann auch: „Further In Evil“ ist eine faszinierend dreckige Auseinandersetzung mit der eigenen Finsternis und ein eigenwilliges Kleinod, das gewürdigt werden will.

21. DUESENJAEGER: Die Gespenster und der Schnee

blank

“Haben wir 2004, oder was?!” Ebenso lang wie PASCOW begeistern diese älteren Herren mein Punk-Herz bereits. Ihr neuestes Album klingt kompromisslos nach früher, nach Schmerz und Sehnsucht und Gespenstern und Schnee.

22. THE MARY WALLOPERS: Irish Rock’n’Roll

blank

Das zweite Album der einzigen legitimen Nachfolger der POGUES und der DUBLINERS ist qualitativ durchaus genauso geraten wie das letztes Jahr von mir weitaus höher eingestufte Debüt – aber die Songauswahl gefällt mir alles in allem weniger gut. Egal, endlich eine geile Studio-Version von „Hot Asphalt“ und Eigenkompositionen – wobei mit „The Idler“ eine mit besonders coolem Text und einem Video daher kommt.

23. YELLOW EYES: Master’s Murmur

blank

Mit Dungeon Synth kann man mich wirklich jagen, aber wenn YELLOW EYES plötzlich ohne Vorwarnung ein Album rausbringen, das Dungeon Synth mit Black Metal, Ambient und Schafgeblöke (!) vermischt, bin ich dabei. „Gold Door To Blindness“ ist einer der besten Songs des Jahres! (Und ganz nebenbei gibt mir diese Veröffentlichung Gelegenheit dazu, auf SUNRISE PATRIOT MOTION hinzuweisen, ein geniales Nebenprojekt von YELLOW EYES, das ich letztes Jahr leider übersehen habe.)

24. NOEKK: Byron

blank

NOEKK sind eine Konstante für mich, auch wenn mir der Vorgänger “The White Lady” auf lange Sicht etwas zu zahm war. “Byron” hingegen, erneut komplett in Eigenregie veröffentlicht, rockt wieder – und vergisst dabei aber Melodie und Atmosphäre nicht. Es ist mir ein Rätsel, wieso diese Band kein größeres Publikum findet.

25. BRETWALDAS OF HEATHEN DOOM: Summoning The Gatekeepers

blank
Die BRETWALDAS sind zwei ältere Herren aus England, die gerne mal einen trinken und dann mal eben das Album aufnehmen, das DARKTHRONE seit Jahren gerne aufnehmen würden. (Hier geht’s zum Bandcamp!)

 

blank

…lasse ich die anderen Rubriken mal wieder aus, weil ich u.a. kaum auf Konzerte gehen konnte und ein Erlebnis-Ranking wirklich schwierig finde. Auf Musik bezogen war es aber auf jeden Fall der reine Wahnsinn, mit meiner Band spontan beim “Angst macht keinen Lärm”-Fest in Wiesbaden auftreten zu dürfen, dem “Keep It True” des deutschsprachigen Indie-/Emo-Punks, sprich: Man steht da auf der Bühne und spielt vor 1500-2000 Leuten, und hinterher treten noch LOVE A, TURBOSTAAT und PASCOW auf.

Überhaupt meine Band: “Böse Wetter”, unser drittes Album, ist am 29.9.2023 erschienen und hat viele gute Kritiken und ein sehr gutes Release-Konzert erhalten. Das ist wunderschön bis großartig – auch die Tatsache, dass wir wieder Konzerte spielen konnten, und siehe da, es hat sich seit 2018 einfach gar nichts verändert in den linken Läden der Republik, nur ein paar neue Wörter sieht man hier und da an den Wänden. Ist ja auch kein Wunder.

blank

Nicht unerwähnt lassen möchte ich außerdem zwei großartige EPs: 1. “Come Into Your Power” von BLACKBIRD RAUM ist von mir erst skeptisch begutachtet worden, aber das neue Line-Up, das Bandkopf Caspian da um sich geschart hat, kann es mit dem alten voll aufnehmen, und die Songs sind eh klasse. 2. Dass IMPURE WILHELMINA einfach mal noch zwei Songs aus ihren “Antidote“-Sessions übrig hatten, die keinen Deut schlechter sind als dieses Über-Album, haben sie zum Anlass genommen, sie zusammen mit drei beeindruckend schönen Cover-Versionen als EP zu veröffentlichen. “Dead Decades” ist ein Muss für Liebhaber melancholischer Rockmusik.

Ein Muss für Liebhaber gnadenlosen Lo-Fi-Wahnsinns mit Ohrwurmgarantie und kompositorischer Klasse ist hingegen ein Metal-Nerd namens “Abysmal Specter”, den ich nach Redaktionsschluss entdeckt und liebgewonnen habe. Vor allem sein unter dem Namen CURTA’N WALL veröffentlichtes Album “Siege Ubsessed!” hat es mir angetan, aber auch bei BLOODY KEEP und OLD NICK sollten Menschen, die glauben, im Black Metal schon alles gehört zu haben, durchaus mal ein Ohr riskieren.

Zu guter Letzt bleibt mir in diesen dunklen Zeiten nur noch, dem großen Shane MacGowan eine friedliche Ruhe mit einem nie versiegenden Strom aus Whiskey zu wünschen sowie Kraft und Solidarität an alle Arbeits- und anderen Kämpfer zu schicken – mit Jan Böhmermann und dem hartnäckigsten Ohrwurm des Jahres. Glückauf!

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner