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1476: In Exile

Seit ich mich mit unheimlich-emotionaler Musik beschäftige und meine Vorliebe dafür kundtue, wird mir eine gewisse Affinität zum Kitsch nachgesagt. Doch was ist Kitsch, und warum soll es bitte schlecht sein, wenn blumenbekränzte Gruselgestalten mit Schwertern in der Sonne stehen auf dem Cover eines Albums, dessen Artbook-Edition dann gefüllt ist mit Fotos, die überwiegend auch aus einer Sommer-Edition des „Landlust“-Magazins stammen könnten (oder „Geo Saison“, von mir aus)? Eben. Ist doch schön! Große Kunst! Oder etwa nicht?

Das frage ich mich ehrlich gesagt, seit ich „In Exile“ vorliegen habe. Das vor sechs Jahren erschienene Vorgänger-Album „Our Season Draws Near“ bedeutet mir wegen seiner romantischen Verklärung von Isolation und Widerständigkeit eine Menge; „In Exile“ – der Titel verrät‘s bereits – bietet im Grunde das gleiche Thema, aber künstlerisch anders aufbereitet: Statt Winter gibt es Sommer, und das Konzept ist differenzierter, ambitionierter: Jeder Song soll uns in die Welt einer Gottheit entführen, die wiederum für einen Weg steht, wie wir mit dem fortschreitenden Niedergang der Welt umgehen können – jede Gottheit lebt in ihrem eigenen Exil sozusagen.

Weiter werde ich nicht in das Konzept des Albums einsteigen, denn ich vermute, dass nur Bandkopf Robb selbst versteht, was er da so in seinen Meditationen erdacht und erfühlt hat – oder da ist gar nichts Großartiges, sondern vor allem Symbole, Bilder für recht banale Fragen der menschlichen Existenz wie die danach, was ich morgens anziehe, wem ich meine Aufmerksamkeit schenke oder in welcher bürgerlichen Existenzform ich meine Gesundheit ruiniere. Jedenfalls darf man sich freuen, dass mein damaliger Wunsch an die Band sich offenbar erfüllt hat: Man hat nicht den Kopf in den Sand gesteckt oder sich im Narzissmus verloren, sondern man hat was draus gemacht, aus dem Leben (und leider direkt ein Lied darüber geschrieben, dass am Ende immer alles gut wird: “Beyond The Meadows, Beyond The Moors” passt zwar auf die Platte, ist für sich genommen aber wirklich grausam drüber).

Musikalisch ist „In Exile“ generell nicht unbedingt der große Wurf – jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Der Klang ist zu undifferenziert und klirrend, es fallen Spielfehler auf, in „Tristesse in Exile“ ist gar ein ärgerlicher Mix-Fehler enthalten (plötzlich bricht der linke Kanal weg, wie bei einem Wackelkontakt), der Gesang ist im Grunde eine Zumutung, eine wirkliche künstlerische Weiterentwicklung sucht man trotz der sechs Jahre zwischen zwei Alben vergebens, und alles in allem verlassen sich 1476 halt auf große Gesten, die man als kitschig brandmarken kann, wenn man denn möchte.

“In Exile” ist ein anachronistisches Vergnügen für Nostalgiker und Melancholiker

Aber halt, ist das nicht genau das, was sich der Metal-Punk Andi Holz immer wünscht? Verkopft, perfektionistisch, langweilig soll es doch bitte nicht sein, sondern emotional, unperfekt, spannend? Genau: Die Band wirkt im Grunde wie ein Ausflug in die Anfangszeiten von Prophecy Productions, als Bands wie EMPYRIUM und PARAGON OF BEAUTY noch voller jugendlichem Sturm und Drang schlecht produzierte, ungefilterte Melancholie-Epen für die Ewigkeit geschaffen haben. „In Exile“ wirkt mit seinem hohen Anspruch und dem Scheitern daran wie ein einziger Anachronismus, und es ist wohl mit meinem mittlerweile doch wohl endgültig nicht mehr jugendlichen Alter zu erklären, dass ich mich frage, ob ich sowas eigentlich immer noch gut finde.

Die Antwort ist natürlich: Ja, verdammt! Ich liebe es. Jedes Mal, wenn ich „In Exile“ anmache, schwelge ich erneut in der schwungvollen Wehmut, die aus dem Album suppt wie Sauce aus einem richtig geilen Burger, und unter all dem Tand und Prunk ist ja doch auch filigranes Können versteckt: Am Schlagzeug nämlich tobt sich mit Neil DeRosa jemand aus, der genau weiß, wie man Rhythmen einsetzen muss, um einen Song interessant zu halten und richtig gut werden zu lassen, und auch die Gitarren legen das ein oder andere schmissige Solo aufs Parkett. Und egal, in welchem Stil man sich gerade bewegt – überwiegend mit Crust und Shoegaze gewürzte Black-Metal-Gefilde, aber 1476 verarbeiten auch immer wieder ihre Vorlieben für Neofolk und guten alten Folk Punk aus UK und Irland -, man ist immer als 1476 zu identifizieren; selbst auf der etwa 25-minütigen Bonus-CD „Lost Souls“, die thematisch zum Album gehört, aber musikalisch doch zu anders geraten ist, weniger metallisch-rockig, mehr esoterisch-sphärisch; es war eine gute Wahl, diese Songs auszusortieren, denn hier wirkt der Gesang besonders unbeholfen drüber, und es fehlt das Sturm-und-Drang-Element, das 1476 in ihren besten Momenten glänzen lässt.

Die größte Schwäche der Band ist also ihre größte Stärke: Sie ist unverwechselbar, leidenschaftlich, ungefiltert emotional und so richtig schön bunt (meine Güte, ist das Artwork bunt!). Deshalb: wer an dezent schiefem Hals- und Herzschmerz-Gesang, cleverem Drumming, ausgiebiger Naturmystik und großen Gefühlen Gefallen findet, wird „In Exile“ mögen oder gar lieben. Trotzdem komme ich nicht umhin mich zu fragen, ob die Band nicht mit etwas mehr Perfektionismus und Nüchternheit noch einen entscheidenden Schritt weiter kommen könnte – in hoffentlich deutlich weniger als sechs Jahren.

Spielzeit: 61:55 Min.

Veröffentlichung am 7.7.2023 auf Prophecy Productions

1476 “In Exile” Tracklist

1. Lost in Exile
2. Lapis Fire: Through the Mist
3. Tristesse in Exile
4. Jade Fire: A Paragon (Video bei YouTube)
5. When Comes the Dawn? (Video bei YouTube)
6. May Mountains Never Fall
7. Where Kings Fall (Lyrics-Video bei YouTube)
8. A Queen in Exile
9. Beyond the Meadows, Beyond the Moors
10. Carnelian Fire: The Gallows
11. Where Are You?

“Lost Souls”-Bonus-CD

1. Emerald Fire: Northern Lights
2. For A Thousand Ages
3. Obsidian Fire: In Shadows
4. The Nightingale
5. A Dream In Exile

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