MARILLION: An Hour Before It´s Dark

„An Hour Before It´s Dark“, eine britische Redewendung für die Zeit, wo man die Kinder rein holt und der Tag zu Ende geht. Was aktuell wieder mal nicht für alle gilt, Menschen und noch mehr ihre Kinder in Angst und Chaos leben müssen. Diesen Wahnsinn zu sehen und zu ertragen, da hilft oft nur gute Musik zum Wegtauchen. Und genau da kommen wieder mal MARILLION ins Spiel, wie zuletzt auch mit dem tollen Live-Album “With Friends At St. David´s”. Auch wenn sie mit dem Albumtitel sicher was anderes zum Ausdruck bringen wollten. Auch mit Hinblick auf den Klimawandel, der Titel mag auch für unser „kurz vor Zwölf“ stehen. Howard´s Texte bleiben, so oft passend, gesellschaftskritisch, politisch, schieben den Finger tief in eigenen oder globale Wunden. Das 20. Studioalbum der Band nimmt einen dafür wieder bei der Hand, wenn man es zulässt, setzt den neuen Weg der letzten Alben „Sounds That Can´t Be Made“ (2012) und „F.E.A.R.“ (2016) stimmig fort. Und trägt die Stimmung und Themen der Pandemie-Zeit in sich, die natürlich auch die Engländer geprägt hat.

MARILLION sind auf „An Hour Before It´s Dark“ geprägt von der „C“-Zeit

Das dreiteilige „Be Hard on Yourself“ zieht einen direkt raus aus dem Alltag. Ein fast treibender Flow nimmt einen mit, natürlich folgt ein nachdenklicher Part, Recht haben sie. Auch dreiteilig klingt „Reprogram The Gene“ gar nicht düster, man schunkelt dezent mit und lauscht den schönen Leads von Steve Rothery, der sich auf dem Album immer mal lauter nach vorn drückt. Ein kurzer Moment der Romantik führt instrumental zu „Murder Machines“, das gibt sich wieder recht energisch, entgegen der Thematik Lockdown und sozialer Distanz. Mit seinen catchy Melodien passend die erste Single. „The Crow And The Nightingale“ kommt als Verbeugung vor LEONARD COHEN zart und ruhig, hat diese Zerbrechlichkeit, mit der einen MARILLION gern mal mit glasigen Augen davonträumen lassen. Da passt das herausführende, fast FLOYDige Solo perfekt.

MARILLION ziehen auch mal das Tempo höher als gewohnt

„Sierra Leone“ spielt in sechs Teilen mit Emotionen, wer denkt aktuell wohl an die nach Diamanten grabenden, hart schuftende Kinder? Das viertelstündige „Care“ erzählt seine vier Teile wieder energischer, hat einen mitreißenden Flow, und eine klare Aussage. Man weiß nicht so recht, wem man gerade zuhören soll, weil jeder sich großartig und mit Leidenschaft in den Aufbau des Songs einbringt. Da ist alles drin, wofür MARILLION musikalisch heute stehen. Zum Ende hin ehrt man die wahren Engel der letzten zwei Jahre, die Menschen in der medizinischen Versorgung. „The angels of this world are not in the walls of churches“ / „The heroes of this world are not in the Hall of Fame“. Es geht nicht nur um die Pandemiezeit, ein Freund Howard´s war mit Krebs im Krankenhaus und hat seine Eindrücke mit dem Sänger geteilt. Nicht verwunderlich, dass der Sänger selbst beim Einsingen Tränen in den Augen hatte. Der wunderschöne Song lässt den Zuhörer mit positiven Gedanken und Optimismus zurück. Wie groß muss dieser Song live werden!

„An Hour Before It´s Dark“ klingt trotz seiner dunklen Themen oft positiv

Die Band spielt weitaus positiver auf, als es nach den letzten Alben und der behandelten Thematik zu erwarten war. Auch das Tempo wurde merklich angezogen, immer wieder gibt es diesen energischen Drive, wo man nicht stillsitzen kann. Die Lyrics von Steve „H“ Hogarth lassen immer auch nach vorn schauen, trotz der dunklen Emotionen, die sie wiedergeben. Man mag seinen Worten konzentriert lauschen, auch wenn man ihm sein Alter … äh seine Mitte-60er Reife hier und da deutlich anhört. Emotionen vermittelt der charismatische Mann wie kaum ein anderer. Instrumental ist „An Hour Before It´s Dark“ wieder ein Genuss, auch wenn man noch weiter vom Prog-Rock im komplexen Sinn weg geht. Anspruchsvoll passt eher, Art-Rock vom Feinsten. Tolle, gefühlvolle Gitarren, ein interessantes Basspiel, fantastische Drums, unaufdringliche, aber großartige Keyboards von MARK KELLY. Keiner drückt sich zu sehr nach vorn, und doch bietet jeder reichlich Momente, ihm gezielt zuzuhören. Man hat immer das Gefühl, einer Gemeinschaft von Männern zuzuhören, die Spaß an ihrer eigenen Musik hat. Die niemandem mehr etwas beweisen muss oder will! MARILLION stehen heute für sich selbst, das wissen sie selbst und ihre Fans.

„An Hour Before It´s Dark“ zeigt sich als ganz großes Album in der Geschichte von MARILLION

Aufgenommen in PETER GABRIEL´s Real World Studios kommt „An Hour Before It´s Dark“ in einem warmen, unaufdringlichen Sound, der die Songs perfekt trägt. Eben das haben diese Songs verdient, das Album zeigt sich als ganz großes in der langen Geschichte von MARILLION. Das jedoch nicht sofort, ein erstes oder beiläufiges Reinhören reicht da nicht. Es braucht ein paar Durchgänge und die verdiente Aufmerksamkeit, um sich ganz zu entfalten.

Veröffentlicht am 04.03.2022

Spielzeit: 56:20 Min.

Lineup:
Steve Hogarth – Vocals, Additional Keyboards & Guitars
Mark Kelly – Keyboards, Programming, Backing Vocals
Ian Mosley – Drums, Percussion
Steve Rothery – Guitars
Pete Trewavas – Bass Guitar, Backing Vocals

Label: EAR Music

Homepage: https://www.marillion.com

Mehr im Web: https://www.facebook.com/MarillionOfficial

Die Tracklist von “An Hour Before It´s Dark”:

01. Be Hard On Yourself
– I. The Tear In The Big Picture
– II. Lust For Luxury
– III. You Can Learn
02. Reprogram The Gene
– I. Invincible
– II. Trouble Free Life
– III. A Cure For Us?
03. Only A Kiss (Instrumental)
04. Murder Machines (Video bei YouTube)
05. The Crow And The Nightingale
06. Sierra Leone
– I. Chance In A Million
– II. The White Sand
– III. The Diamond
– IV. The Blue Warm Air
– V. More Than A Treasure
07. Care
– I. Maintenance Drugs
– II. An Hour Before It’s Dark
– III. Every Cell
– IV. Angels On Earth

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