MICHALE GRAVES feat. Argyle Goolsby & THE CRIMSON GHOSTS – 13. Januar 2019 – Nürnberg, Z-Bau

Graves singt eigene und MISFITS-Songs, die Band setzt dabei auf Powerplay. Ein toller Abend!

Schwierig, wenn man als Neuling nicht nur ins kalte Wasser geworfen wird, sondern auch noch die Fußstapfen eines übermächtigen Vorgängers ausfüllen muss. Das ist in der Rock- und Popmusik nicht anders als im wirklichen Leben, aber manchmal klappt’s. Als die legendäre Punkband THE MISFITS Mitte der 90er Jahre einen Neustart wagte und einen frischen Frontmann suchte, sang der damals gerade mal 20- jährige Michale Graves vor – und kriegte den Job.

Bis 2000 war er der Nachfolger von Glenn Danzig und spielte mit den MISFITS die beiden Studioalben „American Psycho“ (1997) und „Famous Monsters“ (1999) ein, die prima gealtert sind in der nicht übermäßig großen gleichwohl recht unübersichtlichen Diskographie der stil- und genreprägenden amerikanischen HorrorPunk-Kapelle aus Lodi/New Jersey. Graves war so klug, Danzig nicht zu kopieren, sondern brachte seinen eigenen Stil ein. Zudem war die 90er-Phase der MISFITS deutlich metallischer als der Krempel aus der klassischen Phase … aber das wisst Ihr ja eh.

Seit ein paar Jahren singt bei den MISFITS wieder Glenn „Schinkengott“ Danzig, doch auch Graves ist noch immer aktiv. Emsig veröffentlicht er im Eigenvertrieb wenig beachtete Soloalben – und tourt fleißig um den Erdball, wo er Nacht für Nacht sein altes Grusel-Make-up auflegt und die MISFITS-Songs aus der Zeit mit ihm am Mikro spielt. Auf seiner laufenden Europatour machte der Amerikaner Station im Nürnberger Z-Bau, einem großen alternativen Kulturzentrum in einer ehemaligen Nazi-Kaserne. Die Galerie – eine von vier Bühnen im Haus – zeigte sich überraschend gut gefüllt für das Gastspiel des 43-Jährigen. Darauf hätte ich nicht zwingend gewettet. Ganz ehrlich: Es hätte mich nicht gewundert, wenn in dieser Nacht nur 40 Nasen gekommen wären …

THE CHRIMSON GHOSTS Deutschlands beste HorrorPunk-Kapelle als Anheizer

THE CHRIMSON GHOSTS (Foto ©Arne Marenda – www.marenda.de)

Der Abend geht gut los. Im Vorprogramm: THE CRIMSON GHOSTS, Deutschlands beste HorrorPunk-Kapelle. Die vier Kölner sind – der Bandname verrät’s – ebenfalls ausgemachte MISFITS-Devotees, haben sie sich doch einst nach deren Bandmaskottchen benannt und sind tatsächlich als MISFITS-Coverband gestartet, bevor sie anfingen, eigene Songs zu schreiben. War das Debüt „Leaving The Tomb“ (2005) noch typischer gleichwohl hochklassiger Horrorpunk, so versuchen die GHOSTS seither regelmäßig das enge Genre-Korsett zu sprengen. Und das finde ich klasse.

Leider inzwischen ohne Corpsepaint: THE CHRIMSON GHOSTS-Sänger Vlad (Foto ©Arne Marenda – www.marenda.de)

Da wird mal im besten New-York-Hardcore-Style losgeballert („Armagetron“, „Liber sanguinis“, „I 812“) oder mit Blastparts und fetter Doublebass Richtung Extreme-Metal geschielt (vielen Horropunks waren die GHOSTS schon immer zu metallisch, was uns hier bei Vampster freilich nicht tangiert). Gleich daneben finden sich perfide Disco-Nummern wie „The Body Bag“, eine ganz vorzügliche deutschsprachige Nummer („Dein Nachtmahr“) und vertonte Schauergeschichten wie „Last Words“ (wie SANTIANO nur in gut). Interessanterweise gelingen all diese Experimente, ohne dass die Band darüber ihre Horrorpunk-Wurzeln aus den Augen verliert. Das Ergebnis klingt ein ums andere Mal nach den CRIMSON GHOSTS. Respekt!

Hinzu kommt, dass die Kölner mit Sänger Vlad ein Ass im Ärmel haben. Für mich ist der Mann einer der bemerkenswertesten Shouter der Rock-Republik. Bei aller Wucht und aller Theatralik, die hier natürlich Teil des Spiels ist, ist da unterschwellig immer etwas Wehmütiges und Klagendes in seiner Stimme, bei dem ich regelmäßig eine Gänsehaut kriege – als würde sich das Monster (um hier bildlich im Thema zu bleiben) mit einem Mal seiner Situation bewusst werden … Schwer zu beschreiben, aber hört mal in Nummern wie „Unleashed“ und „Ophelias Song“ rein, vielleicht versteht Ihr, was ich meine. All das funktioniert auch live in Nürnberg vom Fleck weg.

 

Machten an diesem Abend einfach alles richtig: THE CHRIMSON GHOSTS (Foto: ©Arne Marenda – www.marenda.de)

Mit schöner Bühneoptik (inzwischen leider ohne Corpsepaint), wuchtigem Sound, aktionsreicher Show und einer runden schönen Setlist mit Liedern aus allen fünf Studioalben, aber auch Schmankerln wie „Patient Zero“, machen Cologne’s Finest in dieser Nacht alles richtig. Trotzdem halten sich die Publikumsreaktionen im Rahmen. Nicht wenige Besucher ziehen es sogar vor, draußen im Foyer ein Schwätzchen zu halten statt sich diese tolle Kapelle anzugucken. Ja naja. Ich kann nur sagen: Sehr gute Liveband, tatsächlich gefallen mir THE CRIMSON GHOSTS aber auf ihren ausgecheckten Tonträgern noch mal einen Tick besser als auf der Bühne.

 

Beste Stimmung von Anfang an: MICHALE GRAVES

Immer auf dem Sprung: MICHALE GRAVES (Foto: ©Arne Marenda – www.marenda.de)

Als nach kurzer Umbaupause „Radioactive“ von IMAGINE DRAGONS aus den Boxen schallt – das Intro der MICHALE GRAVES-Show –, ist der Saal hingegen gut gefüllt, und mit dem Showopener „Badlam“ herrscht vom Fleck beste Stimmung – die mit der zweiten und dritten Nummer jedoch sofort obsolet ist: Zu „American Psycho“ und „Forbidden Zone“, den ersten von vielen MISFITS-Nummern an diesem Abend, explodiert der Saal förmlich, die Fans gehen steil und singen so laut mit, dass die Band fast übertönt wird. Call and response vom Allerfeinsten!

MICHALE GRAVES schludert bei den THE MISFITS-Nummern

Gut bei Stimme: MICHALE GRAVES (Foto: ©Arne Marenda – www.marenda.de)

Der Meister ist gut bei Stimme, singt die alten MISFITS-Nummern jedoch zum Teil recht schludrig. Geil is’ trotzdem. Die Songs von seinen Soloalben fügen sich gut ein, bleiben im Direktvergleich mit den Liedern seiner Ex-Band jedoch weitgehend glanzlos und unspektakulär. Im Gepäck hat MICHALE GRAVES (der abseits der Bühnen mitunter ein seltsamer Heiliger ist) in dieser Nacht Argyle Goolsby von der Band BLITZKID als Bassisten, der seine Fans im Publikum hat, jedoch nicht mal gesondert vorgestellt wird.

Auch die anderen beiden Protagonisten des Abends, Schlagzeuger Tony Baptist und Gitarrist Carlos „Loki“ Cofino (der so etwas wie der musikalische Direktor hinter den Kulissen der MICHALE GRAVES Show ist), sind solide Mucker, die sauber abliefern.

 

GastMusiker: Argyle Goolsby von BLITZKID teilte sich die Bühne mit MICHALE GRAVES (Foto: ©Arne Marenda – www.marenda.de)

Graves hingegen steht die meiste Zeit stocksteif da, wie schon zu MISFITS-Zeiten … und wirkt oft ein wenig abwesend – um im nächsten Moment wie von der Tarantel gestochen wieder zu einem seiner berühmten Moves und Sprünge anzusetzen oder die bösen Monster wegzuboxen. Die Band setzt auf Powerplay, mit „Saturday Night“ und „Descending Angel“ werden noch mal zwei ganz famose MISFITS-Schmankerln ausgepackt. Im letzten Drittel gibt es dann eine längere, sehr amerikanische (gleichwohl politikfreie) Predigt über die heilende Kraft der Musik und dass man an sich glauben soll und hastenichgesehen, bevor „Scream!“ und „Dig Up Her Bones“ den Deckel zumachen. Kaum ist das Saallicht wieder an, sind Michale und seine Mitstreiter auch schon am Merchandise, um dort den Rest des Abends mit den Fans zu schwätzen, für Fotos zu posieren und alles zu unterschreiben, was ihnen entgegengestreckt wird.

Für mich war’s ein schöner Abend, aber ich bin auch echt ein brutaler Fanboy.

Konzertfotos: ©Arne Marenda;  www.marenda.de

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