EQUILIBRIUM, LORD OF THE LOST, NAILED TO OBSCURITY, OCEANS: “Renegades”-Tour, Backstage Werk, München, 31.01.2020

München, mehr oder weniger die Heimatstadt EQUILIBRIUMs. Insofern überrascht es uns ein wenig, dass wir bei unserer Ankunft am Backstage-Gelände keine ausverkauftes „Werk“ vorfinden. Eine beachtliche Schlange, die den kalten Temperaturen trotzt, hat sich vor den Toren der Halle zu diesem Zeitpunkt aber allemal gebildet. Dass wir bereits überpünktlich anreisen, hat einen guten Grund: Neben dem Hauptact EQUILIBRIUM, welcher auf der „Renegades“-Tour sein gleichnamiges Album vorstellt, sind gleich drei hochkarätige Vorbands mit an Bord, die stilistisch kaum unterschiedlicher sein könnten. Vor dem Special Guest LORD OF THE LOST eröffnen die Ostfriesen NAILED TO OBSCURITY sowie die Newcomer OCEANS, deren Debüt „The Sun And The Cold” Anfang des Jahres Eindruck hinterlassen hat.

Die kurze Wartezeit in der Kälte nehmen wir also gerne in Kauf, während wir den letzten Minuten des Soundchecks lauschen. In der geräumigen Halle stehen wir wenig später umgehend vor der Qual der Wahl: Zu unserer Rechten ruft die Bar, während linkerhand am Verkaufsstand zahlreiche Merchandise-Artikel locken. Die Preise sind in Ordnung, der Andrang zu früher Stunde noch überschaubar. Daher bleiben uns nach kurzer Shoppingtour noch einige Momente, um die bunt gemischte Zuschauerschaft in der gestuften Halle zu würdigen. Oft scheint bereits der erste Blick zu verraten, für welche Band das Herz der angereisten Fans am meisten schlägt. Bleich geschminkte Goths samt ausgefallener Haarpracht mischen sich mit trinkfreudigen Folk Metallern, während wir hier und da auch einen Doom-Anhänger auszumachen glauben.

OCEANS

Während wir noch überlegen, wie dieses vielfältige Publikum wohl auf die heutigen Acts reagieren würde, entführt uns ein gut fünfminütiges Intro in den Konzertabend. Angelockt durch die atmosphärischen Klänge, füllen sich die vorderen Reihen langsam mit Besuchern, bevor OCEANS mit „Scars“ den Knoten platzen lassen. Mächtige Riffs und ein drückendes Schlagzeug, das im sonst gut abgemischten Mix zu dominant erscheint, setzen ein klares Zeichen: Das Quartett um Gitarrist und Sänger Timo Rotten gibt sich nicht mit halbgaren Sachen zufrieden.

Die Bühnendeko mit den beiden Bannern und dem Mikrofonständer, den die OCEANS-Rune ziert, ist schlicht, aber geschmackvoll. Gleichzeitig durchstreifen weiße Scheinwerfer die in dezentes Blau getauchte Bühne. Vor diesem Hintergrund entfaltet das Songmaterial einen besonderen Sog: Die catchy Rock-Nummer „Take The Crown“ rüttelt uns schnell wach, wobei uns Bassist Thomas Winkelmann positiv überrascht: Dessen Backing-Growls ergänzen Timo Rottens rauen Gesang absolut hervorragend, was spätestens im designierten Hit „We Are The Storm“ auch dem Publikum nicht verborgen bleibt. Die anfangs ruhigen, aber aufmerksamen Münchner tauen zusehends auf, bis im intensiven „Hope“ das Eis endgültig gebrochen scheint: Die Reihen vor der Bühne klatschen munter mit und übernehmen im abschließenden „Icarus“ sogar die Backing Vocals. „This is how we die!“, heißt es dort im Refrain – wir fühlen uns nach dieser halben Stunde aber vielmehr erst so richtig lebendig.

OCEANS Setlist

1. Scars
2. Take The Crown
3. The Sound Of Your Voice
4. We Are The Storm
5. Hope
6. Icarus

NAILED TO OBSCURITY

Lange warten müssen wir glücklicherweise nicht. Alle Bands nutzen heute Abend das gleiche Drumset, was die Umbaupausen angenehm kurz und unseren Adrenalinpegel konstant hochhält. Als es um fünf vor sieben in der Halle dunkel wird, zieren zwei mannshohe Banner die Seiten der Bühnen. Auf deren Rahmen pulsieren grelle Scheinwerfer im Takt und illuminieren Teile der Bühne, während Schlagzeuger Jann Hillrichs das hypnotische Drum-Loop von „Black Frost“ einleitet.

Nach und nach setzen die Instrumente ein und noch bevor Frontmann Raimund Ennenga das erste Mal seine gewaltigen Growls ertönen lässt, klappt kurzzeitig unsere Kinnlade herunter. Wir wissen ja bereits seit dem SUMMER BREEZE 2019, dass die Ostfriesen live einiges auf dem Kasten haben. Dass der melodische Doom-Death in einer Clubshow mit entsprechendem Ambiente aber so vereinnahmend sein würde, war uns nicht bewusst. Die stimmige Ausleuchtung, die in „King Delusion“ das Backdrop in tiefes Rot taucht und NAILED TO OBSCURITY meist als tiefschwarze Silhouetten vor kräftigen Farben in Szene setzt, ist so theatralisch wie effektiv.

Zum Schluss jagen uns NAILED TO OBSCURITY einen Schauer über den Rücken

Hinzu kommt, dass wir im Backstage Werk selten einen solch differenzierten Klang erlebt haben. Jedes Instrument, jedes Detail, jedes Gitarrenlead hat Raum, sich zu entfalten. Nicht zuletzt deshalb jagt das abschließende „Desolate Ruin“ uns mit seinen Post Rock-Gitarren und dem wundervollen instrumentalen Outro einen wohligen Schauer über den Rücken. Schade, dass nach 35 Minuten schon wieder Schluss ist, wir hätten gerne noch einen Song mehr gehört.

LORD OF THE LOST

Orange-gelbes Blitzlicht durchbricht zum Klang ratternder Synthesizer die Dunkelheit. Nach und nach brechen die Schemen der Musiker das Lichterspiel, das dem erdrückenden Opener „Lament For The Condemned“ einen visuellen Rahmen schafft. Wie der Auftritt einer Vorband wirkt das beileibe nicht – wir verstehen langsam, warum LORD OF THE LOST auf den Tourplakaten gesondert als „Special Guest“ angekündigt waren.

Der visuelle Aspekt ist für die Hamburger Gothic Metal-Band ohnehin ein zentraler: Mit bleich geschminkten Gesichtern sind die fünf Musiker auch heute unterwegs, Frontmann Chris Harms mit Strapsen und silbernen Hotpants gar im Goth-Drag-Look. Was der Sänger auf seinen Shows trägt, ist jedoch mehr oder weniger nebensächlich: Harms’ unglaubliche Bühnenpräsenz ist nichts anderes als vereinnahmend, weshalb das gut aufgelegte Publikum ihm schon nach kurzer Zeit an den Lippen hängt. Nur kurz überlegen wir in „Morgana“, ob der Fronter heute vielleicht leicht angeschlagen ist – kurz darauf scheint der Lord stimmlich jedoch in gewohnter Verfassung zu sein.

Gitarrist Pi steuert ausgezeichnete Backing Vocals bei.
Hat beinahe unmenschliche Energiereserven: Bassist Class Grenayde

LORD OF THE LOST haben eine ganze Reihe härterer Nummern im Gepäck

Und die ist auch nötig, denn LORD OF THE LOST haben ein ausladendes Set im Gepäck, das dem Rahmen entsprechend eine ganze Reihe härterer Nummern auffährt: „Kill It With Fire“ sorgt früh für Bewegung in der Arena, während die Meute später bei „Fists Up In The Air“ den Songtitel umgehend in die Tat umsetzt.

Dass sich die Formation heute Abend sichtlich wohl fühlt, erfahren wir nicht nur bei Hits wie „The Love Of God“, wo Bassist Class Grenayde und Gitarrist Pi kraftvolle Backing-Growls beisteuern. In der Kommunikation mit seinem Publikum erlaubt sich Chris Harms indes gerne ein Augenzwinkern: „Servus Minga, die Saubreißn san wieda do!“, übt der Sänger sein bayerisch und sorgt damit für einigen Jubel, während er sich eine mit LED-Leuchten verzierte Gitarre umschnallt. Natürlich gebe es heute auch etwas zum Kuscheln, führt Harms später aus, verschweigt uns aber, dass er angesichts des folgenden „Full Metal Whore“ damit eher die bevorstehende Tuchfühlung in der Arena gemeint hat.

Mit einer zweiten Headliner-Show haben wir nicht gerechnet

Dort wird die Stimmung ohnehin mit jedem Song ausgelassener, bis sich der Lord selbst nicht mehr halten kann und während „Fists Up In The Air“ im Fotograben den Kontakt zu seinen Fans sucht. Die singen kurz darauf den Refrain von „Raining Stars“ lautstark mit und übernehmen schließlich im obligatorischen Salsa-Goth-Hit „La Bomba“ zeitweise den Leadgesang, während Pi und Class Grenayde selbst nach einer Stunde noch unermüdlich über die Bühne tanzen. „Trisma“ zieht nach knapp 70 Minuten dann den Schlussstrich unter eine packende Show. Die Zugaberufe im Backstage müssen verständlicherweise ungehört verhallen, wir sind dennoch zufrieden. Mit einer zweiten Headliner-Show – und nichts anderes war das, was LORD OF THE LOST hier abgefeuert haben – haben wir bei unserer Ankunft tatsächlich nicht gerechnet.

LORD OF THE LOST Setlist

1. Lament For The Condemned
2. Morgana
3. Undead Or Alive
4. Kill It With Fire
5. The Love Of God
6. Drag Me To Hell
7. Under The Sun
8. Loreley
9. Full Metal Whore
10. Ruins
11. Fists Up In The Air
12. Raining Stars
13. Die Tomorrow
14. La Bomba
15. Trisma

EQUILIBRIUM

Wir sind ehrlich: Wäre das Konzert jetzt aus, würden wir uns hochzufrieden auf den Heimweg machen. Dass der Headliner noch nicht einmal auf den Brettern gestanden hat, spricht für die Qualität dieses abwechslungsreichen Tourpakets. Aber wir vergessen natürlich nicht, weswegen die meisten Besucher heute in die bayerische Landeshauptstadt gereist sind: EQUILIBRIUM mögen mit ihrem neuen Album einen Stilwechsel eingeläutet haben, auf die Treue ihrer Fans scheint sich die Truppe dennoch verlassen zu können.

Als schließlich die Pausenmusik verstummt und asiatisch angehauchte Synthesizer den ersten Song „Renegades“ einleiten, offenbart sich erstmals die Bühne in voller Pracht: Vor dem Backdrop rechts und links des Drumrisers sehen wir jeweils zwei schmale Scheinwerfer-Aufbauten, deren Rahmen in verschiedensten Farben erstrahlen können. Entsprechend farbenfroh und bunt soll es im weiteren Verlauf werden.

Frontmann Robse gibt sich siegessicher.
EQUILIBRIUM sind um keine Pose verlegen.

Das Heimspiel wird für EQUILIBRIUM zum Selbstläufer

Für EQUILIBRIUM scheint das Heimspiel aus dem Stand ein Selbstläufer zu werden. Die Münchner feiern das neue Material mit einer ähnlichen Begeisterung wie die Klassiker. In „Freiflug“ wird mit zum Himmel gereckten Armen gesungen, im aufbauenden „Heimat“ mit nicht weniger Begeisterung gesprungen und in „Prey“ sehen wir sogar die ersten Crowdsurfer. Parallel dazu wird eine beachtliche Gruppe im Arenabereich nicht müde zu moshen – lediglich der Circle Pit, den sich Sänger Robse für „Waldschrein“ wünscht, funktioniert nicht ganz so gut. Sei’s drum, die reguläre Variante tut es auch.

Zumal die Band selbst in bester Spiellaune ist. Bassist Skar treffen wir an so ziemlich jeder Ecke der Bühne an, während die beiden Gitarristen René und Dom vollkommen in der Musik aufzugehen scheinen. Frontmann Robse gibt wie gewohnt den Dirigent und leitet die Meute vor sich mit kurzen, aber bestimmten Aufforderungen an – in diesem Ausmaß gar nicht nötig, schließlich sind die Münchner ganz offensichtlich zum Feiern hier, wie die regelmäßigen Forderungen nach dem Partykracher „Wirtshaus Gaudi“ belegen.

Der Soundmix ist bei EQUILIBRIUM ein Genuss

Stimmlich ist der Frontmann wie gewohnt ausgezeichnet aufgelegt, bekommt aber seit neuestem zusätzliche Unterstützung: Skar, der auch an diesem Abend in neuem Material wie „Tornado“ den Klargesang übernimmt, ist auch für die älteren Songs ein enormer Zugewinn. In „Prey“ harmoniert die Singstimme ganz ausgezeichnet mit den Growls von Robse – zumal der Sound abermals differenziert abgemischt ist, ohne einer mächtigen Walze wie „Apokalypse“ die nötige Wucht zu nehmen.

Als der Frontmann kurz darauf erklärt, EQUILIBRIUM würden auch Mal einen Rap-Part schreiben, wenn sie „Bock drauf hätten“, schmunzeln wir zunächst über die energischen „Nein!“-Rufe aus dem Publikum. Die Single „Path of Destiny“ gibt es dennoch, wobei Robse zu unserer Überraschung den verhassten Part selbst in seinem markanten Stil wiedergibt – und das gar nicht schlecht. Als er sich im Anschluss mit verschmitztem Grinsen erkundigt, ob „alles gut“ sei, müssen wir zugeben, dass er uns tatsächlich drangekriegt hat – gut gespielt.

Bassist Skar ist neuerdings auch für den Klargesang zuständig.
Gitarist Dom lässt keine Gelegenheit verstreichen, sich in Szene zu setzen.

Zu EQUILIBRIUMs Klassiker “Blut im Auge” zieht das Backstage Werk eine beachtliche Schneise

Während EQUILIBRIUM mit „Der ewige Sieg“ noch einmal richtig aufdrehen, kündet „Final Tear“ im Anschluss nach einer Stunde bereits vom Abschied. Gehen will jedoch noch niemand und für die Zugabe hat das Münchner Publikum eine ganz konkrete Vorstellung: „Wirtshaus Gaudi“ fordern die verschwitzten Anhänger im Chor, bis die Musiker wieder auf die Bretter zurückkehren. Erfüllen will Robse den Wunsch nicht, er hat eine bessere Idee: Eine „Wall of Death“ habe es heute noch nicht gegeben, also müsse man das jetzt wohl nachholen. Das Werk zieht schließlich eine beachtliche Schneise von der Bühne zum Mischpult, um zum „Sagas“-Klassiker „Blut im Auge“ den schweißtreibenden letzten Akt einzuleiten.

Ganze drei Songs packen EQUILIBRIUM oben drauf, bevor mit Ende des ausladenden „Rise Of The Phoenix“ nach rund 85 Minuten die Lichter in der Halle wieder angehen und sich so mancher trinkfeste Besucher die berühmte „Freiluftwatschn“ abholt. Eine kurzweilige und aufrüttelnde Show später müssen auch wir unser Zwischenfazit überdenken. Obwohl wir nach LORD OF THE LOST durchweg zufrieden nach Hause gefahren wären, hätten wir doch ein richtiges Spektakel verpasst. Nur eines wollten EQUILIBRIUM ihren Fans beim besten Willen nicht geben. Für die ersehnte „Wirtshaus Gaudi“ müssen die Münchner am morgigen Samstag wohl selbst sorgen – Gaststätten hat es ja genug in der bayerischen Landeshauptstadt.

EQUILIBRIUM Setlist

1. Renegades – A Lost Generation
2. Tornado
3. Himmel und Feuer
4. Waldschrein
5. Freiflug
6. Apokalypse
7. Path of Destiny
8. Born To Be Epic
9. Prey
10. Heimat
11. Der ewige Sieg
12. Final Tear
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13. Blut im Auge
14. Ruf in den Wind
15. Rise Of The Phoenix

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