„Do you still have energy, my friends?” Warum sich SEPTICFLESH-Frontmann Spiros Antoniou so sehr um unsere Kraftreserven sorgt, dass er sich quasi im Minutentakt nach unserem Wohlbefinden erkundigt, hat seine guten Gründe. Denn am Ende dieses langen Abends haben immerhin schon drei musikalisch gänzlich unterschiedliche Acts unseren Einsatz gefordert, wobei nach den Griechen SCAR OF THE SUN und den hiesigen Dauergästen OCEANS vor allem die in Münchner Kreisen gern gesehenen EQUILIBRIUM ihren Status als Lokalhelden geltend gemacht haben. Gerade an einem Werktag wie heute kann man da schon an seine Grenzen kommen – vielleicht auch der Grund, weshalb es zum Auftakt um Viertel vor sieben im Münchner Backstage noch recht überschaubar zugeht.
SCAR OF THE SUN
Doch ist das freilich kein Grund, nur mit halbem Einsatz die Bühne zu beackern. Drummer Thanos Pappas jedenfalls scheint hoch motiviert: Einmal in die Hände geklatscht und los geht die Reise durch alles, was der moderne Metal vorzuweisen hat. Schwingt im Opener „Swansong Of Senses“ noch ein wenig PARADISE LOST mit, weichen die Gothic-Einflüsse schon bald einem ungleich härteren Ansatz. Melodeath- und Thrash-Riffing treiben das flotte „Transition To Turbulence“ an, während das ähnlich nach vorn drängende „Inertia“ vor allem dank seines eingängigen Refrains im Gedächtnis bleibt.
Sänger Terry Nikas lässt in der Zwischenzeit die Mähne immer dann fliegen, wenn sein Einsatz kurzzeitig nicht gefragt sein sollte. Keine Frage, SCAR OF THE SUN stehen zu Einhundertprozent hinter ihrem vielseitigen Sound, der in der Backstage Halle immerhin interessiert aufgenommen wird. Richtig aus der Reserve locken lassen sich die Gäste zwar in dieser halben Stunde noch nicht, die eine oder andere Faust reckt man in der Menge aber gerne zum Takt.
SCAR OF THE SUN liefern eine sympathische wie motivierte Performance ab
Ob es der Arbeitstag ist, der noch in den Knochen steckt, können wir bestenfalls vermuten. Die Griechen jedenfalls lassen sich durch die anfänglichen Berührungsängste kaum verunsichern, liefern eine sympathische wie motivierte Performance ab und verabschieden sich mit dem symphonischen Finale von „Gravity“ in überraschend mächtiger Weise – auch die frühen Vögel im Backstage dürften im Anschluss positive Bilanz ziehen.
SCAR OF THE SUN Setlist – ca. 30 Min.
1. Swansong Of The Senses
2. Inertia
3. I Am The Circle
4. Transition To Turbulence
5. Anastasis
6. Gravity
Fotogalerie: SCAR OF THE SUN








OCEANS
Das Münchner Backstage sei vermutlich die Spielstätte, in der OCEANS am öftesten zu Gast waren, lässt uns Frontmann Timo Rotten im Verlaufe des Sets wissen. Dass wir es in all den Jahren dennoch zuletzt im Winter 2020 auf eine Show des Quartetts schafften, sorgt nun bei uns für den ersten kleinen Kulturschock. Denn rein visuell hat sich seitdem eine ganze Menge getan: Nicht nur von den langen Haaren, auch von der zweiten Live-Gitarre hat sich der Sänger verabschiedet, während das Auftreten samt Make-up und Kontaktlinsen eine ganze Spur schauriger ausfällt.
Bekannt kommt uns hingegen zumindest das beleuchtete Bandlogo vor, das gleichzeitig in der Bühnenmitte als Mikrofonständer fungiert. Wobei hier die Form über der Funktion steht, denn dessen eigentlichen Zweck nutzt Timo Rotten kaum. Die ersten Zeilen des Openers „Parasite“ bestreitet der Sänger nämlich erst komplett ohne Mikro, bevor er das restliche Set eigentlich unablässig von links nach rechts und wieder zurück eilt. Das passt zur Intensität des schwarzmetallisch angehauchten „Spit“ ebenso wie zum drückenden „Breed Consume Die“, wo Djent-Groove auf Nu-Metal-Vibes trifft.
Bei „Icarus“ können OCEANS auf das Publikum zählen
Stilistisch fallen OCEANS mit diesem modernen Genre-Mix offensichtlich aus dem Rahmen, können allerdings auf ein überraschend aufgeschlossenes Publikum zählen, das in „Icarus“ von der Debüt-EP „Into The Void“ (2019) gerne den gesanglichen Gegenpart zu Rottens kellertiefen Growls stellt. Vielleicht ist es also auch dem funktionierenden Wechselspiel beider Parteien geschuldet, dass die Band erst nach dem vermeintlichen Abschluss „The Awakening“ einen Blick auf die Uhr wirft. Offenbar ist doch noch Zeit für eine kurze Dreingabe, die dank Blast Beats sodann den ersten Circle Pit des Abends heraufbeschwört.
Fotogalerie: OCEANS










EQUILIBRIUM
Rein visuell könnten wir gar den Headliner vermuten: Das geschmackvolle Tribal Art im Hintergrund rahmen zwei Percussion-Sets ein, die im Laufe der Show immer wieder von den beiden Gitarristen Rene Berthiaume und Dom R. Crey bedient werden sollen. So auch während des Intros, das sich schließlich im neuen Track „Legends“ entlädt. Die Stimmung in der Backstage Halle ist von der ersten Sekunde an erwartungsgemäß gut, immerhin stehen EQUILIBRIUM gerade vor heimischem Publikum, das die Band teils schon seit den Anfangstagen begleitet.
Ein neues Gesicht ist für viele derweil Shouter Fabian Getto, der sich in seiner kurzen Zeit bei der Band jedoch erstaunlich gut eingelebt hat. Die moderne Klangfarbe seiner Stimme tauscht der sympathische Frontmann für den Klassiker „Blut im Auge“ gegen giftige Screams, so dass auch Fans des ursprünglichen Sounds der Band auf ihre Kosten kommen. Dass im Eifer des Gefechts der Wunsch einer Wall of Death untergeht, verzeihen EQUILIBRIUM offenbar gerne, denn mangelnden Einsatz kann man der Meute im Zentrum kaum vorwerfen: Dort sitzt die Meute nämlich schon bald auf dem Hosenboden und rudert um ihr Leben.
EQUILIBRIUM präsentieren gleich zwei unveröffentlichte Songs
Kann man machen, nachdem man ja zuvor quasi das komplette Programm durchgespielt hat: Vom Circle Pit in „Born To Be Epic“ bis hin zum gemeinsamen Springen in „Renegades – A Lost Generation“ praktizieren Fans und Band knapp 45 Minuten lang den Schulterschluss. Das schließt selbstverständlich auch den direkten Kontakt zu den vorderen Reihen mit ein, wo sowohl Sänger Fabian also auch Gitarrist Dom die Zeit finden, für die Kamera des wohl jüngsten Münchner EQUILIBRIUM-Fans zu posieren.
Mutig dagegen ist die Entscheidung des Quartetts, gleich zwei bislang unveröffentlichte Songs in ihr eigentlich viel zu kurzes Set aufzunehmen. Bei der Vielzahl an Hits fehlt somit natürlich der eine oder andere Klassiker, die durch das melodische „Awakening“ und das erwähnte „Legends“ aber live durchaus gut vertreten werden. Dass für die Münchner:innen das Ende mit „One Folk“ dennoch viel zu früh kommt, bescheinigen die zahlreichen Chöre in der Backstage Halle, die auf ihre geforderte Zugabe aber aus Zeitgründen leider verzichten müssen.
EQUILIBRIUM Setlist – ca. 45 Minuten
1. Legends
2. Renegades – A Lost Generation
3. Gnosis
4. Born To Be Epic
5. Awakening
6. Blut im Auge
7. Cerulean Skies
8. Shelter
9. One Folk
Fotogalerie: EQUILIBRIUM

























SEPTICFLESH
Einer Vorstellung bedarf der Headliner in der bayerischen Landeshauptstadt ganz offensichtlich nicht. „SEPTICFLESH!“ röhrt es aus der hintersten Ecke der Halle, noch bevor Spiros Antoniou den Bandnamen selbst über die Lippen bringt. Die Einleitung könne man sich also eigentlich sparen: Die Stimmung ist schließlich schon beim Opener „The Vampire From Nazareth“ nahe dem Siedepunkt, obwohl hier die begleitenden Orchesterspuren noch etwas mehr Präsenz vertragen könnten.
Lange dauert es glücklicherweise nicht, bis auch hier die richtige Balance gefunden ist; bis dahin vertreibt sich das Backstage jedenfalls die Zeit mit der bestmöglichgen Alternative: Zum mächtigen Rhythmus von „Neuromancer“ wird kollektiv die Nackenmuskulatur trainiert, nur um im folgenden „Pyramid God“ der Freude freien Lauf zu lassen. Jubelschreie und emporschießende Fäuste geben Bassist und Sänger Antoniou eigentlich schon die Antwort auf seine eingangs erwähnte und heute Abend oft wiederholte Frage: Energie und vor allem Lust haben die Münchner:innen auch nach drei Vorbands noch zur Genüge.
Rudern mit SEPTICFLESH? Das irritiert sogar Sänger Spiros
Dass SEPTICFLESH dennoch auf Nummer sicher gehen und im Laufe der 80 Minuten lieber einmal zu viel als zu wenig nachfragen, zeigt Wirkung: Während des hektischen „Coming Storm“ segelt etwa gar ein unerschrockener Crowdsurfer über das Menschenmeer, als möchte er dem Quartett auf den Brettern zu verstehen geben, dass heute sicherlich niemand vorzeitig schlappmachen werde. Dafür haben die sympathische Griechen ohnehin ein viel zu packendes Set zusammengestellt, das in „Martyr“ zunächst den gewünschten Circle Pit heraufbeschwört, welcher sich aber dann einmal mehr zum monatlichen Münchner Rudertreffen wandelt. Frontmann Spiros nimmt es mit Humor: „Wir sind Vampire, keine Wikinger, meine Freunde!“
Ins Boot geholt haben SEPTICFLESH damit aber auch noch die letzten Zweifler, weshalb das intensive „Prometheus“ nur den Startschuss zu einem packenden Schlussdrittel setzt. Ob das unnachgiebige „Communion“, das morbide „The Collector“ oder das gefeierte „Persepolis“ erklingen, um vollen Einsatz betteln müssen die Symphonic Death Metal-Innovatoren garantiert nicht. So wird auch die Wall of Death in Letztgenanntem zu einem kleinen Höhepunkt, den anschließend nur der Zugabenblock krönen kann.
SEPTICFLESH beschließen ihr Set so mächtig, wie sie es begonnen haben
Für den Klassiker „Anubis“ nehmen SEPTICFLESH sogleich die eigene Anhängerschaft in die Pflicht: Die Lead-Melodie singen hunderte Kehlen leidenschaftlich mit, bis es schlussendlich doch Abschied nehmen heißt. „Dark Art“ beschließt den Auftritt in mächtiger und gebührender Weise, so dass mit den letzten Tönen nun doch die Energiereserven langsam aber sicher zur Neige gehen. Fast ein Glück also, dass uns Spiros Antoniou zum Abschluss diese eine zentrale Frage ersparen will: Er weiß wohl selbst, dass er und seine Mannen in dieser Hinsicht gerade ganze Arbeit geleistet haben.
SEPTICFLESH Setlist – ca. 80 Min.
1. The Vampire From Nazareth
2. Neuromancer
3. Pyramid God
4. Hierophant
5. Portrait Of A Headless Man
6. Coming Storm
7. Martyr
8. Prometheus
9. A Desert Throne
10. Communion
11. The Collector
12. Persepolis
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13. Anubis
14. Dark Art
Fotogalerie: SEPTICFLESH













Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)