Kaum hat der Teufel ein verschlafenes Bergdorf vom Angesicht der Erde radiert, hat er auch schon keine Lust mehr auf die Schweizer Alpen. Vielleicht ist ihm alles etwas zu neutral da, keiner der Überlebenden hat zur Rache mit Atomwaffen gedroht, keiner wollte in einen heiligen Krieg gegen den Satan ziehen, ein stoisches Achselzucken, alles ein Einziges hats-wieder-ein-Dorf-erwischt-kann-man-nix-machen. Der Teufel zieht nach den letzten Klängen von „Es grauet“ von dannen, sucht sich andere Regionen, die es aufzumischen gilt, aber so ganz Abschied kann er nicht nehmen. Er lässt einen Freund da, der zwischen den verschneiten Berggipfeln für Tumult sorgt. „De Ghörnt“, ein riesenhafter Ziegenbock legt sich mit einem Jäger an – oder umgekehrt. Und UNGFELL? Die haben wieder Stoff für ein schrulliges Konzeptalbum.
Ein punkig-folkiger Black Metal-Energieausbruch mit vielen Facetten: Obwohl „De Ghörnt“ stilistisch einen Schritt zurück macht, entwickeln sich UNGFELL als Songschreiber deutlich weiter.
Mit „Es grauet“ landete das Schweizer Duo den großen Hit, nachdem schon ihre ersten beiden Alben mehr als nur ziemlich gut waren. Warum also viel an der Formel ändern? Punkiger, folkiger Black Metal mit einer Menge Energie ist auch das Rezept von „De Ghörnt“. Und doch gehen UNGFELL ein wenig mehr in die rohe Richtung des Zweiwerks „Mythen, Mären, Pestilenz“ und fahren den großen Storytelling-Überbau zurück. Das war nicht die schlechteste Entscheidung: „De Ghörnt“ ist ein 45-minütiger Energieausbruch, der aber auch deutlich zeigt, wie gut UNGFELL trotz ihrer Impulsivität mittlerweile als Songwriter sind. Schon das vorab veröffentlichte „Im Ruusch“ hat ein unwiderstehliches Mainriff, zieht aber rechtzeitig die Handbremse, um Dynamik entstehen zu lassen, um folkloristische Elemente einzuweben und um schließlich zum Furor zurückzukehren und mit einem Gitarrensolo (!) einen neuen Akzent zu setzen. Der Opener „S Alpeglüeh“ und „Sturmglockä“ gehen in eine ähnlich leidenschaftliche Richtung, die vielleicht wenig Neues bietet, die Band dafür aber spielerische wie kompositorisch in exzellenter Form präsentieren.
Böse Zungen behaupteten, UNGFELL hätten in ihren Anfangstagen wie unproblematische PESTE NOIRE geklungen. Selbst wenn da jemals ein Körnchen Wahrheit enthalten gewesen wäre: Davon kann schon längst keine Rede mehr sein. Ihr Riffing, die Tremolo-Gitarren passen eher zu VÉHÉMENCE oder den unvergessenen GRABNEBELFÜRSTEN. UNGFELL sind aber trotz ihrer durchdachten Songs, die viele Twists und eine beachtliche Detailfülle aufweisen, eine Band, die den Anschein erweckt, als würde sie voll aus dem Bauch heraus agieren. Das lässt „De Ghörnt“ auch so lebendig wirken. Optimal warmgespielt sind die beiden Musiker Menetekel und Vâlant ohnehin: Mit KVELGEYST und ATEIGGÄR betreiben die beiden Protagonisten weitere Bands zusammen, und davon profitieren auch UNGFELL. Dass „De Ghörnt“ eine in völlig andere Ausrichtung als „Blut, Milch und Thränen“ geht, untermauert, dass die beiden über eine klare, kompositorische Handschrift verfügen, die sie an das jeweilige Bandkonzept anpassen.
UNGFELL setzen ihre Erfolgsgeschichte fort: „De Ghörnt“ macht trotz schwarzmetallischer Wut Spaß und verströmt eine tiefe Liebe zur Musik.
Und auch in ihrem Korsett können sich UNGFELL zur Genüge bewegen und riffen nicht ziellos durch ihre sieben Songs. „De Ghörnt“ lädt zum Entdecken ein, auch wenn es auf den ersten Eindruck viel straighter zu sein scheint als „Es grauet“. Die folkloristischen Elemente sind besser verwoben, sie haben die Dynamik ausgezeichnet im Griff. Wie manisch die Band vorgeht, lässt sich prima in „De Fäährma“ nachhören: Das Stück beginnt mit einem Proto Metal-Riff, wird aber in einer Energie gespielt, dass dieser minimale Stilbruch kaum auffällt, und oszilliert in der Folge zwischen Black Metal-Wahn, Epik und bodenständigem Metal der alten Schule, und wird so erst auf den zweiten Blick zum Highlight. Offensiver ist da „Rollibock (De Ghörnt vom Gletscher)“, das in achteinhalb Minuten von Brutalität bis Mitgröhlchorus alles bietet, was die Band so charmant klingen lässt.
„De Ghörnt“ macht durch und durch Spaß, denn trotz der schwarzmetallischen Wut, dem düsteren Konzept und dem beinahe melancholischen, weit ausholendem Finale in „De Geischt vom Märjelesee“ ist das Augenzwinkern und die Liebe, die UNGFELL in die Musik legen, deutlich. Passend dazu rundet das archetypisch anmutende Artwork das Album stimmig ab. Ja, es mag das Muhen im Intro fehlen, und nein, auf „De Ghörnt“ wird nicht gejodelt, und das mag schade sein. Wer denkt, das Schweizer Duo wäre nur solcher Gimmicks wegen hörenswert, dem bekommt die Höhenluft nicht und sollte sich vor den Hörnern ruchloser Sagentiere in Acht nehmen. Klarer Fall: UNGFELL setzen mit „De Ghörnt“ ihre Erfolgsgeschichte fort und liefern ein spätes Jahreshighlight im unkonventionellen wie klassischen Black Metal.
Wertung: 6 von 7 Bocksprünge
VÖ: 29. November 2024
Spielzeit: 47:50
Menetekel – Vocals, Guitars, Bass, Lyrics, Songwriting
Vâlant – Drums, Percussion
Label: Eisenwald
UNGFELL „De Ghörnt“ Tracklist:
1. S Alpeglüeh
2. D Pracht vom Eggishorn
3. Im Ruusch (Official Audio bei Youtube)
4. De Fährmaa
5. Rollibock (De Ghörnt vom Gletscher)
6. Sturmglockä
7. De Geischt vom Märjelesee
UNGFELL „De Ghörnt“ Full Album Stream bei Youtube
Mehr im Netz:
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