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MÜTTERLEIN: Bring Down The Flags

Mit „Bring Down The Flags“ leitet MÜTTERLEIN ihr Publikum aus der Schwärze in das Licht – wenn sie es zulassen.

Herausgekrochen aus dem dreckigsten Schlick und dem klebrigsten Morast, kommt die Rache in Form einer einzelnen Frau: MÜTTERLEIN alias Marion Leclerq veröffentlicht am Ende des für viele Menschen finsteren Jahres 2021 ihr zweites Album „Bring Down The Flags“ und agiert und agitiert wie eine große Anklägerin. Ob sie die Menschheit vor Gericht stellt oder ob es doch persönlichen Schmerz geht? Alles ist möglich im Reich von MÜTTERLEIN. Schon die Vita von Leclerq zeigt dies, denn mit ihren Wurzeln im Post Metal und Dark Folk und dem Debütalbum, das wie eben eine Schnittmenge daraus klingt, legte sie den Grundstock für dieses Monstrum von einem Album.

Wütend, wie der Titel „Bring Down The Flags“ es vermuten lässt, ist auch die Musik. Vierzig Minuten lang beißt sich MÜTTERLEIN durch die Finsternis. Es dauert, bis sich dieses Universum öffnet, doch schon bald geht die Musik durch Mark und Bein. Konsequent dringt MÜTTERLEIN in Richtung Industrial und Doom vor, sodass „Bring Down The Flags“ abseits der Modernität liegt, eher so, als würden NEUROSIS Mitte der Neunziger auf späte GODFLESH treffen, mit Hang zu Ambient und Drone. Wenig überraschend, dass „Bring Down The Flags“ schwere Kost ist, aber eben auch eine beachtliche Tiefe mitbringt.

MÜTTERLEIN ist schwer zu greifen: „Bring Down The Flags“ bricht mit Erwartungen und liegt schwer im Magen.

„Bring Down The Flags“ zu hören, ist wie über einem Seil zu balancieren, das über einem pechschwarzen Abgrund gespannt ist. Als würde dieses Seil den Schmerz mit der Heilung verbinden. Das funktioniert, weil die sechs Tracks auf diesem Album unglaublich kraftvoll sind und die Wut stets zu spüren ist. MÜTTERLEIN vergräbt sich nicht in Selbstmitleid, sie wütet, schreit, flucht, ummantelt von finsteren Synthesizern, die eine Drone-Hölle aufmachen. Dazu kommt das kraftvolle Drumming, das eben schwer nach „Through Silver In Blood“ klingt. Darauf basieren die Stücke, nicht auf Riffs und deshalb ist „Bring Down The Flags“ so schwer zu greifen, dieses Album bricht mit den Erwartungen der Rezipienten.

MÜTTERLEIN verschlingt ihrer Hörer zum ersten Mal nach einem leisen Intro, das in dem infernalen Marsch „The Descent“ mündet und so klingt, als würde die tobende Marion Leclerq ihre Hörer am Hinterkopf packen und unter Wasser drücken. Kalte Rhythmen, dunkle Synths und eine Sängerin, die aus den Tiefen ihres Herzens brüllt. Sieben Minuten dauert der in Musik gegossene Protestzug und wer dieses Stück übersteht, ist gewappnet für die restlichen fünf Tracks. Mit „A Mass For It“ und „A Mass To Me“ stehen zwei kürzere Ambient-Tracks auf „Bring Down The Flags“, die das Gesamtbild des Albums sehr gut erweitern und nicht nur eine Brücke zwischen den Songs, sondern äußerst dichte und kraftvolle Kompositionen sind.

Wie ein Seiltanz über einem lichtlosen Abgrund: Mit „Bring Down The Flags“ führt MÜTTERLEIN ihr Publikum in Richtung Heilung.

Dann geht es wieder in die Vollen: „Mother Of Wrath“ pulsiert, verstört mit rückwärts abgespieltem Gesang und wird erst nach drei Minuten zu einem bösen (mehr oder weniger) Post Rock-Track mit monotonem Drumming, flirrender Gitarre und einer kalten Gesangslinie. Die Steigerung bleibt aus, stattdessen endet das Stück als Industrial-Doom-Track mit wenig Raum für Versöhnung. „Violence And Misery“ beginnt ähnlich wie „The Descent“, entwickelt sich dann aber zu einem ungezügelten, brutalen und durch das Drumming beinahe chaotischen Stück.

Mit zwölf Minuten ist „Requiem“ ein Marsch in die Unterwelt, als würde die Welt in einem Sarg liegen und MÜTTERLEIN trägt diesen in eine lichtlose Schwärze. Die Atmosphäre, die hiervon ausgeht, ist unfassbar dicht. Ein Puls aus Stroboskoplicht trägt das Stück durch die restlichen Minuten und lässt „Bring Down The Flags“ nicht gerade versöhnlich, aber sehr kohärent enden. Es bleibt das Gefühl, dass MÜTTERLEIN sich selbst und dem Publikum den Blick in den totalen Abgrund nicht ersparen wollen, aber gerade das ist es, was dieses Album in letzter Konsequenz heilsam werden lässt. Somit ist „Bring Down The Flags“ durch seine Intensität vielleicht kein Dauerbrenner auf dem Plattenteller, aber ein Album, dessen Tiefe und Furor seinesgleichen suchen. Mit einer so kompromisslosen Künstlerin wie Marion Leclerq ist nicht zu spaßen. Wer es intensiv und tief abseits von Metal-Instrumentierung braucht, muss nicht mehr weiter suchen.

Wertung: 5 von 6 Drahtseilakte

VÖ: 30. Dezember 2021

Spielzeit: 41:50

Line-Up:
MÜTTERLEIN

Label: Debemur Morti Records

MÜTTERLEIN „Bring Down The Flags“ Tracklist:

1. The Descent (Official Audio bei Youtube)
2. A Mass For It
3. Mother Of Wrath
4. Violence And Misery
5. A Mess To Me
6. Requiem

Mehr im Netz:

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