ISIS: Big Brother is watching you

Aaron Turner ist ein vielbeschäftigter Mann: Er ist Chef des Labels Hydra Head, erstellt Artworks für Bands unter dem Banner “Feral Pig” und schnallt sich last but not least selbst gerne die Gitarre um und kratzt mit seiner Band ISIS gewaltig am Thron der Überreferenz NEUROSIS, aktuell mit dem neuen Album “Panopticon”.

Aaron Turner ist ein vielbeschäftigter Mann: Er ist Chef des Labels Hydra Head, erstellt Artworks für Bands unter dem Banner “Feral Pig” und schnallt sich last but not least selbst gerne die Gitarre um und kratzt mit seiner Band ISIS gewaltig am Thron der Überreferenz NEUROSIS, aktuell mit dem neuen Album “Panopticon”. Nicht nur musikalisch, auch textlich bietet das Album einiges an Gesprächsstoff, denn hierbei geht es um eine atemberaubende Melange aus mitreißenden, ruhigen bis brachialen Klängen und einem philosophischen Thema, dass unter dem Thema “Big Brother is watching you” läuft. Grund genug bei dem charismatischen Aaron anzurufen – eine Woche vor der US-Wahl.



Hallo Aaron, zunächst “herzlichen Glückwunsch” zu “Panopticon“, das mich wie der Vorgänger extrem fesselt.

Dankeschön.

Auf “Panopticon” dreht sich alles um das allsehende Auge. Auf den ersten Blick ist dies ein ziemlich negatives Konzept für derart schöne und positive Musik.

Ich sehe Dinge nie als nur positiv oder negativ an und somit hat auch dieses Konzept einen positiven Aspekt: Sei auf der Hut vor dem allsehenden Auge, lass dies nicht zur Wirklichkeit werden. Meiner Meinung nach ist dies etwas Gutes. Dies kann auch auf die Musik bezogen werden. Gleichzeitig ist die Musik auf “Panopticon” nicht nur schön, sondern auch dunkel. Es gibt viele Details, die solche Stimmungen erzeugen. Weder das Konzept, noch die Musik sind eindimensional.

Der wegen den Terrorattacken erlassene US-Patriot Act, durch dem die Rechte der US-Bürger ein weiteres Mal beschnitten werden, scheint auch Einfluss gehabt zu haben.

Richtig, das war ein Teil davon. Seit dem 11. September unterwandert die Regierung das Privatleben der Bürger mehr und mehr. Das von der Regierung angewandte Konzept ist auch ein Panopticon, die Technologie erlaubt es der Regierung über Audio- und Visuelle Medien an dem Leben der Menschen teilzuhaben, beispielsweise durch das Platzieren von Kameras an öffentlichen Plätzen, die Überwachung der Seiten, die von Benutzern im Internet aufgerufen werden. Das floss in jedem Fall in das Album ein. Dies passiert allerdings nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern dieser Welt. In dem Essay von Foucault, das in den Liner Notes von “Panopticon” zitiert wird, heißt es übrigens, dass die Angst der Menschen gegen sie eingesetzt wird, um sie zu überwachen. Genau das passiertm, und nicht erst seit den Terrorattacken, Bush und seine Administration setzen dies gezielt ein, um die Bürger zu manipulieren.

Denkst du in weniger als einer Woche wird Bush am Ende sein?

Ich hoffe das wirklich sehr! Doch es ist schwer zu sagen, wie es weiter gehen wird. Mit den Medien muss man vorsichtig umgehen, denn George W. Bush hat eine derart effektive Medienmaschinerie, die jedes Stück Information stören und verändern kann. Dadurch ist es wirklich schwer zu erfassen, wo wir denn momentan stehen, nicht nur als Nation, auch als Individuen. Jetzt werden Bush und Kerry in einem “Kopf an Kopf”-Rennen gezeigt, was ungefähr die selbe Aussage hat, als bei der letzten Wahl, in der ein Präsident ins Weiße Haus zieht, der weniger Stimmen als sein Konkurrent hatte. Ich war immer skeptisch bei Nachrichten von der Regierung, doch seit der letzten Wahl hat dies ein neues Level erreicht. Es gibt natürlich viele Menschen in diesem Land, die Bush loswerden wollen und die sich dafür einsetzen, doch wie gesagt, es ist schwer dem zu glauben, was in den Medien vorkommt. Realistisch gesehen ist Kerry natürlich nicht viel besser als der amtierende Präsident, aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Ich habe mich jedenfalls schon auf das Schlimmste eingestellt.

Kommen wir zurück zu eurem neuen Album. Das Cover trifft meiner Meinung nach perfekt das Konzept des Albums: Das Luftbild der Stadt stellt “Alles zu sehen ist alles zu wissen” dar, aber trotzdem erkennt man nicht was in den Gebäuden passiert. Ist das eine Metapher, die bedeutet, dass Menschen ausspioniert werden können, aber ihre Gefühle und Gedanken nie erfasst werden können?

Das ist richtig. Ich dachte lange darüber nach, wie man das Thema optisch am besten darstellen könnte. Ich hatte nicht die Absicht “Alles zu sehen ist alles zu Wissen” optisch darzustellen, aber als ich über dieses signifikante Bild stolperte kam mir die Idee dazu. Sicher ist, dass nicht alle Menschen beobachtet werden und dass dieses Konzept eine Art Verschwörungstheorie darstellt, dies berücksichtigt das Cover allerdings nicht. Es passt aber auch sehr gut zur Musik, es ist groß und offen, es sind auch viele Details darin enthalten. Ebenso passt sich die Atmosphäre des Fotos dem Material sehr gut an. Durch dieses Artwork wird alles verbunden.

ISIS - 'Panopticon' Cover
Aaron Turner zum “Panopticon” Cover: “Es passt sehr gut zur Musik, es ist groß und offen.”

Dass als Artwork zu “Panopticon” ein Luftbild zu sehen ist und “Oceanic” mit dem Wasser zu verbinden ist, könnte man von einer Interaktion bezüglich der Elemente ausgehen. Das traue ich ISIS aber nicht zu, da das Konzept weit davon abdriftet.

In der Tat hängt das nicht absichtlich zusammen. Wir folgen unserer Intuition, fügen Puzzleteile zusammen und sehen manche Verbindungen nicht, welche für andere offensichtlich sind. Es ist nicht als elementare Antwort auf “Oceanic” gedacht, zur gleichen Zeit ist es das aber genau das. Wenn ich mir heute “Oceanic” anhöre, klingt es wie ein Album, das stellenweise an sich selbst erstickt. “Panopticon” hat viel mehr Luft zum Atmen und das Artwork reflektiert dies. Für mich ist es übrigens wichtig zu wissen, dass sich der Hörer mit dem Werk als ganzes beschäftigt und das Album als ganze Erfahrung in sich aufsaugt.

Ist es ein Vorteil für ISIS, dass du das Artwork übernimmst?

Ja, das ist es. Es gibt sicherlich viele talentierte Künstler, die einen hervorragenden Job machen würden, aber ich denke, dass jemand außerhalb der Band, der keine so enge Bindung zur Musik hat, sich nicht in die Musik so hineindenken kann, wie es nötig ist. Überhaupt mag ich es, dass wir autark sind und fast alles selbst machen können. Wenn ein fremder Künstler Ideen beisteuert, dann – ich will nicht sagen verschmutzt, aber verändert er durch seinen Beitrag das Werk. Es ist sicherlich gesund auch auf äußere Einflüsse zu hören, aber wir wollen dass ISIS eine Band ist, welche die wahre Identität der Beteiligten widerspiegelt.

Nun habt ihr aber einen Gastmusiker auf dem Album, Justin von TOOL spielt auf “Altered Course” den Bass.

Wie gesagt, es ist gesund mit anderen Musikern zu kollaborieren. Es wäre lediglich negativ, würde eine externe Person einen ganzen Song schreiben, aber wir wollen zum Gesamtergebnis etwas hinzu addieren und da kann ein anderer Musiker, der nicht zur Band gehört einen enormen Beitrag leisten. Dieser Beitrag bringt uns auch oft zu Ergebnissen, zu denen wir ohne den Gast vielleicht niemals gekommen wären. Manchmal braucht man auch jemanden, der hilft. Wenn ich für andere Bands Artworks mache, versuche ich auf die Band einzugehen, unsere Ideen verschmelzen zu einem Ergebnis. Das selbe passiert im Studio: Wir gehen zu unserem Produzent und sprechen mit ihm ab, wie es klingen soll. Dabei lässt er natürlich einen Teil seiner Identität einfließen, aber wie ich schon sagte: Im Grunde sind wir unabhängig und das ist uns sehr wichtig.

Den größten Schritt in eurer Entwicklung habt ihr von “Celestial” hin zu “Oceanic” vollzogen, auf “Panopticon” arbeitet ihr eher an den Details. So harmonieren meiner Meinung nach die Gitarren besser miteinander, klingen verwoben und sogar poetisch.

Ja, ich stimme dir zu, wir haben uns auch sehr darauf konzentriert. Die Gitarren doppeln sich nicht ständig, stattdessen wollten wir mehr Atmosphäre und Strukturen einbauen. Das war ein wichtiger Schritt vorwärts für uns. Wir wollten nicht nur unsere Technik verbessern, auch die Sounds sollten eine neue Dimension erreichen. ISIS bedeutet, sich Konstant zu entwickeln, egal ob es unsere Ideen oder unseren Klang betrifft. “Panopticon” ist einfach das Resultat daraus, dass wir schon lange miteinander musizieren und lernen unsere Fähigkeiten besser einzusetzen.

Sicherlich hat sich auch euer Musikgeschmack erweitert oder verändert.

Bis zu einem Grad, ja. Ich denke aber auch, dass es etwas damit zu tun hat, andere Einflüsse – sprich Musiker oder Bands – zuzulassen. Damit meine ich, dass wir zwar aus der Hardcore- und Metalszene kommen und damit verwurzelt sind, gleichzeitig aber auch andere Künstler bewundern. Das ist einfach eine andere Facette unserer Evolution, wir versuchen uns immer an anderen Musikrichtungen, aber selbst wenn wir manche Stilrichtungen privat schon lange hören, bedeutet es nicht, dass wir uns daran bedienen müssen und die Einfluss auf ISIS haben.

Deine Vocals haben sich auch sehr verändert, du setzt zwar immer noch deinen extremen Gesang ein, inzwischen kommt mehr und mehr rauher, aber klarer Gesang zum Einsatz. Traust du dich nun mehr, oder ist es dir jetzt erst möglich so zu singen?

Ich versuche seit jeher meinen Gesang zu verbessern und auf eine weitere Stufe zu bringen. Es stimmt, auf diesem Album habe ich den größten Schritt nach vorne gemacht. Zuvor ging es eher darum, die Vocals besser zu platzieren, damit sie gut funktionieren. Für meine musikalische Persönlichkeit war es wichtig den Gesang zu entwickeln. Wir fokussieren uns auf die Musik, der Gesang ist sekundär, aber gleichzeitig möchte ich, dass die Vocals an den Stellen so gut wie möglich wirken, platziert und effektiv sind.

ISIS - Interview 2004
ISIS geben nicht viel Arbeit ab, aber: “Manchmal braucht man auch jemanden, der hilft.” (Aaron Turner)

Das ist ein gutes Stichwort. Der Gesang ist bei euch stets in den Hintergrund gemischt, ist dies der Grund dafür?

Ja, das ist es. So waren wir schon immer, die instrumentalen Passagen standen immer im Vordergrund, wir haben eben epische und lange Songs, dadurch ergibt sich das. Ich sage nicht, dass die Vocals nicht wichtig wären, aber wir sind eben keine Rockband im traditionellen Sinn, wo der Gesang direkt im Vordergrund steht. Wir wollen die Musik so präsentieren, wollen dass die Vocals gut wirken und gleichzeitig, dass sich der Hörer nicht zu sehr darauf konzentriert, eben weil sie so selten vorkommen.

Dadurch kommen wir auf die Produktion zu sprechen, denn egal welches Release ich von euch höre, jedes klingt verdammt nach ISIS, sei es jetzt “The Red Sea”, das von Kurt Ballou [Gitarrist von CONVERGE – Anm. d. Verf.] produziert wurde oder “Panopticon”, das von Matt Bayles [u.a. MASTODON, PEARL JAM, TRAGEDY – Anm. d. Verf.] veredelt wurde. Seid ihr Analog-Puristen? Würde ISIS anders klingen, wenn ihr mit digitalem Equipment aufnehmen würdet?

Nein, wir sind ganz sicher keine Analogfreaks, wir benutzen auch digitale Geräte. Ich denke wir haben viel mehr bestimmte und klare Ideen, wie wir am besten klingen. Unsere Alben haben einen sehr charakteristischen Klang, weil wir wissen was wir wollen; bereits von Anfang an. Sowohl Kurt als auch Matt sind wirklich erfahrene und fähige Produzenten, die unterschiedlich arbeiten, aber verstehen das einzufangen, was die Musiker ausdrücken wollen.

Zu “In Fiction” wird es einen Videoclip geben, für den Josh Graham Regie führte, der ja bekanntlich für die NEUROSIS-DVD “A Sun that Never Sets” verantwortlich ist. War dieses Meisterwerk der Grund, warum ihr ihn verpflichtet habt?

Nein, das lag mehr daran, dass wir ihn schon kannten, als wir von Boston nach Los Angeles zogen und unser Verhältnis zu ihm sehr eng wurde. Er ist eben ein guter Freund von uns. Aber er machte auch Videos für Bands wie THE DILLINGER ESCAPE PLAN, ENON und BEE AND FLOWER, die allesamt hervorragend sind. Das Video, dass uns am meisten überzeugt hat, war zu “I Know Your Name” von BEE AND FLOWER, das uns alle sehr beeindruckt hat. Unser Clip wurde erst gedreht, in den nächsten Wochen wird es hoffentlich fertig werden, Josh schneidet es momentan. Ich weiß noch nicht, wie es ausfallen wird, aber ich vertraue Josh völlig. Es liegt außerhalb unserer Kontrolle was daraus wird, aber diese Verantwortung geben wir gerne ab, auch wenn es eine große Verantwortung ist, denn dieses Video soll uns optisch repräsentieren.

Ich nehme an, dass das Video nicht wie der Song neun Minuten dauern wird.

Leider nein, Filmmaterial ist sehr teuer, das Drehen ebenfalls. Josh muss jeden Dollar den er kriegt streng einteilen, daher ist eine Version in voller Länge unmöglich. Außerdem ist ein Video zur Promotion da und ich glaube kaum, dass ein Musiksender ein neunminütiges Video abspielen würde. Wir sind bestimmt keine Freunde von Kürzungen, aber hier ist es einfach notwendig – diesen Kompromiss mussten wir eingehen. Vielleicht können wir dadurch aber neue Hörer gewinnen, dann würde es dies wieder rechtfertigen. Daher dauert das Video zu “In Fiction” nur um die fünfeinhalb Minuten.

Ist eigentlich schon eine Europatour geplant?

Ja, wir werden im April nach Europa kommen, wir planen derzeit die Tour mit der Booking-Agentur. Wir wollen ganz Europa bereisen, die Tour 2003 war fantastisch, viel besser und rentabler als sämtliche Touren in den USA. (lacht)

Dann freue ich mich schon euch wieder live bewundern zu können. Abschließende Frage, bevor ich dich wieder arbeiten lasse: Das Intro von “The Red Sea” kommt mir dermaßen bekannt vor, aber ich kann es nicht zuordnen. Aus welchem Film stammt das?

Das kommt von einer sehr kurzlebigen TV-Serie namens “Hotel Room” von David Lynch, die er nach “Twin Peaks” drehte. Davon gibt es nur vier Episoden, bei zwei führte er Regie und die sind auch sehr gut. Ich denke, diese Intros passen perfekt zu dem Konzept und der Musik, daher wählten wir sie.

Aaron, weiterhin viel Erfolg mit ISIS und vielen Dank für das Gespräch.

Layout: Uwe

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