SÓLSTAFIR: Endless Twilight Of Codependent Love

Ihr macht es mir nicht leicht, SÓLSTAFIR. Es gab eine Zeit, da hätte ich für euch und euren schrägen, gefühlvollen Musikmix töten können, das war zu Zeiten von „Köld“, „Svartir Sandar“ und „Otta“. Die weiße Weste wurde schon durch den hässlichen Split mit Ex-Drummer Gummi beschmutzt und nun schon das zweite lauwarme Album in Folge. Wenig ist von der Vulkanhitze und der Hochlandweite der früheren Songs auf „Endless Twilight Of Codependent Love“ zu erkennen. Dabei war vom härtesten SÓLSTAFIR-Album seit langem die Rede – diese Promotricks kennen wir doch alle, oder? – und auch der sperrige englische Titel ließ hoffen, dass eine gewisse frische Herangehensweise zu spüren sein könnte und eine neue Komplexität Einzug halten würde.

Nun, im Vergleich zu „Berdreyminn“ zeigt sich dieses Album tatsächlich flexibler, aber dadurch auch unentschlossener. Wo beim 2017er-Werk noch fast jedes Lied atmosphärisch begann und sich dann mehr oder weniger dynamisch steigerte, präsentierten sich SÓLSTAFIR als deutlich glattere, aber wenigstens sattelfeste Songschreiber. Zwar gibt es auf „Endless Twilight Of Codependent Love“ einige Lieder, die auch auf „Berdreyminn“ hätten stehen können, aber insgesamt scheint das Motto zu sein: mal einen Schritt nach vorn, mal einen Schritt zurück. Knarziger und unperfekter sind die Isländer auf ihrem mittlerweile siebten Album, aber gleichzeitig lahmarschiger, trotz vereinzelter wilder Ausbrüche. Man mag es nicht glauben, aber selbst in den relativ kurzen Songs kommen SÓLSTAFIR nicht auf den Punkt. Die Songs atmen nicht und entfalten sich nicht, sie eiern vor sich hin.

SÓLSTAFIR wirken auf „Endless Twilight Of Codependent Love“ erschreckend lustlos

Was beim Opener „Akkeri“ mit seinem starken Aufbau und den vielen Facetten noch gut gelingt, geht dann schnell den Bach hinunter. „Drýsill“ gibt sich sieben Minuten lang atmosphärisch, dann ist da ein kurzes, pflichtschuldiges, emotionsarmes Aufbäumen. „Rökkur“ gefällt mit seiner SIGUR RÓS-Anbiederung anfangs noch ganz gut, der schiefe Gesang darüber sorgt sogar für einen gelungenen Kontrast, aber das Stück will nicht enden und verläuft im Nichts. „Her Fall From Grace“ ist ähnlich ereignislos, und selbst beim viereinhalbminütigem „Alda Syndanna“, das mit einem ordentlichen Riff beginnt, ist ansonsten nichts zwingend oder mitreißend. „Or“ lässt kurz aufhorchen, eine Mischung aus Loungerock mit schwülstiger Engtanzgitarre und Angelo Badalamenti Soundtrack steigert sich zu einer zahnlosen Rocknummer wie schon “Drýsill”. Als kurzer Gag hätte das geklappt, aber nicht auf sieben Minuten gestreckt. Generell wirken die meisten Stücke wie halbgare Pflichtübungen, so als wäre SÓLSTAFIR Lust und Leidenschaft abhanden gekommen.

Ein Album wie ein isländischer Winter: Wenig Licht, viel Langeweile

Immerhin, mit dem wilden, aggressiven „Dionysus“, das zwar künstlich überzogen wirkt, aber doch Feuer unterm Hintern hat, machen SÓLSTAFIR wieder Boden gut. Und abschließend beweist das Quartett mit „ÚIfur“, dass es die Kunst der Magie doch noch beherrscht. Große Momente, starkes Songwriting, packende Arrangements, starke Riffs, Leads und Aðalbjörn Tryggvasons schräger, energetischer Gesag – ach, wäre der Rest von „Endless Twilight Of Codependent Love“ auch nur annähernd so gut wie dieser Abschluss. Diese Stunde Musik ähnelt dem isländischen Winter: Wenig Licht, dazwischen viel Langeweile, und das Kaminfeuer ist zu allem Überfluss auch noch ausgegangen. Es tut weh beinahe körperlich weh, das zu schreiben, aber so einen tiefen Fall habe ich auch trotz der wenigen gelungenen Songs und guter Momente nicht kommen sehen.

Wertung: 3,5 von 9 Hochlandjeeps mit gebrochenen Achsen

VÖ: 6. November 2020

Spielzeit: 63:05

Line-Up:
Aðalbjörn Tryggvason – Guitar, Vocals
Sæþór Maríus Sæþórsson – Guitar
Svavar Austmann – Bass
Hallgrímur Jón Hallgrímsson – Drums, Backing Vocals

Produziert von SÓLSTAFIR und Birgir Jón Birgisson

Label: Season of Mist

SÓLSTAFIR „Endless Twilight Of Codependent Love“ Tracklist:

1. Akkeri (Official Track Premiere bei Youtube)
2. Drýsill (Official Animated Video bei Youtube)
3. Rökkur
4. Her Fall From Grace (Official Video bei Youtube)
5. Dionysus
6. Til Moldar
7. Alda Syndanna
8. Or
9. Úlfur

Mehr im Netz:

https://www.solstafir.net/

https://solstafir.bandcamp.com/

https://www.facebook.com/solstafirice

https://www.instagram.com/solstafir_official/

 

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