ROGER WATERS: Stuttgart, Schleyerhalle, 17.6.2002

Für einen kurzen, umso schöneren Moment machte einfach alles "perfect sense"…

Bassisten haben es meistens alles andere als leicht, ernst genommen zu werden. Und selbst bei einer Legende wie dem ehemaligen PINK FLOYD-Bassisten Roger Waters waren im Vorraum der Schleyerhalle Diskussionen zu vernehmen, ob es sich bei dem bevorstehenden Auftritt nicht nur um eine bessere Coverband handele, während David Gilmour mittlerweile nahezu selbstverständlich mit dem Namen PINK FLOYD gleichgesetzt wird, obwohl dieser nicht mal von Beginn an in der Band war. Doch kaum waren die Lichter in der drückend heißen Halle zu den ersten Klängen von The Wall erloschen, machte sich eine ganz besondere, ja einzigartige Atmosphäre breit. Kein abschätziges Wort war mehr zu hören, jeder staunte nur noch über die perfekt an die Klänge angepaßten Videoanimationen auf der riesigen Bühnenrückwand, während die Band um Roger Waters die Bretter enterte. Und der mittlerweile in Ehren ergraute Mittelpunkt des Abends hatte wahrhaft fähige Musiker um sich geschart. Die Gitarristen interpretierten Rhythmus- wie Soloparts zumeist äußerst gefühlvoll, der Schlagzeuger verstand es, in den wenigen ihm zur Verfügung stehenden Freiräumen Akzente zu setzen mit seinem präzisen, wuchtigen Spiel, und Keyboarderin Mandy Wallace bewies, dass synthetisch erzeugte Klänge nicht zwangsweise klinisch-steril wirken müssen. Hinzu kamen noch drei Backgroundsängerinnen und ein Saxofonist, die unspektakulär, aber solide ihren Beitrag zu einem wahrlich gelungenen Abend ablieferten. Denn Roger Waters setzte dazu an, einen PINK FLOYD-Hit nach dem anderen dem leider sehr verhaltenen Publikum zu servieren. Doch vielleicht mischte sich da im Zuschauerraum stille Ehrfurcht vor der oftmals nicht mehr in Erinnerung gewesenen Weltklasse und Vielschichtigkeit des Schaffens der Briten mit blanker Freude und Erstaunen über die wahrlich gelungene Songauswahl. Ich als ein an der Ungnade der späten Geburt Leidender hatte jedenfalls nicht damit gerechnet, jemals Zeuge einer durch Mark und Bein gehenden, enorm dynamischen Originalversion des ausufernden Psychedelic-Klassikers Set The Controls For The Heart Of The Sun zu werden, nachdem dereinst TIAMAT auf ihrer Wildhoney-Tour mit einer eigenen Fassung des Songs mich neugierig auf das Frühwerk von PINK FLOYD gemacht hatten. Und dies sollte nicht der einzige Übersong des Abends bleiben, denn auch beide überlangen Teile von Shine On You Crazy Diamond sowie Dogs von meinem persönlichen PF-Lieblingsalbum Animals wurden in bombastischen, wenn auch meist sehr an der Albumversion orientierten Interpretationen dargeboten. So manch einer der zumeist bereits den älteren Semestern angehörenden Zuschauer mußte Tränen der Nostalgie im Augenwinkel zerdrücken. Überhaupt konnte Roger Waters auf dem Vorteil aufbauen, kein aktuelles Album auf dem Markt zu haben, das ums Verrecken promotet werden muß, weshalb er sich auf die großen Klassiker, an denen er maßgeblich mitgewirkt hat, konzentrieren konnte. Zwar kamen in der zweiten Hälfte des fast dreistündigen Sets auch die nicht minder starken, oftmals mit bitteren ironischen Texten ausgestatteten Songs seiner Solokarriere wie Perfect Sense, Amused To Death und das überraschend hymnische It´s A Miracle zum Einsatz, kongenial untermalt von aufwühlenden Videoanimationen, die einem erst mal wieder vor Augen führten, was für einen platten Konsummüll uns MTVIVA tagtäglich verfüttern, ansonsten jedoch wurden Liebhaber von Meilenstein-Alben wie A Saucerful Of Secrets, Dark Side Of The Moon, The Wall, Wish You Were Here und Animals sämtliche Träume erfüllt. Mit einem derart starken Songmaterial in der Hinterhand konnte Roger Waters einfach nur gewinnen! Da verzieh man ihm gerne auch, dass er an und für sich nicht für die Rolle im Spotlight geboren ist und sich auf der Bühne eher uncharismatisch und linkisch bewegt. Große Showeinlagen und billige Publikumsanimationen waren nicht mehr nötig bei einer dermaßen beeindruckenden musikalischen Zeitreise durch die wahrlich innovativen Perioden der Rockmusik, von denen auch Bands wie DREAM THEATER, PAIN OF SALVATION, ANATHEMA, TIAMAT und THE GATHERING heute noch zehren, zumal die Videoshow ihr Übriges tat, den einzelnen Stationen von Roger Waters´ musikalischem Lebensweg ein eigenes Gesicht zu verleihen. Und so geriet Comfortably Numb auch ohne Pyros und Rumgehopse zum fulminanten Höhepunkt. Dieser Song beinhaltet schlichtweg die größte Konzentration von verschiedenen Emotionen, die meine Ohren je vernehmen durften. Und als dann die beiden Saitenhelden zum nicht enden wollenden Soloduell ansetzten, riß es auch die letzten von der Hitze zuvor so lethargischen Zuschauer vor Begeisterung von den bestuhlten Rängen. Vergessen waren in diesem Moment die Zerknirschtheit der Schwabenseele angesichts happiger Eintrittspreise um die 50 Euro sowie die Hitze und all die Sorgen des Alltags. Harmonie, rein und wunderwunderschön, war alles, was in diesem Moment die Schleyerhalle erfüllte, und für einen kurzen, umso schöneren Moment machte wirklich alles perfect sense…

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