Zeitlos, doch in die Zeit gekommen: Was NEBELKRÄHE ihrem Debüt seinerzeit nicht geben konnten, holen sie rund anderthalb Dekaden später nach. Die titelgebende Thematik schließlich ist auch heute noch so brandaktuell wie im Jahr 2008: „entfremdet“ bedient sich inhaltlich ethischer Überlegungen genauso wie der antiken Philosophie, diskutiert die menschlichen Bande, die Andersartigkeit und den Kampf mit uns selbst. Allesamt hochspannende Fragestellungen, zu welchen die Münchner nun zurückkehren.
Es sei eine Herzensangelegenheit, dem Erstlingswerk den professionellen Rahmen zu schenken, den es schon seinerzeit verdient gehabt hätte, so die Begründung. Zu hören ist das zweifellos, denn die acht dezent überarbeiteten Kompositionen finden dank zeitgemäßer Produktion tatsächlich zu neuem Leben. Obgleich wir auch dem rohen Scheppern der Urfassung einen gewissen Charme nicht absprechen wollen, gelingt NEBELKRÄHE mit der Hilfe Victor Bulloks (Mix / Mastering) das Kunststück, die groß angelegte Soundwand mit einem differenzierten Relief auszugestalten.
NEBELKRÄHE verhelfen „entfremdet“ zu neuem Leben
Der druckvolle Klang verschluckt folglich kein Detail, gewährt sogar dem Bass ein paar dezente Augenblicke im Rampenlicht. Dass der Tieftöner für „entfremdet“ (2024) von Gitarrist Morg eingespielt wurde, hat dabei einen guten Grund: Wiederaufleben lassen wollten NEBELKRÄHE ihre ersten Gehversuche in möglichst unveränderter Besetzung, weshalb die Neuaufnahme ausnahmsweise als Trio entstand. Wie der Multiinstrumentalist waren auch Drummer Latrodectus und Sänger umbrA am ursprünglichen Release beteiligt, wobei sich letzterer nun vielleicht sogar als größter Nutznießer des Unterfangens entpuppt.
Gesanglich überzeugte schon das Drittwerk „ephemer“ (2023) durch ausdrucksstarke, mit gesunder Theatralik vorgetragene Texte. Eine Stärke, die im Jahr 2024 selbstverständlich weiterhin zum Repertoire des Frontmanns gehört und so insbesondere der lyrischen Seite des Debüts zugutekommt. Dank klarer Diktion auch ohne Textblatt gut verständlich findet umbrA stets das richtige Maß an Wut, Verzweiflung oder Nachdenklichkeit, wenn er in „Mein ungleich‘ Ebendbild“ zähneknirschend mit sich selbst hadert oder in „Lichtbringer“ an der Seite von Gastsängerin Isi Retzow auf Platons Spuren wandelt.
NEBELKRÄHE agieren auf ihrem Debüt vorwärtsgewandt
Stilistisch bedienen sich diese Ausflüge recht klassischen Black-Metal-Vokabulars, wobei NEBELKRÄHE schon auf dem Debüt den Blick stets nach vorne richten. Frostige Harmonien durchziehen somit das Instrumental „Dem Alb entronnen, dem Traum so nah“, während sich „Über den Fluss hinweg“ mit Blastbeats und aggressiver Grundstimmung fest im Genre verankert zeigt. Doch selbst hier sorgen zurückgenommene Instrumentalpassagen für Zäsuren, während neben dem spannenden Songwriting auch der federleichte Klargesang in „Als ich meine Augen aufschlug…“ auf die später ausdefinierten Avantgarde-Ambitionen der Band hindeutet.
Dass sich im direkten Vergleich „ephemer“ (2023) als das komplettere Werk auszeichnet, ist derweil schlicht Testament der Entwicklung NEBELKRÄHEs, die bereits auf „entfremdet“ die späteren Tugenden regelmäßig aufblitzen lassen. Zunächst ein wenig sperriger, doch schlussendlich umso lohnender präsentiert sich das Album in seiner runderneuerten Fassung, welche sich mit dem sich windenden und beständig wandelnden „Et in Arcadia ego.“ einen unstrittigen Höhepunkt für das Finale aufspart. Ob NEBELKRÄHE mit diesem liebevollen Re-Release nun die längst verdienten Früchte ihrer Arbeit ernten dürfen? Gute anderthalb Dekaden später jedenfalls scheint die Zeit gekommen.
Veröffentlichungstermin: 29.11.2024
Spielzeit: 49:57
Line-Up
umbrA – Gesang
Morg – Gitarre, Bass
Latrodectus – Schlagzeug
Produziert von NEBELKRÄHE, Christoph Brandes (Drums), Victor Bullok (Mix und Mastering)
Label: Crawling Chaos Records
Facebook: https://www.facebook.com/nebelkraeheofficial/
Instagram: hhttps://www.instagram.com/nebelkraehe_official/
Bandcamp: https://nebelkraehe.bandcamp.com
NEBELKRÄHE “entfremdet (2024)” Tracklist
- Blick vom Ebenholzturm
- Über den Fluss hinweg (Lyrics-Vide bei YouTube)
- Lichtbringer
- Mein ungleich’ Ebenbild
- Dem Alb entronnen, so nah dem Traum
- Als meine Augen ich aufschlug… (Visualizer bei YouTube)
- Gewissheit:
- Et in Arcadia ego