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NEBELKRÄHE: Interview – Die berüchtigten letzten Prozent

NEBELKRÄHE sind keine gewöhnliche Black-Metal-Band: Ohne Scheuklappen und Berührungsängste überwinden die Münchner auf ihrem dritten Studioalbum “ephemer” festgefahrene Konventionen. Dass hinter den Kompositionen und dem stimmigen Konzept auch eine Menge Arbeit steckt, verrät nicht nur der zehnjährige Entstehungsprozess der Platte. In einem entspannten Videocall verrät uns Gitarrist Morg, was in all dieser Zeit wirklich passiert ist und warum man als Perfektionist nicht zwingend zu Hause aufnehmen sollte.

Hi, Morg! Zehn Jahre ist der Vorgänger „Lebensweisen“ (2013) mittlerweile her. Ich nehme an, der Release von „ephemer“ fühlt sich dadurch sicherlich wie das Ziel einer langen Reise an. Auf welchen Aspekt des finalen Werks bist du am meisten stolz?

Morg: Auf alles zusammen, würde ich sagen. Also einfach auf die Tatsache, dass nun nach all diesen Jahren alles ineinandergreift und von den einzelnen Bestandteilen letztendlich nichts nicht geklappt hat. Tatsächlich gibt es vom Cover über die Fotos und den Sound bis hin zu den Songs einfach nichts, an dem ich jetzt noch irgendetwas anders machen wollen würde. Das kenne ich so nicht, weil das nach den letzten Alben eigentlich nie so war.

Dementsprechend glaube ich, dass das auch das zentrale Kriterium ist, welches das Album auszeichnet: Vom Konzept, über die Texte bis hin zur Musik ist schlussendlich alles genauso geworden, wie es sein soll. Das ist dann auch, was das Album meiner Ansicht nach so stark macht und worauf ich am Ende sehr stolz bin – es ist sozusagen ein stimmiges Gesamtkonstrukt.

Ich könnte natürlich jeden einzelnen Aspekt noch herausheben und sagen, warum ich genau diesen besonders gut finde, aber schlussendlich ist es das Gesamtwerk, das schlicht funktioniert.

Also eigentlich genau so, wie man es sich wünscht.

Ja, aber das ist nicht selbstverständlich! Oft ist es einfach so, dass man am Ende irgendwelche Kompromisse eingehen muss. Dann ist man gezwungen, aus Zeit-, Geld- oder sonstigen Gründen etwas wegzulassen; oder man kann eine Sache nicht wie geplant umsetzen und lässt es dann sein.
Im Nachhinein wurmen solche Dinge einen dann auf ewig, weil man es sich ursprünglich anders vorgestellt hatte. Diesmal ist das nicht so, weil wir schlussendlich so viel Zeit hatten, dass wir eben auch jedes kleine Detail nochmal angehen und anpassen konnten.

War dann die Entstehung des Albums auch ein Prozess, der schon vor zehn Jahren angefangen hat? Wann waren die Songs fertig?

Es hat tatsächlich schon vor mehr als zehn Jahren angefangen. Auch bei „Lebensweisen“ (2013) war viel schiefgelaufen und die Platte kam deutlich später raus, als wir geplant hatten. Wir fingen deshalb bereits an, neue Songs und Texte zu schreiben, bevor das Album veröffentlicht wurde.

Ich glaube, ein bis zwei Stücke waren zumindest im Proberaum mehr oder weniger fertig, als „Lebensweisen“ dann erschienen ist. Die Songs sind von da an über all diese Zeit gewachsen und es ist tatsächlich so, dass wir diese zehn Jahre mehr oder minder komplett genutzt haben. Natürlich arbeitet man nicht zehn Jahre lang jeden Tag an den Songs und der Prozess war auch ein wenig zäher als geplant.

Aber manche Stücke sind eben doch schon so alt und im Endeffekt haben wir auch bis kurz vor knapp noch an ihnen gearbeitet: Die letzte Gastgesangsspur ist tatsächlich am letzten Tag noch eingetrudelt, als wir eigentlich nur noch für das Mastering im Studio waren. Wir haben dann in letzter Minute unseren Platzhalter-Gesang ausgetauscht. Dementsprechend ging der Prozess mit Lücken, die sich eben ergeben, wirklich über diese zehn Jahre.

“Bläser in der Pandemie einzuspielen war nicht unbedingt etwas, wozu dir geraten wurde.”

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NEBELKRÄHE-Gitarrist Morg.

Wäre „ephemer“ denn auch früher erschienen, wäre die Pandemie nicht gewesen? Also hat euch das nochmal zurückgeworfen?

Ja, das war definitiv ebenfalls ein großer Faktor, wenn auch nicht der einzige. Als wir beispielsweise mit den Songs angefangen hatten, ging zunächst nichts so richtig zusammen und die Stimmung innerhalb der Band erstmal nach unten. Schlussendlich verlor unser Gitarrist [Euphorion – Anm. d. Verf.] ein bisschen die Lust, woraufhin wir wiederum zu spät schalteten.

Grundsätzlich muss man dazu sagen, dass es kein Problem ist, wenn jemand den Drive dafür nicht mehr hat. Aber wenn es sich dann über so lange Zeit hinzieht und den Zug rausnimmt, kostet es auch die ganze Band Zeit, schließlich muss man dann erst jemanden finden, der musikalisch und menschlich genau reinpasst. Das war also ein weiterer Faktor.

Als das erledigt war und die Songs fertig waren, gingen wir ins Studio, um die Schlagzeugaufnahmen zu machen – ich glaube, das war dann sogar in der letzten Woche, bevor alles zugemacht wurde. Wir hatten also die Schlagzeugspuren, aber der gesamte restliche Plan für die Albumaufnahmen war dahin, weil einfach nichts mehr ging: Unser Proberaum war zu, weil er in einem großen Komplex gelegen war, in den niemand mehr hineingehen durfte. Gemeinsame Aufnahmen waren nicht mehr möglich, weil man sich nicht mehr treffen konnte und sich noch dazu alle Regularien ständig geändert haben.

Die Gastgesänge und Gastinstrumente aufzunehmen war natürlich auch super schwierig: Bläser in der Pandemie einzuspielen war nicht unbedingt etwas, wozu dir geraten wurde. Noch dazu hatten die beteiligten Musiker:innen teilweise selbst kein Recording-Equipment oder Erfahrung damit, ihre Spuren selbst aufzunehmen. Dementsprechend lief während der Pandemie alles ganz anders als geplant, weil wir uns plötzlich selbst mit dem Thema ‚Home Recording‘ auseinandersetzen mussten. Außerdem ging es darum, die Zeiten effektiv zu nutzen, wenn es Bestimmungen und Fallzahlen gerade zuließen.

Schlussendlich waren wir nach der Pandemie zwar mit den Aufnahmen „fertig“, aber das Studio, in das wir eigentlich für Mix und Master gehen wollten, hatte in der Zwischenzeit zugemacht. Wir standen also erstmal ratlos da, weil wir das selbst erst sehr spät erfahren haben. Am Ende entschieden wir uns für ein Upgrade, indem wir zu Victor Bullock (DARK FORTRESS, TRIPTYKON) ins Woodshed Studio gehen. Aber so jemand hat natürlich nicht gleich morgen Zeit, sondern eine Vorlaufzeit von rund einem Jahr. Wir warteten also nochmal zwölf Monate und betrieben in dieser Zeit viel Feinarbeit.

Anschließend kam noch die Labelsuche und dann kostete es nochmal Zeit, bis die physischen Produkte fertig waren. Es ist also schon immer etwas passiert, aber es wäre definitiv ohne die Pandemie schneller gewesen. Vielleicht nicht besser, aber auf jeden Fall schneller. (lacht)

Gelohnt hat es sich ja glücklicherweise: Das Resultat klingt trotz der Rückschläge richtig gut und so gar nicht nach billigem DIY-Garagensound. Inwiefern konnte denn Victor Bullock durch seinen Mix und das Mastering der Musik noch den einen oder anderen Impuls entlocken?

Was Noten angeht, hatte er natürlich keinen Einfluss mehr, da die Spuren zu dem Zeitpunkt bereits fertig waren. Aber trotzdem war es bei ihm im Studio eine wahnsinnig lehrreiche und produktive Zeit, weil er einfach ein extremes Gespür für diese Art von Musik hat.

Es war wirklich faszinierend: Er wollte unsere Pre-Mixe, die wir für einen ungefähren Eindruck angefertigt haben, gar nicht hören, sondern fing stattdessen mit den komplett nackten DI-Spuren an und erarbeitete sich die Songs quasi selbst. Anstatt ihm zu erklären, wie die Songs klingen sollten, „baute“ er sich die Stücke nach seinen Vorstellungen erstmal selbst zusammen, was am Ende enorm gut zu dem gepasst hat, was wir selbst im Kopf hatten.

Beeindruckend war, mit wie viel Gefühl er an die Sache heranging und welche Ideen er hatte, um gewisse Dinge soundmäßig zu lösen. Das hob das Album sicher nochmal auf ein ganz anderes Level und ich würde es auf jeden Fall wieder machen.

Er hat schon großen Anteil daran, wie „ephemer“ letzten Endes klingt und dass jede einzelne Idee so gut herauskommt. Denn ich denke, dass das bei uns schon ein wenig schwieriger ist als bei der gemeinen 08/15-Black-Metal-Band, wo du nur die Standardbesetzung hast. Wenn man aber zusätzlich noch mit einem sechsköpfigen Bläsersatz oder einer Mundharmonika arbeitet, muss man diese im Sound auch sinnvoll und organisch unterbringen, so dass es am Ende in sich stimmig ist. Dafür hat Victor ein wahnsinniges Gespür und ich größten Respekt für seine Arbeit.

“Ich fand diese Erkenntnis faszinierend, dass eine solche Grenze plötzlich da sein kann oder eben auch nicht, wenn sie niemand proklamiert.”

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Genau dieses Gespür hilft letzten Endes auch, die Texte von „ephemer“ in Szene zu setzen. Die zweite Single „Nielandsmann“ zeichnet etwa Bilder eines recht erbarmungslosen Schlachtfelds, auf dem es keine Gewinner gibt. Besonders spannend, finde ich, wie sich die Auffassung des Heimatbegriffs im Verlauf wandelt: Was erst als Grund für den Kampf herangezogen wird („Weh dem, der keine Heimat hat), wird zu Sorge („Weh dem, der jetzt noch Heimat hat“) und schließlich einer fast schon zynischen Haltung („Wohl dem, der keine Heimat hat“). Spricht hier nur die Frustration über Krieg an sich oder steckt da noch mehr dahinter?

„Nielandsmann“ ist ganz klar als Anti-Kriegs-Song zu werten und in keiner Weise als Kriegsverherrlichung zu verstehen – das möchte ich zunächst vorwegnehmen. Wir wollen mit der Thematik über den Ersten Weltkrieg auch nicht auf einer Trend-Welle mitschwimmen. Tatsächlich ist „Nielandsmann“ einer der ersten Songs, die für „ephemer“ entstanden sind: Den Text habe ich ca. 2015 im Zuge der Flüchtlingskrise geschrieben.

Dementsprechend siehst du das ganz richtig, dass es vielmehr darum geht, diesen Heimat- bzw. Grenzbegriff aufzulösen und sich Gedanken zu machen, was er eigentlich bedeutet. Das Kriegsgeschehen an sich ist eher als die Rahmenhandlung zu verstehen, an der das Ganze aufgehängt ist.

Ich wohnte damals an der deutschen Grenze zu Österreich und arbeitete auch dort. Als ich gerade drüben war, wurden die Übergänge geschlossen, wodurch ich ungefähr zweieinhalb Stunden nach Hause laufen musste, weil die Züge nicht mehr fuhren. Für mich war das ein extrem beeindruckendes Erlebnis, weil wir alle damit groß geworden waren, dass Europa immer mehr zusammenwächst und Grenzen irrelevant werden.

Aber in diesem Moment war auf einmal eine solche Grenze da, die vorher niemand auf dem Schirm hatte. Bis dahin fuhr der Zug über die Brücke und das war’s – und plötzlich eben nicht mehr. Ich fand diese Erkenntnis faszinierend, dass eine solche Grenze plötzlich da sein kann oder eben auch nicht, wenn sie niemand proklamiert: An sich existiert sie ja erstmal nicht, sondern irgendjemand muss die Grenze ausrufen.

Das ist, was auch in diesem Text passiert: Vorher ist ihm [das lyrische Ich – Anm. d. Verf.] völlig klar, zu welcher Seite er gehört und dass er für sie kämpft. Aber dann verirrt er sich in diesem Niemandsland zwischen den Fronten und realisiert, dass es diese Grenze eigentlich nur in den Köpfen gibt. Er stellt sich schließlich die Frage nach dem Sinn seiner gegenwärtigen Situation.

„Nielandsmann“ ist deshalb ganz klar ein antipatriotischer Song, der zwar nicht aus der Frustration über irgendwelche Kriege geprägt ist, weil das damals ein weniger aktuelles Thema war als heute. Aber allein die Tatsache, dass er für mich heute aktueller denn je ist, spricht sehr dafür, dass diese Thematik auch nicht alt wird. Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass der Song bei Erscheinen weniger aktuell ist als damals und jetzt ist es genau umgekehrt – auf einem noch viel zynischeren Level. Aber man kann es sich ja nicht aussuchen. Ich bin trotzdem froh, dass es den Song gibt und dass er zu alldem, was gerade passiert, ein Statement ist.

Klar, das kann ich verstehen. Du hast erwähnt, dass „Nielandsmann“ auch ein Versuch ist, den Heimatbegriff aufzubrechen. Was macht denn für dich persönlich Heimat aus?

Wahnsinnig wenig von dem, was man allgemein darunter versteht. Ich empfinde „Heimat“ ohnehin als schwierigen Begriff, weil er eben mit so viel aufgeladen ist, womit ich gar nichts anfangen kann.

Stimmt, vor allem in Deutschland.

Ja, aber nicht nur hier, sondern überall. Ich will das auch gar nicht verteufeln: Es ist ja schön, wenn man sich irgendwo zuhause fühlt. „Zuhause“ ist überhaupt ein sehr schönes Wort, weil da eine gewisse Wohligkeit mitschwingt.

Aber bei „Heimat“ gibt es für mich persönlich diesen Subtext, dass meine Heimat nicht gleich deine Heimat ist. Zuhause können dagegen alle Menschen sein – am gleichen Ort oder anderswo. Es ist für mich viel wichtiger, dass man sich irgendwo wohlfühlt. Ein Zuhause kann ja auch selbstgewählt sein, während man unter Heimat immer die Herkunft, also wo man geboren ist, versteht. Damit kann ich gar nichts anfangen.

Ich finde, dass du das sehr schön auf den Punkt gebracht hast, gerade den Punkt mit „zuhause sein“ kann ich sehr gut nachvollziehen. Das spiegelt sich meiner Meinung nach auch in den letzten Zeilen „gleiche Erde – falscher Graben“ wider.

Auf jeden Fall! Schlussendlich hat nicht der Wald den Unterschied gemacht, sondern derjenige, der den Graben ausgehoben hat. Eigentlich müsste das alles nicht sein.

“[…] Dinge aus der Hand zu geben und dann damit leben zu müssen, [ist] für mich als Kontrollfreak und Perfektionist enorm schwierig.”

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NEBELKRÄHE-Sänger umbrA

„Nielandsmann“ hat mit Noise (KANONENFIEBER) auch ein Feature. Es ist nicht der einzige Song mit Gastgesang: In „Dornbusch (Im Norden kein Westen)“ ist sG (ex-SECRETS OF THE MOON) zu hören. Was verleitet euch konkret dazu zu sagen, dass einem Song ein Gastauftritt guttun würde? Pures Bauchgefühl oder geht man schon mit Hintergedanken ans Songwriting?

Beim Songwriting ist das vielleicht weniger der Fall als beim Texteschreiben. In beiden Fällen ist es eher durchs Storytelling bedingt und natürlich, dass es in atmosphärischer Hinsicht funktioniert. Wie vorher schon angedeutet, gab es von beiden Songs eine „Backup-Version“, bei der unser Sänger Umbra alles alleine gesungen hat. Diese Versionen waren beileibe nicht schlecht und hätten wir durchaus verwenden können!

Aber ich mag das Konzept von Gastbeiträgen auch in kreativer Hinsicht, um zu sehen, was jemand aus dem Material macht, der selbst überhaupt nicht in den Entstehungsprozess involviert war. Dazu gehört auch, Dinge aus der Hand zu geben und dann damit leben zu müssen, was für mich als Kontrollfreak und Perfektionist enorm schwierig ist. Man kann ja dann auch nicht solchen Gästen, die sich dafür bereiterklärt haben, am Ende sagen, dass es zwar ganz nett sei, sie es aber komplett anders machen sollen.

Dementsprechend ist es also auch ein kleines Wagnis, die Kontrolle teilweise abzugeben. Dafür kommt im Gegenzug etwas Cooles heraus, wie etwa im Fall von Noise, der den geflüsterten Part über den Clean-Teil beigesteuert hat. Das war eigentlich nicht vorgesehen, aber er schickte uns die Spuren mit dem Vermerk, dass er auf einer der Dateien noch etwas ausprobiert habe. Ich hatte beim Anhören dann richtig Gänsehaut, weil das eine Lücke gefüllt hat, von der ich vorher nicht einmal wusste, dass sie existiert.

Derlei Dinge ergeben sich eben nur, wenn du mit Menschen zusammenarbeitest. Das ist das Schöne daran, genau wie beim dritten „prominenten“ Gastbeitrag von Markus Stock (EMPYRIUM), der das Hackbrett in „Kranichträume“ spielt. Ursprünglich hatten wir für das Stück ein Vibraphon als Begleitung geplant, aber dann niemanden gefunden, der dieses Instrument beherrscht.

Wir mussten also umdisponieren. Ich hatte dann das großartige Album von GRÀB [„Zeitlang“ – Anm. d. Verf.] im Hinterkopf, wo er eben auch schon das Hackbrett gespielt hatte. Ich fragte ihn also und am Ende machte er sogar viel mehr, als ich gedacht hatte. Er baute zusätzlich noch eine komplette Melodie mit ein, was dem Song eine schöne weitere Ebene gibt und die ich selbst so nie im Kopf hatte. Das Resultat ist ganz anders als gedacht, aber es funktioniert. Daran wächst dann auch ein Album.

Denke ich auch und es ist ja zudem so, dass gerade die für den Black Metal eher untypischen Instrumente bei euch eine wichtige Rolle spielen. Das Hackbrett und die Blechbläser hast du schon erwähnt, auch Cello und Mundharmonika sind zu hören. Wie entscheidet ihr, welcher Song ein zusätzliches Instrument braucht und vor allem welches? Ist vorwiegend die Atmosphäre entscheidend?

Dafür gibt es kein allgemeingültiges Rezept, nach dem wir vorgehen. Manchmal entsteht der Gedanke schon beim initialen Songwriting: Man hat etwa eine coole Melodie, die aber nicht für jedes Instrument geeignet ist. Gerade, da wir auf dem letzten Album schon mit Cello gearbeitet hatten, hatten wir das für entsprechende Passagen ohnehin ein wenig im Hinterkopf. Auch das Klavier denken wir sowieso immer als Option mit, weil unser Sänger es spielt.

Manchmal ergibt es sich aber auch spontan wie im Fall des Hackbretts oder wenn im Verlauf der Songentwicklung der Text in eine Richtung geht, in der es sich atmosphärisch anbietet. Bei „Dornbusch“ mit seinem maritimen Thema beispielsweise bot sich die Ziehharmonika an, welche die Atmosphäre weiter untermauert.

Ich finde aber wichtig, dass man so etwas von Anfang an mitdenkt und nicht etwa erst ein Album schreibt und dann auf irgendwelche Sounddatenbanken zurückgreift, weil man im Nachhinein noch den Entschluss fasst, es solle orchestral klingen. Auf „ephemer“ sind alle Instrumente tatsächlich von Menschen eingespielt. Mir ist es wichtig, dass solche Instrumente am Ende auch echt sind.

Es war also noch nicht der Fall, dass man direkt vom Instrument her denkt? Also beispielsweise die Mundharmonika als Ausgangspunkt nimmt, weil man die Klangfarbe gerne auf dem Album hätte.

(überlegt) Ich denke gerade darüber nach, aber ich denke nicht. Es wäre auch schwierig, weil man dann den ganzen Song so schreiben müsste, dass in diesem Fall eine Mundharmonika genau reinpasst. Vielleicht würde sich dann sogar ergeben, dass ein anderes Instrument an der Stelle viel geiler wäre, man sich aber vorab zu sehr auf die Mundharmonika eingeschossen hat.

Ich glaube, man darf sich nicht zu früh und nicht zu starr festlegen, sondern muss die Atmosphäre im Kopf behalten und sich überlegen, wo der Song hingehen soll. Was will man am Ende damit ausdrücken? Von da an ist es ein Herantasten, mit welchem Instrument man das am besten einfangen kann.

Zusätzlich ist es immer auch eine Frage, was man realisieren kann: Ob man jemanden auftreiben kann, der dieses Instrument spielt. Es war beispielsweise auch nicht so ganz einfach, die Bläser für „ephemer“ zusammenzubekommen. Es kostete mich tatsächlich sogar das eine oder andere graue Haar. Wir arbeiteten nämlich erst mit anderen Musiker:innen aus einer Art Orchester, aber sie konnten unsere Vision einfach nicht umsetzen. Das waren beileibe keine schlechten Musiker, verstanden aber einfach das Konzept nicht. Ich war sogar zwischenzeitlich kurz davor alles hinzuschmeißen.

Schlussendlich kamen wir durch Glück und Kontakte an die jetzigen Jungs, die völlig bereit waren, sich auf den Song einzulassen, obwohl sie eigentlich in anderen Genres unterwegs sind. Sie verstanden, dass man die Musik trotzdem ernstnehmen muss, um sie umsetzen zu können. Das war dann arbeiten auf einem ganz anderen Level.

“[…] die Texte [sind] bei uns weit mehr als bloße Grundlage dafür, dass jemand schreien kann.”

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Ex-NEBELKRÄHE-Bassist Kar steuerte auch Texte für “ephemer” bei.

Das Ergebnis spricht dann auch für sich. Du hast „Kranichträume“ bereits erwähnt. Beim Lesen des Textes habe ich mir gedacht, dass er auch alleine für sich als Gedicht stehen könnte. Ist es bei euch auch mal so, dass der Text sogar vor der Musik kommt?

(überlegt) Auch da muss ich kurz nachdenken, weil es zum Teil schon so lange zurückliegt und ich dir keinen Quatsch erzählen will. Ich würde sagen ja und nein. Einige Texte sind von mir und die anderen von unserem ehemaligen Bassisten [Kar – Anm. d. Verf.].

Oft sind die Texte schon für sich genommen entstanden. Man hat zunächst ein Thema, über das man schreibt, bis zu einem gewissen Zeitpunkt dann die Musik dazukommt. Das kann auch ganz früh sein, wenn man beispielsweise nur ein paar Riffs hat. Manchmal ist auch beides individuell entstanden: Man hat einen fertigen Text und einen eigentlich fertig geschriebenen Song. Um das unter einen Hut zu kriegen, muss man dann natürlich beides nochmal angehen. Teilweise sind natürlich auch Texte auf die Musik geschrieben.

Schlussendlich haben wir auch hier kein festgelegtes Konzept. Jeder Ansatz hat seinen Reiz. Du hast ja schon festgestellt, dass die Texte bei uns weit mehr sind als bloße Grundlage dafür, dass jemand schreien kann. Deshalb darf man sich meiner Meinung nach nicht allzu sehr limitieren: Wenn der Text noch eine Strophe braucht, muss man überlegen, ob der Song nicht noch länger werden kann.
Es muss nicht immer nur ein starres Songkonzept sein, in das der Text gezwängt wird.

Dementsprechend haben wir alles davon ausprobiert und gemacht. Die Vorgehensweise hängt immer vom jeweiligen Thema, Text und was du musikalisch aussagen willst ab.

Ich finde es interessant, dass ihr da recht offen an die Sache herangeht, weil es ja auch einige Bands gibt, wo die Musik immer zuerst steht und der Text erst im Anschluss geschrieben wird.

Ja, das ist sicherlich der „Standard“. Du schreibst deine Songs und dann bekommt sie der Sänger, der irgendetwas darauf texten soll. Wenn du das wirklich so – ich möchte fast sagen – plump machst, verschenkst du die Möglichkeit, dass du musikalisch auf den Text eingehst. Du kannst dann immer nur in eine Richtung denken: Jetzt kommt ein ruhiger Part, also muss die Stimmung im Text dazu passen. Aber manchmal hast du eine viel bessere Dramaturgie im Text selbst, wo du dann weißt, dass es eigentlich rabiat werden müsste. Also warum nicht den Song so schreiben, dass an dieser Stelle der Einsatz knallt?

Das steht bei uns immer ganz oben, egal in welcher Reihenfolge wir etwas schreiben: Der Song muss an jeder Stelle die Atmosphäre vermitteln, die der Text zu diesem Zeitpunkt hat. Wenn der Text gerade aggressiv ist, muss der Song auch ballern. Wenn er aber getragen, pathetisch oder traurig ist, muss sich das auch in der Musik wiederfinden. Alles andere ist Unsinn. In welcher Reihenfolge man das beim Songschreiben erreicht, ist schlussendlich egal. Ich denke aber, dass es einfacher ist, wenn man in beide Richtungen offen ist.

Das kann man meiner Meinung nach auf „ephemer“ auch deutlich hören. Zu „Kranichträume“ habt ihr auf den Färöer-Inseln auch ein Video gedreht (Link zu YouTube), was zumindest mir auch ein paar nostalgische Erinnerungen entlocken konnte, da ich dort auch schon im Urlaub war. War es eher eine spontane Entscheidung, dort ein bisschen Filmmaterial für ein potenzielles Musikvideo zu drehen oder war das von vornherein das Ziel?

Natürlich nimmt man das Bühnenoutfit nicht spontan in den Urlaub mit. Wir hatten die Idee schon im Hinterkopf, aber es war letztendlich ziemlich ungerichtet. Wenn man schon mal dort ist und einen Song hat, wozu die Bilder passen würden, dann überlegt man schon, was man daraus machen kann. Aber es ist weit weg von jeder Professionalität und ein ganz anderes Level als das Video zur zweiten Single „Nielandsmann“ (Link zu YouTube). Ich denke aber, dass es nichtsdestoweniger die Stimmung des Songs gut einfängt.

Grundsätzlich geht es in dem Video mehr um die Atmosphäre als um Storytelling. Es ist nicht mit dem allergrößten Aufwand und zudem mit wenig Erfahrung gedreht, was man sicherlich auch sieht.

Ich finde gar nicht, dass man sich dafür rechtfertigen muss! Es ist ein schöner, atmosphärischer Clip, der zum Song passt. Die Färöer eignen sich dafür auch perfekt.

Ja, auf jeden Fall!

Hast du denn auch irgendwelche Tipps, was man dort unbedingt gesehen oder gemacht haben muss?

Einfach mit offenen Augen herumfahren, weil es dort eigentlich immer in irgendeiner Weise spektakulär und schön ist – nicht nur bei den Touri-Spots. Wobei die kleine Insel Mykines mit der Papageientaucherkolonie ein ganz besonderes Erlebnis war. Das kann ich jedem nur empfehlen, der sich ein wenig für Natur…oder Seevögel interessiert. (beide lachen)

“Dieses Foto riss mich atmosphärisch […] so mit, dass mir sofort klar war, dass es das perfekte Cover für ‘ephemer’ sein würde.”

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“ephemer”-Cover – Fotografie von Josef Beyer.

Da kann ich nur zustimmen, ein sehr schöner Fleck! Wir haben es vorher schon gehört: Gerade die Ästhetik scheint überhaupt eine wichtige Rolle für die Band zu spielen. Dezent gehaltenes Corpsepaint, überlegte Outfits, die zwischen Nostalgie und Tradition sitzen, und nicht zuletzt die immer wiederkehrenden Seifenblasen als Sinnbild für „ephemer“. Wie wichtig ist das richtige Auftreten für NEBELKRÄHE?

Im Endeffekt hast du es schon selbst beantwortet: Es ist definitiv extrem wichtig und meiner Meinung nach nicht nur für uns. Eigentlich verschenkt jede Band Potenzial, wenn sie das nicht tut.
Ich meine damit nicht, dass man das immer auf einem Showlevel betreiben muss oder perfekt bis ins letzte Detail ausstaffiert sein muss – obwohl das auch schön sein kann. Ich finde, man sollte aber immer über das große Ganze nachdenken, zumindest wenn man atmosphärische Musik macht.
Klar, als Thrash oder Death Metal-Band gehst du in Jeans und dem Bandshirt, das du gerade trägst, auf die Bühne und rockst. Das ist auch cool und vollkommen okay! Trotzdem gibt es meiner Meinung nach auch in dem Bereich Bands, wo es mit dem entsprechenden Auftreten noch einmal einen Zacken cooler wäre – gerade, wenn die Formation ein gewisses Konzept hat, das man auf diese Weise auch optisch zum Ausdruck bringen könnte.

Gerade im Black Metal kommt es häufig vor, dass sich Bands Gedanken darüber machen. Das kann man dann teils übertrieben finden oder genau richtig – wie weit das gehen soll, ist immer eine persönliche Entscheidung. Dass sich eine Band überhaupt sichtbar Gedanken darüber gemacht hat, finde ich aber enorm wichtig.

Im Kontext dieses Albums war mir wichtig, dass alles zusammenpasst. Dass eben die Seifenblasen, die du schon angesprochen hast, nicht nur im Cover vorkommen, wo die Idee tatsächlich herkommt. Das Foto war quasi die Inspiration. Wir wollten das Motiv dann auch auf den Bandfotos und im Layout inklusive Vinylfarbe wiederfinden. Nur auf diese Weise bekommt man ein allumfassendes Konzept auf allen Ebenen ausgedrückt.

Dann hat euch also die Fotografie zur Idee mit den Seifenblasen geführt. Ich habe mich schon gefragt, was zuerst da war: die Seifenblasen als Sinnbild oder eben das Foto.

Die Fotografie war ein „Zufallsfund“ sozusagen. Der Fotograf ist ein guter Freund von mir und dieses Bild tauchte eines Tages in meiner Facebook-Timeline auf. Ich weiß gar nicht mehr, ob es eine oder zwei Minuten dauerte, bis ich ihn anschrieb und ihn fragte, ob er mir dieses Foto reservieren kann. (lacht)

Das ist auch schon viele, viele Jahre her und er stellte das Ganze trotzdem nie in Frage. Das hat mich sehr gefreut, weil die beiden Fotos – auf der Rückseite ist ein weiteres zu sehen – sicherlich auch anderweitig hätten Verwendung finden können. Dieses Foto riss mich atmosphärisch in dieser Sekunde so mit, dass mir sofort klar war, dass es das perfekte Cover für „ephemer“ sein würde. Dabei existierte das Album zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in vollem Umfang.

Darüber hinaus hat uns die Aufnahme auch wahnsinnig inspiriert: Der Text des Titelstücks dreht sich um dieses Bild und drückt ein Szenario aus, das dieses Motiv für mich abbilden könnte. Es ist bestimmt nicht das, was wirklich passiert ist – das war sicherlich ein lustiger Nachmittag in Portugal. Aber wenn man ein wenig an den Farben spielt, kann es auch ganz andere Gefühle wecken. Man sieht dort diese Vergänglichkeit des Moments. Die Grenzen, welche Emotionen das Bild transportiert, sind hier fließend. Das fand ich wahnsinnig faszinierend.

Darüber hat dann alles andere zueinandergefunden. Die exakte Reihenfolge, in der alles an seinen Platz fiel, kann ich zwar nicht mehr rekonstruieren, aber als das Bild da war, merkten wir, dass die Texte ebenfalls alle in eine ähnliche Richtung gingen. Durch ein Brainstorming kamen wir dann zum Albumtitel, es folgte der Text zum Titelstück und auf diese Weise hat sich im Entstehungsprozess alles miteinander verzahnt.

Für mich ist das spannend zu hören, wie sich dann doch alles Stück für Stück ineinanderfügt. Es zeigt auch, wie viele Gedanken ihr euch darüber macht. Du hast vorhin auch erwähnt, dass du in mancher Hinsicht ein „Kontrollfreak“ und „Perfektionist“ bist. Wie viel Zeit geht denn für die letzten zehn Prozent drauf, damit ihr zufrieden seid?

(lacht) Das geht ja schon vor den letzten zehn Prozent los! (beide lachen) Es gibt ja Menschen, die in zwei Wochen ein Album schreiben und dann zufrieden sind – oder eben im festen Zwei-Jahres-Rhythmus. Ich würde das nervlich gar nicht durchstehen, weil ich teilweise über Tage oder Wochen an einzelnen Takten hänge und massiv frustriert bin, weil etwa der Übergang nicht funktioniert oder die Atmosphäre noch nicht dem entspricht, was ich mir vorgestellt habe.

Für mich ist Songwriting teilweise ein extrem zehrender Trial-and-Error-Prozess, bei dem ich lange dasitze und Noten durch die Gegend schiebe – sei es mit Gitarre in der Hand oder am Rechner. Das geht dann so lange, bis das Ergebnis exakt passt – nur weiß ich oft vorher nicht, was am Ende genau dastehen soll. Es endet dann oft in einem munteren Ratespiel und Rumprobieren. Songwriting ist nichts, was ich mal eben nebenher mache oder was schnell gehen muss. Dementsprechend sind bereits die ersten 90% enorm viel Arbeit.

Und dann kommen erst diese berüchtigten letzten Prozent, die im Verhältnis natürlich nochmal mehr ausmachen. Das gilt für alles, nicht nur fürs Songwriting: Im Homerecording ohne Supervisor aufzunehmen bedeutet auch, dass du selbst entscheiden musst, wann ein Song fertig ist. Das ist eine Herausforderung, wenn du so akribisch arbeitest, wie ich es tue (lacht). Meine Frau ist zwischendrin fast verrückt geworden, weil ich an manchen Parts Abende lang gesessen bin und teilweise einzelne Tönen feinjustiert habe.

Den Punkt zu finden, an dem man es gut sein lässt, ist also gar nicht so einfach, gerade wenn du niemanden in der Rolle hast, der dir dann einen Riegel vorschiebt. Dann kommen noch die ganzen Zusatzspielereien, die man möglicherweise noch dazu packen könnte. Im Studio beim Sound ist es dann das Gleiche. Die zehn Jahre Entstehungszeit kommen schon auch nicht von ungefähr. (beide lachen)

Es steckt definitiv in allem viel Arbeit. Was glaubst du, wie oft bei den Texten einzelne Wörter herumgeschoben wurden, nur um am nächsten Tag wieder alles rückgängig zu machen?

Ich glaube aber, das Resultat ist es dann auch wert. Manchmal denke ich mir, wenn mehr Bands auf diese Weise arbeiten würden, hätten wir vielleicht insgesamt weniger, aber dafür bessere Musik. Ohne natürlich irgendwem etwas unterstellen zu wollen, kommt es mir so vor, als ob manche professionelle Band oft aus finanziellen Zwängen einfach regelmäßig ein Album veröffentlicht, obwohl es das vielleicht gar nicht gebraucht hätte.

“Ich würde dieses Album wirklich sehr gerne live präsentieren […]”

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NEBELKRÄHE live: Gitarrist Morg und Sänger umbrA (v.r.n.l.) – Foto: Afra Gethöffer-Grütz

Oder eben einfach nur aus Gründen der geistigen Gesundheit, was ich gerade so höre (beide lachen). Aber jetzt wo alles fertig ist, fühlt es sich ja sicher befreiend an und das neue Material will natürlich auch live gespielt werden. Ihr habt am 29. Dezember 2023 im Backstage in München ein Release-Konzert geplant. Darf man etwas Besonderes erwarten? Wird man bei dem Anlass beispielsweise auch das eine oder andere zusätzliche Instrument live hören können? DISILLUSION machen das ja beispielsweise manchmal mit Cello und Horn.

Allein, dass es unsere erste Show seit sechs Jahren ist, dürfte spannend genug sein (lacht). Genau aus diesem Grund halten wir es basal. Wir haben ein über einstündiges Set einstudiert und mit zusätzlichen Gästen wäre das schlicht zu aufwändig und komplex.

In der Vergangenheit haben wir tatsächlich schon mal live mit Cello oder zusätzlichem weiblichen Gesang gearbeitet, aber diese „unbekannte Komponente“ bedeutet zugleich immer noch ein zusätzliches Stresslevel. Ehrlich gesagt will ich im Rahmen dieser Show auch niemanden auf der Bühne haben, der nicht zur Band gehört.

Schlussendlich sind alle Songs so geschrieben, dass sie auch ohne diese Elemente funktionieren. Einzig bei „Nielandsmann“ werden wir aller Voraussicht nach mit einem Backing Track arbeiten, weil die Bläser für den Song wichtig sind. Im Großen und Ganzen finde ich es aber total dämlich, wenn du jeden Song nur mit Click spielen kannst, weil irgendwo noch eine Fanfare kommt, die genau an dieser einen Stelle sein muss. Dementsprechend achten wir beim Songwriting bereits darauf, dass man die Stücke zu fünft live umsetzen kann.

Alles andere ist die Spielerei fürs Album und hat live nicht notwendigerweise etwas verloren. Weder durch zusätzliche Instrumentierung auf der Bühne, weil das oft nicht so cool wird, wie man es sich im Kopf ausgemalt hat, noch mit überflüssig vielen Backing Tracks. Das hat dann mit Metal auch nicht mehr viel zu tun.

…und am Ende kannst du nicht auftreten, weil der Laptop nicht funktioniert.

Genau sowas, ja! Oder die Pausen zwischen den Songs sind fest durchgetaktet, weil du einen einzigen Track laufen lässt – das habe ich auch neulich gesehen.

Aber du hast schon Recht: Warum sich nicht erstmal langsam wieder reintasten. Sind denn für 2024 noch mehr Konzerte in Aussicht?

Ich wünschte, es wäre so. (lacht) Ich weiß nicht, ob es mir nur so vorkommt, aber gefühlt ist es wahnsinnig viel schwieriger geworden, an Konzerte zu kommen. Seit der Pandemie ist, wie wir wissen, alles teurer geworden: Produktionskosten, Hallenmieten usw.

Viele Shows selbst veranstalten kommt auf unserem Level somit aktuell nicht in Frage, da wir nicht jeden Abend das Risiko eingehen können, vierstellige Beträge zu investieren und dann auf Zuschauer:innen zu hoffen. Du siehst nach wie vor bei Underground- und mittelgroßen Bands, dass Shows aufgrund schwacher Vorverkaufszahlen abgesagt werden. Solange man sich nicht auf vernünftige Zahlen im Vorverkauf verlassen kann, kann man solche Dinge einfach nicht durchziehen.
Alles, was über Selbstveranstalten hinausgeht, ist – so blöd es klingt – ein großer „Konkurrenzkampf“, weil das Angebot nicht da ist. Gefühlt sind gerade diese kleineren Events am Abend weggebrochen. Es gibt nach wie vor die großen Festivals und die mehrtägigen Indoor-Festivals, aber dafür braucht man einen gewissen Bekanntheitsgrad. Nach zehn Jahren seit dem letzten Album fangen wir aber wieder bei null an – da brauchen wir gar nicht diskutieren.

Was verschwunden ist, sind die Leute, die einfach aus persönlichem Antrieb oder Lust an der Sache Shows veranstalten, indem sie drei bis vier Bands buchen, die sie selbst gut finden. Viele unserer Konzerte in der Vergangenheit basierten auf diesem Konzept und scheinbar gibt es das aktuell nicht mehr. Ob das an den Clubs selbst liegt oder dass diese Leute ihrerseits das finanzielle Risko nicht mehr eingehen können, kann ich nicht sagen. Es ist jedenfalls wahnsinnig schwierig geworden.

Deshalb haben wir außer dieser einen Show aktuell nichts in Aussicht. Wer uns live sehen will, muss also entweder im Dezember nach München kommen oder jemanden dazu bewegen, uns zu buchen. Wir sind für alles zu haben! (lacht) Ich würde dieses Album wirklich sehr gerne live präsentieren, auch weil man die Leute auf diese Weise direkt erreicht und mit ihnen sprechen kann. Ich schätze das auch sehr! Ich selbst bin aber leider einfach keine Booking Agentur und habe nicht die Zeit, mich um all die Organisation selbst zu kümmern. Das ist traurig, aber wahr.

“Hinter dem Ganzen steckt auch im Underground und gerade für kleine Bands enorm viel Kohle.”

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NEBELKRÄHE live: Gitarrist Morg – Foto: Afra Gethöffer-Grütz

…und auch absolut verständlich! Drücken wir mal die Daumen, dass sich mit dem Album-Release auch in der Hinsicht was tut. Wir haben es fast geschafft, es gibt nur eine Frage, die ich noch stellen muss, damit mir die Redaktion nicht den Kopf abreißt: Was ist dein Lieblingsdinosaurier?

(lacht) Als Vertreter von NEBELKRÄHE muss ich da ja eigentlich schon den Archaeopteryx nennen: Einfach mal Federn erfinden, wie cool ist das denn?

(lacht) Also selbst hier bleibst du dem Bandkonzept treu! Morg, vielen Dank für deine Zeit und die ausführlichen Antworten. Wie immer gehören die letzten Worte natürlich dir!

Ich habe das schon mehrfach so gehandhabt und werde auch diesmal wieder einen flammenden Appell für den Underground halten. Es ist ungemein wichtig, dass die Leute auch auf kleine Shows gehen oder ab und zu mal eine CD, Vinyl oder ein Shirt kaufen. Selbst wenn man sonst nur streamt: Macht das bei IRON MAIDEN oder METALLICA, aber wenn man weiter kleine Bands sehen will, muss man ihnen auch Geld zukommen lassen.

Hinter dem Ganzen steckt auch im Underground und gerade für kleine Bands enorm viel Kohle. Wenn aber gar nichts zurückkommt, überlegt man es sich am Ende doch zweimal. Das ist jetzt nicht rein auf uns bezogen, sondern es wäre generell schade, wenn wir zu einem Punkt kämen, an dem nur noch irgendwelche rich kids mit reichen Eltern Metal machen könnten, indem sie sich in Shows einkaufen und mit teuren Produzenten zusammenarbeiten.

Es geht gar nicht darum, jede Menge Kohle zu verdienen, sondern zumindest einen Bruchteil der Investition zurückzubekommen, um sie in das nächste Projekt zu stecken. Über Streaming kommt eben nichts bei den Künstlern an.

So sehr ich es eigentlich hasse, am Ende über Geld zu reden, ist es mir einfach ein Anliegen, dass die Leute darüber nachdenken. Alles kostet viel Geld: In Vinyl, CDs und auch der Musik an sich stecken tausende Euro. Wenn wir wollen, dass es irgendwann auch weiterhin große Bands gibt, müssen wir auch die kleinen supporten, weil die Großen auch alle mal klein waren. Das klingt total platt, ist aber einfach so.

Wenn am Ende kein Geld zurückfließt, wird ganz viel wegbrechen, da alles teurer wird: die Proberäume, das Equipment, die Produktion, Gigs. Es wäre extrem schade, wenn das alles nicht mehr existieren würde. Und dann wäre es zu spät.

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