Beweisen müssen IN EXTREMO sicherlich nichts mehr: Seit über 20 Jahren durchgehend auf dem Treppchen der deutschen Albumcharts, davon viermal gar an der Spitze. Natürlich schnuppert man da irgendwann Höhenluft und weil die Freiheit über den Wolken bekanntlich grenzenlos sein soll, befördern die Spielleute die Dinger kurzerhand zur Seite. Zumindest im übertragenen Sinn, denn mit dem „Wolkenschieber“ besingen die Spielleute zum Auftakt keinen magischen Akt, sondern eine hochprozentige Eigenkreation, deren Wirkung jedoch die gleiche ist.
Das Glück schmieden sich IN EXTREMO in der Folge selbst – mit locker trottendem Rhythmus, bratenden Gitarren und dem Schalk im Nacken. So haben wir das Sextett seinerzeit kennengelernt und so pflegt es auch heute noch sein Selbstverständnis: Vom Rock-Debüt „Weckt die Toten!“ (1998) bis zur gleichnamigen Single, die auf „Wolkenschieber“ nun mit einem Feature von Henry Rauhbein (RAUHBEIN) aufpoliert wurde. Rotzig und ungezügelt wie eh und je präsentiert sich die Formation hier, ohne allerdings die eingängigen Schalmei-Spitzen oder die zarten Harfenklänge als Gegenpol zu vergessen.
Gefühl, klassischer Mittelalter Rock und einige Gastbeiträge: IN EXTREMO schöpfen auf “Wolkenschieber” aus dem Vollen
Den eigenen Anfängen wiederum gedenkt das tanzbare „Ólafur“ in isländischer Sprache, bevor die gefühlvolle Ballade “Feine Seele” einen wehmütigen Blick in die Vergangenheit wagt. Von Verlust und Trauer erzählt Sänger Michael Rhein in ehrlicher und ungeschönter Weise, während Oliver SaTyr (FAUN) die Nyckelharpa bedient. Der Adressat bleibt ungenannt, doch schlägt das charakteristische Instrument natürlich unweigerlich eine Brücke zum 2022 verstorbenen Ex-Mitglied Yellow Pfeiffer.
Zwischen Gefühl und klassischem Mittelalter Rock bleibt wenig Platz für Experimente, den IN EXTREMO dafür ohne Scheu zum Risiko nutzen: Ein kurzer Hardstyle-Break in „Katzengold“ erinnert an ELECTRIC CALLBOY, wohingegen JOACHIM WITTs pathetische Erzählstimme in „Des Wahnsinns fette Beute“ zielsicher und mehr noch ins Mark trifft als die orchestrale Begleitung. Weniger Eindruck hinterlässt derweil der Gastbeitrag Björn Boths (SANTIANO), der dem Malen-nach-Zahlen-Charakter von „Unser Lied“ leider keinerlei Mehrwert beschert.
Nicht jede Idee zündet, doch IN EXTREMO beweisen dennoch Konstanz
Sattes Metal-Riffing mit ganz dezentem Thrash-Einschlag verbindet „Blutmond“ mit einem schmissigen Refrain, bevor „Geschenkt ist geschenkt“ ähnlich rockig-eingängige Melodien mit Hackbrett und Marktmusik-Interlude anreichert. Ihr Handwerk verstehen IN EXTREMO also auch auf „Wolkenschieber“ noch ganz ausgezeichnet, obgleich nicht jede Idee in gleichem Maß zünden mag („Aus Leben gemacht“) und auch die großen Hits diesmal Mangelware sind.
Eine Folge der dünnen Luft ganz oben? Wohl kaum, denn wer seit zwei Dekaden an der Spitze und mit bemerkenswerter Konstanz mitmischt, hat darüber hinaus noch ganz andere Qualitäten vorzuweisen. Beweisen müssen uns IN EXTREMO das sicherlich nicht mehr – dass sie es mit dem durch und durch ungezwungenen „Wolkenschieber“ trotzdem tun, spricht eine deutliche Sprache, wo wir die Spielleute in ihrem bald anbrechenden vierten Jahrzehnt finden werden: nicht unter dem Meer, sondern mit ausgestreckten Armen weit über den Wolken.
Veröffentlichungstermin: 13.09.2024
Spielzeit: 46:20
Line-Up
Michael Robert Rhein – Gesang, Cister
Kay Lutter – Bass
Sebastian Lange –Gitarren, Gesang
Marco Zorzytzky – Dudelsack, Uillean Pipe, Drehleier
André Strugala – Harfe, Pommer
Florian Speckardt – Drums
Label: Vertigo Records
Homepage: https://www.inextremo.de/
Facebook: https://www.facebook.com/officialinextremo
Instagram: https://www.instagram.com/inextremo_official/
IN EXTREMO “Wolkenschieber” Tracklist
- Wolkenschieber (Video bei YouTube)
- Weckt die Toten (Video bei YouTube)
- Katzengold
- Ólafur (Audio-Stream)
- Unser Lied
- Feine Seele (Video bei YouTube)
- Blutmond
- Des Wahnsinns Fette Beute
- Geschenkt ist Geschenkt
- Aus Leben gemacht
- Komm lass die Welt sich weiterdrehen
- Terra Mater