Ein noch fehlendes Puzzleteil nannte Ezra Haynes seine erste Europatour, die er mit ALLEGAEON im Jahr 2022 spielte. Dass der Ur-Sänger nach der Trennung von Riley McShane in die Bresche sprang, war somit durchaus logisch. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten, war das Ausmaß der Lücke in Haynes‘ Vita. Denn aus ein paar Wochen auf Tour wurden schnell zweieinhalb Jahre, die nun in „The Ossuary Lens“ gipfeln. Eine Rückkehr zu alten Werten ist die siebte Studioplatte aber nur in Teilen, denn die Entwicklung der vergangenen Dekade, welche progressive Anleihen und sogar Klargesang zunehmend in den Fokus rückte, wird keineswegs über die Planke gejagt.
Was ALLEGAEON aber offenbar am Herzen liegt, ist eine Verschmelzung ihrer Schaffensperioden: „The Ossuary Lens“ bleibt technisch und fordernd, dabei aber immer noch so melodisch wie zu Anfangstagen. Die Reminiszenzen an das Debüt „Fragments Of Form And Function“ (2010) oder das Drittwerk „Elements Of The Infinite“ (2014) beschränken sich nicht auf Ezra Haynes‘ ruppige, doch klar artikulierte Growls, obwohl sie natürlich ihren Beitrag zum unverkennbaren Profil beitragen.
ALLEGAEON bewahren sich auf „The Ossuary Lens“ den Drive, der noch jedes Album der Band zum Highlight gemacht hat
Besonders „Dark Matter Dynamics“ kehrt nach dem akustischen Auftakt zu Rhythmik, Riffing und Lead-Arbeit der Anfangstage zurück, als hätten ALLEGAEON für sechs Minuten die Zeitmaschine angeworfen. Melodic Tech Death ohne Scheuklappen gibt es dagegen in „Driftwood“ und „Wake Circling Above“, wo der Frontmann erstmals in seiner Karriere selbst klar gesungene Passagen einstreut, die wir zuvor eigentlich nur aus der Ära seines unmittelbaren Nachfolgers bzw. Vorgängers kannten. Klug über das komplette Album gestreut sorgt das Stilmittel für zusätzliche Tiefe, ohne „The Ossuary Lens“ zu verwässern. Eindringlich und rastlos präsentiert sich derweil „The Swarm“, wo ALLEGAEON jeglicher Epik den Rücken kehren, um zwischendurch unerbittlich drauflos zu holzen.
Da sich die US-Amerikaner weder auf eine festgefahrene Vorgehensweise versteifen noch die Lehren der jüngeren Vergangenheit für einen kurzsichtigen Nostalgietrip opfern, bewahrt sich „The Ossuary Lens“ den Drive, der noch jedes Studioalbum der Band zu einem kleinen Highlight gemacht hat. Symphonische Elemente verwenden ALLEGAEON akzentuiert, balancieren in „Dies Irae“ Fingerfertigkeit mit blankem Furor und weben in „Carried By Delusion“ filigrane Konzertgitarren in ihren mächtigen Soundwall.
Dass das alles im Kosmos des Quintetts wenig revolutionär erscheint, ist dem Gesamtbild kaum abträglich. Den Spitzenplatz in der eigenen Diskografie sichert sich „The Ossuary Lens“ zwar nicht, repräsentiert aber dennoch ein durchaus ansehnliches Teil im großen ALLEGAEON-Puzzle, für dessen Komplettierung sich Rückkehrer Ezra Haynes gerne noch ein paar zusätzliche Teile zusammensuchen darf.
Veröffentlichungstermin: 04.04.2025
Spielzeit: 46:26
Line-Up
Ezra Haynes – vocals
Greg Burgess – lead guitar
Michael Stancel – lead guitar
Brandon Michael – bass
Jeff Saltzman – drums
Produziert von Dave Otero
Label: Metal Blade
Facebook: https://www.facebook.com/Allegaeon
Instagram: https://www.instagram.com/allegaeonofficial
Bandcamp: https://allegaeon.bandcamp.com
ALLEGAEON “The Ossuary Lens” Tracklist
01. Refraction
02. Chaos Theory
03. Driftwood (Video bei YouTube)
04. Dies Irae
05. The Swarm (Video bei YouTube)
06. Carried by Delusion
07. Dark Matter Dynamics (feat. Adrian Bellue)
08. Imperial
09. Wake Circling Above
10. Scythe