Kürzlich meldeten sich die Obergrantler NAILS nach längerer Auszeit zurück und trotz ihrer ganzen Wut und ihrer punkigen Assimäßigkeit, gehören sie nicht zu den Heavisten im Gitarrenbusiness. Übrigens auch nicht die am anderen Ende der Geschwindigkeitsskala rangierenden PRIMITIVE MAN. Um „unter die Haut gehend heavy“ zu sein, braucht es keine Blast Beats, keine Stierhormone, keine 10 Songs in 18 Minuten. Na klar, es braucht Authentizität – und das ist doch alles, was von Bedeutung ist, richtig? Diese Authentizität verinnerlichen anno 2024 im Bereich der extremen Musik nicht mehr ganz so viele – oder liegt es am Verfasser, dem als Ü40-Mann die Natur vielleicht schon ein wenig die Testosteronproduktion nach unten geregelt hat. Aber hier soll es um Authentizität gehen, und wer Heaviness erschafft, braucht manchmal nicht mal arg verzerrte Gitarren, geschweige denn musikalische Extremität.
„Perfect Light“, das dritte Album von Patrick Walkers Band 40 WATT SUN, war das perfekte Beispiel dafür. Die Subtilität des Openers „Reveal“ raubt auch zweieinhalb Jahre später noch den Atem, und im falschen – oder richtigen – Moment gehört, weint man die wundervollsten Tränen dazu, die ein Körper produzieren kann. Dass mit dem vierten Album „Little Weight“ nun schon im Titel eine Abgrenzung zur Doom Metal-Vergangenheit Walkers stattfindet, führt ein wenig auf die falsche Fährte. „Perfect Light“ kam über weite Strecken ohne Verzerrung und nahezu ohne Bandbegleitung aus, „Little Weight“ führt in Sachen Volumen und Stil den Weg von „Wider Than The Sky“ fort, gepaart mit der neu gefundenen Kompaktheit des letzten Albums.
„Little Weight“ zeigt 40 WATT SUN wieder mehr als Band – das vierte Album der Briten ist mehr als Patrick Walkers Semisoloalbum.
Immerhin: Patrick Walker, der sich schon zu WARNING-Zeiten von Lästermäulern vorwerfen lassen musste, ein Jammerlappen zu sein, braucht sich nicht zu sorgen, sein Standing in der Metal-Szene zu verlieren. Sollte es jemand noch nicht mitbekommen haben, hier nochmal: Walker kehrte dem Doom in seiner reinen, britischen Pathosform schon längst den Rücken zu. 40 WATT SUN befinden sich so gekonnt zwischen den Stühlen, dass sie auch nicht im Progrock, nicht im Alternative Rock und nicht in der Singer Songwriter-Szene zu Hause sind, und doch werden sie von Hörer*innen dieser Genres geliebt, die es authentisch emotional mögen.
Auch wenn man also im Vorfeld nicht genau weiß, wie „Little Weight“ klingen mag, die Aura, die Melancholie, das Pathos, das eben nur Walker zu schreiben und performen vermag, durchströmt auch dieses Album. Böse Überraschungen sind somit ausgeschlossen. Richtig? Nun, die erste Single „Closer To Life“ hinterlässt leider die Frage, ob nur zweieinhalb Jahre zwischen zwei 40 WATT SUN-Alben nicht zu wenig ist. Das blasse Stück plätschert über weite Strecken vor sich hin, wie auf Benzos, packt emotional kaum zu und kann keine nennenswerte Steigerung im Songverlauf erkennen lassen.
Große Gefühle, herzzerreißende Momente, aber auch ein blasses Stück: „Little Weight“ hat viel Licht und etwas Schatten.
Wie gut, dass auf „Little Weight“ kein weiterer Ausfall steht, und wie gut, dass 40 WATT SUN diesen Song so im Albumkonstrukt einbauen, dass er nicht zu sehr stört. „Little Weight“ hat nämlich einige magische Momente zu bieten. Zwar reißen die Songs nicht das Herz heraus, wie seinerzeit „Beyond You“, aber der geerdete Patrick Walker, der seit „Perfect Light“ irgendwie angekommen und mit der Welt halbwegs im Reinen zu sein scheint, schafft es, die Melancholie aus allen Poren strömen zu lassen. Nur ist sie nicht mehr so niederschmetternd wie früher, als einem „Watching From A Distance“ ohne Vorwarnung den Boden unter den Füßen wegzog.
„Pour Your Love“ leitet mit achteinhalb Minuten „Little Weight“ ein und ist so feinfühlig, wie der Titel es vermuten lässt. Ein Liebeslied, das ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, bei dem es egal ist, dass es kaum Variation bei den Riffs, beim Rhythmus und der Melodie gibt, bei dem einfach achteinhalb Minuten lang Patrick Walkers emotionale Stimme im Zentrum steht und ein warmes, zugewandtes Gefühl erzeugt. Nach so einem großen Auftakt hat es „Half A World Away“ schwer, zumal dieser Song ähnlich wie „Closer To Life“ zu wenig zupackt. Immerhin: Hier gibt es etwas mehr Dynamik und Drama, und auch ein starkes Finale.
Patrick Walker scheint angekommen: 40 WATT SUNs Musik ist nicht mehr so emotional niederschmetternd wie früher. „Little Weight“ ist dennoch intensiv.
40 WATT SUN erzeugen gerade in den leisen Momenten und besonders beim gegen Ende schön sentimentalem „Feathers“ und dem bedrückenden „Astoria“ noch den einen oder anderen richtig großen Moment. Das wahre Highlight steht am Ende der Dreiviertelstunde: Das zehnminütige „The Undivided Truth“ fährt die Instrumentierung hoch, wirkt tatsächlich heavy und fährt mit großen Gesangslinien alles auf, was vielleicht in den ersten vier Songs zurvor zu kurz gekommen ist und kann dabei vielleicht sogar diejenigen Hörer von „The Inside Room“ versöhnen, denen 40 WATT SUN in der Folge zu brav waren. Es ist auch der warme Sound von Chris Fullard, durch den die Band klingt, als würde sie im eigenen Wohnzimmer neben dem imaginären Kamin spielen, der „Little Weight“ so heimelig werden lässt.
„Little Weight“ ist nicht das beste Album in der Karriere von 40 WATT SUN und nein, sie kommen nicht gegen PALLBEARER an, die als WARNING-Ultras dank „Mind Burns Alive“ mittlerweile ihren Vorbildern locker den Rang ablaufen. Und doch schafft es Patrick Walker wie kaum ein anderer Musiker, tief zu berühren und eine Aura von wohltuender Melancholie zu erschaffen. Gerade mit den Songs „Pour Your Love“, „Astoria“, „Feathers“ und „The Undivided Truth“ bietet das UK-Trio genau das, was man von ihnen erwarten darf, wenn auch in etwas weniger emotional niederschmetternd wie zu ihren intensivsten Zeiten. „Little Weight“ ist dabei ebenso erdig wie luftig, folgt einer stimmigen Dramaturgie, die auf unaufgeregte Art und Weise Abwechslung schafft und bietet trotz Minimalismus genug Raum zum Entdecken und sich langsam in die Musik zu verlieben. Und während man so vor sich hinschwelgt, ist es egal, was im Pit bei den vermeintlich krassen Bands abgeht. Sollen sich zu NAILS doch die jungen Leute zwischen 35 und 39 gegenseitig die Schädel einschlagen, das Ü40-Publikum sucht die Heaviness vielleicht doch lieber im Leisen.
Wertung: 4 von 6 überstandene Lebenskrisen
VÖ: 6. September 2024
Spielzeit: 45:25
Line-Up:
Patrick Walker – Guitar, Vocals
Andrew Prestige – Drums
Roland Scriver – Bass
Label: Fisher’s Folly
40 WATT SUN „Little Weight“ Tracklist:
1. Pour Your Love
2. Half A World Away (Official Audio bei Youtube)
3. Astoria
4. Feathers
5. Closer To Life (Official Audio bei Youtube)
6. The Undivided Truth
Mehr im Netz:
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