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PALLBEARER: Mind Burns Alive

Subtil, leidenschaftlich und abyssal: „Mind Burns Alive“ zeigt PALLBEARERs Variante des Doom Metal so vulnerabel, selbstbewusst und kraftvoll wie selten zuvor.

„Möge sich erfüllen, was begonnen wurde. Mögen Sie daran glauben und ihre Leidenschaften verlachen. Denn das, was sie Leidenschaften nennen, ist in Wahrheit nicht seelische Kraft, sondern die Reibung zwischen der Seele und der äußeren Welt. Und vor allem mögen sie an sich selbst glauben und hilflos werden wie Kinder. Denn Schwäche ist etwas Großes, und Stärke gering. Wenn der Mensch geboren wird, ist er schwach und biegsam. Wenn er stirbt, ist er fest und hart. Wenn ein Baum wächst, ist er zart und biegsam, aber wenn er trocken und starr wird, stirbt er. Härte und Stärke sind Gefährten des Todes. Biegsamkeit und Schwäche bekunden die Schwäche des Seins. Deshalb kann nichts siegen, was verhärtet ist.“ (Aus „Stalker“ von Andrej Tarkovskij)

Was ich oft vergesse: Wenn die Welt um einen herum immer härter und unerbittlicher zu werden scheint, ist selbst verhärten eine weitere Dosis Gift. Und schon ist der Teufelskreis in vollem Gange, Bitterkeit schleicht sich ins Leben ein, Tränen werden nicht geweint, der Körper scheint bei jeder Gelegenheit bersten zu wollen vor lauter Gefühlen, die da sind und negiert werden. Wie kann man da bestehen? Es waren PALLBEARER, die mich wieder an das obige, von Andreij Tarkowskij in betörende Bilder gegossene Prinzip erinnert haben. Denn mit „Mind Burns Alive“ leben sie Stärke durch Verletzlichkeit.

Ein Frontalangriff auf die Gefühlswelt: PALLBEARERs fünftes Album „Mind Burns Alive“ ist selbstbewusst in Melancholie und Aggression.

Hey, mir egal, dass das klingt wie ein schlimmes Klischee. PALLBEARER, die mit dem guten, aber nicht überragenden „Forgotten Days“ nach dem ergreifenden Doom Metal-Melodram „Heartless“ ein wenig vom Weg abgekommen sind, zielen jetzt wieder auf die Gefühlsebene ab. Etwas, das ihnen sowieso immer am besten stand. Mit knackigen Riffs und den kurzen Songs des 2020er Albums blieben PALLBEARER etwas blass, ihre Stärke, die Melancholie war zu sehr vergraben. Deshalb wirkt die vergleichsweise leise Seite, die das Quartett aus Arkansas auf „Mind Burns Alive“ zeigt, umso offensiver. Was wirkt wie ein Gegensatz, ist purer Mut.

Unter den sechs Songs ist kein Hit, schon gar kein beherzter Metalsong wie „Thorns“ oder „The Quicksand Of Existing“, aber Material, das PALLBEARER nahbar sein lässt. „Where The Light Fades“ beginnt sehr leise, unverzerrte Gitarren und Brett Campbells beinahe brüchige Stimme werden präsenter, aus Schmerz wird Stolz, wenn die Rhythmussektion hinzukommt, und das Stück arbeitet sich langsam, aber sicher hin zu einer Klimax. „Signals“ schlägt in dieselbe Kerbe, wirkt ein wenig balladesk, ist aber wieder so selbstbewusst melancholisch, dass es wirkt wie eine zärtliche Umarmung, gerade wegen des fast schon erlösenden Finales, das mit einem Hauch ANATHEMA-Flair (denke „Judgement“), außerordentlich berührend geraten ist.

PALLBEARER loten die Extreme aus: „Mind Burns Alive“ geht unter die Haut – egal ob laut oder leise.

Die Riffs im Titelsong sind im Gegensatz dazu voluminös und wuchtig, in der Strophe wird es wieder leise und intim, und am Ende melodiös, wuchtig und feierlich. Wenn PALLBEARER über eine Selbstauflösung singen, tun sie es mit beachtlicher Präsenz. Dieser Kontrast wirkt auch im zehnminütigen „Endless Place“, das wie eine Reise durch Isolation, schwermütig beginnt, in einen bedrückenden Abgrund führt, den man nur übersteht, weil ein guter Freund dabei ist. Ein wenig lichten sich die Wolken im spannungsgeladenen Finale mit schönem Saxophoneinsatz und simplen, aber gut in Szene gesetzten Leadgitarren. Heavier wird es nur noch mit dem abschließenden „With Disease“ – ein bitteres, überraschend brachiales Finale für ein subtiles Album, wie der Blick in ein abyssales Nichts.

Zärtlich und abgründig zugleich zeigen PALLBEARER auf „Mind Burns Alive“, das, was sie am besten können: Sie berühren mit ihren Songs, gehen in die Tiefe und liefern das, was „Heartless“ angedeutet hat: Große Momente, ohne im Pathos zu ertrinken. Das gelingt auch, weil die Musiker ihre Egos zurückfahren und als Einheit agieren, um ihre Ideen vollumfänglich zur Geltung bringen. Das Riffing mag nicht so prägnant sein, wie auf früheren Alben, aber was PALLBEARER daraus machen, ist stellenweise gewaltig. Einer sticht dennoch heraus: Brett Campells Stimme ist mittlerweile sehr sicher und versiert, fern davon, weinerlich zu wirken.

Ein Lehrstück in Sachen emotionaler Musik: Auf „Mind Burns Alive“ zeigen PALLBEARER, was sie am besten können.

Und doch ist es Bassist Joseph Rowland, der mit dem leisen „Daybreak“ am allermeisten aus „Mind Burns Alive“ herausholt. PALLBEARER wenden hier mehr als nur eine ähnliche Formel wie mit „Where The Light Fades“ an, hier transformieren sie Schmerz in pure Anmut. Dieser Song, diese Heaviness in der zweiten Hälfte ist so verdammt gut, dass es mir wieder völlig egal ist, dass ich hier erneut ein Klischee bediene. PALLBEARER waren nie nahbarer, nie schöner, nie besser als in diesen sieben Minuten.

Doch auch über die gesamte Spieldauer von 50 Minuten leisten sich PALLBEARER so gut wie keine Schwächen. Sie sind ganz sie selbst, nicht zuletzt, weil „Mind Burns Alive“ ein selbstproduziertes Werk ist. Selbstbewusst gehen sie einen ähnlichen, nicht ganz so transformativen Weg, wie ihn 40 WATT SUN mit „Wider Than The Sky“ betreten haben. Mit einigen der besten Songs ihrer Karriere wird „Mind Burns Alive“ ein Album wie aus einem Guss, das sich wandelt, je öfter man es hört, das wächst, mal tröstlich und mal bedrückend ist. Eines, das aus dem Herzen kommt und zu Herzen geht, weil PALLBEARER begriffen haben, dass es die vermeintliche Schwäche ist, die stark werden lässt und dazu inspiriert, Verletzlichkeit zuzulassen. Getreu Tarkowskij sehen PALLBEARER und schauen nicht nur. Ihr bisher bestes Album? Vielleicht, oder sogar wahrscheinlich. Auf jeden Fall ganz, ganz großes Kino.

Wertung: 9 von 10 Picknicks am Wegesrand

VÖ: 17. Mai 2024

Spielzeit: 50:54

Line-Up:
Brett Campbell – Vocals, Guitar
Devin Holt – Guitar
Joseph D Rowland – Bass
Mark Lierly – Drums

Label: Nuclear Blast

PALLBEARER „Mind Burns Alive“ Tracklist:

1. Where The Light Fades (Official Music Video bei Youtube)
2. Mind Burns Alive
3. Signals
4. Endless Place (Official Music Video bei Youtube)
5. Daybreak
6. With Disease

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