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THEATRE OF TRAGEDY: Der Romantik Tod

Ade, schnödes Mittelalter, willkommen in der Gegenwart! THEATRE OF TRAGEDY haben die Schnauze voll von Shakespeare-Dramen und Gothic-Schwulst und versuchen sich nun auf ihrem neuen Album "Musique" an Elektro Metal zwischen Pop- und Industrialappeal. TOT-Drummer Hein Frode Hansen über die Hintergründe des Stilwandels und wie die Band VIVA zu knacken gedenkt…

Ade, schnödes Mittelalter, willkommen in der Gegenwart! THEATRE OF TRAGEDY haben die Schnauze voll von Shakespeare-Dramen und Gothic-Schwulst und versuchen sich nun auf ihrem neuen Album Musique an Elektro Metal zwischen Pop- und Industrialappeal. Schon auf Aegis gab es dezente Anklänge an das digitale Zeitalter, doch waren diese noch geschickt in die typische Band-Aura eingewoben, die trotz aller Weiterentwicklung stets warme Melancholie und mystische Tiefe ausströmte. Ein derart abrupter und radikaler Wandel THEATRE OF TRAGEDYs war also nicht abzusehen.

Hein Frode Hansen, Drummer der Band, bestätigt:

Ja, wir klingen wirklich VÖLLIG anders. Für uns beginnt ein neues Kapitel. Viele werden jetzt sagen, der Grund für unseren Stilwandel sei der Vertrag mit east/west und das Ganze hätte daher kommerzielle Beweggründe, aber wir haben mit den Aufnahmen zu Musique bereits November 1999 begonnen. Bei east/west haben wir jedoch erst vor drei Wochen unterschrieben. Es war also einzig und allein unsere Entscheidung! Wir wollten etwas Neues machen, denn wir können der Gothic Metal-Szene und ihrer Musik nichts mehr abgewinnen. Außerdem hat Tommy Olson (ex-Gitarrist – der Verf.) die Band verlassen, was sich sehr auf unseren Songwriting-Prozeß ausgewirkt hat. Wir haben neue Ansätze ausprobiert, an die wir uns früher noch nicht herangetraut haben und unser Sänger Raymond (Rohonyi – der Verf.) hat sich sehr ins Songwriting mit eingebracht und wir verwenden zahlreiche neue Klangelemente, mit denen wir bislang keine Erfahrungen hatten. Hätten wir ein weiteres Aegis oder Velvet Darkness They Fear aufgenommen, würden wir an dem Album keinen Gefallen finden können. Wir taten also, wonach uns war. Leider werden viele sagen: Das ist elektronisch, das gefällt mir nicht, ich mag keine elektronische Musik. Aber man kann immer noch THEATRE OF TRAGEDY heraus hören, unsere Melodien sind immer noch da, nur die Umsetzung ist eine andere.

Ich habe prinzipiell nicht die geringsten Probleme mit elektronischer Musik, mit dem Album allerdings schon. All die melancholische Wärme, die zumindest für mich immer wichtiger Teil eurer alten Songs war, ist nun elektronischer Kälte gewichen…

Da hast Du wohl irgendwie Recht. Aber das ist eben auch Teil der Richtung, in die wir gehen wollten. Denn die früheren Alben waren alle melancholischer, dunkler, atmosphärischer. Aber wir wollten härter und aggressiver klingen , ohne die schönen Momente außen vor zu lassen. Nun, wenn du sagst, daß es kalt klingt, kann ich das schon nachvollziehen. Aber dieses Album ist dasjenige, in das wir bislang am meisten Arbeit gesteckt haben. Wir haben jeden Song vier bis fünf Mal überarbeitet, denn wir waren nie zufrieden und haben immer wieder etwas Neues ausprobiert. Es war ein sehr langwieriger Prozeß. Die Songs waren im Oktober letzten Jahres fertig, dann haben wir sogleich mit der Vorproduktion begonnen und sind erst vor fünf Tagen mit dem Mastering fertig geworden (das Interview fand Anfang August statt – der Verf.). Wir haben also für dieses Album fast ein Jahr benötigt, haben viel Zeit und Energie investiert und sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Ich kann mir vorstellen, daß es sehr schwer war, sich das nötige Know-how anzueignen, um mit all der – für Euch neuen – Technik klarzukommen…

Ja, aber wir sind zurecht gekommen. Wir haben bei der Arbeit an den Songs dazu gelernt, haben viel experimentiert, hier und da mal ein Stück herausgenommen und daran gearbeitet. Die ganze Programmierung hat sehr lange gedauert, denn das hat nichts mit einer Dance-Programm an einem PC zu tun, die man für 100 Mark kaufen kann, bei denen man ein paar Loops aneinanderreiht und dann hat man einen Song. Wir haben alles komplett selbst programmiert und versucht, gute Sounds zu finden, die zum Material passen. Es dauert, bis man originelle Sounds zusammen hat und alles paßt.

Mein Eindruck ist allerdings, daß Ihr Euch übernommen habt und eine noch längere Phase der Auseinandersetzung mit elektronischer Klangerzeugung dem Album gut getan hätte. Ich denke, der Schritt kam zu früh oder war für diesen Zeitpunkt schlicht zu groß…

“THEATRENun, Raymond hat den Großteil des Programmings übernommen, und er hat, bevor wir an die Songs gegangen sind, schon ein Jahr mit all diesen Sachen gearbeitet, hat dagesessen und programmiert. Auch unser Produzent hat zum Programming beigetragen. Ich denke, wir kennen uns ganz gut mit all dem aus und haben versucht, Klänge zu verwenden, die nicht jeder einsetzt, und wir haben sehr viel verschiedene Variationen ausprobiert, bis wir das Album in der jetzigen Form hatten.

Werdet Ihr mit der Integration elektronischer Klänge noch weiter gehen?

Das kommt drauf an. Wenn wir wieder zu Hause sind, beginnen wir, an neuen Songs zu arbeiten. Wir haben schon drei oder vier Songfragmente, bei denen wir verschiedene Ideen ausprobieren. Aber die Zeit wird zeigen, wie es weiter geht. Wir machen das, was sich für uns im jeweiligen Moment gut anhört und treffen keine bewußte Entscheidung, wie ein Song zu klingen hat. Wir versuchen einfach herum. Wir haben keinen festen Plan, wie ein Album klingen wird, es muß uns nur gefallen.

Ich schätze, ein so weitreichender Stilbruch wird das gesamte Bandkonzept betreffen. Auch in Bezug auf Liveauftritte und Artwork…

Ja. Live werden wir immer noch einen Teil der älteren Sachen spielen, wir haben auch schon einen Auftritt in Belgien gehabt und da haben wir einen älteren Song quasi als Remix-Version gespielt, was zeigt, daß auch auf dem neuen Album immer noch die gleichen Melodien sind, allerdings neu umgesetzt (die Logik erschließt sich mir leider nicht ganz, meiner Ansicht nach hat sich auch die Melodieführung ziemlich gewandelt – der Verf.). Das Coverartwork wird natürlich moderner, urbaner ausfallen, nicht mehr dieser romantische Gothic-Stil. Als wir mit der Arbeit an den Songs begonnen haben und die ersten Ergebnisse anhörten wußten wir, daß das alles anders ist als bisher. Es war uns auch klar, daß wir einen Teil oder vielleicht sogar einen großen Teil der Fans verlieren werden, die wir bislang hatten, zum Beispiel die Anhänger des `Velvet Darkness They Fear`-Albums, denn ich denke, die meisten von ihnen stehen wohl nicht so sehr auf elektronische Sachen. Ich hoffe aber, daß sie sich das Album wenigstens anhören, und nicht nur einmal, sondern zwei oder dreimal, und vielleicht mögen sie es ja dann doch, weil sie sehen, daß es immer noch wir sind.

Da bin ich mir allerdings nicht so sicher. Ihr habt schließlich – anders als beispielsweise PARADISE LOST – ALLES abgeworfen, was bisher so typisch für Euch war. Auch das lyrische Konzept hat sich von Grund auf verändert…

Ja, das hat es. Dieser altenglische Stil hat zu den alten Alben gepaßt, aber zu der Musik die wir jetzt machen, würde es überhaupt nicht mehr passen. Wir wollten auch etwas machen, das mit Gegenwarts-Englisch funktioniert, mußten also das Konzept ändern und damit die Themen, über die wir schreiben.

Fiel es Eurem Gesangsduo schwer, die neuen Themen umzusetzen? Speziell Raymond klingt ja völlig anders als bisher…

Was Raymond angeht: Es war klar, daß weder das Growling noch die cleanen Vocals von `Aegis` zum neuen Material gepaßt hätten. Er hat sich in sein Heimstudio gesetzt und alles ausprobiert, was ihm gerade einfiel und er klingt jetzt wie eine Mischung aus Johnny Rotten und dem PRODIGY-Sänger. Auch von Liv sind ein paar sehr abwechslungsreiche Vocals auf dem Album, im Studio hat sie sehr ausgefallene Ansätze ausprobiert, damit alles etwas dynamischer wirkt und es nicht langweilig wird, immer die gleiche Engelsstimme zu hören. Inzwischen gibt es so viele Bands, die damit arbeiten, daß das unserer Meinung nach ausgereizt ist. Es würde auch nicht mehr zu unserer Musik passen.

Ihr scheint alles sehr konsequent durchziehen zu wollen…

Nun, letzten Sommer saßen wir zusammen und beschlossen, daß es für uns an der Zeit wäre, nicht nur vorzugeben eine Rockband zu sein, sondern auch wirklich damit zu beginnen. Wir haben viel Zeit in die Musik investiert, haben all unser Geld in dieses Album gesteckt, neues Equipment gekauft und eine Menge experimentiert. Bislang hatten einige von uns noch Jobs, aber jetzt haben wir alle gekündigt und werden versuchen, so viel wie möglich live zu spielen. Fortan konzentrieren wir uns also nur noch auf die Musik und das zu einhundert Prozent.

Das ist allerdings ein hohes Risiko…

THEATREJa, aber ich denke, man muß es versuchen. Man kann nicht einfach dasitzen und abwarten. Wenn es nicht klappt, dann klappt es nicht, dann können wir immer noch in ein normales Berufsleben zurückkehren. Aber wir stehen nun in Deutschland bei east/west unter Vertrag, die ein sehr großes Team und ein großartiges Netzwerk haben, um dem Album den Weg zu bahnen. Wir haben daher, denke ich, sehr gute Voraussetzungen, um jetzt auch einiges verkaufen zu können. Wir geben jedenfalls unser Bestes, versuchen, gute Gigs zu spielen und sehen, was passiert.

Ein Majorlabel wie east/west mag ja viele Möglichkeiten bieten, aber letztlich seid ihr eher ein kleinerer Act unter vielen. Bereitet euch das kein Kopfzerbrechen?

Davor hatten wir etwas Angst. Aber wir haben mit ihnen gesprochen und auch die Verträge sehr genau unter die Lupe genommen: Sie werden sich sehr für uns ins Zeug legen, das haben wir gewissermaßen schriftlich. Der Eindruck, den ich von ihnen habe, ist mehr als gut. Sie wissen, was sie tun, wissen, was nötig ist und kennen die richtigen Leute, um uns in die Medien zu bringen, vielleicht auf VIVA und dergleichen. Das gibt uns Vertrauen und das Gefühl, daß wir uns voll und ganz auf unsere Musik konzentrieren können, während sie den Rest machen. Wenn man bei einem Underground-Label ist, muß man immer noch einiges an Arbeit selbst machen, denn sie haben einfach nicht die Strukturen, um Dich entsprechend zu unterstützen. Wir sind also ganz zufrieden mit east/west und auch mit Nuclear Blast, bei denen wir ja jetzt im Rest Europas unter Vertrag sind.

Wenn ihr auf Clip-Rotation bei VIVA aus seid, wird wohl schon ein Videodreh in Aussicht sein. Die erste Single ist `Machine`…

Ja, der Song wird als erster ausgekoppelt (mittlerweile wissen wir`s besser: Die erste Single lautet `Image` und war zum Zeitpunkt des Interviews noch gar nicht für`s Album vorgesehen – der Verf.). Wir werden einen Videoclip drehen und hoffen, daß wir bei VIVA in die Rotation kommen. Auf der Single werden auch einige Remix-Versionen enthalten sein, die andere Bands bearbeitet haben.

`Machine` ist für mich auch der überzeugendste Song des Albums, denn hier zeigt Ihr, was man aus dem neuen Konzept machen könnte. Ihr setzt auf sehr kompaktes Songwriting und ein gute Melodie und verzichtet darauf, zuviel an unterschiedlichen elektronischen Sounds hineinzustopfen…

Das ist auch der Grund, warum wir diesen Song zur Auskopplung vorgesehen haben. Er hat alles: eine gute Melody-Line, aber auch schwere Gitarren. Daher hat auch die Plattenfirma diesen Song als Single ausgewählt, denn er wird vielen gefallen, auch den Fans, die die früheren Alben gekauft haben.

Wie könnte denn das Video dazu aussehen?

Wir werden das Video wohl Ende August, Anfang September drehen und wir haben gerade erst ein paar Ideen vorgelegt bekommen. Unter anderem auch von der Photographin, die gerade unser Promo-Bilder gemacht hat. Wir sehen uns das jetzt alles durch und schauen, was am besten paßt. Wir werden uns auch mit east/west absprechen und auch mit VIVA, die der wichtigste Fernsehsender für uns sind, um zu sehen, wie ein gutes Video aussehen könnte. Natürlich wird es kaum eines dieser Videos mit halbnackten Frauen in Bikinis werden, haha! Es muß zu unsere Musik und zu unserem Stil passen. Es wird nicht so sein, daß wir irgendeine Frauenbrust zeigen und dann läuft das schon. Es wird ein Konzept in dem Clip sein, aber es steht noch nicht fest, wie es aussehen wird.

Alles in allem habt Ihr Euch quasi in jeder Hinsicht neu definiert. Könnte dieses Album auch ein Meilenstein in Eurer persönlichen Entwicklung werden?

Ja, denn es ist ein ziemlich großer Schritt und eine Herausforderung. Es ist irgendwie schwer. Uns war klar: Das ist komplett anders und unsere Fans werden es womöglich nicht mögen. Das Risiko war uns also durchaus bewußt. Das ist wie bei METALLICA, als sie Reload veröffentlicht haben: Das war kein Metal mehr, sondern Rock´n´Roll mit einem Country-Sänger, und die meisten alten METALLICA-Fans mochten es nicht. Aber ich hoffe eben, daß die Fans zumindest offen sind und sich erst eine Meinung bilden, nachdem sie es zwei- oder dreimal gehört haben. Und daß sie nicht gleich sagen: Das ist elektronisch, das mag ich nicht. Vielleicht mögen sie es ja letztlich doch, weil sie sehen, daß es immer noch WIR sind.

Was ich, wie ich schon sagte, nicht so empfinde. Ich habe eben so meine Probleme mit Musique, wenn auch nicht nur wegen des Stilwechsels. Nichtsdestotrotz wünsche ich Euch viel Glück damit…

Ist schon OK. Danke…

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