Hallo Steve, zunächst herzlichen Glückwunsch zum neuen Album „Alone in a World of Wounds“.
Danke.
Das Album läuft seit etwa einer Woche bei mir zu Hause. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass sich da ein Rabbit Hole aufgetan hat, aber ich habe es schon ein paar Mal gehört – vielleicht zehn, zwölf Mal.
Ich würde das schon als Rabbit Hole bezeichnen. Und ich mag es, selbst in Soundwelten abzutauchen.
Jedenfalls ist es schön, sich in dem Album zu verlieren, weil so viel darauf passiert und es sich ständig entwickelt. Als ich die neue Single zum ersten Mal gehört habe, war ich fertig mit der Gartenarbeit. Ich hatte eine neue Totholzhecke für Insekten und Vögel angelegt. Zuvor hatte ich vorher eine Auseinandersetzung mit meinem Vater, weil er meinte, das sei sinnlos. Und genau in dieser Nacht musste er mit einem schweren Herzinfarkt ins Krankenhaus. Zum Glück ist alles gut gegangen und er jetzt wieder zu Hause. Aber an diesem Tag war mental so viel los bei mir. Ich war stolz auf meine Hecke, weil sie ziemlich cool ist und ein Nistplätze für Vögel und Insekten ist. Gleichzeitig war ich besorgt um meinen Vater und körperlich erschöpft, nachdem ich mehr als ein Dutzend Holzpfähle in den Boden gehämmert hatte. Und dann habe ich dieses Lied gehört. Es war perfekt für den Moment, um am Abend zur Ruhe zu kommen. Dieses Gefühl, geerdet zu sein, mit allem um mich herum – Sorgen, Glück, Traurigkeit und so weiter – ist das auch das, worum es für dich auf dem Album geht?
Je weiter ich auf meinem kreativen Weg voranschreite, desto mehr erkenne ich, dass ich mein ganzes Leben lang über dieselben Themen geschrieben habe. Und es wird immer klarer. Natürlich schreibe ich aus einer emotionalen Perspektive, aus meinen eigenen Erfahrungen – über Dinge, die mir passiert sind, über Liebe, Verlust, Herzschmerz, Trauer, Melancholie, intellektuelle Fragen und existenzielle Ängste. All das kommt zusammen, aber es dreht sich immer um bestimmte zentrale Fragen. Und eine davon ist: Wann haben wir als Menschen aufgehört, uns als Teil der natürlichen Welt zu sehen? Wann dachten wir, dass wir nicht mehr dazu gehören? Wann dachten wir, dass Steine, Flüsse, Bäume, Berge und die Tiere nicht unsere Brüder und Schwestern sind? Wann ist dieser Bruch passiert? Denn ich glaube, dass diese Trennung von der Natur ein großes Problem verursacht hat – und ich denke, dass die großen Religionen dazu beigetragen haben, indem sie Geist und Materie voneinander getrennt haben. Die Vorstellung, dass Materie und Geist unterschiedliche Entitäten sind, dass sie nicht miteinander verbunden sind, hat es uns ermöglicht, die Erde als etwas Nicht-Lebendiges zu betrachten. Es erlaubt uns, die nicht-menschliche Welt respektlos zu behandeln. Es erlaubt uns, den Weg der Gier zu gehen, anstatt den Weg der Fülle und des Reichtums der Erde, was eigentlich die natürliche Ordnung ist. Und ich glaube wirklich, dass das die Wurzel all unserer gesellschaftlichen Probleme ist – Rassismus, Krieg, Depression, psychische Gesundheit – all das entspringt unserer Entfremdung der Natur, oder zumindest einem großen Teil davon.
Ja, und ich denke, das spiegelt sich in meiner Erfahrung wider, als ich das Lied zum ersten Mal gehört habe, während ich in meinem Garten stand. Kennst du diese Totholzhecken?
Ja, ich war oft in Deutschland. Ich habe sie dort oft gesehen – wir nennen sie Insektenhotels.
Nicht direkt. Wir schneiden unsere Büsche und stapeln den Zuschnitt zu einer Hecke. Sie ist etwa zehn Meter lang und zwei Meter hoch und dient Insekten und Vögeln als Lebensraum und kann dort über die Jahrzehnte langsam verrotten. Die Idee dahinter war, der Natur ein bisschen etwas zurückzugeben. Denn wenn ich mir die Gärten in meiner Nachbarschaft anschaue, sehe ich oft das typische Bild: Alles Unkraut wird entfernt, saubere, aufgeräumte Gärten. Du kennst das wahrscheinlich auch von Besuchen bei der Familie deiner Frau – sie haben bestimmt auch Nachbarn, oder?
Ja, deutsche Nachbarn reden gerne über den Rasen des Nachbarn. Aber ich mag die Idee, selbst kleine Flächen wieder zu verwildern, wenn man kann. Wir leben hier auf zwölf Hektar Land, das größtenteils unberührt bleibt. Das meiste des ganzen Gebietes ist wild, außer der direkten Umgebung des Hauses, die ebenfalls ziemlich naturbelassen ist. Und ja, ich denke, in städtischen Gebieten ist es verrückt, was die Leute mit ihren Gärten machen, wenn sie stattdessen Lebensraum für Bestäuber und – bei euch drüben gibt es ja diese Igel – schaffen könnten. Die brauchen auch einen Platz.
„Ich glaube nicht, dass wir in der westlichen Welt eine gesunde Beziehung zum Tod haben.“ – STEVE VON TILL darüber, dass der Tod aus dem Leben gedrängt wird.
Absolut. Diese Trennung von der natürlichen Welt über die du sprichst, begann begann schon sehr früh. Als Menschen anfingen, umherzuwandern, die ersten Dörfer zu bauen und Männer begannen, die Frauen als Besitz zu betrachten. Das Patriarchat, das damit einherging. Mir kommt es so vor, als hätte es eine Wende in den frühen 2000ern bis Mitte der 2010er gegeben. Und jetzt scheint es mir, als wären all diese repressiven Kräfte zurück – und aggressiver als je zuvor. Machst du dir auch Sorgen darüber, wohin sich die Welt gerade entwickelt?
Immer. Aber gleichzeitig versuche ich, alles in einen historischen Kontext zu setzen. Das ist allerdings nicht mein Fachgebiet. Das Einzige, was ich tun kann, ist, in meiner eigenen Gemeinschaft Gutes zu tun; dort, wo ich lebe. Es gibt so viele Dinge da draußen, die darauf ausgelegt sind, uns zu überwältigen und zu erschöpfen. Jeden Tag gibt es eine neue Wahnsinnsmeldung. Jeden einzelnen Tag. Würdest du morgens als erstes die Nachrichten lesen, würdest du durchdrehen. Jeden verdammten Tag gibt es eine neue „Heilige Scheiße, ich kann nicht glauben, dass das passiert ist“-Meldung. Haben wir diese oder jene Lektion nicht schon gelernt? Nein. Die Menschen vergessen es. Die Aufmerksamkeitsspanne ist kurz. Ich muss dir das nicht sagen – Deutschland war nicht vor allzu langer Zeit in einer dunklen Phase. Im historischen Kontext sind 80 Jahre nichts. Und hier in Amerika haben wir eine andere Perspektive. Aber der Vietnamkrieg ist auch noch nicht lange her. In den 1960er und 70er Jahren gab es politische Bewegungen, und Menschen von unserer Regierung wurden ermordet. Das war in meiner Lebenszeit. Also weiß ich nicht, ob es heute verrückter ist als damals. Es fühlt sich nur so an. Das bedeutet aber nicht, dass die Sorgen und Probleme nicht real sind. Denn es fühlt sich auch so an, als würde sich durch die Technologie alles schneller verändern. Dinge, die früher Jahrzehnte gebraucht haben, passieren jetzt über Nacht. Und es gibt Mächte, die wirklich alles zerstören wollen. Es ist unfassbar. Ich verstehe nicht, wie Menschen nachts schlafen können, wenn sie Teil davon sind. Es kommt alles aus dieser Entfremdung. Aber es wirkt wie ein Monster. Wie eine dämonische Energie. Wenn man aus der Vogelperspektive auf die Menschheit schaut, sieht sie aus wie eine krebsartiges Geschwür, das das eigene Bett beschmutzt. Ich verstehe es wirklich nicht. Das Einzige, was ich verstehe, ist, dass unsere einzige Hoffnung eine massive Bewusstseinsveränderung ist – weg von politischen Denkmustern, hin zu einer Wiederverbindung mit der Wildnis, mit der Natur. Wir sind Natur. Wir sind nicht getrennt von ihr. Ich habe keine Antworten, außer dass ich weiß, dass ich Kunst und Musik machen und gut zu meinen Mitmenschen sein kann.
Aber was du tust, ist eine ziemlich große, inspirierende Sache. Im Jahr 2020, kurz nachdem COVID begann, hast du „No Wilderness Deep Enough“ veröffentlicht. Das war nicht einfach nur ein weiteres Album – du hast dich oder deine Solomusik mit diesem Album neu erfunden, meiner Meinung nach. Damals war ich ein junger Vater, meine Tochter war ein Jahr alt, und ich hatte mit vielem zu kämpfen – COVID, die Klimakrise, Erschöpfung, und so weiter. Das Album war eine wirklich beruhigende Erfahrung, ein Ort der Selbstreflexion für mich. Es hat mir durch diesen schwierigen Sommer sehr geholfen. Wie blickst du heute auf dieses Album?
Das hat definitiv einen neuen Weg für mich eröffnet, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt bin. Und ich habe das Gefühl, obwohl ich 55 Jahre alt bin und das schon lange mache – es ist mein viertes Jahrzehnt, in dem ich Musik aufnehme –, dass ich immer noch meine Stimme finde. Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer noch in einem Prozess des Werdens befinde. Es ist ein gutes Gefühl, sich inspiriert zu fühlen. In vielerlei Hinsicht fühle ich mich inspirierter als je zuvor. Selbst als junger Mann habe ich viel erreicht – Zeit ist seltsam. Die Dinge, an denen ich zwischen 19 und 24 beteiligt war, schienen unendlich, und die Zeit schien langsamer zu vergehen. Jetzt vergeht ein Jahr, und ich bemerke es kaum. Aber in meinem Denken habe ich das Gefühl, dass ich als Solo-Künstler wirklich herausfinde, was ich sein soll – na ja, vielleicht nicht was ich sein soll, denn ich glaube nicht, dass es ein festes Ziel gibt. Aber ich bin glücklich. Wobei, „glücklich“ ist ein bescheuertes Wort. Ich habe das Gefühl, dass ich auf dem richtigen Weg des Werdens bin. Und ich denke, „No Wilderness Deep Enough“, das größtenteils ein zufälliger Prozess war und mich dem Unbekannten geöffnet hat, hat mich davon weggebracht, auf der Gitarre zu komponieren. An meinen alten Soloalben ist nichts falsch, ich liebe diese Musik immer noch. Aber ich habe versucht, in einer eher auf Americana, Folk und generell gitarrenbasierten Weise zu komponieren, aufgrund meiner Liebe zu Alternative Country, Americana und traditioneller Musik. Aber das sind nicht meine Stärken. Das war etwas, das diese Songs inspiriert hat. Eine meiner Stärken sind Klangräume. Ich war nie ein guter Musiker. Ich bin kein guter Gitarrist und kein guter Pianist. Ich weiß gerade genug, um interessante Klänge zu erzeugen. Aber ich weiß, was ich mit diesen Klängen machen kann. Ich bin auch ein guter Editor. Ich weiß genau, was ich klanglich mag und was nicht. Und als ich erkannt habe, dass das die Grundlage ist, auf der ich singen sollte, hat sich für mich eine neue Welt eröffnet. Das neue Album „Alone In A World Of Wounds“ entstand nicht zufällig. Es wurde bewusst gemacht, mit den sind die klanglichen Wege, denen ich nun folge. Ich kann immer noch auf der Gitarre schreiben, aber ich fühle mich nicht mehr darauf beschränkt, ich fühle mich offen. Und einige dieser Ideen stammen sogar aus der Zeit vor „No Wilderness Deep Enough“. Sie haben nur darauf gewartet, ihren Platz zu finden. Und jetzt sind sie zurückgekommen, aber neu interpretiert mit dem, was ich gelernt habe.

Okay, das ist interessant, denn als ich „Alone In A World Of Wounds“ und gestern nochmal „No Wilderness Deep Enough“ hörte, hatte ich den Eindruck, als hättest du als Künstler dein Zuhause gefunden. Und wenn du sagst, dass du deine Stimme gefunden hast, könnte „Zuhause“ auch ein gutes Wort dafür sein, oder?
Ja, das ist eine gute Art, es auszudrücken. Das werde ich mir merken, wenn ich das nächste Mal darüber sprechen muss. Ich finde mein musikalisches Zuhause – zumindest für den Moment. Ich habe einfach das Gefühl, dass das Singen in dieser Art von Musik etwas anderes aus meiner Stimme herausholt und es mir ermöglicht, mich mehr auszudrücken und mich selbst herauszufordern. Ehrlich gesagt ist es eine Herausforderung, mehr Melodie zu finden und mich als Sänger zu behaupten.
Ja, und ich denke, „Alone In A World Of Wounds“ bringt einige der folkigen Elemente zurück in diesen neuen Stil. Die Strophe von „Distance“ erinnert mich ein wenig an „Valley of the Moon“ von „A Grave Is A Grim Horse“. Ich finde das in dem neuen Kontext sehr passend.
Ja, das Stück stammt tatsächlich aus der Zeit vor „No Wilderness Deep Enough“. Aber wenn ich darauf zurückblicke, wurde es nicht auf einem Instrument komponiert. Ich wusste, dass ich über diese vier Akkorde singen wollte. Das ganze Stück besteht im Grunde aus vier Akkorden, außer in den Übergängen. Und ich habe Mehrspuraufnahmen gemacht, bei denen ich die Akkorde mit verschiedenen Instrumenten komponiert habe – E-Bow-Gitarre, Synthesizer, Klavier mit einem Fader, sodass man nie den Anschlag hört, sondern nur die Resonanz. Ich habe die Akkorde aus all diesen verschiedenen Klängen aufgebaut und sie in einer langen Schleife aufgenommen. Dann habe ich sie auf ein Vierspurgerät übertragen und die Fader wie eine Tastatur gespielt. Also hier ist dieser Akkord, Akkord zwei, Akkord drei, zurück zu Akkord eins, mit einem Delay, sodass er eine gewisse Nachhallzeit hat. Aber während du jeden Akkord hörst, verändert sich der Akkord in sich selbst, weil verschiedene Instrumente die Noten spielen und sie nicht statisch sind – sie bewegen sich. Und das war etwas, mit dem ich vor „No Wilderness Deep Enough“ experimentiert habe. Es hat nur erst später seinen Platz gefunden. Wie du gesagt hast – ja, ich habe mein Zuhause gefunden, und das Stück hat sein Zuhause gefunden.
Das gefällt mir. Es gibt also auch ein bisschen Out-Of-The-Box-Denken, wenn es um die Aufnahme geht – einfach Dinge auszuprobieren? Gerade eben war ich spazieren und habe „Triptych: Part Three“ von gehört. Mit kam der Gedanke, der Unterschied zwischen deiner Soloarbeit und HARVESTMAN könnte sein, dass HARVESTMAN mehr der Prozess ist, sich als Musiker und Performer im Klang zu verlieren, während deine Soloarbeit eher songorientiert ist. Aber was du mir gerade erzählt hast, klingt so, als hättest du einige dieser kreativen Ideen aus dem HARVESTMAN-Projekt in deine Soloarbeit übernommen.
Ja, ich habe eigentlich keine festen Regeln beim Komponieren. Ich versuche, mich nicht einzuschränken. Selbst als ich NEUROSIS-Material geschrieben habe – wir haben nicht nur Gitarren und Schlagzeug benutzt, wir hatten immer klangliche Experimente, nach dem Motto: „Oh, das wäre aber interessant.“ Das ist etwas, das ich schon immer in meinen Heimstudios gemacht habe. Natürlich habe ich jetzt einen ganzen Raum dafür, aber selbst als es nur eine Ecke im Schlafzimmer oder ein Teil der Garage war, habe ich immer Sounds erforscht. Ich hatte 1998 noch kein Solo-Projekt, aber ich habe die Songs aufgenommen, weil ich mit Klang und Ideen gespielt habe. Ich hatte 2000 auch noch kein HARVESTMAN-Projekt, aber ich habe die Stücke aufgenommen. Sie haben sich mir erst später als Projekt offenbart. Ich folge andauernd musikalischen Rabbit Holes. Und manchmal fühlt es sich an, als wären die Klänge selbst dafür verantwortlich, was sie werden. Ich muss nur zuhören und aufmerksam sein. Aber ja, alles inspiriert sich gegenseitig. Manchmal weiß ich nicht, wo etwas hingehört. Manche Tracks haben als das eine begonnen und sind dann etwas ganz anderes geworden. Aber generell schreibe ich die Musik von HARVESTMAN nicht. Ich speichere nie eine Gitarrenidee für den nächsten Tag, um weiter daran zu arbeiten und sie dann aufzunehmen. HARVESTMAN ist buchstäblich Spielen und Aufnehmen im Moment, über die Zeit gesammelt und ergänzt, dann zehn Jahre vergessen und wieder gefunden. „Oh, was ist das? Lass mich einen Synthesizer hinzufügen.“ Das ist irgendwie cool. Es ist improvisiert, und wird nie geschrieben und nie komponiert. Die einzige Komposition findet im Mix statt. Ich frage mich: „Was mache ich mit all diesen Elementen? Wie stehen sie zueinander? Oder fehlt etwas? Braucht es noch eine Spur? Muss ich etwas entfernen?“ Du hast recht, das Solomaterial hat Strophen, Übergänge, Refrains und so weiter. Es ist für die Stimme und als Song geschrieben.
Die HARVESTMAN-Perspektive klingt es wie eine Art Meditation, und das ist wirklich schön.
Musik ist meine Meditation. Ich bin miserabel im normalen Meditieren und wünschte wirklich, ich wäre besser darin – es würde mir guttun. Aber Musik ist meine Meditation. Das ist der Moment, in dem ich mich am wohlsten fühle und meine Gedanken loslassen kann.
Das geht mir genauso. Ich habe jetzt einen MBSR-Kurs begonnen, weil mir Meditieren immer sehr schwer gefallen ist, also versuche ich jetzt es zu lernen – und es ist wirklich nicht einfach. Aber es ist großartig, dass jeder Mensch, der nach etwas sucht, seinen eigenen Platz finden kann. Das ist dann die spirituelle Seite der Musik. Es kann auch eine spirituelle Seite in der Gartenarbeit geben. Ich glaube, es kann eine spirituelle Seite in allem geben.
Alles ist miteinander verbunden. Und das ist es, was unser modernes Gehirn vergessen hat – dass alles Kunst ist, Musik, Leben, draußen, drinnen, sogar die alltäglichen Aufgaben wie Nahrungsmittel anbauen, ernten, kochen und essen, Zeit mit Freunden und Familie teilen. All das ist Teil des Ganzen, aber wir unterteilen alles in einzelne Aspekte. Und ich bin daran genauso schuldig, ich verstehe das nur intellektuell. Somit begreife ich es nicht wirklich. Ich sehne mich danach, es auf einer tieferen Ebene zu verinnerlichen. Aber es ist alles verbunden. Es ist alles Teil eines einzigen Lebens. Viele Leute finden es seltsam, dass ich Lehrer bin und gleichzeitig Heavy-Musiker. Aber nein, es ist einfach das Leben. Es sind die verschiedenen Aspekte dessen, was es für mich bedeutet, Mensch zu sein. Und manchmal sind die kleinen, einfachen Dinge genauso tiefgründig und bedeutungsvoll wie die komplexen, lauten Aussagen.
Genau. Das bringt mich zum ersten Song von „Alone In A World Of Wounds”. Für meinen Geschmack baut „The Corpse Road“ eine Brücke zu „No Wilderness Deep Enough“, weil es einige dieser großen, Ambient-Klanglandschaften hat. Aber er klingt üppiger und gleichzeitig kompakter als „No Wilderness Deep Enough“. Was ich an diesem Song wirklich sehr liebe, ist diese Zeile: „The corpse road our only birthright.“ Für mich klingt es so, als wäre unser einziges Geburtsrecht, dass wir irgendwann sterben müssen – und dass wir nichts im Leben als selbstverständlich ansehen sollten.
100 %. Ja, das ist unsere einzige Garantie. Und ich denke viel daran. Und nochmal, meine Songs nie von nur einer einzige Sache. Die meisten von ihnen sind wie eine Collage des Lebens. All die verschiedenen Dinge, über die ich nachdenke und die mich beschäftigen, all die verschiedenen Gefühle, die ich habe, werden irgendwie zu Texten neu arrangiert. Texte müssen gut klingen, einfach aus klanglicher Sicht. Sie müssen eine bestimmte Anzahl von Silben haben. Sie müssen einen Vokalton haben, der sich richtig anfühlt. Sie müssen in der Musik leben. Es ist also anders als Poesie. Es muss sich richtig anhören. Manchmal stammen Zeilen aus verschiedenen Textstücken und werden dann zu etwas Neuem, das für mich selbst ein Rätsel ist. Aber die Themen Sterblichkeit und Tod ziehen sich durch dieses Album, ebenso wie die damit verbundene Melancholie. Da sind wir wieder bei der Entfremdung: Ich glaube nicht, dass wir in der westlichen Welt eine gesunde Beziehung zum Tod haben. Ich glaube nicht, dass wir verstehen, wie man gut stirbt. Ich glaube nicht, dass wir verstehen, wie man die Trauer über den Tod eines geliebten Menschen verarbeitet. Nicht, dass es eine perfekte Art gäbe – und ich spreche hier auch für mich selbst. Ich habe keine Antworten. Ich habe nur Fragen und Gedanken. Es ist das Natürlichste, was wir jemals tun werden, aber wir leben, als gäbe es den Tod nicht. Wir leben, als könnten wir ihn verhindern. Das ist natürlich, aber wir ignorieren, dass er irgendwann kommen wird. Ich glaube, dass unsere ungesunde Beziehung zum Tod Teil dieser Entfremdung ist und Teil davon, dass wir nicht mehr wild sind, oder den wilden Teil in uns nicht mehr verstehen. Ich lebe ein sehr privilegiertes Leben als weißer Mittelklasse-Mann. Verglichen mit so vielen Menschen auf diesem Planeten. Aber jeder leidet. Es ist unser Leiden, unser Verlangen und unsere Erfahrung von Verlust, die tatsächlich das gemeinsame Band zwischen allen Menschen ist. Wenn wir uns das mehr bewusst machen würden, könnte das vielleicht dazu beitragen, die Bewusstseinsveränderung zu fördern, die wir als Spezies so dringend brauchen, bevor wir alles kaputt machen. Vielleicht ist es schon zu spät. Aber selbst, wenn es zu spät ist, können wir zumindest mit dem Gefühl gehen, dass wir die Veränderung in unserem eigenen Bewusstsein vollzogen haben.
Ich stimme dir vollkommen zu, was du über den Tod gesagt hast. Ich arbeite hier und da ehrenamtlich im örtlichen Hospiz als Trauerbegleiter. Immer wieder merke ich, dass Menschen noch nie etwas mit dem Tod zu tun hatten, bis einer ihrer Liebsten stirbt. Es ist natürlich immer schwer, aber das ist oft das erste Mal, dass sie ihre eigene Sterblichkeit spüren. Oft höre ich Sachen wie: „Ich könnte das nicht. Ich könnte nicht über den Tod von jemandem sprechen.“ Aber ich spreche da gar nicht so viel, ich höre zu und versuche zu verstehen. Das ist alles, was man tun muss. Aber genau deshalb halten sich die Menschen auf Distanz – weil sie nicht nur Abstand zum Tod wollen, sondern auch Angst haben, etwas Falsches zu sagen. So geht es mir übrigens auch in einem persönlichen und privaten Umfeld. Ich denke, es ist ein Tabu in unserer westlichen Welt. Vielleicht ist das der Grund, warum ich die Zeile „The corpse road our birthright“ so sehr liebe.
Gibt es bei euch Leute, die sich Death Doula nennen? Ich habe dieses Wort erst vor etwa vier Jahren gelernt. Das ist jemand, der wie eine Hebamme hilft – sie ist sozusagen an ihrer Seite. Die Doula ist bei der Hebamme und der Mutter, der Gebärenden, als eine Art Begleiterin, nicht wirklich als Beraterin, sondern als jemand, der präsent ist, als Coach, um durch die Geburt zu helfen. Jemand, der kein medizinisches Fachpersonal ist, sondern emotionale Unterstützung bietet. Es gibt eine neue Bewegung von Menschen, die Sterbenden helfen, den Übergang zu bewältigen. Das sind Death Doulas. Es ist wie ein Hospiz, aber ich denke, es ist noch gezielter als ein traditionelles Hospiz. Es geht um eine tiefere emotionale Unterstützung. Sie helfen, da durchzukommen, den Übergang zu schaffen, auf die die andere Seite zu gelangen. Ich habe viele Interviews und Podcasts dazu gehört. Ich hatte dieses Wort vorher nie gehört, und es hat mich wirklich überrascht. Es gibt eine ganze Bewegung von Menschen, die versuchen, sinnvolle Arbeit in der Welt zu leisten. Es hat für mich ein neues Rabbit Hole geöffnet, in dem ich mich mit Bewegungen beschäftige, die versuchen, unsere schlechte Beziehung zum Tod zu überwinden.
Ich kenne Sterbebegleitung, ich vermute, dass es dasselbe ist.
Ja, gut. Aber das hängt mit dem zusammen, was du tust. Es gibt auch viele Bewegungen innerhalb der psychedelischen Therapie, die Menschen mit einer tödlichen Krankheit helfen, ihre Angst vor dem Tod zu verlieren und ihn als einzigartige Erfahrung zu akzeptieren. Es gibt auch ältere, eher buddhistisch geprägte Gruppen wie das „Living Dying Project“ oder das „Center For Living And Dying“, die östliche Meditation und Gedanken mit psychologischer Unterstützung verbinden. Es geht darum, Menschen zu helfen, gut zu sterben. Ich finde all diese Ansätze faszinierend. Es ist wie die Renaturierung von Land oder die Sehnsucht der Menschen nach Musik und Poesie oder der Natur. Das alles ist Teil eines tiefen Verlangens nach etwas, das wir verloren haben. Wir alle wissen, dass wir etwas sehr Fundamentales verloren haben.
„Musik schuldet dir gar nichts. Musik schuldet niemandem irgendetwas. Wenn du sie liebst und sie machen willst, dann findest du verdammt nochmal einen Weg, es durchzuziehen“ – Die alte DIY-Schule prägt STEVE VON TILL bis heute.
Genau das hast du am Anfang gesagt – dass das Themen sind, über die du schon immer geschrieben hast. Denn gerade musste ich an den Song „Lost“ von „Enemy Of The Sun“ denken.
Ja, da war ich 23 Jahre alt. Das fühlt sich für mich auch wie ein Moment, an wo sich der Kreis schließt. Es fühlt sich so an, als ob viele der Dinge, die mich damals in dieser Lebensphase angetrieben haben – als ich meine Kreativität zum ersten Mal über das bloße Schreien politischer Parolen und lauten Punkrock hinaus erweitert habe, oder einfach nur extrem sein wollte –, als ich zum ersten Mal eine spirituelle Ebene oder ein Element von Geist und Verbundenheit in die Musik eingebracht habe, wieder an die Oberfläche gekommen sind. Aber natürlich habe ich jetzt 30 Jahre mehr Erfahrung, und hoffentlich kommt damit auch ein wenig Weisheit, oder zumindest etwas Wissen. Es fühlt sich an, als würde alles zusammenkommen. Ich bin nicht klug genug, um zu verstehen, wenn Leute sagen, dass Zeit nicht linear ist – das überfordert mein Gehirn. Ich kann sie nur von Punkt A nach Punkt B verstehen. Aber vielleicht hilft mir das Leben dabei. Ich weiß nicht, ob ich mich nach innen oder nach außen in einer Spirale bewege, oder beides gleichzeitig, aber es fühlt sich so an, als gäbe es ein Zentrum, von dem ausgehend ich mich immer nach innen oder außen bewege. Vielleicht haben wir alle das. Vielleicht ist das unser wahres Selbst. Es heißt ja auch, dass wir nicht unsere Gedanken und Handlungen sind. Es gibt ein Kern-Selbst, das außerhalb all dessen existiert. Ich verliere mich oft in Arbeit – das ist einer meiner Bewältigungsmechanismen. Ich mache einfach Dinge und bleibe beschäftigt. Aber vielleicht kreist all das um eine Art Kern oder ein grundlegendes Verständnis.
Es gibt ein deutsches Wort dafür. Es heißt Entwicklung. Es bedeutet nicht nur Ausdehnen und Expansion, sondern auch ganz bildlich Auswickeln oder Entwirren. Genau das hast du gesagt – du hast diesen Kern, und wenn du dich entwickelst und dich mental an dich selbst annäherst, dann entwirrst du alles um dein inneres Wesen herum.
Ja, als ich vorhin den Ausdruck des Werdens (im Gespräch verwendete Steve das englische Wort, „Becoming“ – Anm. d. Verf.), meinte ich es wahrscheinlich genau in diesem Sinne. Normalerweise verwenden wir es in einem eher heldenhaften Kontext. Wir sagen, ich werde dies oder das. Nein, das Werden ist mehr im existenziellen Sinne gemeint. Ich werde, was ich sein soll. Also vielleicht entwickle ich mich.
Ja, aber es ist großartig, dass es im Englischen ein ähnliches Wort gibt, das etwas in dieser Richtung bedeutet. Aber das bringt mich zu einer anderen Sache. Es ist fast zehn Jahre her, dass du das letzte NEUROSIS-Album veröffentlicht hast. Gibt es in dir noch ein Bedürfnis nach Heaviness, nach Lautstärke, nach Distortion?
Ja, ich fühle definitiv, dass mir das körperlich fehlt. Ich spüre, dass da ein unerfülltes Bedürfnis ist.
Ja, ich meine, nur weil du über das Werden und das Entwickeln sprichst, heißt das nicht, dass Bedürfnisse verschwinden. Wir sind komplexe Persönlichkeiten.
Nein, ich brauche das immer noch.
Ja, hin und wieder werde ich auch einfach müde von all dem Metal-Zeug, das ich noch vor einer Woche gehört habe – und dann kommt es plötzlich zurück, weil ich in Rage bin.
Ja, genau. Es gibt diese Tage, an denen mein Autoradio nicht laut genug sein kann. Das ist dann ein SLAYER-Moment, und es ist wieder Zeit für „Reign In Blood“.
Das nutzt sich nie ab.
MOTÖRHEAD stecken auch tief in meinem Blut. Wenn ich einfach verzerrten Rock’n’Roll brauche, der die Lautsprecher zerstört, höre ich die klassische Ära von MOTÖRHEAD.

Aber jetzt zurück zu den ruhigeren Sachen. „Horizons Undone“ ist meiner Meinung nach ein bemerkenswerter Track. Du hast vorhin darüber gesprochen, mit deiner Stimme zu experimentieren – und es war das erste Mal, dass ich dich in einer höheren Tonlage singen gehört habe. Es klingt wirklich gut, meiner Meinung nach. Kennst du das Album „Ghosteen“ von NICK CAVE AND THE BAD SEEDS?
Oh ja.
Das ist eines meiner Lieblingsalben aus dem Jahr 2019. Aber ich war mir lange nicht sicher, ob ich Nicks Kopfstimme bei „Sun Forest“ gut finde. Aber bei „Horizons Undone“ finde ich deine Art so zu singen sehr passend.
Was ich daran mag – und ich denke, das spüre ich wahrscheinlich auch –, ist der Mut, sich einfach so zu zeigen. Denn ich habe definitiv gezweifelt: „Oh wow, werde ich das wirklich tun?“ Und jetzt, während ich die Songs probe, denke ich: „Verdammt, werde ich das wirklich vor Leuten machen? Scheiße, ich will das nicht vermasseln.“ Aber der Song hat es verlangt. Und ich bin mir sicher, NICK CAVE würde dasselbe sagen – Du musst dem Song gehorchen. Er und Warren Ellis machen viele mutige Dinge. Ich denke, sie lassen sich mittlerweile von nichts mehr einschränken. Sie tun, was sie fühlen, sie tun, was sie wollen, sie folgen dem Song, sie folgen der Emotion, sie folgen dem Moment – und sie hinterfragen es nicht. Und ich versuche, ein bisschen davon für mich selbst zu lernen. Meine Gedanken dazu sind: Wenn ich diese Risiken jetzt nicht eingehe, wann werde ich es dann tun?
Brauchtest du Ermutigung, um diese Vocals auszuprobieren? Es klingt so, als wäre das eine Produzenten-Sache gewesen – als hätte Randall Dunn gesagt: „Komm schon, mach es!“ Oder war es einfach so, dass du die Backing-Tracks aufgenommen hast und es dann einfach passiert ist?
Ich habe einfach mit Gesangsideen hier im Haus herumgespielt. Ich war nicht im Studio. Ich hatte einfach meinen Laptop offen und die Grundspuren liefen. Um herauszufinden, was dazu passt, habe ich einfach gesungen. Und dann habe ich das improvisiert und direkt ins Laptop-Mikrofon aufgenommen – ohne ein professionelles Mikrofon. Ich dachte mir: Oh, ich will diese Idee nicht vergessen. Also habe ich einfach Play und Record gedrückt.
Ja?
Und dann habe ich vergessen, es neu aufzunehmen. Ich glaube, ich habe versucht, es mit einem guten Mikrofon neu aufzunehmen – aber es hatte einfach nicht die gleiche Energie. Also habe ich Randall gefragt: „Können wir das einfach so lassen?“ Und er meinte, dass das schon passen würde. Und als ich die Spur isoliert habe, um ihn für die Live-Performance neu zu lernen, habe ich meinen Hund im Hintergrund bellen gehört – genau auf diesem Track. Er hat mich gehört und angefangen zu heulen. Also vielleicht habe ich doch nach Ermutigung gesucht – nach dem Motto: „Kann ich das wirklich machen? Ist das wirklich okay?“ Ich mag es, Feedback zu bekommen. Ich fühle mich nicht klug genug oder gut genug, um zu glauben, dass alles, was ich tue, großartig ist. Ganz im Gegenteil – ich kann mich ziemlich leicht davon überzeugen, dass alles, was ich tue, Mist ist. Also suche ich manchmal nach Bestätigung. Manchmal frage ich mich, ob das Teil davon ist, überhaupt ein öffentlicher Musiker zu sein. Suche ich Bestätigung bei anderen? Ist das eine positive Sache oder gibt es eine negative Seite daran? Ich glaube, Kunst zu teilen ist positiv. Musik zu teilen ist positiv. Es schafft Verbindung und Gemeinschaft. Wenn etwas für mich emotional kraftvoll ist, kann es vielleicht auch jemand anderem helfen. Ich glaube an den Zweck der Kunst und an den Zweck der Musik. Aber die negative Seite flüstert manchmal: Vielleicht bist du eigentlich gar nicht so gut. Und das sind Dinge, über die ich nachdenke. Und solche Vocals sind ein gutes Beispiel dafür – ich weiß nicht, ob ich das kann.
Meiner Meinung nach hat es wirklich gut funktioniert, und ich mag diesen Teil sehr. Und was die Suche nach Bestätigung angeht – ich denke, das betrifft nicht nur Menschen, die Kunst erschaffen, sondern viele andere auch. Ich glaube, es ist Teil des Menschseins. Wenn man irgendwie eine sensible Person ist – oder vielleicht auch nicht –, dann ist es einfach so, dass man Bestätigung sucht. Ich denke, es ist bis zu einem gewissen Grad eine gute Sache. Denn Menschen müssen verbunden sein, wir sind eine sehr soziale Spezies. Dass wir uns darum kümmern, was andere über uns denken, ist meiner Meinung nach etwas Positives, weil es zeigt, dass wir keine Soziopathen sind.
Ja, vielleicht sind die Menschen, die keine Selbstzweifel haben, die wirklich kranken Menschen.
Das denke ich auch.
Wer weiß?
Aber ja, ich glaube, ich sehne mich auch hin und wieder nach ein bisschen mehr Selbstbewusstsein. Ich denke, das ist nur natürlich. Ich möchte nun über das sprechen, was meiner Meinung nach der beste Song auf dem Album ist. „Calling Down The Darkness“ ist ein so bewegender Track, und er hält die perfekte Balance zwischen deinen folkigen Songs und der Ambient-Seite. Und am Ende klingt es mit einem kraftvollen Höhepunkt so, als würdest du aus der Dunkelheit emporsteigen. Dann gibt es dieses kraftvolle Duell zwischen der Lap-Steel-Gitarre und dem Cello. Das ist ein großartiger Track für das Zentrum des Albums, und es bewegt mich jedes Mal, wenn ich das Stück höre.
Danke. Ja, das war vielleicht der erste Song, den ich für „Alone In A World Of Wounds“ geschrieben habe – ohne zu wissen, dass er Teil eines Albums sein würde. Ich habe ihn vor fast zehn Jahren geschrieben. Vielleicht war es nicht einmal die Akkordfolge, sondern die rohe Energie dessen, wie ich wollte, dass der Gesang klingt und sich anfühlt. Das kam mir auf dem Flug nach Hause von ROADBURN im Jahr 2016. Ich saß im Flugzeug, fühlte mich wirklich inspiriert von dem, was an diesem Wochenende passiert war. Ich hatte eine wunderbare Zeit mit Freunden aus aller Welt, spürte die Verbindung und die Kraft der Musik. Ich fühlte mich gut mit meiner Stimme und mit der Richtung, in die meine Soloarbeit ging, nachdem ich vor Leuten gesungen hatte. Und als dieses Album Gestalt annahm, habe ich das Stück zurück – und es hat sein Zuhause gefunden. Ich habe viel über die Reihenfolge der Songs auf dem Album nachgedacht. Ich denke immer in Vinyl-Termini, und kam zu dem Entschluss, dass Track 1 der B-Seite werden musste.
„Ich habe neulich über Sprache nachgedacht – über die geschriebene Sprache. Und darüber, dass die meisten Kulturen, die vielleicht vor dem Bruch, vor der Trennung, vor der Entfremdung existierten, orale Kulturen waren: Mit mündlichen Erzählungen, mündlicher Poesie, mündlicher Geschichte. Erzählkulturen eben.[…] und was waren die frühesten Beispiele für Schrift? Quittungen und Belege.“ – STEVE VON TILL darüber, wie Sprache uns prägt.
Danach kommt „The Dawning Of The Day (Insomnia)“ – das Gedicht mit dem Klavier darunter. Ich musste dabei an „If I Should Fall To The Field“ und „The Harpy“ mit der Stimme deines Großvaters denken.
Interessant.
Das war für mich ein Moment, in dem sich ein Kreis schließt.
Ich habe diese Verbindung noch nicht hergestellt, aber das ist interessant. Alles ist miteinander verbunden. Das war ein Stück, das ich fast hätte verwerfen müssen, weil ich keinen Weg gefunden habe, darauf zu singen. Ich mochte das Klavierstück wirklich sehr und liebe es darauf zu meditieren und dieses sehr einfache, repetitive Hauptmotiv zu spielen. Auf den letzten Touren seit „No Wilderness Deep Enough“, nachdem ich das Buch „HARVESTMAN – 23 Untitled Poems“ veröffentlicht hatte, begann ich, ein oder zwei Gedichte in das Set zu integrieren – einfach um Balance und Dynamik hinzuzufügen und Dinge auszudrücken, die ich in die Welt tragen möchte. Und irgendwann dachte ich: Vielleicht wäre es interessant, Poesie in das Album einzubinden. Ich habe es ein etwas mit Tempo und Stimmung herumprobiert. Tatsächlich ist Randall hierher geflogen, um mir zu helfen, meine Vocal Chain einzurichten, damit ich das Album zu Hause aufnehmen konnte und die Vocals in Ruhe hier fertigstellen konnte. Die meisten Basistracks wurden hier aufgenommen, und er konnte sich um ein paar andere Musiker in New York kümmern. Dann bin ich dorthin geflogen, um es zu mischen – einfach aus logistischen, zeitlichen und finanziellen Gründen. Aber als er hier war, habe ich es ein paar Mal improvisiert, und das war vielleicht der erste Track, bei dem das Tempo wirklich dazu passte. Außerdem mag ich dieses Gedicht. Es fühlt sich an, als ob das – nun, da ich es anerkannt und mir erlaubt habe zuzugeben, dass ich ein Dichter bin und dieses Buch veröffentlicht habe – jetzt ein Weg ist, der für mich offen ist. So wie damals, als ich mein erstes Soloalbum herausgebracht habe. Das war vorher kein Weg, der für mich offen war. Ich hatte diese Songs gesammelt, ohne zu wissen, was sie waren. Und dann wurde mir klar, dass das meine Solomusik ist. Dass das ich bin. Ab da gab es diesen neuen Weg. Also hat „As The Crow Flies“ die Tür zu dem geöffnet, wo ich jetzt bin. „HARVESTMAN – 23 Untitled Poems“ wiederum hat die Tür zu meinen zukünftigen Schriften geöffnet – und sie werden ein Zuhause haben. Und das ist irgendwie die Anerkennung dieser Momente zusammen. Ich mag wirklich, wie das zusammengekommen ist. Es fühlt sich sehr emotional kraftvoll an.
Der letzte Track „River Of No Return“ ist auch eine interessante Wahl für Abschluss. Denn ich denke, er lässt die Zuhörer ohne ein Happy End zurück. Ich fühle mich dabei wie der Präriehund auf dem Cover. Als würdest du mich auf einem offenen Feld mit Fragen zurücklassen, über die ich nachdenken kann – wenn du verstehst, was ich meine.
Ich liebe es, Menschen mit einer Sehnsucht zurückzulassen. Sehnsucht ist ein überwältigender Teil all meiner Musik – die existenzielle Sehnsucht. Es gibt ein walisisches Wort, das ich erst kürzlich kennengelernt habe, aber ich glaube, es war schon ein Songtitel für viele Künstler. Ich weiß nicht, ob ich es richtig ausspreche, aber es heißt „Hiraeth“. Das ist eine tiefe Sehnsucht nach etwas, nach einem Zuhause, zu dem man nicht zurückkehren kann – ein Zuhause, das vielleicht nie existiert hat. Eine Sehnsucht nach verlorenen Orten, die man vielleicht nie erlebt hat. Okay. Ich sehe das eher nicht als einen physischen Ort. Sondern da ist – wieder einmal – die Frage: Wo haben wir es verloren? Und was haben wir verloren? Und ich fühle mich traurig, dass wir das nicht wissen. Dabei sehne ich mich danach, es zu wissen – auch wenn mir nicht einmal klar ist, was das ist, das wir verloren haben. Und ich denke, diese Energie steckt in jedem Song. Wenn ich mir die Texte anschaue, gibt es viele Reflexionen über das Leben, über die Kindheit, über Verlust, Liebe und Sehnsucht, über Zeit und Sterblichkeit. Und darüber, die Verbindung wieder zu finden. Der Mond ist etwas, das wir immer am Nachthimmel sehen können. Er ist immer da. Und selbst als einfache Verknüpfung mit der Tatsache, dass wir auf diesem kleinen blauen Punkt im Kosmos sind – diesem wundersamen, wunderschönen Planeten –, ist der Mond unsere ständige Erinnerung.
Das ist auch eine der Stärken deiner Gedichte – dass sie Raum bieten. Ich mag es immer, wenn Künstler, Schriftsteller, Musiker oder Filmemacher nicht nur unterhalten, sondern einem auch Raum geben, sich selbst zu erkunden. Und ich meine, ich brauche auch mal was Leichtes – hin und wieder schaue ich mir eine Komödie mit Will Ferrell an. Aber wenn es um Poesie geht, dann liest man sie und muss sie nicht bewusst verarbeiten, sondern sie wirkt unterbewusst, und dann führt sie einen zu neuen Gedanken und so weiter. Das war es, was mir an den HARVESTMAN-Gedichten wirklich gefallen hat. Arbeitest du schon am nächsten Gedicht oder Buch?
Ja. Ich weiß noch nicht, wie es genau weitergehen wird. Das Buch hat eine Tür geöffnet. Ich habe danach viel Zeit mit Schreiben verbracht – mehrere Notizbücher voll. Ich habe noch keine Bearbeitung vorgenommen, ich weiß nicht, ob es ein Buch wird oder ob ich versuche, sie in Zeitschriften zu veröffentlichen. Ich habe keinen Plan. Aber Poesie ist definitiv etwas, an dem ich jetzt aktiver arbeite – nicht in letzter Zeit, weil ich gerade versuche herauszufinden, wie ich HARVESTMAN in zwei Wochen live umsetzen soll.

Kennst du die Kinderbücher von Julia Donaldson und Axel Scheffler? Ich lese sie ständig mit meinen Kindern, die ganze Familie liebt sie. Sie haben eine sehr gute deutsche Übersetzung – was nicht selbstverständlich ist, wenn es um Gedichte und Reime geht. Ich habe dadurch auch ein wenig mit Gedichten experimentiert und versucht, gute Reime zu lernen, aber ich habe mich nie getraut, sie jemandem zu zeigen – nicht einmal meiner Frau. Ich denke Poesie ist eine großartige Möglichkeit, die eigene Sprache zu erleben, und das ist etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich mich damit beschäftigen würde. Vielleicht ist das auch ein Reifeprozess.
Ja, allein das Schreiben von Gedichten, selbst wenn es nur für dich selbst ist, ist ein Spiel mit Sprache. Wir betrachten Wörter und ihre Beziehungen zu anderen Wörtern auf so vielen verschiedenen Ebenen. Dir wird bewusst, dass sich Bedeutungen ändern können oder es mehrere Bedeutungen in anderen Kontexten. Oder, dass etwas an einen anderen Klang oder eine andere Ausdrucksweise erinnert. Ich bin oft überrascht, wie wenig Menschen über Sprache nachdenken. Sie ist etwas, mit dem wir geboren werden, also nehmen wir sie natürlich als selbstverständlich hin. Wir sprechen beide Englisch als germanische Sprache, also haben wir bestimmte gemeinsame Wurzeln. Aber so viel von unserem Bewusstsein wird durch die Sprache beeinflusst, die wir verwenden. Unser Verständnis des Universums basiert auf unserer Sprache. Und unsere Sprache begrenzt uns. Die Annahmen von denen Imperien ausgehen, die These, dass der Mensch über Erde herrscht, die Anschauungen der großen dominanten Religionen – all das ist in unserer Sprache eingebaut, ohne dass wir darüber nachdenken. Wir haben Patriarchat, Macht und Gier direkt in unsere Worte integriert, ohne es zu merken. Das ist nicht einmal negativ gemeint, sondern einfach eine Tatsache, dass uns für einige sehr wichtige Dinge keine Worte zur Verfügung stehen – oder für bestimmte Feinheiten. Ich habe neulich über Sprache nachgedacht – über die geschriebene Sprache. Und darüber, dass die meisten Kulturen, die vielleicht vor dem Bruch, vor der Trennung, vor der Entfremdung existierten, orale Kulturen waren: Mit mündlichen Erzählungen, mündlicher Poesie, mündlicher Geschichte. Erzählkulturen eben. Und dann dachte ich darüber nach, dass ich in Museen einige der frühesten Beispiele für Schrift gesehen habe – und was waren das für Beispiele? Quittungen und Belege: „So und so hat mir so viel Geld gezahlt.“ In Keilschrift. Einige der frühesten schriftlichen Aufzeichnungen waren verdammte Quittungen. Also frage ich mich: Stammt unser Bedürfnis zu schreiben aus der Anhäufung von Reichtum? Aus der Idee von Eigentum? Ich weiß es nicht. Aber das war nur ein Gedanke am Rande.
Das ist interessant. Das erinnert mich an ein Buch, das ich immer lesen wollte – von den zwei deutschen Autor*innen Samira El-Ouassil und Friedemann Karig, „Erzählende Affen“. Wir sind Affen, die Geschichten erzählen, und wie Geschichten unsere Gedanken und unsere Denkweise geprägt haben. Das liegt auf meinem Pile of Shame, aber ich habe da jetzt Lust drauf bekommen.
Aber ja, ich meine – was sind wir, außer den Geschichten, die wir uns selbst erzählen? Ich glaube, ich sage das in einem meiner Gedichte. Wir erzählen uns Geschichten – und gerade jetzt erzählt sich die Gesellschaft einige wirklich kaputte Geschichten darüber, was wir sind. Wir müssen anfangen, andere Geschichten zu erzählen. Und Geschichtenerzählen ist mächtig. Das ist nicht meine Gabe – ich bin kein Geschichtenerzähler. Aber ich verstehe die Kraft des Geschichtenerzählens. Wenn man sich ansieht, wie soziale Medien und andere Dinge das Erzählen von Geschichten verändert haben – was Narrative bedeuten und sind –, dann ist das verrückt. Wir erzählen uns nur noch Geschichten des Wahnsinns. Aber gleichzeitig sage ich das mit einer Einschränkung: Es gibt auch einige der erstaunlichsten Dinge, die ich je gehört habe – die schönsten Dinge, die je geschrieben oder erzählt wurden. Sie scheinen nur im Lärm unterzugehen.
„Wir sind Natur. Wir sind nicht getrennt von ihr.“ STEVE VON TILL über Entfremdung in dieser Welt.
Wir haben viel über die Welt gesprochen und darüber, wie sehr sie sich verändert hat. Jetzt eine eher logistische Frage: Sie hat sich auch für Musiker stark verändert – besonders nach dem Aufstieg des Streamings. Ich habe gestern eine Radiosendung von einem deutschen Kulturmagazin gehört. Es ging um Bands, die sich das Touren nicht mehr leisten können, sodass sie nur noch als Solo-Künstler unterwegs sind, weil es günstiger ist. Aber selbst das ist vielleicht schon zu teuer. Hat dich das auch getroffen?
Nun, abgesehen von ein paar Jahren mit NEUROSIS, in denen wir zwischen 2010 und 2019 getourt sind, habe ich nie Geld mit Musik verdient. Unsere frühen Touren – selbst in unserer Hochphase, als wir einige der Alben tourten, die heute als Klassiker gelten – liefen so: Wir arbeiteten das ganze Jahr über und sparten unser Geld, um es dann auf Tour zu verlieren. Wir kommen aus der DIY-Punkrock-Szene der Mitte der 80er Jahre – wir haben nie erwartet, mit Musik Geld zu verdienen. Die Generation nach uns musste von Bands wie BLACK FLAG, DOA und MINUTEMEN lernen – Bands, die tourten, als es noch keine Szene gab. Es gab keine Clubszene für Heavy-Musik. Es gab nur Coverbands. Das Motto war: „Oh, ihr spielt Songs von JOURNEY und BOSTON? Großartig, dann könnt ihr in der Bar auftreten.“ Aber wir spielten in Schlafzimmern, in Kellern, in gemieteten öffentlichen Räumen. Wir spielten sehr wenige Clubs – bis wir nach Europa kamen, wo es ein bisschen mehr Struktur gab. Aber selbst dort waren es oft besetzte Häuser und Jugendzentren, die Konzerte organisierten. Früher haben wir Gigs organisiert, weißt du, aber die Generationen an Bands danach scheinen mir ein bisschen anspruchsvoller zu sein.
Okay.
Sie denken irgendwie, dass das Musikmachen ihnen den Lebensunterhalt schuldet. Aber Musik schuldet dir gar nichts. Musik schuldet niemandem irgendetwas. Wenn du sie liebst und sie machen willst, dann findest du verdammt nochmal einen Weg, es durchzuziehen – selbst wenn das bedeutet, dass du dein Geld nicht sparst, um nach Hawaii in den Urlaub zu fliegen oder nach Spanien, oder wohin auch immer die Deutschen in den Urlaub fahren. Nein, du gehst verdammt nochmal nicht in den Urlaub. Du gehst auf Tour. Und genau das mache ich immer noch. Ich hatte die Tour meines Lebens in Europa im Jahr 2023. Ich habe in den unglaublichsten Locations gespielt und hatte eine wunderbare Erfahrung an diesen besonderen Orten.
Richtig, die Burgruine in Prag.
Ja. Und Orte für Kunst, Theater, Gemeinschaftsräume und Boote. Ich wollte „No Wilderness Deep Enough“ mit einer Band auf die Bühne bringen. Ich wollte diese Instrumente live spielen lassen, um in diese Klangtexturen hinein zu singen. Wenn ich es alleine mit einer Gitarre gemacht hätte, hätte ich vielleicht mit etwas Geld in der Tasche nach Hause kommen können – aber es wäre nicht dasselbe gewesen. Es wäre nicht das gewesen, was ich künstlerisch machen wollte. Ich habe nicht erwartet, dass ich damit Geld verdiene – ich habe auf dieser Tour Geld verloren, aber ich war glücklich darüber, und ich würde es wieder tun. Denn es war Leben. Es war das, was ich tun soll, was ich tun will. Und wenn man das Geld nicht hat, um es zu verlieren, dann hat man es eben nicht. Ich schwimme nicht in Geld – ich bin verdammt noch mal Lehrer. In einem der am schlechtesten finanzierten Bildungsstaaten unseres Landes. Aber ich erwarte nichts. Ich denke, wenn Leute wirklich etwas wollen, dann hören sie auf zu jammern ziehen es einfach durch. Das ist es, was mein Punkrock-Ich aus den 80ern mir immer wieder sagt. Natürlich würde ich gerne eine Schwarze Null erreichen – eine schöne Lebenserfahrung machen und dabei nicht draufzahlen. Flugtickets sind nicht billig. Drei Leute nach Europa zu fliegen ist nicht billig. Und als Solo-Künstler mit einer Band bedeutet es, dass ich die anderen Musiker bezahlen muss, weil sie nicht für den Ruhm dabei sind, so wie ich. Sie haben Spaß und wollen Teil davon sein, aber es ist ihre Zeit, die sie von ihren eigenen Projekten abziehen. Es ist schwierig derzeit. Aber ich denke, es war noch nie leicht. Vielleicht haben manche Leute einfach eine Weile im Überfluss gelebt. Ich verstehe die Musikindustrie nicht, ich war ja immer außerhalb davon; ich passe nirgendwo hinein und verstehe die Regeln nicht. Ich versuche nur meine Kunst zu promoten; deshalb bin ich in sozialen Medien aktiv. Deshalb spreche ich gerne mit Leuten über Musik. Es geht darum, Musik zu promoten und zu hoffen, dass sie ihre Menschen findet – Menschen, die sich mit ihr verbunden fühlen. Aber ich habe keine Erwartungen. Denn Erwartungen führen zu Enttäuschungen. Ich bin aber auch nicht perfekt. Ich habe definitiv meine Momente, in denen ich mich mit anderen vergleiche, die ich im Internet sehe – und das ist alles Gift.
Das sind ein wenig unbequeme Ansichten, aber es ist gut zu hören, dass Ethik noch existiert.
Es lässt einen unabhängig denken, meiner Meinung nach. Wenn du es tun willst, dann tu es. Du findest einen Weg und beschwerst dich nicht über hohe Flugpreise oder sonst etwas. Und besonders für Europäer und Amerikaner ist es unterschiedlich – Touren in Europa ist wahnsinnig einfach im Vergleich zu Amerika. Amerika ist verdammt hart. Die Strecken sind weit, besonders im Westen. Ich habe Freunde, die sagen: „Oh, ich wollte dein Konzert sehen, aber es war eine zweistündige Fahrt.“ Verdammt, ich fahre sechs Stunden für ein Konzert – wenn es in Seattle oder Portland ist, den nächstgelegenen großen Städten. In dieser Zeit wärst du in Europa durch drei verschiedene Länder gefahren. Aber das ist eben das Leben im amerikanischen Westen. Aber auch – in Europa bekommst du Essen und einen Schlafplatz. In Amerika nicht. Da bekommst du einen Tritt in den Hintern und wirst rausgeworfen. Wir haben kein Geld für Kunst, kein Geld für Kultur, nichts davon. Deshalb sage ich immer: Wenn du es tun willst, dann lass dich nicht von äußeren Vorwänden davon abhalten. Denn dann ist es keine äußere Ausrede, sondern eine innere.

Du hast eben noch deinen Beruf als Lehrer erwähnt. In Deutschland kämpfen viele Lehrer*innen mit ihrem Job, weniger als 30% erreichen den Ruhestand und mehr als 30% werden berufsunfähig. Wie läuft es bei Dir ab?
Viele meiner Kollegen kämpfen auch, aber ich empfinde das anders. Ich finde, es ist ein wichtiger Job und ich mache mir keine Sorgen darüber, was meine Vorgesetzten sagen. Ich übe diesen Beruf seit 24 Jahren aus – ich weiß, was ich tue. Ständig wird der Lehrplan geändert, es gibt auch Politik hinter den Kulissen, und so weiter. Aber letztendlich zählt nur, dass ich in diesen Raum gehe, die Tür schließe und es nur mich und diese 20 Kinder gibt. Ich tue einfach das Richtige. Ich folge meinem Herzen, baue bedeutungsvolle Beziehungen zu ihnen auf und genieße die Zeit mit ihnen, während ich mein Bestes gebe. Natürlich habe ich auch mal einen schlechten Tag. Aber ich bin einfach ich selbst, so authentisch wie möglich. Und das kommt zurück. Wenn meine Kollegen sagen, dass es ein harter Job ist, denke ich: Verdammt, wir verbringen den ganzen Tag mit Kindern, die sich sich wie Kinder zu verhalten. Stell dir vor, wir wären in einem Büro voller Erwachsener, die sich wie Kinder benehmen. Mein schlimmster Tag als Lehrer ist besser als jeder Bürojob, den ich mir vorstellen kann. Ich empfinde einfach viel Dankbarkeit für diesen Job. Also denke ich, dass eine Dankbarkeitspraxis eine gute Möglichkeit ist, sich in schwierigen Situationen zu zentrieren. Aber ich würde raten, all das äußere Zeug loszulassen und einfach mit den Kindern präsent zu sein – denn das ist verdammt cool. Sie sind Kinder. Selbst die kleinen Nervensägen, die kleinen Mistkerle, denn es ist nicht ihre Schuld. Ihre Eltern sind wahrscheinlich die Arschlöcher. Und das sind die Kinder, die die meiste Zeit beanspruchen. Sie kämpfen wahrscheinlich mit Traumata oder heftigen Situationen – nicht immer -, und oft kommen sie aus schwierigen Verhältnissen. Manchmal ist die Schule der einzige stabile Moment in ihrem Leben. Selbst in schwierigen Jahren liebe ich den Beruf immer noch. Man muss sich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist – und alles andere am besten außer Acht lassen.
Ich habe noch zwei Fragen zu „Alone In A World Of Wounds“. Du hast zum zweiten Mal mit Brent Arnold als Cellisten gearbeitet, und ich mag wirklich, wie er die Songs mit seinem Instrument färbt. Hat er einfach gespielt, oder hast du ihm gesagt, was er tun soll?
Bei „No Wilderness Deep Enough“ wusste ich nicht, dass es ein Soloalbum werden würde und dass ich darauf singen würde. Ich dachte, es wäre ein Ambient-Album, und ich schrieb Streicherparts mit Mellotron-Strings und Synthesizern. Diese hatten bereits Motive vorgegeben. Aber eines wusste ich damals schon: Ich bin kein Cellist. Also muss man den Leuten Raum geben, ihre eigenen Stärken und ihr Wissen über ihr Instrument einzubringen. Er hat meine Ideen respektiert und in diesen Tonarten gespielt. Manchmal funktionierte es mit den Synthesizer-Streichern, manchmal haben wir die Synthesizer entfernt und nur die Celli gelassen. Er hat sich damals noch enger an meine Ideen gehalten. Bei diesem Album war es anders. Da wir schon einmal zusammen gearbeitet hatten, hatte ich immer noch einige vorgeschlagene Melodien – besonders für das Horn, denn er hat auch die Hornparts arrangiert. Brent ist ein professioneller Musiker und versteht, wie das funktioniert, während ich nur Tasten auf einem Keyboard drücke. Er hat meine melodischen Ideen übernommen, aber ich habe ihm auch gesagt: Mach einfach, was du fühlst. Und dieses Mal fühlte er sich freier, wirklich ausdrucksstärker zu sein – so wie ich mit meiner Stimme. Er hat es an Orte gebracht, an die ich nie gedacht hätte. Besonders die Art, wie er einige der Noten angeht, gibt dem Ganzen eine neue Dimension. Und er wird dieses Jahr tatsächlich live mit mir spielen. Das ist sehr aufregend für mich.
Du hast seit vielen Jahren eine enge Verbindung zu Toningenieur und Produzent Randall Dunn. Ist er mehr als nur der Typ, der zuhört, aufnimmt und hier und da einen guten Rat gibt? Ist er eher ein Sparringspartner für dich?
Ja, er ist definitiv ein Partner, wenn es darum geht, wie die endgültige Version des Albums klingen wird. Er hat einige einzigartige Fähigkeiten. Erstens ist er schnell – und ich muss schnell arbeiten, einfach aus logistischen Gründen. Zweitens versteht er, woher ich komme. Wir teilen genug musikalische Interessen. Aber er ist wirklich gut darin, Dinge zu verfeinern. Die meisten Leute würden einfach Reverb auf einen Sound legen, der gut klingt, und das wäre dann genug. Er ist besessen von Reverb – nicht, dass er viel Zeit damit verbringt, aber er kennt die verschiedenen Arten und Hardware ganz genau. Er sagt dann: Er formt den Raum und verfeinert Dinge wie Hall und Textur. Ich mag wirklich, was er einbringt. Er macht auch gute Vorschläge. Ich stimme nicht immer mit seinen Vorschlägen überein, aber er bringt Ideen ein wie: Was wäre, wenn wir das einfach weglassen? Oder: „Ja, du hast den Song um diesen Teil herum geschrieben, aber was wäre, wenn wir ihn entfernen?“ Dann hören wir alles, was wir darüber gelegt haben, und lassen das weg, womit es angefangen hat. Das ist manchmal genau das Richtige. Zum Beispiel war „The Corpse Road“ ursprünglich eine dichte Schicht aus stark verzerrten Synthesizern – eine Art verzerrter Raum, verzerrter Hall, immer noch schön, aber durch einen Nebel aus Verzerrung. Das inspirierte alle anderen Teile – die Streicher und alles Weitere. Aber am Ende hatten wir folgende Idee: Was wäre, wenn wir nur die cleanen Synthesizer behalten und die verzerrten entfernen? Das öffnete den ganzen Song. Die verzerrten Synthesizer hatten den Raum gefressen – sie inspirierten alle anderen Teile, aber sie nahmen auch den gesamten Platz ein. Also mussten sie gehen. Sie hatten ihren Zweck erfüllt.
Das ist interessant, denn als ich mir „The Corpse Road“ bildlich vorgestellt habe, hatte ich ein Bild im Kopf: ein Morgen auf einem offenen Feld, Spätsommer oder Frühherbst – die Jahreszeit, kurz bevor der erste Nebel aufzieht.
Ja, genau. Es ist definitiv ein nebliger Sonntagmorgen – die Morgenstimmung nach etwas besonderem.
Wundervoll. Das waren jetzt anderthalb spannende Stunden – vielen Dank für deine Zeit und bis bald!
Danke für das gute Gespräch!
Bilder: (c) Bobby Cochran