Dass Interviews mit PAIN OF SALVATION nicht zwingendermaßen ausufernde Monologe über Soziologie, Philosophie und Politik sein müssen, zeigt folgendes Gespräch mit Schlagzeuger Leo Margarit über das neue Album Road Salt Two, das Tourleben und Geschlechterfragen.
Ihr habt ein neues Album, das in Kürze erscheint: Road Salt Two. Was ist deiner Meinung nach der spannendste Aspekt des Albums?
Ich würde natürlich sagen die Musik. Es ist immer spannend, neues Material am Start zu haben und zu sehen, wie die Fans und die Medien es aufnehmen. Die anschließende Tour, auf der man die Songs live spielt, ist sicher auch spannend.
Gibt es dabei Unterschiede im Vergleich zu anderen Projekten, bei denen du mitgewirkt hast, nicht zuletzt den beiden letzten Veröffentlichungen von PAIN OF SALVATION?
Nun, der Ablauf ist immer der gleiche. Man macht ein Album und veröffentlicht es, man geht auf Tour. Dieses Jahr kamen drei Alben raus, auf denen ich mitgewirkt habe. Zuerst erschien For All We Know, ein Projekt von Ruud Jolie von WITHIN TEMPTATION. Dazu gab es leider keine Auftritte. Dann gibt es noch das Album von EPYSODE, das meines Wissens diesen Monat rauskommt. PAIN OF SALVATION haben vor zwei Jahren die Linoleum-EP veröffentlicht, gefolgt von einer Tour. Dann kam Road Salt One, Tour, Road Salt Two, Tour – immer der gleiche Ablauf. Man ist jedes Mal gespannt.
Gibt es folglich eine starke Kontinuität in der Band?
Ja, besonders mit den beiden jüngsten Alben. Sie wurden überwiegend in denselben Sessions aufgenommen. Deshalb tragen sie auch den gleichen Namen. Sie sind klar miteinander verbunden. Der zweite Teil ist ein bisschen direkter und die Stücke darauf sind weniger komplex als die des ersten Teils, aber sie sind das Resultat einer kontinuierlichen Arbeitsweise.
Habt ihr euch je überlegt, den Bandnamen zu ändern oder – angesichts des Rummels mit der Vorausscheidung zum Eurovision Song Contest – ein Solo-Projekt von Daniel Gildenlöw zu werden?
Diese Entscheidung müsste Daniel treffen. Wahrscheinlich hat er die Überlegung irgendwann einmal angestellt. Aber als wir die Vorausscheidung für Melodifestivalen gemacht haben, diskutierten wir das mit der ganzen Band und kamen zu dem Schluss, dass wir es als PAIN OF SALVATION machen würden, obwohl der Song Road Salt eigentlich nur aus Keyboards und Gesang besteht. Wir wollten aber trotzdem die gesamte Band auf der Bühne haben. So stand ich dann als ein Teil der Band auf der Bühne, der nichts spielte. Wenn wir den Song live spielen, sieht es genauso aus. Es geht um die Grundeinstellung und den visuellen Eindruck. Auch wenn wir nicht mitspielen, sind wir ein Teil des Stücks. Als Schlagzeuger ist es bei diesem Song die Aufgabe, nicht zu spielen.
Daniel hat vielleicht noch jede Menge anderer Songs im Kopf, die er für sich behalten möchte, wer weiß? Aber da müsste man in selber fragen.
Als ich die neuen Songs anhörte, fragte ich mich, wie wichtig es für euch beim Songwriting ist, zusammen in einem Proberaum zu sein und zu jammen.
Das ist sehr wichtig, weil die meisten Stücke Jam-Sessions entsprungen sind. Da beginnt beispielsweise Daniel mit einem Gitarrenriff und wir bauen dann stundenlang den Song drum herum. Manchmal nehmen wir die Jam-Sessions auch auf und Daniel hört sich anschließend an, was wir gespielt haben. Er hat von Anfang an bestimmte Ideen, schätze ich, aber er schöpft Inspiration aus dem, was wir als Band abliefern. Mit der Richtung, in die die Band sich bewegt, wird das auch immer wichtiger. Wenn man auf ältere Alben wie Remedy Lane oder The Perfect Element zurückschaut, hat Daniel damals alles geschrieben – die Schlagzeugteile, die Gitarren, die Keyboardpassagen. Er hat den anderen Musikern im Wesentlichen die Noten vorgelegt und gesagt, ihr spielt das hier so und das Drumfill dort so. Heutzutage kommen die Liedideen immer noch von ihm, aber wir arrangieren sie gemeinsam. Ich denke, die Jam-Sessions sind inzwischen der Ursprung und der wichtigste Kern des Songwritings.
Auf Road Salt Two gibt es den Song Healing Now, auf dem es keine elektrischen Gitarren gibt und auch der Bass sich eher zurückhält. Wie gehst du als Schlagzeuger an so ein Stück heran?
Das ist ein gutes Beispiel. Bis auf das Schlagzeug hat Daniel das meiste im Studio gemacht. Ich habe meinen Teil im Nachhinein aufgenommen. Wir haben den Song aber im Proberaum vorbereitet. An die Aufnahmen erinnere ich mich nicht mehr genau, da sie schon zwei Jahre zurückliegen. Die Grundidee war wohl, eher Percussions als gewöhnliches Schlagzeug auf der Aufnahme zu haben, um ein Tribal-Feeling zu bekommen, wie wenn Leute um ein Lagerfeuer tanzen. Ich habe da viel improvisiert und nicht groß nachgedacht, was ich genau spiele. Von den drei, vier Spuren, die ich eingespielt habe, hat Daniel seinen Favoriten ausgewählt.
Erlebst du beim Anhören des Albums jetzt Überraschungen, wenn die Aufnahmen so lange her sind?
Das passiert ziemlich häufig. Die meisten Sessions fanden im November 2008 statt. Direkt nach den Aufnahmen hörte ich mir das Schlagzeug an, zusammen mit Gitarre und Keyboard zur Orientierung. Danach war eine ganze Weile lang Warten angesagt. Wenn man dann die Stücke wieder einprobt und sie sich anhört, entdeckt man viele Sachen neu. Das größte Problem mit dieser Wartezeit ist, dass man nach einer Weile den Eindruck bekommt, man hätte es besser machen können. Ich hoffe zumindest, dass ich als Schlagzeuger mit der Zeit immer besser werde. Aber jetzt ist es quasi in Stein gemeißelt und unabänderbar. Ich bin natürlich sehr zufrieden mit den Alben, aber manchmal sind da eben kleine Details.
Eins meiner Lieblingslieder auf dem neuen Album ist To The Shoreline, das sich von der Melodie und der Instrumentierung ein wenig vom restlichen Songmaterial abhebt. Habt ihr absichtlich versucht, dem Stück eine Retro-Atmosphäre zu geben?
Um ehrlich zu sein, stammt dieser Song von A bis Z aus Daniels Feder. Er kam damit in den Proberaum und hat uns quasi vor vollendete Tatsachen gestellt. Deshalb kann ich nicht genau sagen, wie der Song entstanden ist. Ich schätze aber mal, dass einem das eine Idee gibt, in welche Richtung die Band sich entwickeln könnte.
Vor zwei Jahren habe ich euch in der Schweiz live gesehen. Damals hattet ihr den Song Conditioned bereits im Programm. Wenn ich mir den Song jetzt im Album-Kontext anhöre, klingt er anders als damals, wo er im Rahmen des härteren Materials der alten PAIN OF SALVATION-Sachen gespielt wurde. Wie weit macht es für dich einen Unterschied, ob ein Lied live gespielt wird oder im Studio als PAIN OF SALVATION 2011 aufgenommen wird?
Der Hauptunterschied ist der Sound. Im Studio kann man für jedes Lied ein eigenes Drumkit zusammenstellen und für die Gitarren die Saiten und Verstärker nach Wunsch einstellen. Auf der Bühne kann man schlecht das ganze Schlagzeug auswechseln. Deshalb spiele ich auf einem relativ großen Schlagzeug, damit ich verschiedene Elemente und Klangfarben integrieren kann. Wir bemühen uns, live dasselbe Gefühl rüberzubringen wie im Studio. Das aktuelle Album ist etwas rockiger ausgefallen, wenn man so will. Der Sound ist live auch nicht das Wichtigste. Wenn man das Publikum vor sich hat und die Energie fühlt, dann geht es in erster Linie darum, die Emotionen der Band zu spüren. Live spielen wir deshalb manche Sachen einen Tick kraftvoller, aber prinzipiell gehen wir die Sache mit derselben Einstellung an.
Wie gehst du an alte Songs heran, wenn du sie fürs Liveprogramm einstudierst?
Das ist nicht allzu schwierig, da ich bereits vor meinem Einstieg großer Fan der Band war. Ich kenne also schon alle Songs. Bevor ich vor vier Jahren zum Vorspielen kam, hatte ich die Stücke nie selbst nachgetrommelt, aber ich war mit den meisten Sachen vertraut. Ich sollte drei Stücke einstudieren und spielen. Nachdem das alles geklappt hatte, fragten die Jungs mich, ob ich noch andere Songs spielen könnte. Wir haben dann noch fünf oder sechs weitere Stücke gespielt und es lief ziemlich gut. Es ist nicht besonders schwierig, das alte Material zu lernen. Ich spiele sie gewöhnlich erst einmal nach Gefühl. Manchmal übersehe ich Details, dann schaltet sich Daniel ein. Er hat die Teile damals geschrieben und kennt sie entsprechend in- und auswendig. Gelegentlich schlage ich auch neue Sachen vor, die meines Erachtens gut zum jeweiligen Song passen. Das haut nicht immer hin, aber grundsätzlich ist es für mich völlig unproblematisch, alte Lieder einzustudieren.
Mit welchem Bandmitglied teilst du dir am liebsten ein Hotelzimmer?
Eigentlich habe ich da keine Präferenzen. Aus irgendwelchen Gründen lande ich meistens mit dem jeweiligen Bassisten in einem Zimmer, also entweder Per Schelander oder unser aktueller Tourbassist Daniel Karlsson. Das ist aber eher Zufall, da ich mich mit jedem in der Band gut verstehe. Die sind alle total nett und umgänglich. Man hat gleichzeitig bei Bedarf auch immer die Möglichkeit, sich eine Weile zurückzuziehen, wenn man mal einen Moment Ruhe braucht. Ich würde also mit jedem ein Zimmer teilen.
Gehst du an Auftritte als Vorband anders heran als an Headliner-Gigs?
Ja, sicher. Als Headliner hat man das Publikum bereits auf seiner Seite. Man muss niemanden etwas beweisen. Die Leute sind glücklich, einen zu sehen und die Songs zu hören. Natürlich muss man die richtige Songauswahl treffen. Wenn man irgendwo als Vorband spielt, kennen einen die meisten Leute nicht. Da ist es nicht immer einfach, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und sie in neue Fans zu verwandeln, was ja letztlich die Idee einer Tour als Vorband ist. Man weiß natürlich, dass die Leute nicht wegen unserer Band da sind, was die Sache schwierig macht.
Als wir mit DREAM THEATER auf Tour waren, ich glaube es war in Sydney, da spielten wir Undertow, und am Ende des Stücks herrschte Totenstille. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man ein Publikum in seinen Bann ziehen kann. Obwohl die Leute die Band nicht kannten, hörten auf einmal alle aufmerksam zu.
Welche Stücke eignen sich deiner Meinung nach am besten, um die Aufmerksamkeit von neuen Fans zu erlangen, gerade auch in Hinblick auf die anstehende Tour mit OPETH?
Das lässt sich schwer sagen und hängt stark mit der Band zusammen, mit der man auf Tour ist. Wenn man im Vorprogramm von DREAM THEATER auftritt, ist es wohl besser, ein paar typische Prog-Nummern zu spielen. Bei OPETH dürfte das Publikum dagegen breiter gefächert sein. Da mögen die Leute sowohl Death-Metal als auch ruhigere Sachen mit 70s-Feeling. Ich denke, da ist es unproblematischer, einfach unser Ding durchzuziehen. Wir müssen nicht so viel Rücksicht darauf nehmen, was die Leute von uns hören möchten. Wir werden also 45 Minuten aus unserem regulären Set nehmen. Das dürfte die eigentliche Herausforderung werden. Angesichts der Fülle an Material, die wir zur Auswahl haben, können 45 Minuten verdammt kurz sein.
Was hältst du von der Setlist-Strategie, die DREAM THEATER lange Zeit verfolgten, als sie jeden Abend die Setlist neu gestalteten?
Ich finde das wirklich schön. Wir unterhielten uns damals mit Mike darüber. Er hatte sämtliche bisherigen Setlisten und Tourdaten auf seinem Computer und schaute vor jedem Konzert nach, was sie bei den bisherigen Konzerten an dem jeweiligen Ort gespielt hatten. Er wählte die neue Setlist dann nach Möglichkeit so aus, dass die Leute, die wieder zum Konzert kamen, möglichst eine komplett neue Show geboten bekamen. Das ist natürlich schwierig, weil man dafür alle Songs perfekt kennen muss. DREAM THEATER sind in der Lage, all ihre Sachen fehlerfrei zu spielen. Das ist phänomenal.
Wenn man immer die gleiche Setlist spielt, hat das freilich den Vorteil, dass man die Songs perfektionieren kann. Wir sind auch darauf bedacht, eine sinnvolle Songreihenfolge zu finden, die schlüssig wirkt. Wenn man jeden Abend die Setlist umstellt, wird es ungleich schwieriger, einen flüssigen Ablauf zu finden. Ich mag beide Ansätze. Bei PAIN OF SALVATION neigen wir eher zu einer festen Setlist, bei der wir nur gelegentlich ein paar Stücke austauschen.
Zur Vorbereitung auf dieses Gespräch habe ich mir wieder mal die Ending Themes-DVD angeschaut. Darauf sind Aufnahmen von der Be-Tour, bei der es so Sachen wie Videoshow und Samples gab. Was hältst du davon, mit Klicktrack und Sequencer-Sachen zu spielen?
Ich mag das. Vielleicht spreche ich nicht für alle Schlagzeuger, aber ich finde es hilfreich. Man muss dann nicht darum kämpfen, das richtige Tempo zu halten. Jeder in der Band orientiert sich am Klick und weiß, wo es langgeht. Aktuell nutzen wir bei ein paar Songs Klicktracks, z.B. bei Diffidentia, da wir das Orchester nicht mit auf Tour bringen können und bisweilen zusätzliche Keyboardspuren nötig sind. Ich finde es angenehm, da man so immer sicher sein kann, das richtige Tempo zu haben. Es kann natürlich problematisch werden, etwa wenn wir ein Lied wie Linoleum spielen, bei dem wir keinen Klick verwenden, und ich bei härteren Teilen die Geschwindigkeit ein wenig drosseln will. Aber bei Stücken wie Diffidentia gibt es solche Übergange von ruhigen Versen zu heftigen Passagen nicht, da macht ein Klicktrack Sinn. Ich spiele seit Jahren mit Klick und bin es entsprechend auch gewöhnt.
Gerade auch live gibt es viel Gesang von eurem Gitarrist Johan Hallgren und dir selber zu hören. Habt ihr euch schon mal überlegt, auf einem Albumtrack anstelle von Daniel den Leadgesang komplett zu übernehmen?
Das könnte amüsant werden. Daniel hat schon öfters gemeint, er würde Johan gerne einmal ein ganzes Lied singen lassen. Was mich angeht, so singe ich bei einigen Stellen die Leadstimme, beispielsweise beim Chorus von Linoleum, gerade am Ende, oder auf dem neuen Album singe ich den Chorus von Softly She Cries. Es wäre sicher witzig, selber ein ganzes Lied zu singen, aber die Leute würden Daniels Stimme vermissen, da sie das Element ist, das man als erstes erkennt, wenn man PAIN OF SALVATION hört. Für die Fans wäre es entsprechend irritierend, wenn Johan oder ich ganze Stücke singen würden.
Nun habe ich eine Frage, die Daniel vor zwölf Jahren einmal gestellt hatte. Worin liegen die Gründe dafür, dass es so wenig weibliche Schlagzeuger gibt?
Ich habe keine Ahnung. Vielleicht wirkt das Schlagzeug wie ein brutales Instrument. Vielleicht sieht es zu sehr nach extremer Anstrengung für den Körper und die Ohren aus. Ich habe ein paar sehr eindrucksvolle Schlagzeugerinnen auf YouTube gesehen. Ich dachte mir: endlich! Ich denke, jede kann Schlagzeug spielen, egal ob Mann oder Frau. Es ist schon ein Rätsel. Tut mir leid, dass ich keine bessere Antwort parat habe.
Ich habe noch eine Frage mit Geschlechtshintergrund. Wenn man Road Salt One und Road Salt Two betrachtet und sich als Ehepaar vorstellt, welcher Teil wäre die Ehefrau und welcher der Ehemann?
Ich denke, Road Salt Two wäre auf alle Fälle der Ehemann. Ich weiß nicht, ob du das anders siehst, aber für mich ist es ziemlich offensichtlich. Es ist weniger zerstreut, direkter und etwas metallischer. Was meinst du?
Ich kenne Road Salt Two erst seit wenigen Tagen, weshalb ich mir nicht ganz sicher bin. Ich schätze, Road Salt One hat eher einen femininen Touch, es hat eher eine offenherzige, expressive, aber auch verletzlichere Stimmung, gerade bei Songs wie dem Titeltrack oder Sisters. Das neue Album hat dagegen eher raue Kanten. Ein Song wie Conditioned ist recht hart und in your face. Es gibt zwar auch ruhigere Stücke, aber gerade die instrumentalen Stücke am Anfang und am Ende wirken durch das Fehlen von Texten eher wie die Emotionen des Ehemanns. Ich weiß nicht, ob das so Sinn macht.
Auf alle Fälle. Ich stimme dir voll zu. Das ist besser als meine Antwort.
Wir haben jetzt Road Salt One, wir haben Road Salt Two – wird es in der Zukunft irgendwann einmal ein Road Salt Three geben?
Ich glaube nicht. Die beiden Alben waren ursprünglich als Doppelalbum konzipiert. Wir werden wohl nicht weiter auf dieser Route weitergehen. Wir werden uns wahrscheinlich eine neue Richtung suchen. Ich denke, wir haben mit den beiden Alben alles gesagt, was Road Salt anbelangt. Aber bei Daniel kann man nie wissen.
Bandfotos: (c) Lars Ardarve / Plattenfirma