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CHTHONIC: Verfluchte Wörter in der Gesichtsbemalung

Taiwan bringt man vor allem mit seiner eigenen Unterhaltungselektronik und technischen Gimmicks in Verbindung. Seit den opulenten – sowohl musikalisch wie auch von der Aufmachung her – Werken "A Decade On The Throne", "Pandemonium" und "Relentless Recurrence" blitzt jedoch auch der Name CHTHONIC in der Assoziationskette auf…

 

Taiwan bringt man vor allem mit seiner eigenen Unterhaltungselektronik und technischen Gimmicks in Verbindung. Seit den opulenten – sowohl musikalisch wie auch von der Aufmachung her – Werken A Decade On The Throne, Pandemonium und Relentless Recurrence blitzt jedoch auch der Name CHTHONIC in der Assoziationskette auf. Die Symphonic Black Metal-Band mit samtigem Bombasttouch zeigte jüngst mit Mirror Of Retribution, dass auch in der Gewichtsklasse Album ohne Artwork-Specials mit ihnen zu rechnen ist und sie sich ohne Exotenbonus behaupten können. Höchste Zeit also bei Bassistin Doris Yeh virtuell vorstellig zu werden und hinter die Kulissen der exotischen Ausnahmeband zu blicken…

Zuerst danke für euer Album Mirror Of Retribution, das ich genauso mag wie eure anderen Alben. Dieses Mal scheint das Artwork allerdings brutaler und weniger opulent als zuvor. Welchen Bezug zu den Lyrics hat das Artwork von Mirror Of Retribution?

Wir bestimmen erst das Hauptkonzept des Albums, dann erst machen wir uns Gedanken zu den Farben und dem Artwork. Das Cover von Mirror Of Retribution eignet sich am besten, um dieses Vorgehen zu erklären. Zuerst haben wir den jungen Mann, Tzing-guang, der ein Medium des Tempels ist. Er schaffte es, das Buch des Lebens und des Todes aus der Hölle zu stehlen. Nun ist es seine Bestimmung, den Tyrannen der chinesischen Armee, der in Taiwan eingefallen ist und tausende Leute getötet hat – wir nennen es 228 massacre -, umzubringen. Aber auf dem Weg dazu, seine Aufgabe zu erfüllen, wird Tzing-guang vom Geisterkönig verflucht und kämpft nun gegen seine dadurch hervorgerufenen Selbstmordgedanken an.

Der Spiegel auf dem Albumcover widerspiegelt seinen Kampf gegen diese Gedanken und auch der Himmel, der sich dunkelpurpur färbt, ist ein Symbol dafür. Ausserdem ist eine schwere Regenwolke über dem Tempel und seine verknoteten Hände und die Gesichter repräsentieren die Schmerzen, die er aussteht. Die Tragödie seines Schicksals ist dieselbe wie die aller Taiwanesen dieser Generation.

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Symbolträchtiges Cover: Mirror Of Retribution von CHTHONIC

Die Hände auf dem Cover sehen ja aus, als wären sie gefesselt. Soweit ich weiß, ist euer Heimatland Taiwan ebenfalls gefesselt, wenn man die Beziehung zu China überspitzt beschreiben will. Momentan kriegen wir hier in Westeuropa wenig über die Situation in Taiwan mit. Wie sieht es denn zurzeit bei euch aus diesbezüglich?

Taiwan IST ein unabhängiges Land seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber nachdem ein Teil der chinesischen Armee (KMT) einen Bürgerkrieg in China verloren hatte, zogen sie sich nach Taiwan zurück und brachten zwei Millionen Chinesen – also Soldaten inklusive Familien – auf unsere Insel. Noch entscheidender war jedoch, dass sie den Originalnamen, also Republic of China, mit sich brachten. Die letzten 60 Jahre haben sie den Taiwanesen beigebracht, dass wir alle Chinesen seien und China unser Mutterland sei. Diese Gehirnwäsche läuft noch immer weiter, obwohl 80% der Taiwanesen eine andere Kultur und andere Werte haben – neben ihrer ethnisch anderen Abstammung.

Die Kontroverse ist deswegen noch immer präsent, weil ein Teil der Taiwanesen wirklich an das glaubt, was ihnen in der Gehirnwäsche eingetrichtert wurde. Sie glauben also, sie seien Chinesen oder dass China die Hoffnung für die Zukunft sei – für alle. Die KMT ist noch immer präsent und regiert das Land. Sie schlagen sämtliche Stimmen, die sich gegen ihre Propaganda und Herrschaft stellen, nieder. So wird die wahre Geschichte und der Wert Taiwans zum Schweigen gebracht.

Diese Art der Unterdrückung ist ja nicht ungewöhnlich, wenn ich etwa an Chinas Vorgehen in Tibet denke. Ihr habt euch ja auch in der Free Tibet-Bewegung engagiert. Welche Beziehung habt ihr zu Tibet?

In gewisser Hinsicht hat Taiwan ein ähnliches Schicksal wie Tibet. Den Willen eines jeden Menschen zu respektieren ist eines der wichtigsten Menschenrechte. Deswegen haben wir 2003 ein Tibetan Freedom Concert in Taiwan organisiert und dieses Jahr das Free Tibet Concert 2009 – ebenfalls in Taiwan. Während den Konzertvorbereitungen kamen wir in Kontakt mit vielen Tibetern und einigen Taiwanesen, die sich ebenfalls für diese Sache stark machen. Sehr viele Tibeter – auch der Dalai Lama – schätzten das Engagement und den Support der Taiwanesen. Deswegen haben wir eine sehr gute Beziehung zu Tibet und viele Freunde von dort.

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Wir sind schon seit Jahren auf der schwarzen Liste der chinesischen Regierung. – CHTHONIC 

In dem Fall habt ihr wohl noch nie ein Konzert in China gegeben…

Wir sind schon seit Jahren auf der schwarzen Liste der chinesischen Regierung. Zusammen mit BRAD PETE, U2, GUNS ´N ROSES… Manchmal stellen wir uns vor, welche Waffen (nicht richtige Waffen, sondern Instrumente) wir nach China mitnehmen würden, wenn wir dort einen Gig hätten!

Taiwan ist nicht als typisches Metal-Land bekannt, auf jeden Fall hier nicht. Gibt es andere extreme Metalbands aus deiner Heimat, die du empfehlen kannst?

Es gibt viele gute Bands in Taiwan. Ich würde ANTHELION empfehlen, sie machen symphonischen Black Metal. SOLEMN ist ebenfalls gut – sie machen Hardcore Metal und haben eine süße Sängerin!

Hehe… Und wo findet ein Metalhead in Taipei seine Artgenossen?

Also wenn man sich The Wall nicht reinzieht, ist man kein Metalhead. Das ist der berühmteste Rock Club in Taiwan und er ist sogar in der Top 10-Liste für Taiwan der New York Times aufgeführt! Es ist zudem nicht nur eine Venue. In The Wall hat es zudem einen Tattoo Shop, Übungsräume (die meisten Bands sind Metalbands) und eine Bar. Und am wichtigsten: The Wall ist sauber und gemütlich!

Und welches alkoholische Getränk ist eine gute Wahl in Taiwan?

Gao Liang Jiu, das ist Sorghum Likör. Das beste überhaupt!

Kommen wir zurück zum Musikalischen: Wie bist du ursprünglich mit dem Metalgenre in Kontakt gekommen?

Mein Vater ist ein berühmter Bassist in Taiwan. Als ich 17 war, gründete ich einen Rock Club in der High School und hatte meine erste Band, die Songs von METALLICA, SLAYER und GUNS ´N ROSES coverte. Ich wusste damals nicht viel über Metal, aber dank meinen Bandkumpels änderte sich das sehr rasch. Unter anderem habe ich NIN gehört, aber ich bin mir nicht mehr ganz sicher…

Was ich am meisten an CHTHONIC mag ist, dass ihr das traditionelle Instrument Er-hu in euren symphonischen Black Metal einbindet. Wer hatte die Idee zu diesem innovativen Schritt?

Unser Sänger Freddy. Freddys Mutter ist Schauspielerin in der traditionellen Oper. Als er die Band gründete und über Geschichte und Mythologie schreiben wollte, brauchte er einen Klang, der das ganz eigene, traurige Gefühl der Musik ausdrücken könnte. Er fand dann dieses Instrument in der hiesigen traditionellen Opernwelt.

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CHTHONICs visuelle Aufmachung – also Schminke und Kleidung – ändert sich mit dem jeweiligen Albumkonzept.

Um Geschichte geht es vermutlich auch in eurem Song 1947 auf Mirror Of Retribution. Was geschah 1947 in Taiwan?

Am 28. Februar 1947 rebellierten die Taiwanesen gegen das korrupte Unterdrückerregime, das die Chinesen nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt hatten. Dieser Aufstand wurde später bekannt unter dem Namen 228 Massaker und hat das Herz der taiwanesischen Gesellschaft durchbohrt wie ein kalter Wind. Die Vorkommnisse Ende Februar/Anfang März 1947 führten dazu, dass die Taiwanesen kurz die Kontrolle über ihre Insel hatten.

Am 9. März kam jedoch die 21. Division der chinesischen Armee und landete im Norden Taiwans, im Hafen Keelung. Es folgte ein wochenlanges blutiges Abschlachten unschuldiger Zivilisten. Dann marschierten die chinesischen Truppen weiter nach Stüden und kamen am 13. März in Taichung an – bewaffnet mit Maschinengewehren. Um etwas gegen die chinesischen Kräfte zu unternehmen, gründeten mehrere junge Taiwanesen eine Miliz aus Freiwilligen, die sogenannte 27. Brigade. Und da fängt unsere Geschichte von 1947 an…

Kommen wir zu einem anderen Aspekt CHTHONICs. Ihr erscheint immer sehr stylish und sorgfältig zurechtgemacht für die Bandfotos. Wie wichtig ist der visuelle Aspekt bei CHTHONIC?

Der Style ist für jede Band sehr wichtig, meistens muss er dem Stil der Musik entsprechen. CHTHONICs visuelle Aufmachung – also Schminke und Kleidung – ändert sich mit dem jeweiligen Albumkonzept. Dieses Mal benutzten wir viele Zeichen für verfluchte Wörter für unsere Gesichtsbemalung, weil der Hauptcharakter des Albums ja vom Geisterkönig aus der Hölle verflucht worden war. Aber egal wie unser Outfit sich visuell verändert und sich den verschiedenen Stories anpasst, das Hauptelement wird immer unsere Beschäftigung mit Geschichte und Mythologie sein.

Du hast ja vorher schon den Einfluss eurer Eltern erwähnt – dein Vater, der Bass spielt, Freddys Mutter, die in der traditionellen Oper aktiv ist. Was denken eure Eltern denn von eurer Musik?

Zuerst haben wir ihnen nicht erzählt, was wir machen. Obwohl mein Vater Bassist ist, ist er doch in einem anderen Genre tätig: Er spielt Popmusik und für das taiwanesische Fernsehen und versteht unsere Art der Musik nicht wirklich. Aber eigentlich muss man ja primär selber von dem überzeugt sein, was man will. Wer ehrgeizig ist, überzeugt die Leute und so ist es auch bei mir. Meine Eltern wissen inzwischen, welche Art von Musik ich mit CHTHONIC mache und unterstützen mich.

Du bist ja nicht nur aktiv im Musikbereich, sondern hast kürzlich in einem Polizeifilm namens Tears mitgespielt. Welche Rolle hast du darin übernommen?

Es ist ein Film, der eine Sühnegeschichte innerhalb der Polizei erzählt. Ich spiele ein Mädchen, welches Betelnüsse verkauft und dieser Polizist ist ein merkwürdiger, aber freundlicher Kunde von mir. Als mir und meiner Freundin dann was passiert, kann er uns helfen. Aber natürlich steckt dahinter noch eine Geschichte voller Schuld…

Interessant. Mit CHTHONIC seid ihr ja bei SPINEFARM RECORDS unter Vertrag. Warum habt ihr euch gerade für dieses Label entschieden?

Als wir unser Studioalbum fertig hatten, begann unser Manager in Los Angeles, verschiedene Labels zu kontaktieren. SPINEFARM RECORDS UK war eines davon und wir haben uns am Ende für sie entschieden. Es ist cool mit ihnen zu arbeiten und sie helfen uns echt, die Band in England, dem restlichen Europa und in Nordamerika bekannt zu machen. Wir sind froh, dass wir uns richtig entschieden haben bezüglich Label.

Welches wäre denn eigentlich deine Traumband, mit welcher du die Bühne würdest teilen wollen?

Wenn ich nur eine zur Auswahl hätte, wäre es METALLICA. Sie waren die erste Metalband, die ich kannte – und sie haben mich zum Metal gebracht.

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Wir können einfach nicht damit aufhören, neue Songs zu komponieren. – CHTHONIC bleiben produktiv, auch auf Tour 

Ihr habt ja am WACKEN gespielt. Was ist dir von Deutschland am meisten in Erinnerung geblieben?

Nie vergessen werde ich, dass eines unserer Instrumente am Frankfurter Airport während dem Transfer verloren gegangen ist. Unser Hena-Spieler kann sein Instrument nicht einfach von jemand anderem ausleihen, also musste er mit einem Keyboard spielen. Das war das erste und einzige Mal, dass CHTHONIC zwei Keyboardspieler hatte! Positiv in Erinnerung geblieben ist mir allerdings das Publikum in WACKEN – einfach sensationell! Das war einfach die beste Show in Deutschland!

Wird es von euch in dem Fall noch mehr Auftritte in Deutschland geben oder ist gar eine Tour geplant, um Mirror Of Retribution zu promoten?

Wir haben just eine Englandtour absolviert um Mirror Of Retribution zu promoten. Ausserdem waren wir mit SATYRICON und BLEEDING THROUGH in Nordamerika auf Tour. Vielleicht machen wir anfangs nächstes Jahr eine Europatour.

Und wie sehen die weiteren Zukunftspläne von CHTHONIC aus?

Wir wollen auf jeden Fall reichlich touren und nächstes Jahr wieder auf Festivals auftreten. In der Zwischenzeit arbeiten wir sogar schon an unserem nächsten Album. Wir können einfach nicht damit aufhören, neue Songs zu komponieren. Ich glaube, wir können sogar noch dieses Jahr wieder mit den Aufnahmen beginnen!

Fotos: SureShotWorx
Layout: Arlette Huguenin D.

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