BLIND GUARDIAN: Wir mussten alle schrecklich leiden

Ein Gespräch mit Gitarrist Marcus Siepen über die ersten Kapitel der Bandgeschichte, die Kochkünste von Flemming Rasmussens Frau und die Chancen für eine Wiederbelebung von BLIND GUARDIANs Fernsehkarriere.

Zum 20-jährigen Bandjubiläum erscheinen die ersten acht BLIND GUARDIAN-Alben remastert mit Bonustracks und erweiterten Inlays. Aus diesem Anlass unterhielt ich mich mit Gitarrist Marcus Siepen über die ersten Kapitel der Bandgeschichte, die Kochkünste von Flemming Rasmussens Frau und die Chancen für eine Wiederbelebung von BLIND GUARDIANs Fernsehkarriere.

Ihr seid dabei eure alten Alben neu rauszubringen. Die ersten beiden, Battalions Of Fear und Follow The Blind, wurden dafür von Charlie Bauerfeind neu gemischt. Wie würdest du die Arbeitsweise von euren drei bisherigen Hauptproduzenten, Kalle Trapp, Flemming Rasmussen und eben Charlie Bauerfeind, charakterisieren? Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?

Fangen wir mal mit Kalle an. Kalle war unser Einstieg in die Studio- und Recording-Welt. Wir haben damals viel von ihm gelernt. War haben vorher zwar Demos in einem Studio aufgenommen, aber nie unter professioneller Leitung. Das war mit Battalions Of Fear das erste Mal. Kalle war ein Typ, der im Vergleich zu Flemming und speziell zu Charlie eher seinen festgefahreneren Weg hatte. Das heißt, er hatte seine Vorstellung, wie eine Produktion zu laufen hatte, die mit Sicherheit auch nicht verkehrt war, nur im Laufe der Jahre sind wir immer experimentierfreudiger geworden und haben ihn damit mehrfach überfordert. Dadurch sind wir eben irgendwann zu dem Punkt gekommen, dass wir gesagt haben: Vielleicht sollten wir mal was Anderes ausprobieren. Wir sind dann von Kalle zu Flemming gewechselt. Flemming war für uns im Prinzip eine neue Welt. Wir haben so viel gerade über Rhythmusarbeit, tightes Spiel und alles drum und dran bei ihm gelernt, was bei Kalle jetzt nicht vernachlässigt worden ist – aber Flemming hat uns als Band definitiv auf ein ganz neues Level gebracht, indem er uns wirklich getreten hat, bis der Arzt kommt, bis das Produkt so war, wie er es sich es vorgestellt hatte. Er war ein sehr zielstrebiger Mensch und hat uns wie gesagt sehr, sehr viel beigebracht. Charlie wiederum ist der Produzent, der am perfektesten mit uns und unserer Musik klarkommt. Er ist ein unglaublich musikalischer Typ, der sofort versteht, was wir wollen, was bei Kalle nicht immer der Fall war und was bei Flemming nicht immer der Fall war. Mit Charlie redest du über eine Idee und er versteht sofort, was du willst, und er ist auch in der Lage, das umzusetzen bzw. uns dahin zu kriegen, dass wir das selber umsetzen können. Charlie ist jemand, der dich immer jenseits deines Levels pushen kann, was für uns als Band natürlich hervorragend ist. Er hat den Vorteil, dass er selber Musiker ist. Er spielt Schlagzeug und kann sich demnach speziell in Schlagzeugarrangements hineindenken und mit einbringen. Und es macht Höllenspaß mit ihm zu arbeiten.

Wie kamt ihr auf ihn? Er hat natürlich vorher andere Alben produziert, aber das haben andere Produzenten auch.

Richtig. Wir sind auf ihn gekommen, genau wie wir auf Flemming gekommen sind. Als wir von Kalle weg sind oder als für uns feststand, dass wir die nächste Platte nicht mehr mit Kalle machen wollen, haben wir uns einfach überlegt, wer Alben produziert hat, die uns von der Produktion her sehr, sehr gut gefallen. Dadurch sind wir auf Flemming gekommen, weil wir seine Arbeit sowohl für METALLICA als auch für Bands wie PRETTY MAIDS sehr mochten. Auf Charlie sind wir eben auch aufgrund von Empfehlungen anderer Leute aufmerksam geworden. Dann hatten wir uns mit ihm getroffen und es hat menschlich sofort sehr gut geklappt. Er war das erste Mal involviert in die Nightfall…, wo er als Engineer mit dran beteiligt war. Wir hatten ihm da testweise den Mix für die Mirror Mirror-Single machen lassen und waren mit dem Ergebnis auch sehr glücklich. Wir haben dann eben entschieden, dass wir die A Night At The Opera komplett mit ihm machen. Und seitdem sind wir jetzt erst mal bei ihm geblieben.

Habt ihr dann ihn beim neuen Mischen als Schlagzeuger-Ersatz genommen oder habt ihr Thomen noch mal eingeladen, dass er auch seinen Senf dazu gibt?

Wir haben noch nicht einmal unseren Senf dazugegeben, weil wir auf Tour waren, während Charlie das neu abgemischt hat. Er hat die Sachen im Alleingang remixt. Ich muss gestehen: Ich hab die Remixe bislang noch nicht mal gehört und kann von daher nicht viel, also exakt gar nichts dazu sagen, außer der Tatsache, dass gerade den beiden Alben ein Remix mit Sicherheit nicht schadet, weil da doch noch einiges hätte rausgeholt werden können. Und ja, schauen wir mal.

Marcus
Eigentlich hab ich nie einen anderen Job gehabt. Sehr angenehm. (Marcus Siepen – vom Zivi zum Rockstar)

Wann wurdest du zum Berufsmusiker, der von BLIND GUARDIAN leben kann?

Eigentlich zeitgleich mit allen anderen auch. Ich hatte vom Timing her das Glück, dass ich noch in der Schule war, als wir unseren Plattenvertrag unterschrieben haben. Das heißt, ich war damals in der 11. Klasse, glaub ich, hab dann nach der 13. sofort Zivildienst gemacht. Als ich damit fertig war, haben wir kurz danach die Tales From The Twilight Hall aufgenommen und das war der Zeitpunkt, ab dem wir dann alle mehr oder weniger von der Band leben konnten. Eigentlich hab ich nie einen anderen Job gehabt. Sehr angenehm.

Zu welchem Zweck habt ihr damals die Demos einiger Tales…-Songs aufgenommen?

Das war für uns eine Vorproduktion. Wir machen das auch heute noch und nehmen eigentlich immer fünf, sechs Sachen in Demoversion auf. Wir merken dadurch, ob unsere Ideen im Endeffekt wirklich auch so funktionieren, wie es klingt und ob man hier und da noch irgendwie feintunen muss. Teilweise ändern sich die Stücke danach noch drastisch, weil wir dann eben feststellen, dass es zwar ganz gut ist, aber es noch besser werden kann. Oder wenn ein Part doch nicht so ganz passt oder wie auch immer. Es für uns einfach ein Abchecken der Stücke, der Produktion oder der Komposition, die wir bis zu dem Zeitpunkt fertig haben.

Kannst du mir sagen, warum das Demo von Lord Of The Rings fehlt?

Wir hatten noch andere Demos gehabt, die wir gerne mit draufgepackt hätten. Das Problem ist, dass die Bänder teilweise nicht mehr abspielbar sind und wir Stücke oder teilweise auch nur Spuren verloren haben, die nicht wiederhergestellt werden können. Die Bänder lagern ja teilweise 20 Jahre. Die Bänder von dem Symphonies Of Doom und dem Battalions…-Demo sind ja noch älter und wenn die nicht exakt vorschriftsmäßig gelagert werden – was wir gerade in der Anfangszeit natürlich nie gemacht haben, die flogen bei uns immer in irgendwelchen Regalen rum – kann es leider passieren, dass die sich nicht mehr entsprechend abspielen lassen. Dadurch konnten wir leider nicht all das verwerten, was wir gerne verwertet hätten.

Wie kommt man sich dann vor, wenn man von einem Lied bei der eigentlichen CD-Aufnahme alles noch maleinspielen muss? Wird das nicht langweilig?

Mmmh, nein. Demos produzieren ist für uns eine Vorbereitung. Es fühlt sich natürlich immer gut an, wenn du ins Studio gehst und weißt: Du bist vorbereitet. Das heißt, du weißt, welche Parts wie interpretiert werden müssen. Du versuchst einfach das Ganze noch besser als auf dem Demo zu machen. Klar ist es im Endeffekt dasselbe noch mal neu aufnehmen, aber natürlich auf einem möglichst noch höheren Level. Von daher ist das schon ok.

Danach kam die Somewhere Far Beyond-Platte. Was mich damals sehr gewurmt hat, war, dass ihr bei der Rock Hard-Richterskala auf Platz 2 gelandet seid. Ich konnte nicht verstehen, wie so ein tolles Album nicht auf Platz 1 kommt. Hat dich das damals auch gewurmt?

Ich muss gestehen, ich weiß es nicht genau. Ich sehe das prinzipiell relativ locker, muss ich allerdings sagen. Es ist logischerweise niemand verpflichtet, uns unglaublich toll zu finden. Musik ist nun mal immer Geschmackssache. Ein 2. Platz ist jetzt nicht wirklich der große Verliererplatz. Klar freu ich mir über einen 1. Platz noch mehr als über einen 2., aber sofern die Fans und unser Publikum der Meinung sind, dass die Platte klasse ist, interessiert es mich einen Scheißdreck, ob irgendein Zeitungsmensch die genauso toll findet. Da stell ich jedem auch frei, seine eigene Meinung zu haben. Wir versuchen, das bestmögliche Produkt abzuliefern und wir waren auch von Somewhere Far Beyond extrem überzeugt. Ich halte das nach wie vor für eine hervorragende Platte, aber wenn jemand das anders sieht, steht ihm das logischerweise frei. Da kann ich mit leben, sagen wir mal so.

Weißt du auch, wer auf Platz 1 war?

Ich glaub, das waren DREAM THEATER.

Richtig. Als ich die ein Jahr später kennen lernte, war ich den Rock Hard-Menschen nicht mehr ganz so böse.

Das ist alles Geschmackssache. Wenn irgendjemand meint, DREAM THEATER hätten zu dem Zeitpunkt die bessere Platte am Start gehabt, muss ich die Meinung akzeptieren und kann wie gesagt damit leben.

Hansi
Ein Hörsturz von Hansi Kürsch trug dazu bei, dass nach die nach Nightfall In Middle-Earth geplante EP mit weiteren Stücken nie produziert wurde. Wir haben die Idee dann begraben, weil wir zu weit wieder mit dem nächsten Album ins Hintertreffen geraten wären. (Marcus Siepen)

Habt ihr, als ihr die Imagination…-Platte geschrieben und aufgenommen habt, damit gerechnet, dass auch jetzt zwölf Jahre später quasi das gesamte Album im Live-Repertoire habt?

So was weißt du eigentlich zu dem Zeitpunkt nie. Wie versuchen wie gesagt immer das Bestmögliche zu machen, was wir gerade machen können. Das bezieht sich auf die Stücke, die wir komponieren, das bezieht sich auf die Produktion, das bezieht sich anschließend auf die Tour, auf alles, was wir eigentlich machen, und wir wussten, dass es ein sehr gutes Album ist. Nur wie es sich entwickeln würde, kannst du zu so einem Zeitpunkt nicht absehen. Definitiv nicht. Bestes Beispiel für so was ist die Entwicklung, die der Bard Song gemacht hat. Wenn du dir die Tokyo Tales anhörst – da ist der noch nicht mal drauf. Wir wussten, Bard Song ist eine coole Nummer, aber wir hatten nicht ansatzweise eine Idee, was das für ein Klassiker für die Band hätte werden können – oder jetzt im Endeffekt geworden ist. Genauso war es bei Imagination… auch. Wir wussten, dass es eine starke Platte ist und wir mochten die Lieder logischerweise. Aber welchen Stellenwert die vielleicht irgendwann mal einnehmen würde, hatten wir zu dem Zeitpunkt keine Ahnung.

Warum fehlt das Demo zu I´m Alive?

Fehlt das Demo zu I´m Alive?

Es steht hier nicht auf der Liste. Hier stehen nur The Script For My Requiem, Imagination… und A Past And Future Secret.

Gute Frage. Ich war beim Überspielen der Bänder nicht anwesend. Ich kann nur darauf tippen, dass auch da wieder Sachen nicht reproduzierbar waren, weil die Bänder verdreckt waren. Denn ich kann mich daran erinnern, dass wir ein Demo dazu gemacht haben.

Ich habe es auch mal gehört, sagen wir so.

Dann muss es das geben. Ich vermute, dass es aus dem Grund ist, den ich vorher schon gesagt habe, dass leider nicht alle Sachen abspielbar waren, weil die Bänder teilweise schon zerstört bzw. angelöscht waren. Und es würde für uns jetzt keinen Sinn machen, wenn wir jetzt dafür Sachen neu einspielen hätten müssen, um ein Demo zu reproduzieren. Das Demo soll logischerweise was Authentisches sein, wie wir es damals gemacht haben. Da macht es keinen Sinn, wenn wir den Kram neu aufnehmen.

Kannst du zufällig sagen, warum es bei dem Lied Imaginations From The Other Side im Mittelteil zur textlichen Änderung der Zeile I´m falling through like all the others did before kam?

Äh, nee. (lacht) Texte sind Hansis Baustelle. Keine Ahnung, warum sich da mal was geändert hat.

Warum habt ihr immer so lange Albumtitel, wenn am Ende doch alle Imaginations… und Nightfall… sagen bzw. IFTOS und NIME schreiben?

Ja was die Leute schreiben in irgendwelchen Internetforen, da können wir ja nichts für. Wir nehmen die Titel einfach. Es klingt cool. Es ist jetzt nicht so, dass wir mit der Vorgabe rangehen, jeder Titel muss mindestens aus fünf Worten oder irgendwas bestehen. Das passiert einfach. Mal abgesehen davon, kuck mal, die letzte Live-Platte hieß einfach nur Live. Das war schön herrlich kurz! Wird auch einfach nur mit L abgekürzt.

Ja, aber das war eine von insgesamt elf.

Wer weiß, wie die nächste dann heißt. Wir arbeiten daran, wir schauen mal.

Mit Fly habt ihr euch schon angenähert.

Siehste! Fly, noch weniger, drei Buchstaben. Neuer Rekord.

Weißt du, wessen Idee es war, die Nightfall In Middle-Earth-Platte – ich sprech´s jetzt einfach mal voll aus – mit ihrer doch recht langen Spielzeit auf eine einzelne Vinyl-LP zu pressen?

Ich vermute, das lag an Virgin. Wenn ich mich richtig erinnere, wollten wir das Ding damals als Doppel-Vinyl haben, aber das scheiterte dann wieder an Virgin, weil die meinten, das wäre dann zu teuer in der Produktion oder so was. Mit der Spielzeit macht eine Doppel-LP wesentlich mehr Sinn.

Wird es je eine Fortsetzung von 3 Schüsse im Leberknödel geben?

(lacht) Wenn Metalla wieder belebt wird, wäre das durchaus möglich. Ich hab keine Ahnung. Das war damals die letzte Metalla-Sendung, wenn ich mich richtig erinnere, und wir haben einen Höllenspaß gehabt. Sollte sich so was noch mal ergeben mit demselben Team… – es war ein geiler Nachmittag – aber da muss auch das Team wieder stimmen. Das Team, das damals Metalla betreut hat, die waren genauso bekloppt wie wir und das hat einfach wunderbar funktioniert, aber ich kann mir nicht vorstellen, das mit jeder x-beliebigen anderen Sendung zu wiederholen. Die Chemie muss stimmen, damit man bekloppt genug sein kann.

Ich glaube, du warst der, der das Wetttrinken hatte…

Nein, ich hatte das Wettessen.

Sorry.

Andre war der Wetttrinker.

Hast du viel essen müssen?

Ja. (lacht) Wir mussten alle schrecklich leiden, hatten aber einen Höllenspaß.

Hat es wenigstens geschmeckt?

Ich weiß gar nicht mehr, was es war. Eine Suppe oder irgendwas.

Irgendwas Breiiges.

Wir sind damals in die Dorfschenke eingekehrt und haben den ganzen Scheiß gefilmt. Alle Leute um uns herum haben uns nur sehr verwundert angestarrt, was da für Idioten jetzt kommen und für einen Scheiß machen. Aber wie gesagt: Wir hatten Spaß!

Andre
Im Rahmen der letzten Metalla-Sendung musste Andre Olbrich zum Wetttrinken antreten. Wir mussten alle schrecklich leiden, hatten aber einen Höllenspaß. (Marcus Siepen)

Was würde aus der geplanten EP nach der Nightfall…-Platte, auf der angeblich die Stücke von dir draufkommen sollten, die damals nicht ins Konzept gepasst haben?

Eins der Stücke ist Harvest Of Sorrow, was mittlerweile ja veröffentlich worden ist. Die anderen haben wir im Endeffekt nie fertig gemacht, weil wir die Idee für die EP irgendwann eingestampft hatten. Hansi hatte zu dem Zeitpunkt, wo wir die EP eigentlich fertig machen bzw. überhaupt angehen wollten, einen Hörsturz gekriegt und war eine ganze Zeit lang außer Gefecht. Wir haben die Idee dann begraben, weil wir zu weit wieder mit dem nächsten Album ins Hintertreffen geraten wären. Zwei Stücke sind aus der Session übrig, die wir nie komplett fertig gemacht haben. Vielleicht machen wir sie irgendwann mal fertig und verwerten sie dann. Aber im Moment ist so eine EP in der Geschichte jedenfalls nicht mehr geplant.

Bist du insgeheim froh, dass jetzt die ganzen CDs wiederveröffentlicht werden und endlich die LUCIFER´S HERITAGE-Demos und die Single-B-Seiten (wieder-)veröffentlicht sind, so dass ihr nicht mehr ständig gepiesackt werdet, wann ihr die endlich mal rausbringt?

Das ist die perfekte Gelegenheit für so was. Gerade mit den LUCIFER´S HERITAGE-Demos gab es natürlich jede Menge Anfragen von Leuten. Ich weiß, dass es einige Bootlegs gibt, wo die dann in fürchterlicher Qualität drauf sind. Ich glaube, dass das jetzt die günstigere Gelegenheit ist. Wer diese Sachen haben möchte, kann sie jetzt in vernünftiger Qualität kriegen, und das ist in Ordnung.

Im Info – und auch in einigen früheren Interviews – wurden immer wieder Verkaufszahlen eurer einzelnen Scheiben oder auch eures Gesamtwerks genannt. Wie kommt es, dass ihr im Gegensatz zu vielen anderen Bands diese Zahlen kennt und dass sie dann auch noch häufiger öffentlich genannt werden?

Ich glaub, dass andere Bands, wenn sie sich dafür interessieren, ihre Zahlen auch rauskriegen können. Es ist jetzt nicht so ein großes Geheimnis. Es ist ein bisschen Arbeit. Selbst wenn deine Plattenfirma die Sachen nicht rausrücken möchte, kannst du deine GEMA-Abrechnungen kontrollieren, und wenn du es wissen möchtest, kannst du es erfahren. Ob dann jemand diese Zahlen veröffentlichen möchte, liegt an der Band. Ob die Zahlen, die dann veröffentlicht werden, stimmen, ist auch wieder eine ganz andere Frage, weil da einige Fälle kenne, bei denen die Zahlen nicht stimmen. Aber es sieht dann besser aus, wenn man das in hochstelligen Bereichen veröffentlicht. Wer es wissen möchte, findet immer Mittel und Wege, das herauszufinden. Wenn eine Band sagt: Ouh, wir konnten das leider nie rauskriegen, dann haben sie keine Ahnung.

Tourt ihr, um Platten zu verkaufen, oder verkauft ihr Platten, um zu touren?

Wir machen es beides, weil wir es mögen. Das eine gehört zum anderen dazu. Für uns ergibt es keinen Sinn, auf Tour zu gehen, wenn keine neue Platte da ist. Wir sind nicht eine Band wie KISS, die seit irgendwann ´96 auf einer Abschiedstour ist. Wir lieben beides. Wir trennen strikt beides. Diese Trennung ist für uns perfekt. Wir sind jetzt knapp anderthalb Jahre auf Tour für diese Scheibe und genießen es. Nur nach diesen anderthalb Jahren bist du auch relativ ausgebrannt. Und genau dann beginnt für uns die Phase, wo wir überhaupt nicht live spielen, bis das nächste Album wieder draußen ist. Bis dahin sind alle Batterien wieder aufgeladen und du hast wieder richtig Bock loszuziehen. Eine Tour ohne Album macht für uns keinen Sinn und ein Album ohne Tour macht für uns genauso wenig Sinn. Beides gehört zusammen.

Wie kommt es dann, dass ihr fast immer ein Album hinterherhinkt? Seit ich euch 1995 zum ersten Mal live gesehen habe, habe ich den Eindruck, dass ihr zwar ein neues Album habt, aber meisten von den vorhergehenden Alben wesentlich mehr Lieder spielt.

Das ist richtig. Ich mag es persönlich nicht, wenn ich selber als Fan zu irgendeiner Band gehe und die das neue Album komplett am Stück durchrattert und alle Klassiker fehlen. Da hab ich persönlich keinen Bock drauf. Dazu kommt, dass wir meisten relativ kurz nach Album-Release schon auf Tour gehen. Neue Stücke brauchen immer so ein bisschen Zeit, um beim Publikum zu sacken. Wir haben jetzt für diese Tour – ich glaube – fünf oder sechs Nummern von der neuen Scheibe eingeprobt, spielen aber eigentlich nie mehr als drei pro Konzert. Wir tauschen das dann aus, so wie wir eben gerade Bock drauf haben, und fahren damit ganz gut. Es kann durchaus passieren, dass dann auf der nächsten Tour mehr Stücke von dem Album im Set sind. Das ist unsere Art.

Wie hat sich im Laufe eurer Karriere das Tour-Catering entwickelt?

Ouououh, das ist viel besser geworden! Wir sind mittlerweile in der glücklichen Lage, Köche mitzunehmen, die uns da verköstigen und das macht deutlich mehr Spaß.

Marcus
Ich leugne nichts, ich verspreche nichts. Ich sage, wir werden nach der Tour anfangen, neue Stücke zu schreiben. Alles weitere ist offen. (Marcus Siepen besitzt keine hellseherischen Fähigkeiten)

Was geht in dir vor, wenn du auf der Straße jemandem begegnest, der ein BLIND GUARDIAN-T-Shirt trägt?

Ich freu mich, weil es ein Zeichen der Anerkennung ist. Es zeigt, dass diese Person uns mag, und es zeigt mir, dass wir irgendwas richtig gemacht haben. Es ist ein gutes Gefühl.

Was geht in dir vor, wenn du jemandem begegnest, der ein uraltes, verwaschenes BLIND GUARDIAN-T-Shirt aus den 80ern trägt?

Das zeigt mir, dass wir es geschafft haben, jemanden über 20 Jahre lang bei der Stange zu halten. Das ist dann ein noch besseres Gefühl. Es passiert ja vielen Bands – uns mit Sicherheit auch -, dass Leute, die 1988 auf BLIND GUARDIAN standen, heute sagen: Nö, ist nicht mehr mein Ding. Da wir uns nun mal musikalisch weiterentwickelt haben und mehr unbedingt wie noch auf der Battalions… klingen, kann ich das akzeptieren. Aber die Tatsache, dass es immer noch Leute gibt, die seit Anfang an die ganze Entwicklung mit uns mitgemacht haben, das ist perfekt für uns. Wir haben immer diese Gradwanderung geschafft, alte Fans zu behalten und neue dazuzukriegen. Das zeigt, wie gesagt, dass wir irgendwas richtig gemacht haben müssen.

Was ist das bislang größte Missverständnis in der Bandgeschichte gewesen?

Da gab es alle möglichen. Es gab mal das Gerücht, Hansi wäre tot. Es gab das Gerücht, ich wäre ausgestiegen. Es gab das Gerücht, ich glaube Andre wäre gestorben. (lacht) Speziell die Todesgerüchte sind immer sehr nett. Ich bin irgendwann in Krefeld in den lokalen Musikladen, wo wir uns Saiten und so holen, hineingegangen, und jemand meinte: Warum bist du ausgestiegen? Ich wusste überhaupt nicht, wovon der Mann redet. Ich meinte: Wie? Was? Wo bin ich denn ausgestiegen? – Ja, du bist doch bei BLIND GUARDIAN raus. – Nö, eigentlich nicht. Das sind dann so nette Momente, wo man denkt: Hä? Wo kommt das jetzt wieder her? Wir lachen dann drüber und dann ist gut.

Warum gab es nach der Follow The Blind-Platte keine Fotobeilagen mehr, auf denen ihr Thomen aufgezogen habt?

(lacht) Thomen wollte sich nicht mehr ausziehen.

Aufziehen, nicht ausziehen.

Nein, keine Ahnung. Diese Foto-Dinger bei den ersten beiden Scheiben, das waren ja Collagen, die wir in stundenlanger Kleinarbeit selber zusammengebastelt haben.

Ja, so sieht es auch aus. Das könntet ihr heute am Computer viel schneller machen.

Dafür müssten wir aber erst mal die ganzen alten Fotos wieder einscannen. Das würde ewig dauern.

Was heißt da die alten? Ihr bringt jetzt immer noch Platten raus.

Richtig, dann müssen wir die ganzen neuen… Ja, jetzt haben wir Digitalkameras – die Ausrede zählt nicht. (lacht) Das Schöne ist: Früher hattest du auf Vinyl wesentlich mehr Platz für so Geschichten. Das Vinyl-Format ist für alles, was mit Artwork was zu tun hat, einfach viel geiler gewesen als so ein blödes, kleines CD-Cover. Wenn wir heute so eine Collage auf ein CD-Booklet drucken würden, würde man im Endeffekt nichts mehr erkennen; es sei denn, Du machst irgend so ein Faltbookletding, was du dann ausfalten könntest. Das würde dann eventuell noch Sinn machen. Vielleicht sollte man mal als Multimedia-Dreingabe so eine Show mit so Zeug machen. Müssen wir mal drüber nachdenken.

Warum gibt es nicht schon, wenn ein neues Album zum ersten Mal erscheint, Liner Notes dazu? Ich bekomme natürlich meistens ein Info, in dem eure Bandgeschichte drinsteht und so weiter, und ihr seid ohnehin schon bekannter – aber einfach ein Bericht, was ihr in den letzten Jahren gemacht habt, wie die Aussicht vom Studio war, was ihr sonst noch gemacht habt.

Als wir ´88 angefangen haben, Platten zu veröffentlichen, haben wir über so was nicht für fünf Pfennig nachgedacht. Wir waren einfach vollkommen auf einem Trip, dass wir eine Platte aufnehmen durften. Die Liner Notes, die wir jetzt für den Re-Release geschrieben haben, das war zumindest für mich wie eine Zeitreise. Du erinnerst dich zurück, wie es damals war. Damals hätte ich so was gar nicht schreiben können. Ich brauchte diesen Abstand zu diesen entsprechenden Platten, um jetzt rückblickend so was überhaupt erzählen zu können.

Aber bei der Forgotten Tales gab es bereits Liner Notes.

Gab´s da Liner Notes? Weiß ich schon gar nicht mehr. Müsste ich mal wieder reinkucken. (lacht)

Da wird erzählt, dass Flemming Rasmussen Mr. Sandman scheiße fand und euch ganz viel Erfolg damit gewünscht hat.

Das stimmt, das ist wohl wahr! Das ist keine Lüge.

Wie fandest du den Kuchen von Flemming Rasmussens Frau?

Ouh, Flemming Rasmussens Frau ist von der Verköstigung her hervorragend gewesen. Sie hat uns irgendwann – ich weiß nicht, ob das nach der Nightfall… oder nach der Imaginations… war – zum Essen eingeladen und einen Riesenbraten gemacht, der unglaublich lecker war.

Da hättet ihr ja vielleicht das Rezept ins Booklet übernehmen können.

Wir können ja mal drüber nachdenken, wenn der nächste Re-Release ankommt. In weiteren 20 Jahren kommt dann die Edition mit Rezepten.

Seid ihr mit A Night At The Opera noch so zufrieden, dass ihr euch quergestellt und gesagt habt: Das ist noch aktuell! Da muss nichts dran rumgemastert und re-releast werden.

A Night At The Opera ist in der Form, wie es herausgekommen ist, genau das, was wir zu dem Zeitpunkt machen wollten. Ich weiß, dass wir mit dem Album die Fronten gespalten haben. Viele Leute sagen: Ja, supergeil. Und andere sagen: Nee, ist mir viel zu viel geworden. Wir stehen nach wie vor zu der Scheibe. Ich glaub, dass da ein Remix jetzt nicht wirklich sinnig gewesen wäre, weil du, um irgendwas zu remixen, Abstand zu der ganzen Sache brauchst. Die Platte ist jetzt noch nicht so alt, dass alle sagen: Aus heutiger Sicht würden wir das alles ganz, ganz anders machen – was gerade bei den ganz alten Scheiben natürlich wieder was ganz Anderes ist. Dazu kommt schlicht und ergreifend, dass wir die Zeit nicht hatten, um alle Scheiben zu remixen. Alles ist remastert worden und für Remixe war nur bei den ersten beiden Scheiben Zeit, die es auch vertragen können. Vielleicht werden wir in Zukunft irgendwann noch mal irgendwas remixen, keine Ahnung. Wenn wir mal Zeit und Ruhe dafür haben…

Wenn ihr in Rente geht…

Genau. Nach weiteren 20 Jahren werden dann irgendwie Tales From The Twilight World und Somewhere Far Beyond remixt. Und dann schauen wir mal weiter.

Wie würdest du, wenn du jetzt einfach mal eine Vermutung ausstößt, in 20 Jahren auf das Jahr 2007 zurückschauen?

Keine Ahnung. Ich werde mich dann wahrscheinlich an die Shows zurückerinnern, die wir in diesem Jahr gespielt haben und was weiß ich, was ich sonst noch so bis jetzt gemacht hab oder dieses Jahr noch machen werde, und werde vielleicht an diese Frage, die du mir gerade gestellt hast, zurückdenken und denken: Ha, damals hat der Kerl schon danach gefragt!

Ihr habt also nicht fürs Jahresende vor, spontan eine neue Platte zu veröffentlichen?

Fürs Jahresende definitiv nicht, weil wir bis zum Jahresende noch auf Tour sind.

Hätte mich auch irgendwie gewundert.

Ja, aber ganz so schnell sind wir ja auch nicht.

Ihr wart es mal: ´87, ´88…

Wir waren mal schneller, ja, ja. Wir sind bis Mitte/Ende November auf Tour. Wenn die Tour beendet ist, werden wir über neue Stücke nachdenken. Dieses Jahr wird definitiv kein neues Album von uns kommen und ich bin auch nicht sicher, ob nächstes Jahr eins kommt, weil wir ja immer ein bisschen brauchen. Aber wir schauen mal. Ich leugne nichts, ich verspreche nichts. Ich sage, wir werden nach der Tour anfangen, neue Stücke zu schreiben. Alles weitere ist offen.

Fotos: Jutze

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