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ATLANTEAN KODEX: Interview mit Coralie Baier – ein Gespräch über Metal, PMS, H. P. Lovecraft, Jackson Gitarren und das gute alte Einfach-Mal-Machen

Sie spielt Thrash Metal bei den wunderbaren ANTIPEEWEE und Epic Metal mit den viel- und hochgelobten ATLANTEAN KODEX. Heavy Metal aus Niederbayern ist das Thema, mein Interviewgast ist die Leadgitarristin und Autorin Coralie Baier. Ring frei für ein langes Gespräch über Metal, PMS, H. P. Lovecraft, Jackson Gitarren und das gute alte Einfach-Mal-Machen …

Cora, wo kommst Du musikalisch her?
Meine erste musikalische Liebe war Iron Maiden. Durch Zufall bin ich auf die Playlist von meinem Dad gestolpert, der ein paar Old-School-Bands auf seinem Mediaplayer hatte. Da war auch IRON MAIDEN dabei. Ich hab reingehört – und war sofort Feuer und Flamme.

Wie alt warst Du damals?
Ich glaube so 12. Mit 9 Jahren habe ich angefangen, klassische Gitarre zu lernen – ich war also schon angekommen in der Gitarrenwelt. So mit 13, 14 habe ich mir dann zu Weihnachten eine E-Gitarre gewünscht und war ab diesem Moment im Metal verankert. Ich habe auch nicht den üblichen Umweg über den Punk genommen, sondern bin von der klassischen Gitarre – Bach/Fernando Sor – direkt in den Metal gewechselt. Wobei der Übergang fließend war: bis zum Abi habe ich klassische Gitarre gespielt und Bach-Etüden auswendig runtergehauen, während ich parallel schon an der E-Gitarre zugange war.

Coralie Baier ist Gitarristin bei der Thrash Metal Band ANTIPEEWEE und der Epic Metal Band ATLANTEAN KODEX (Foto: Eva Nagler Photography)

Wie wird man dann aktive Thrash-Metal-Gitarristin?
Dadurch, dass man die richtigen Leute kennenlernt. Ich komme aus Abensberg, einer Kleinstadt in Niederbayern. Dort haben wir ein Jugendzentrum. Mein Ziel war es immer, da reinzukommen, weil dort die ganzen coolen Kids abgehangen sind. Aus Abensberg kam auch eine junge, recht erfolgreiche SkaPunk-Band: THE PROSECUTION. Die haben schon mit neun/zehn/elf Jahren angefangen, richtig geile Punkmucke zu spielen. Das fand ich unglaublich cool, sowas wollte ich auch. Ich habe dann proaktiv – und dafür klopfe ich mir heute noch auf die Schulter – ein Plakat gemalt: mit Buntstiften ein Feuer drauf und unten so Abreißzettel mit meiner Telefonnummer. 2008/2009 muss das gewesen sein. Auf das Plakat habe ich geschrieben, dass ich Gitarristin bin und eine Metalband suche. Das habe ich dann in dem Juz aufgehängt. Ein paar Leute haben mich dabei beobachtet, wie ich da rein bin, das Ding an das Schwarze Brett gehängt habe und kleinmäuserisch gleich wieder von dannen gezogen bin. Zwei Tage später sagt mir dann mein Vater, dass da wer angerufen hat – wegen so einer Bandanzeige …

… ein Anfruf auf dem Festnetz?
Auf dem Festnetz. Und dass er mir die Nummer aufgeschrieben hat. Und dann ist erst mal lange Zeit nix passiert. Ich hatte die Nummer und den Namen: Alexander Schott ist da auf diesem Zettel gestanden.

Hast Du nicht zurückgerufen?
(leise) Ich hab mich nicht getraut. (lacht)

Nee, oder? Ach komm! Ernsthaft?!
Nein. Aber dann stand ein Metalkonzert an, zusammen mit meinem ersten Freund. Um da hin zu kommen, haben wir einen Fahrer gebraucht – und dieser Fahrer war, wie sich dann herausgestellt hat, besagter Alexander Schott …

… der dann natürlich sofort gefragt hat: “Warum hast Du nie zurückgerufen?!”
Irgendwie so. Jedenfalls, so bin ich in diesen Kreis reingekommen. Klar, wenn man gemeinsam auf ein Metalkonzert fährt, dann ist da ja schon mal gleich ganz viel klar und zumindest eine ähnliche musikalische Geschmacksrichtung gegeben. Dann ist die Geschichte ins Rollen gekommen: ANTIPEEWEE gab es damals schon, aber Jogi – der andere Leadgitarrist bei ANTIPEEWEE – war zu diesem Zeitpunkt gerade in den USA. Die Band war deshalb auf der Suche nach einer zweiten Gitarre – und da ich sowieso schon mit Alexander Schott in Kontakt war und dieser mittlerweile wusste, dass ich ein paar Metalriffs auf meiner blauen Jackson King V spielen konnte, fragte er mich, ob ich einsteigen möchte, und ich habe natürlich begeistert zugesagt. Es gab dann etwas später einen Besetzungswechsel, sodass eine Zeit lang nur ich Gitarre bei ANTIPEEWEE spielte, bevor Jogi aus Amerika zurückkam und wieder mit einstieg.

Wie viel Zeit ist vergangen zwischen Deinem selbstgemalten Plakat und Deinem Einstieg bei ANTIPEEWEE?
In etwa ein Jahr. Tatsächlich bin ich zum Thrash erst durch AntiPeeWee gekommen. Wobei wir am Anfang noch gar keinen Thrash gespielt haben, sondern ScumPunk. Ganz eigentlich haben wir als GG-ALLIN-Coverband angefangen: unser Sänger war leicht bekleidet bis nackt und hatte nur Cowboystiefel an. Weil der Schotti aber unglaublich auf METALLICA steht, ist es mit der Zeit immer schneller und zackiger geworden … und irgendwann waren wir beim Thrash.

Wikipedia sagt: “Um das Jahr 2010, nach anderen Quellen 2012, wandte sich die Band dem Thrash Metal zu, da die Bandmitglieder sich nicht mehr auf der Bühne haben anspucken lassen wollen und außerdem dem gestiegenen musikalischen Anspruch gerecht werden wollten.”
(Lacht) Das war nicht der Grund, warum wir zum Thrash gewechselt sind. Wahrscheinlich war das mal irgendeine verrückte Interviewaussage. Was stimmt: Wir sind tatsächlich angespuckt worden. Aber in cool! Bei Punkkonzerten war das ganz normal, und wir haben als Band ja auch zurückgespuckt.

Naja, 1977 war das vielleicht normal – in England. Aber doch nicht mehr in diesem Jahrtausend!
Doch, voll! (lacht)

Nun ist AntiPeeWee ja nicht die einzige Band, in der Du Gitarre spielt. Seit 2018 bist Du außerdem fest bei der bayerischen Epic-Metal-Kapelle ATLANTEAN KODEX dabei. ANTIPEEWEE wirkt mehr wie eine gewachsene Band, während sich ATLANTEAN KODEX von außen betrachtet eher wie ein ambitioniertes, kopflastiges Projekt anlässt …
ATLANTEAN KODEX ist wie AntiPeeWee eine Band, die eine Entwicklung durchgegangen, zusammengewachsen ist, Themen- und Besetzungswechsel hatte. Ich denke, die unterschiedlichen Außenwirkungen der beiden Bands liegen schlicht und ergreifend in ihrem jeweiligen Stil. Thrash Metal ist nicht Epic Metal. Das sind stilistisch wie konzeptuell zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Thrash Metal lebt von einer zusammengeschweißten „Gangdynamik“, die sich nicht zuletzt auch im Stage Acting äußert, bei Epic Metal treten hingegen ganz andere Aspekte in den Vordergrund. Fans von ANTIPEEWEE möchten Teil unserer Gang sein, Fans von ATLANTEAN KODEX fühlen sich der Band verbunden, wenn sie Manuels Texte erforscht und verstanden haben.

Du selbst bist seit kurzem unter die Influencerinnen gegangen …
Naja (lacht). Ich habe ein neues Handy und gleich die schillernde Welt von Instagram für mich entdeckt. Kaum zu glauben, wie viel Wert da auf Optik gelegt wird. Muss das sein? Was ist der Antrieb? Macht man das aus eigenen Stücken heraus, weil man es schön findet, coole Fotos von sich zu zeigen, oder aus einem gewissen Kalkül heraus, um mehr Follower zu generieren?

Ich rätsel auch seit vielen Jahren. Vielleicht steckt doch ein gewisser gesellschaftlicher Druck dahinter?
Ich bin da noch zu keinem finalen Schluss gelangt. Eigentlich bin ich eine große Verfechterin davon, dass jede und jeder tun und machen soll, wie sie/er will. Wer bin ich, sich hinzustellen und zu sagen “So oder so gehört das gemacht!”? Aber wenn man sich als Gitarristin positioniert, dann sollte doch definitiv die Musik im Vordergrund stehen und nicht der Look …

Womit wir bei der alten Frage angelangt sind: Muss man als Frau besser sein als die männlichen Kollegen und Mitbewerber?
Müssen definitiv nicht. Aber wenn ich auf mich schaue: Ich habe schon oft das Gefühl, besser spielen zu müssen als meine Bandkollegen. Das ist aber ein Zwang, den ich mir selbst auferlege. Keine Ahnung, warum. Vielleicht deshalb, weil ich sicher sein will in dem, was ich tue.

“Ich glaube, es gibt schlicht zu wenig Vorbilder und Rolemodels – zu wenig Frauen, die sich trauen, beispielsweise in dieser eingefahrenen Welt des männerdominierten Metal Codes zu brechen, von wegen ich häng mir eine Gitarre um und bin jetzt einfach da.” (Foto: Thomas Düllmann)

Damit keiner sagt “Naja, für eine Frau war’s okay”?
Genau. Es ist ein paar Jahre her, da war ich noch nicht so gut, da habe ich indirekt folgende Aussage über mich mitgekriegt: “Ja, die Cora, die spielt schon gut – für eine Frau halt”. Meine Traumvorstellung ist, dass diese Kategorisierung “wie Männer”/”wie Frauen” einfach nicht mehr relevant ist. Und dass es völlig wurscht ist, wie viele Männer und wie viele Frauen gemeinsam in einer Band spielen. Aber das ist in unserer heutigen Zeit leider immer noch nicht normal.

Warum ist das so?
Ab einem gewissen Alter – ich sag mal ab der Pubertät – geht es bei vielen Mädchen nur noch darum, hübsch zu sein und einen gutaussehenden Partner abzukriegen. Die Option, zum Instrument zu greifen, gerät darüber oft völlig in Vergessenheit. Und schon ist man in der Konsumentenhaltung: Man hört nur noch Musik, statt selbst welche zu machen.

Wieder stellt sich die Frage nach dem Warum …
Tja: Gesellschaftliche Konventionen … zu wenig weibliche Rollenvorbilder. Ich würde behaupten, dass Frauen von der Gesellschaft immer noch in die Richtung gedrängt werden “Ich bin für Person(en) XY da”, “Ich kümmere mich”, “Ich sorge für meine Familie”, “Ich bin häuslich”. Es wird besser, aber diese Tendenz ist immer noch da. Nach Auftritten kommen regelmäßig Mädels zu mir und sagen “Ich finde das voll super, was Du machst. Ich hab auch mal Gitarre gespielt, aber dann irgendwann aufgehört.”

Fragst Du nach, warum das so ist?
Nein.

Warum nicht? Genau das ist doch die entscheidende Frage: “Warum hast Du aufgehört?”
Ich finde, das ist eine total private Frage! Oder?

Nö, finde ich nicht.
Okay. Dann frage ich das nächste Mal nach, und zwar so richtig direkt. Vielleicht bin ich einfach zu nett.

Jedenfalls ist das auch meine Erfahrung als Musiklehrerin: Während die Jungens in der Pubertät oft wie die Besessenen üben und richtig gut werden, gehen viele Mädchen in dieser Zeit verloren. Und das sind leider oft die entscheidenden Jahre …
Ich habe auch keine finale Antwort auf diese Frage, aber again: ich glaube, es gibt schlicht zu wenig Vorbilder und Rolemodels – zu wenig Frauen, die sich trauen, beispielsweise in dieser eingefahrenen Welt des männerdominierten Metal Codes zu brechen, von wegen ich häng mir eine Gitarre um und bin jetzt einfach da. Vielleicht ist das die einfachste Antwort auf diese schwierige Frage.

Du bist trotz Deiner jungen Jahre schon jetzt so ein Rolemodel, und darüber freuen wir uns sehr – auch, weil Du es eben anders gemacht hat. Ich feiere das total, hab es vor meinem inneren Auge, wie Du Dich in dieses Juz schleichst mit diesem “Suche Metalband!”-Zettel … in einem niederbayerischen Kaff! Du hast Dich getraut!
Voll! Leider hatte ich nie Mitstreiterinnen, das war komplett mein ganz eigener Film, den ich da geschoben habe. Ich wollte da hin! Ich habe zu dieser Zeit auch auf YouTube ständig Videos von Gitarristinnen geguckt, von denen ich heute leider nicht mehr weiß, wer das alles war. Jennifer Batten hab ich mir noch gemerkt, aber die ist ja eh ein Klassiker. Ich sah diese Clips und wollte so werden wie die.

Von Deinen Freundinnen hatte keine Lust, mit Dir eine Band zu gründen? Oder warst Du eh schon immer mehr mit Jungs abgehangen?
Letzteres tatsächlich. Ich hatte eine Freundin, der hätte ich den Bass aufgeschwätzt, aber die hat dann rechtzeitig Reißaus genommen … (lacht). Ab 16 hatte ich dann meine ersten Bands, aber immer nur mit Jungs.

Wir haben vor diesem Interview hin- und hergemailt und uns ausgetauscht, über was wir sprechen wollen. Was ich sauspannend fand: Von Dir kam die Anregung “Wie ist es, mit PMS einen Auftritt zu spielen?”. Klar, das machen wir alle und müssen da dann halt im Fall der Fälle einfach durch, aber ich selbst habe mir ehrlich gesagt das erste Mal so richtig Gedanken darüber gemacht, als Du dieses Thema vorgeschlagen hast. Magst Du was darüber erzählen?
Sehr gerne. Das Prämenstruelle Syndrom – wobei ich sagen würde, dass es kein Syndrom in dem Sinn ist, weil das ja jede Frau hat – ist bei der einen mehr und bei der anderen weniger ausgeprägt. So oder so sind aber einfach andere Hormone im Spiel nach dem Eisprung als wie davor, dementsprechend anders geht es einem: physisch wie psychisch. Bei mir hat das extreme Auswirkungen: Ich fühle mich aufgebläht, bin niedergeschlagen, reizbar … total durcheinander. Und das hat dann natürlich auch Auswirkungen auf mein Selbstbewusstsein, was vor Auftritten oft ganz schön tricky ist. Das Coole ist: Seit ein paar Monaten weiß ich, was in meinem Körper abgeht und welche Hormone gerade zugange sind, weshalb ich meine jeweiligen Reaktionen viel besser deuten kann.

Du bist auf Ursachenforschung gegangen?
Genau. Ich war in so einer komischen Opferhaltung: Warum passiert mir das? Warum passt es schon wieder nicht? Ich hatte oft das Gefühl, dass ich anderen hinterher hechle, weil ich in bestimmten Momenten nicht so leistungsfähig war wie meine männlichen Kollegen. Die Erkenntnis , dass man als Frau hormontechnisch komplett unterschiedlich tickt und dass „Leistung“ eine Maxime einer Welt ist, die von Männern gemacht wurde, war für mich ein absoluter Game Changer. Es ist so wichtig, darüber Bescheid zu wissen. Im Körper einer Frau passiert jeden Monat voll das krasse Zeug, man hat Energielevels, die rasen auf und ab. Allein nur das aktive Bewusstsein darum gibt schon sehr viel innere Ruhe, weil man sich endlich auskennt. Das Schlimme ist: Im Biologieunterricht wird der weibliche Zyklus überhaupt nicht thematisiert.

Null.
Die Welt geht unter, alles ist ganz schrecklich, irgendetwas stimmt nicht mit mir, ich bin komisch – mit all diesen Gefühle lassen sie einen allein. Dabei ist das alles nur PMS. Krass, dass das immer noch nicht in unserem Allgemeinwissen angekommen ist.

“Vor dem Auftritt bin ich die ruhigste Person der Welt. Idealerweise habe ich die Stunde vor der Show eine Gitarre in der Hand und spiele mich ein.” Foto: Jan Hesch

Jetzt spielst Du sowohl bei ANTIPEEWEE wie auch bei ATLANTEAN KODEX mit lauter Pimmeln in der Band. Auf Tour musst Du abends abliefern, auch wenn die Hormone Achterbahn fahren. Wie löst Du das?
Ich wärme mich auf, versuche, dass ich ruhig bin. Das ist tatsächlich mein Ritual: Vor dem Auftritt bin ich die ruhigste Person der Welt. Idealerweise habe ich die Stunde vor der Show eine Gitarre in der Hand und spiele mich ein. Das hilft mir ungemein, mich zu fokussieren.

Informierst Du Deine Mitmusiker, dass Du Dein Tage hast?
Teilweise (lacht). Manchmal mag ich auch nicht drüber reden. Aber wir kennen uns so lang, die kriegen das schon mit.

Was ich interessant finde: Wenn man erst gecheckt hat, was da als Frau mit einem abgeht, dann kann man diese Aggression und diese Wut bei einem Gig wunderbar in Energie umwandeln …
Voll! Das ist tatsächlich so. In der prämenstruellen Phase ist man voll-aggro … und das kann man prima rausballern. Vielleicht ist das eine Art von Aggression, die Männer gar nicht kennen … (lacht)

Ein weiteres Thema auf unserer Liste: Mansplaining. Gibt es im Metal viel Mansplaining?
Jein. Es ist definitiv besser geworden. Die Metalwelt an sich ist sehr technik-affin, wir haben E-Gitarren, Verstärker, Pedale … und da sind wir schon wieder bei einem gesellschaftlichen Phänomen: Frauen werden erzogen, dass technische Angelegenheiten Männersache sind – zumindest ist das meine Wahrnehmung. Ich hab’s tatsächlich ein paarmal erlebt, dass mir etwas erklärt wurde, obwohl ich gar nicht danach gefragt habe. Aber ich will die Frauen in diesem Kontext auch nicht vollständig in Schutz nehmen. In dem Gitarrenladen, wo ich seit zehn Jahre arbeite, habe ich schon so oft den Satz gehört: “Ich kenn’ mich eigentlich ja gar nicht aus.” In den meisten Fällen kommt er von Frauen. Das ist schade. Die Bereitschaft, sich auch als Frau eingehend mit technischen Dingen auseinanderzusetzen, ist einfach nach wie vor nicht gegeben, und ich bin der festen Überzeugung, dass die Gründe dafür in unserer patriarchal aufgebauten Gesellschaft liegen.

Kommen die Damen im Gitarrenladen direkt auf Dich zu?
(Überlegt) Wenn ich da und in Sichtweite bin, dann schon. Neulich war ein Teenager-Mädel mit ihrem Vater da, die eine E-Gitarre wollte – und auch wirklich zugeschlagen hat. Sowas freut mich voll. Weil das schon immer eine Überwindung für manche Anfänger ist – egal welchen Geschlechts. Aber noch mehr hätte mich gefreut, wenn das Mädel einfach so gekommen wäre, ohne ihren Dad, und sich ganz bewusst und eigenständig für die E-Gitarre entschieden hätte.

Umgekehrt, wenn Männer in den Laden kommen – blicken die sich dann nach männlichen Beratern um?
Jaja, genau.

Wie reagierst Du darauf?
Das ist tagesformabhängig. Manchmal frage ich “kann ich helfen?”, aber die meisten möchten dann mit dem Chef reden, weil sie den kennen. Kürzlich hatte ich aber so einen Fall, da wusste ich nicht sofort, wo die Kondensatoren sind und sagte deshalb dem Kunden, dass ich kurz den Kollegen fragen muss, da kam dann der Spruch – im Witz: “Ist das zu wohl zu kompliziert für eine Frau?”. Gottseidank ist mir die richtige Antwort eingefallen: “Ob ich weiß, wo die Kondensatoren liegen, das mache ich nicht unbedingt an meinem Geschlecht fest.” Ich hab das so rausgeschnauzt, aber er hat auch nur gelacht – das war dann einfach eine doofe Situation. Meistens ist man in solchen Momenten total überfahren. Ich bin froh, dass ich überhaupt was gesagt habe. Es kam auch schon vor – nicht oft, aber immerhin – dass ich bei Konzerten backstage komplett ignoriert wurde, weil alle dachten, ich sei die Freundin oder irgendeine Begleitung. Inzwischen läuft das so, dass ich mich direkt als Gitarristin der Band vorstelle, sobald wir in der Location ankommen. Weil es mich nervt.

Ganz anderes Thema: Egal ob in der Musik oder in Deinem restlichen Leben – bei Dir taucht immer wieder der US-amerikanische Autor H. P. Lovecraft auf …
(lacht) Bei AntiPeeWee ist es so, dass PeeWee, unser Sänger, von Anfang an absoluter Lovecraft-Fan war. Von ihm kommen auch viele der Texte, und er hat uns mit dem Lovecraft-Fieber infiziert… Vor fünf oder sechs Jahren habe ich dann zum ersten Mal selbst Lovecraft gelesen – und vor mir hat sich eine ganze Welt eröffnet, in der ich total hängengeblieben bin. Bei Atlantean Kodex ist Lovecraft auch immer mal wieder Thema, witzigerweise habe ich darüber auch zu der Band gefunden. Schlagzeuger Mario Weiß hat eine Hörspiel-Produktionsfirma, die sich auf Themen rund um den Lovecraft-Kosmos spezialisiert. Ich hatte um 2018 beschlossen, mich als Lektorin selbstständig zu machen und bekam eines Tages einen Flyer von einer Regionalbuchmesse in die Hände, auf dem stand, dass es da auch einen Stand von einer Firma gebe, die von H. P. Lovecraft inspirierte Hörspiele produziert. Ich war natürlich begeistert. Also bin ich da hin und hab mich dem Mario vorgestellt. Wir waren sofort auf einer Wellenlänge und haben kurze Zeit später ein erstes gemeinsames Projekt gestartet. Dann war ich ein halbes Jahr in England, und am Ende meines Englandaufenthalts kam just eine Anfrage von Mario, ob ich bei ATLANTEAN KODEX einsteigen will.

H. P. Lovecraft scheint ein Türöffner für Dich zu sein.
Schon. He opened the gates! Eigentlich besteht mein ganzes Leben aus Zufällen – aus wunderbaren Zufällen, die sich dann immer als sehr schicksalsträchtig erweisen.

Irgendeine Affinität zu Rollenspielen?
Ja, seit Kurzem bin ich Teil einer netten Pen&Paper-Gruppe in Abensberg. Ich habe gerade mein erstes Abenteuer zu Ende gespielt.

Welches System zockt Ihr?
Cthulhu – was sonst? (lacht)

Weil das ja klar ist … Inzwischen bist Du selbstständige Lektorin (www.horrorlektorat.de). Wie darf man sich diesen Bereich Deines Lebens vorstellen?
Ich lese Texte von beispielsweise Self-Publishern, also von Autorinnen und Autoren, die selbst ihre eigenen Texte veröffentlichen – ohne Verlag. Entweder korrigiere ich die nur auf Grammatik und Rechtschreibung oder eben auch auf Stil: ob der Plot spannend ist und ob man als Leserin und Leser dabei bleibt. Das ist das klassische Lektorat. Als freie Lektorin kann man natürlich auch mit Verlagen zusammenarbeiten und Manuskripteinsendungen begutachten oder Gutachten schreiben, worin man einschätzt, ob ein Buch sich verkaufen wird. Ich bin da aber noch ganz am Anfang. Ich bin frisch mit dem Studium fertig und gerade dabei, mir neben der Musik ein zweites Standbein aufzubauen. Die Freiberuflichkeit bietet sich hier perfekt an, da man den Workload selbst regulieren kann. Einen Angestelltenjob kann ich mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellen – dafür bin ich viel zu sehr mit meinen musikalischen Projekten beschäftigt. Zum Glück!

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Coralie Baier arbeitet als selbstständige Lektorin und baut sich neben der Musik ein zweites Standbein auf. (Foto: Franziska Lidl)

Was hast Du studiert?
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft.

Journalismus hat Dich nicht gereizt?
Journalismus ist mir zu schnelllebig, und Stress kann ich gar nicht gebrauchen. Ich steh schon sehr aufs Geschichtenerzählen – Kurzgeschichten, Romane. Ich schreibe selbst seit zwei Jahren Kurzgeschichten und bin jetzt erstmals an einem längeren Projekt dran. Das ist inzwischen so meine kleine Routine: Ich stehe früh auf und schreibe erst mal eine Stunde, vielleicht eineinhalb, und wenn ich das gemacht habe, ist der Tag gerettet. Das Schreiben tut mir unglaublich gut.

Lass uns über Dein Equipment reden: Du spielst Jackson Gitarren – eine Gitarrenmarke, die gefühlt vor allem in den 1990er Jahren im Metal sehr beliebt war …
Ich habe mich damals mit 19 für meine erste Jackson entschieden, weil ich eine Gitarre wollte, die einerseits optisch auffällt und andererseits ein Floyd-Rose-System hat. Im Gegensatz zum herkömmlichen Tremolosystem kann man mit einem Floyd Rose allerlei verrückte Sounds erzeugen, allen voran die berühmten Dive Bombs, etabliert vor allem durch Dimebag Darrell von PANTERA. Also ja, ich wollte mir gewissermaßen eine Spielart draufschaffen, die aus den 90ern stammt. Ich würde meinen Solostil aber definitiv nicht ausschließlich in den 90ern verorten. Bei meiner zweiten Jackson handelt es sich um das Signature-Modell von Phil Demmel von MACHINE HEAD, ebenfalls eine Band, die sich in den 90ern gegründet hat. Allerdings habe ich mich mit MACHINE HEAD musikalisch nie auseinandergesetzt. Ich habe mir die King V Demmelition Pro zugelegt, weil sie eine unglaublich vielseitige und kraftvolle Thrash-Metal-Gitarre ist und noch dazu echt fetzig aussieht. Interessanterweise spielen ziemlich viele Frauen Jacksons, beispielsweise Linnea Landstedt von TYRANEX und Sonia Anubis von CRYPTA/COBRA SPELL.

“Ich brauche für ATLANTEAN KODEX eine Gitarre mit einem grundigen, tiefen Punch und einer klassischen Optik. Deshalb nutze ich eine Gibson L6 aus den Siebzigern und eine 2012er Gibson Explorer als Backup.” (Foto: Thomas Düllmann)

Mit ANTIPEEWEE spielst Du Thrash-Metal, mit ATLANTEAN KODEX Epic Metal – zwei unterschiedliche Genres, zwei unterschiedliche Sounds. Wirkt sich das auf Deine Ausrüstung aus?
Definitv. Bei AntiPeeWee spiele ich meine King V Demmelition Pro und als Backup-Gitarre meine King V Cobalt Blue, als Verstärker nutze ich seit etwa einem Jahr ein Kemper Profiler Rack. Bei der Aufnahme zu “Infected By Evil” haben wir damals im Studio meinen Vollröhrenverstärker gekempert, also den analogen Sound meines Powerball II über Mikrofon in den Kemper eingespeist und digitalisiert. Der gut kontrollierbare und definierte Kemper-Sound eignet sich hervorragend für die zu Teil komplexen und dynamischen Spielarten von AntiPeeWee, zumal mein Gitarrenkollege Jogi auch einen Kemper nutzt. Bei ATLANTEAN KODEX jedoch fahre ich meinen Vollröhrenverstärker Engl Powerball II, weil die Spielart von Kodex einen druckvollen Sound verlangt, den ein digitaler Amp meiner Meinung nach nicht gewährleisten kann. Aus ähnlichen Gründen spiele ich deshalb auch keine Jacksons bei ATLANTEAN KODEX – das würde stilistisch einfach nicht passen. Ich brauche dafür eine Gitarre mit einem grundigen, tiefen Punch und einer klassischen Optik. Deshalb nutze ich bei Kodex eine Gibson L6 aus den Siebzigern und eine 2012er Gibson Explorer als Backup.

Bedarf es einer unerschütterlichen Liebe zu den alten MANOWAR, um bei Atlantean Kodex bestehen zu können?
Ich sag mal so: als unerschütterliche BATHORY-Anhängerin schafft man es ebenso.

Stell Dir vor, Du feierst eine Gartenparty und hast drei Bands frei, die an diesem Tag für Deine Freundinnen und Freunde aufspielen. Der Clou: Leichen willkommen! Bands, die es nicht mehr gibt und Musiker, die schon tot sind, dürfen für diesen Nachmittag zurückkommen. Wer spielt auf Deiner Gartenparty?
Bei mir sind’s drei Musiker: Ronnie James Dio … Cliff Burton … und Philthy Animal Taylor. Bei Lemmy habe ich mir gedacht, der braucht keine Einladung – der kommt von selbst!

Interview: Karin Rabhansl – Danke an Akte XX und Zosh! (Radio Z Nürnberg).

 

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