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THE FLOWER KINGS: Space Revolver

Die Blumenkinder sind zurück, und sie klingen bunter als je zuvor! Das Spektrum zwischen abgefahren/experimentell und harmonisch/meldoisch wird bis zu den Extremen ausgelotet und doch bleiben sich die Gewächse treu…

Zwei Minuten sind vergangen. Noch klingt alles wie gehabt: harmonisch-verspielter Neo-Prog, den man bereits von Alben wie “Stardust We Are” oder “Flower Power” kennt. Dann: eine verzerrte Gitarre, die ein bisschen härter und vielleicht sogar einen Tick gemeiner klingt, als man es von den FLOWER KINGS gewohnt ist. Dennoch: kein wirklicher Stilbruch. Vier Minuten, dreißig Sekunden: Ein Saxophon spielt ein paar liebliche Melodielinien. Fünf Minuten, dreißig Sekunden, folgende Textzeile: “I’m in the middle, now see what I’ve done, staring into the sun.” Roine Stolts warme Stimme und eine wundervolle Gesangslinie, an der man sich nicht satt hören mag. Glücklicherweise folgt sie noch mehrfach, Streicher setzen ein, dann ein Break, Miniatur-Kirchenglocken. Ein sphärischer Chorgesang: “Break down down…”

Sieben Minuten, zwanzig Sekunden: FLOWER KINGS pur: verspielte, frohgelaunte Miniaturen. Acht Minuten: Break. Eine merkwürdig verfremdete Stimme erklingt, Saxophon, Drums, Klavier und Bass kippen ins Freejazzige. Irgendein Spinner intoniert in halbtrunkenem Zustand eine Wohnzimmerausgabe von Sinatra, der sich offensichtlich an die Westküste verirrt hat: “I left my heart in San Francisco, I left my mind in Frisco Bay.” Neun Minuten: Weg mit Free, der Jazz bleibt. Keyboards und Gitarre wimmern improvisatorisch drauf los.

Zehn Minuten: Das Tempo wird forciert. Zehn Minuten, dreißig Sekunden: dramatisches Streicher-Crescendo. Elf Minuten: Stille. Sphärenklänge. Elf Minuten: spanisches Gitarrengezupfe, Roines Stime erklingt aus der Ferne. Immer noch sphärisch. Dreizehn Minuten: Sanfte Percussions fallen friedlich pluckernd mit ein. Vierzehn Minuten: Eine fröhliche Flöte erklingt, ein fröhliches Finale erschallt, der erste Teil von “I Am The Sun” nähert sich dem Ende.

Der Bass ist auf “Space Revolver” beizeiten mehr Lead- als Rhythmus-Instrument

Es folgt das sanft-wiegende “Dream On Dreamer”. Aber etwas ist anders. Was nur? Aha, der Bass! Gespielt von einem Herren namens Jonas Reingold, seines Zeichens Neuzugang der Band. Melodisch, eigen, ungewöhnlich. Mehr Lead- und Füll- als Rhythmusinstrument. Guter Mann! Ausklang: eine Spieluhr, die Tschaikovsky anstimmt. Ganz sacht und leise. Umso überraschender die ersten Töne des Instrumentals “Rumble Twist Fish”: wild, ungestüm und Monster-Breaks ohne Ende. Wer ruft da DREAM THEATER? Na gut, lassen wir durchgehen. Diese Bassarbeit! Wow! So gut, da muss ein Solo her! Nach zweieinhalb Minuten kommt’s denn auch. Und eine Minute später ward es stille. Und der Geist PINK FLOYDs schwebte über dem Wasser. Und schwebt und schwebt. Nur der Board-Bassist war ein anderer. Nach weiteren vier Minuten dann der sanfte Landanflug.

THE FLOWER KINGS zeigen auch eine neue Seite

Und dann: wieder ein Harmonie-durchtränkter Flower-Power-König-Song. Ganz klar. Kenn’ich doch. Smiiiiiiile! Äh…. Moment! Dieses Riff gehört hier aber nicht her! Und was soll dieses diabolische Gelächter? Und dieser Vocal-Effekt! “Nights of terror and gates of hell”? Ach Du meine Güte! Und diese schrägen Keyboards? Und dann heißt der Song auch noch “Monster Within”? So hört sich’s auch an. Ganz neue Seiten, die ich da an meinen geliebten Blumenkindern entdecke! Aber gar nicht mal so schlecht. Falsch: ist sogar richtig gut! Und wird noch besser: Break. BEATLES-artige Mellotrons. Dramatische Sample-Chöre, im Hintergrund eine bekannte Stimme. Der Führer. Verbrecher an der Menschheit. Wahrlich ein Monster. Und doch war auch er einst ein Kind. Ein unschuldiges, hilfloses kleines Wesen.

So unschuldig und zart wie die leise Orgelmelodie, die folgt. Bis das Monster in ihm erwachte. Laut und dröhnend, wie der verzerrte Kirchenchoral, der die Stille zerreißt. Wilde Gitarrenläufe reißen mich hinfort. Die Frage erklingt: “What would you do if you did not belong to that beautiful dream, being ugly and mean?” Und sie zeigen es mir, die FLOWER KINGS. Wütender, als ich es ihnen je zugetraut hätte. Ja, ich habe verstanden: Das Monster lauert überall. In jedem von uns. Ein nachdenklicher Ausklang.

Manchmal wird’s auf “Space Revolver” auch etwas seichter

Klick. Programmwechsel. “Chicken Farmer Song”. Fröhlich. Leicht. Unbeschwert. “I’d rather be where the chicken farmers run, chasing in the sun, knowing all then secret summer, I’d rather be where the waters turn to wine on the riverside, take me down to the endless summer.” Kein Kontrast könnte schärfer sein. Fröhlicher die KINGS nie klangen. Leider auch nie seichter. Dennoch: guter Bass!

Dann “Underdog”. Ein Dudelsack? “Mull of Kintyre” oder was??? Oh, doch nicht, das ist doch gerade die Slide-Gitarre von Ry Cooder, oder? Ein Schotte im Wilden Westen? Aber der Satzgesang! Also doch “Mull of Kintyre”, von den BEATLES mit kollektiver Erkältung eingeträllert. Oder waren’s CROSBY, STILLS & NASH? Diese Trompete jedenfalls stammt aus irgendeinem Weihnachts-Popsong. Wüsste ich doch nur noch aus welchem. Überhaupt: very weihnachtlich irgendwie. Ha, jetzt hab’ ich’s: Das sind weder die BEATLES noch CSN, sondern BAND AID! “Feeeeeed the woooohoooorld” und so… Aber immerhin etwas gehaltvoller als der Vorsong. Und die letzte Minute wird dann nochmal schräg. Angenehm schräg. Höchste Zeit, nach soviel Süßwerk.

THE FLOWER KINGS wechseln auch während der Songs munter den Stil

Jetzt kann man auch CROWDED HOUSE wieder ertragen. Das sind sie doch, die, die da “You Don’t Know What You Got” intonieren? Oder gar WET WET WET? Locker-flockig, akustisch-heiter und beschwingt, ja, das sind WET WET WET unplugged, ich weiß es genau! Äh…. aber was macht diese Kirmes-Marschkapelle da plötzlich im Hintergrund? Ach, das ist der nächste Song? Aaaah, und da sind ja auch wieder die FLOWER KINGS! Ja, so kenne ich sie. “Slave To Money” klingt wieder ganz nach “Flower Power” und “Stardust”. Melodisch, harmonisch und dennoch jederzeit komplex. Oh, hoppla! In der Mitte wird’s ja wieder richtig böse! Aber nur kurz, dann darf der Drehorgel-Spieler aus der Kirmescombo mitmachen, die noch irgendwo herumstand und das Treiben beobachtet hat. Bis er hinterrücks von der Jazz-Band überfallen wird, die anfangs schon mal aufgetreten ist.

Doch diesmal reißen sie sich ein bisschen am Reimen und frickeln nicht allzu wild herum. Und räumen zudem höflichst den Platz, als dieser ausgesprochen gefühlvolle Gitarrist vorbeikommt und ein kleines Solo zum Besten gibt. In der Ferne begleitet ihn kurioserweise eine Calypso-Band, die sonst nur auf die Bahamas pilgernde Touristen willkommen heißt. Doch bald werden die Armen von sphärischen Keyboard-Flächen und majestätischen Orgelwallungen zum Schweigen gebracht.

THE FLOWER KINGS sind bunter und abwechslungsreicher als je zuvor

Es folgt der schwedische Beitrag zum Grand Prix D’Eurovison de Chanson 2001. “A King’s Prayer”. “I had the world in my hand, the peace and the power, a love divine.” Bitte alle im Chor und mit Inbrunst! Ja, richtig so! Ergreifend… *schluchz* Nein, ich scherze nicht! Das verbitte ich mir! Dieses Lied berührt. Pompöser Wohlklang in Vollendung. “Here are the results of the German Jury. Sweden: twelve points!” Jawoll! Herr Siegel: Hören und lernen Sie!

Nach der rauschenden Siegesfeier: ein Abgang mit Stil und Würde. Und einem fröhlichen Augenzwinkern. Einem fröhlichen, harmonischen, beschwingten Augenzwinkern. Very FLOWERISH eben! “I may be a stray dog, mama, but I never hurt a livin’ soul, I may be a bit confused, but my mind is as clear as ever. I’m free as a…. FISH!” Hach, die Welt ist wieder in Ordnung! Und die FLOWER KINGS sind doch noch die FLOWER KINGS. Sie haben ein paar Facetten mehr, klinger eingängiger, unzugänglicher, heiterer, düsterer, harmonischer und schräger, kurz: bunter und abwechslungsreicher als je zuvor, aber sie sind’s noch durch und durch. Und dafür liebe ich sie. Und verzeihe ihnen selbst diesen Hühnerkram.

Spielzeit: 76:14 Min.

Line-Up:

Roine Stolt – vocals, guitars, bass
Thomas Bodin – piano, organ, synthesizers, mellotrons
Hans Fröberg – vocals, acoustic guitar
Jonas Reingold – bass
Hasse Bruniusson – percussions, drums, voices
Ulf Wallander – saxophone

Produziert von Dexter Frank Jr, Roine Stolt & Thomas Bodin
Label: InsideOut

THE FLOWER KINGS “Space Revolver” Tracklist

  1. I Am The Sun (part 1)
  2. Dream On Dreamer
  3. Rumble Fisch Twist
  4. Monster Within
  5. Chicken Farmer Song
  6. Underdog
  7. You Don’t Know What You’ve Got
  8. Slyve To The Money
  9. A King’s Prayer
  10. I Am The Sun (part 2)
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