SANTA CRUZ: The Return of The Kings

Die finnischen Sleaze-Metaller SANTA CRUZ machen auch auf ihrem neuen Album das, was sie am besten können: Party. Die Mischung aus Gang Shouts und Groove-Riffs ist so subtil wie ein Porno, die dreckige Attitude natürlich Zitat. Aber bisweilen ballert das ähnlich gut rein, wie wenn man beim Tanzen volltrunken mit dem Hinterkopf gegen die Tischkante knallt. Die flotten Songs sind gutes Ohrenfutter – aber es gibt auch schwächere Momente.

Als ich neulich in Leipzig in die Straßenbahn stieg, erlebte ich einen echten Kulturschock. Da stand eine Gruppe junger Menschen mit POISON– und MÖTLEY-CRÜE-Shirt, und mit „jung“ meine ich nicht so Mitte 40, sondern so richtig jung. Gerade erst der Pubertät entwachsen. Hui, dachte ich, Nikki Sixx könnte ihr Opa sein. Lange lockige Haare, Leggings und Lederhose, dazu allerlei bunten Fimmel und große, farbige Ohrringe: als wären sie in Marty McFlys DeLorian gestiegen und hätten sich aus den 80ern direkt rübergebeamt. Auch die „Aces High“-Party in Leipzigs Kultclub „Ilses Erika“ ist immer überraschend gut besucht, dort läuft unter anderem – ich zitiere – „Vintage-Hard-Rock, Glam & 80s“.

Hartgesottene müssen jetzt also besonders hart sein, denn es besteht der Verdacht, es könnte ein kleines Hair-Metal-Revival geben. Mal wieder, es ist ja nicht das erste Revival dieser Art. Ich weiß jetzt nicht, wo das herkommt, tippe aber, es könnte eine Nebenwirkung des „Stranger Things“-Hypes sein. Oder von ELECTRIC CALLBOYs „Pump It“-Video, weil das Jungvolk wissen will, wer denn die Vorbilder sind, die da mit Perücke und angeklebtem Pornoschnauzer parodiert werden. Es ist offenbar eine gefährliche Einstiegsdroge. Kaum konsumiert, laufen die Kids plötzlich selbst so rum, ganz unironisch, schmieren sich Pomade ins Haar und zwängen sich in hautenge Hosen, um den Schlachtruf „Girls Girls Girls“ herauszubrüllen.

SANTA CRUZ: Erben des Sleaze Rock und Hair Metal

Damit wären wir auch schon beim Thema dieser Rezension, denn Eingeweihte werden es ahnen: Auch auf ihrem fünften Album „The Return of the Kings“ präsentieren sich die Finnen SANTA CRUZ als würdige Erben des Sleaze Rock und Hair Metal. Das tun sie bereits seit 15 Jahren. Sie zählen zu jener Garnison meist skandinavischer Bands, die den Glam wieder auf die Landkarte setzen. Die Kids von heute brauchen ja auch Acts, die noch keinen Bierbauch angesetzt haben und als Coverband ihrer selbst müde Retro-Shows spielen.

Wobei es sich bei SANTA CRUZ mittlerweile eher um das Solo-Projekt von Sänger Archie Cruz handelt, der das vorliegende Werk alleine schrieb und auch einspielte. Auf der Rückbank seines Oldschool-Cabriolets haben drei neue Mitstreiter Platz genommen, die ihn fortan bei Live-Auftritten unterstützen werden – und die er stilecht in Los Angeles eingesammelt hat: Jerry Jade (g.), Tom Bradley (b.) und Randy McDemian (dr.). Die erste Show mit neuem Line-Up haben sie dann auch im Whisky-A-Go-Go auf dem Sunset Strip absolviert, jene sündige Flaniermeile, von wo aus der Glam Metal seinen Siegeszug antrat.

Was diese Musik auszeichnet – und weshalb die Kids wieder auf den Sound abfahren – lässt sich auch an diesem Album durchbuchstabieren. Hier gibt es simple Songs mit hymnischen Refrains und ordentlich Dreck unter den Fingernägeln. Hair Metal war Unvernunft und Hedonismus. In den Texten ging es um Sex, das Feiern in nächtlichen Clubs und um Spaß. Eine rebellische Attitüde, die man sich beim Punk abgeschaut hatte. Balladen der Großstadt. So wie auf vorliegendem Album. Dass dies auch ernste Themen beinhaltete, das Leben auf der Straße, Alkoholsucht und Außenseitertum, wird dabei gern übersehen. Aber Hair Metal war nicht nur die Feier. Er war auch der Blues danach. Man höre sich nur die ersten beiden Alben der L.A. GUNS an: Wut, Einsamkeit und Enttäuschung mischen sich da in die hedonistische Sause.

Das hier ist keine reine Retro-Show

Man kann Archie aber nicht mehr vorwerfen, dass er sich einfach an den Vorbildern der guten alten Zeit abarbeitet. Im Gegenteil: Bereits auf den letzten beiden Alben fanden sich zeitgemäße Elemente im Sound, Breakdowns, Singalong-Punk und Ausflüge in poppige Gefilde der Marke MAROON 5. Genau das hat SANTA CRUZ zu einer Band gemacht, an der sich selbst die Haargel-Fraktion spaltet. Der Vorwurf des Ausverkaufs ist da nicht weit. Was natürlich absurd ist angesichts eines Genres, das in den 80er Jahren für volle Stadien und Bravo-Starschnitte sorgte.

Auch auf dem neuen Album rühren SANTA CRUZ allerlei Einflüsse in ihren 80s-Retro-Cocktail. Und sind damit ganz der Tradition des Hair Metal verhaftet. Dieses Subgenre war schon immer ein bunter Mix verschiedenster Genres: und bezog seinen Reiz daraus. Man nehme Metal als Grundessenz, rühre eine ordentliche Dosis Punk hinein und würze das Ganze mit Glam Rock, Pop und Blues. Hair Metal war streng genommen kein Genre. Sondern eine Mode? Wer dazu zählte, entschied nicht allein der Sound: das entschieden Outfit und Haare.

Hier ballert der Opener „Here Comes the Revolution“ mit aggressivem PANTERA-Riffing los und mit fast thrashiger Härte. Ein gelungenes Statement, das allerdings nicht zu den stärksten Momenten des Albums zählt. Denn es fehlt die Catchyness im Refrain. Ey, wir wollen doch mitgrölen! Archies Gesang klingt in der Strophe gedrungen, als würde er tatsächlich zu enge Hosen tragen. Man kann den Hodenschmerz förmlich hören: Er singt tiefer als gewohnt, wohl um das Aggro-Level hochzuschrauben. Die Forderung nach Revolution bleibt unbestimmt. „Die Zeit ist gekommen, um mutig zu sein/ Ich werde entzwei brechen, was noch zu brechen ist“, proklamiert Archie mit angenehm angepisster Stimme. Da werden “Wände eingerissen” und “Ketten gesprengt”, dafür fordert der Text “stehenden Applaus” ein. Meinetwegen. Trotz genannter Schwächen ein guter Einstieg, der aber doch nicht alles einreißt wie behauptet.

Die Mitgröl-Hymnen funktionieren am besten

Das folgende „Take Me to America“ erfüllt dann schon eher die Erwartungen der Retro-Liebhaber. Auch hier grooven zwar die Gitarren modern und leicht tiefer gestimmt. Aber es handelt sich um eine ordentliche Mitgröl-Hymne im mittleren Tempo, die zudem ein schön rotziges Blues-Riff an den Anfang stellt. Und verdammt heavy klingt. Die Produktion des Albums, ebenfalls von Archie besorgt, ist modern und fett, ohne dass die Nostalgiker davon abgeschreckt sein dürften. Grade angesichts der Tatsache, dass der Allrounder alles allein einspielte, ist das Ergebnis mehr als respektabel. Auch das Schlagzeug kann sich durchaus hören lassen und klingt nicht künstlich.

Ebenfalls ein Gewinn ist Song Numero drei: „Under the Gun“. Geiles 80s-Riff und Gang-Shouts im Refrain, die ein wenig an die guten Momente von DOKKEN erinnern. Weniger appetitlich ist der Text: Darin wird eine Dame angesprochen, die auf nichts so sehr gewartet hat wie den Lover mit schlechtem Ruf, durchaus auch mit bedrohlichen Elementen. Die Schlafzimmertür schließt sich – und was dahinter passiert, wollen wir besser nicht wissen. „Lauf, Baby, Lauf/ Ich bin fest entschlossen, dich zu meiner Anti-Heldin zu machen/ Lauf, Baby, lauf/ Siehst du nicht, dass du dich unter der Knarre versteckst?“ Aber das, was da passiert, sei genau das, wovon die Dame nachts heimlich träumen würde – uff.

Diese Texte: War das nicht auch ein Grund, weshalb viele verächtlich auf die Glam Bands schauten? Hair Metal als vertontes Catcalling in einem männlich geprägten Genre, das konträr zum androgynen Auftreten der Bands stand. Das Frauenbild ein mehr als fragwürdiges: Frauen als Objekt der Begierde, denen man nächtlich nachstieg. Oder als untreue Bitches, die das Geld des Rockstars ausgeben wollten. Man höre sich einen Song wie „Watching You“ von VAIN an: eine Hymne für Stalker. „Well you better believe girl/ If nobody is then I’m gonna be watching you/ And you’ll know my secrets/ When you’re pumping on my ground“. Das klingt nach übergriffigem Verhalten. Ich will hier keine Sexismus-Debatte aufmachen, doch dass derartige Klischees sich auch bei heutigen Bands finden, ist ärgerlich. Und wohl eine Folge davon, dass man Stereotype der 80er unreflektiert ins Jetzt übernimmt.

Die Ballade ist schmalzige Ohrenpein

Aber es gab noch die andere Seite des Hair Metal: Texte, in denen einer potentiellen Partnerin die ewige Treue geschworen wurde oder ein Verlust beklagt. Oft in schmalzigen Songs, die im Refrain Worte wie „Forever“, „Always“ und andere Beteuerungen enthielten. Zumindest in den weniger gelungenen Momenten, denn auf der Haben-Seite stehen unsterbliche Powerballaden wie „November Rain“ und „I Remember You“, vermutlich zwei der schönsten Herzschmerz-Nummern ever. Auch Archie versucht sich an Balladen, und das kann ich vorweg nehmen: ein neues „I Remember You“ ist nicht dabei herausgekommen.

Stattdessen „Disarm me“, ein heißer Kandidat für die Skip-Taste. Schon klar, der Finne ist kein Sebastian Bach. Am besten klingt er, wenn er schön ranzig loskeifert, rotzt und shoutet. Im Refrain von „Disarm me“ leidet er stattdessen mit hoher, brüchiger Stimme. Und ich schwöre: Viele Hörer werden mit ihm leiden, aber aus anderen Gründen. Unglaublich pathetisch fleht der arme Archie eine Angebetete an, sie möge ihn doch bitte entwaffnen. Der Bitte sollte die Dame auch nachkommen, am besten, indem sie ihn zum Schweigen bringt. Ey Archie, selbst ich habe das Bedürfnis, dir ob der leiernden Töne sofort den Mund zuzukleben oder dir anderweitig Gewalt anzutun! Bitte, bitte mach das nie wieder!

Das ist dann auch der einzige Totalausfall auf dem Album. Wobei auch die zweite ruhige Nummer, „Would You Believe It“, eher keine Lorbeeren für die beste Ballade aller Zeiten verdient. „Da ist etwas tief in mir drin, das in mir brütet, Baby“, singt Archie. Eine große Stimme ist es jedenfalls nicht, die da aus ihm raus schlüpft: wieder tönt sie eher dünn. Der Background-Chor liefert hier im Refrain keine Harmonie-Gesänge, sondern ein gelangweiltes „Dadadadada“, wenn ich das richtig verstehe. Warum macht man sowas? Immerhin hat die Nummer ein sympathisch abgehangenes Feeling und ein starkes Gitarren-Solo. Kann man sich noch geben.

Genug starke Momente

Am besten sind SANTA CRUZ aber genau dann, wenn sie einfache Hymnen auspacken, mit geshouteten Refrains, kraftvollem Riffing und ordentlich Energie. Dabei, wie gesagt, sind sie nicht durchweg Sklaven des 80s-Sounds. „Standing My Ground“ ist eine recht moderne Rocknummer mit einprägsamer Hook und schwerem Hard-Rock-Riffing, die sich leicht in Richtung Grunge verneigt – und gut ins Ohr geht. Sehr flott kommt das folgende „10 Shots“ daher, welches sich anbietet, im Cabrio Richtung Sonnenuntergang in voller Lautstärke aufgedreht zu werden. Zuckersüß, aber keineswegs klebrig schmeckt auch die Hook von „Another Round“: ein Song, der sich ebenfalls als recht flotte Rocknummer entpuppt. Hier spielt Archie voll seine Stärken aus. Und das sind eben die Momente, in denen der Sound von SKID ROW, L.A. GUNS oder anderen 80s-Ikonen eine Frischzellenkur erfährt. Das sind die rotzigen, hedonistischen Momente.

Ein Song wie „1.000 Cigarettes“ verneigt sich dann sogar in Richtung amerikanischem Pop-Punk, wie er aktuell von Musikern wie MACHINE GUN KELLY gezockt wird. Das kann man als anbiedernd empfinden, ist aber sehr logisch. Denn auch der Pop-Punk hat sich wohl eher an der Catchyness des Hair Metal bedient als am rauen Punk-Sound der britischen Schule: Hier schließt sich also ein Kreis. Eine Nummer, die zumindest nicht weh tut. Dass Archie am Ende der Platte noch „Stay“ von JUSTIN BIEBER covert und man nahezu keinen Unterschied zum Original erkennen kann, einschließlich Autotune – dazu schweige ich mal besser.

Veröffentlichungstermin: 16.09.2022

Spielzeit: 37:44

Line-Up:
Arttu „Archie Cruz“ Kuosmanen

Label: M-Theory Audio

Homepage: https://www.santacruzbandofficial.com/
Bandcamp: https://santacruzbandofficial.bandcamp.com/music

SANTA CRUZ: “The Return of the Kings” Tracklist

1. Here Comes The Revolution
2. Take Me To America
3. Under The Gun (Video bei Youtube)
4. Disarm Me (Video bei Youtube)
5. Standing My Ground
6. 10 Shots
7. Another Round
8. Gunshot
9. 1000 Cigarettes
10. Would You Believe It
11. Stay

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