NEAERA haben mit ihrem Debüt The Rising Tide Of Oblivion einen ziemlichen Hammer rausgehauen, der es wirklich verdammt lange in meinem Player aushielt und sicher für die ein oder andere Review-Verspätung gesorgt hat. Und das, obwohl die Scheibe bei mir erst auf den dritten oder vierten Run gezündet hat. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Spannung auf den nächsten Streich der Münsteraner war groß. Zwischen unzähligen Gigs und Touren haben es die Jungs geschafft, den aktuellen Rundling nahezu erschreckend schnell nachzuschieben. Übermotiviert? Müssen wir dafür mit Qualitätseinbußen rechnen? Die Antwort ist: Nein. Immerhin wurde auch das Debüt ziemlich schnell auf die Beine gestellt, warum also nicht auch der Nachfolger?
Da ist es nun, das Objekt dieser Tirade: Let The Tempest Come. Und es ist unverkennbar NEAERA. Solide Death Metal-Stampfer mit rasanten Ausbrüchen in Richtung Black Metal, verbunden mit groben Mosh-Parts und filigranen Melodien. Aber Let The Tempest Come ist kein zweites The Rising Tide Of Oblivion geworden. Lassen wir die Katze an dieser Stelle aus dem Sack: Trotz aller Qualität kommt der Neuling für mich nicht ganz an das Debüt heran. Begründen kann ich es nicht. Es ist einfach da. Ich habe die elf Tracks nun unzählige Male gehört, der Spaßfaktor ist hoch, die Songs unglaublich fett, aber der Suchtfaktor, den der Vorgänger bei mir erzeugt hat, ist bei diesen Songs einfach geringer. Let The Tempest Come kommt ganz, ganz dicht hinter The Rising Tide Of Oblivion. Aber eben trotzdem dahinter.
Was hat sich überhaupt verändert? Insgesamt würde ich es so ausdrücken: Let The Tempest Come ist ein gutes Stück aggressiver, Sänger Benny hat die Anteile an Growls wie versprochen deutlich erhöht (eine unbeschreiblich gute Entscheidung!), cleane Parts gibt es gar keine mehr (eine fast noch bessere Entscheidung!). Der Mosh ist ein bisschen in den Vordergrund gerückt und walzt sich einen guten Schwung offensiver aus den Boxen. NEAERA sind 2006 ein Stück kompromissloser, aber auch komplexer geworden. Let The Tempest Come zielt einerseits voll geradeaus in die Fresse, wartet aber andererseits mit weitläufigem Songwriting auf, das von direkten Grooves, unverwüstlichen Thrash-Parts, heftigen Bolzattacken, bis hin zu fast träumerischen Gitarrenmelodien reicht, nur um den Hörer dann abrupt wieder in hämmernde Breakdowns fallen zu lassen. Komplexität und Brutalität wurden also angehoben, was mit dazu führt, dass die Songs sich nicht ganz so schnell ins Gehör fräsen, wie erwartet, dafür aber einen äußerst hohen Langzeitfaktor haben. Und hier ist der kleine Nachteil zu The Rising Tide Of Oblivion: Das Teil hatte beides.
Das Ganze klingt zu negativ? Das liegt vielleicht daran, dass du nicht weißt, wie gut The Rising Tide Of Oblivion für mich wirklich war. Let The Tempest Come ist ein wahnsinnig gutes Album geworden, von dem sich eine ganze Menge Bands eine riesige Scheibe abschneiden können. Oder auch zwei. NEAERA haben nicht versucht, ihr Debüt zu kopieren, und ein Stück Musik geschaffen, das man als logischen Schritt in die Zukunft werten kann. Für mich bleibt nur zu hoffen, dass es die Münsteraner schaffen, dieses Niveau zu halten und stattdessen lieber den Terminkalender weniger eng gestalten. Denn, obwohl ich The Rising Tide Of Oblivion eine kleine Ecke besser fand, will ich auf ein Album, wie Let The Tempest Come keinesfalls verzichten. Denn hier stimmt einfach so vieles. Harte, abwechslungsreiche und anspruchsvolle Musik, gepaart mit wütenden Vocals und Texten, die zum Nachdenken anregen und klare Statements setzen. Egal, wie kurz es die Band erst gibt, wer im Jahre 2006 noch immer nichts von NEAERA gehört hat, der hat definitiv ganz gewaltig gepennt.
Veröffentlichungstermin: 07. 04. 2006
Spielzeit: 50:42 Min.
Line-Up:
Benny Hilleke – Vocals
Tobias Buck – Guitars
Stefan Keller – Guitars
Benjamin Donath – Bass
Sebastian Heldt – Drums
Produziert von Jacob Hansen
Label: Metal Blade Records
Homepage: http://www.neaera.com
Tracklist:
01. Mechanisms Of Standstill
02. Let The Tempest Come
03. Plagueheritage
04. God-Forsaken Soil
05. Heavenhell
06. Desecrators
07. The Crimson Void
08. I Love The World
09. Paradigm Lost
10. Life Damages The Living
11. Scars Of Gray