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MAVERICK: Silver Tongue

MAVERICK liefern mit „Silver Tongue“ ein Hardrock-Album auf sehr hohem Niveau. Geile Stimme, knackige Riffs, Hooks und Leidenschaft: Mehr braucht es nicht, um dem E-Bike-fahrenden Kunstlederjacken-Rebellen mit aufgesprühtem Airbrush-Totenkopf auf dem Rücken ein geiles Fahrtgefühl zu geben.

Die Welt ändert sich: nur der Hardrock nicht? Klar, ich kenne die Klischees. Der Musikrichtung haftet längst etwas Biederes an – der Mief von Bierzelten und der Gestank von radiotauglichen Mitgrölsongs, bei denen Rebellion nur noch eine Geste und Wildheit bestenfalls der Geruch einer nicht gewaschenen Jeansjacke ist. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn selten habe ich ein Subgenre erlebt, das in letzter Zeit so viele gute junge Bands hervorgebracht hat, das so lebendig atmet und sich so wenig um die neuesten Trends kümmert. Die kleine Schwester von bieder ist bekanntlich „bodenständig“, was hier nicht negativ gemeint ist. Und wer einmal teuren Beluga-Kaviar (500 Euro für 100 Gramm!) probiert hat, zieht vielleicht doch gute Hausmannskost vor.

Und da sind wir auch schon bei MAVERICK, die definitiv keine Newcomer mehr sind. Mit „Silver Tongue“ bringen die sympathischen Nordiren bereits ihr fünftes Album heraus, das Debüt liegt genau zehn Jahre zurück. Und die Erfahrung hört man der Band an. Die Songs schmettern tight und spielfreudig aus den Boxen, die Hooks stimmen, und es gibt genug Dreck und Energie, dass die Musik innerhalb der Genregrenzen frisch und aufregend bleibt. Aber auch jede Menge melodische Momente, die angenehm an den Muskeln kitzeln und dieses leicht schwebende Gefühl geben, dieses gewisse Kribbeln, das ein gutes Hardrock-Album einfach braucht, um eben nicht biederer Einheitsbrei zu sein. Dass diese Band noch immer ein gut gehütetes Geheimnis ist, trotz Support-Slots für Bands wie H.E.A.T. und zahlreichen Festival-Auftritten, ist ausdrücklich zu bedauern.

MAVERICK spielen ihren Hardrock hungrig und perfekt

Doch der Blick auf den Hardrock offenbart Nuancen: Wie also klingen MAVERICK? Ein Ford Mustang amerikanischer Bauart mit rotem Lederinterieur, die Karosserie kraftvoll, aber gleichzeitig weich und geschmeidig, kein schwerfälliges Ungetüm wie heutige Sportwagen. Das verchromte Sportlenkrad lässt sich gut lenken, das Leder fühlt sich weich und griffig an. Tritt man aufs Gaspedal, schiebt sich der Wagen energisch vorwärts, die Kraftübertragung ist direkt, die Beschleunigung sofort spürbar, der Motorsound warm. Cabrioverdeck offen, die Fender Stratocaster liegt honigfarben auf dem Beifahrersitz. STOP! STOP! Meine Güte, bin ich etwa Ulf Poschardt? Oder ein Autohausverkäufer? Und hatte ich schon erwähnt, dass Hardrock ein konservatives Genre ist? Man kann zu diesen Klängen auch gut mit dem E-Bike zum See rasen und sich eine fette Boombox um die Schultern hängen.

Vielleicht muss man hier auch einen Volvo neueren Baujahrs vorfahren, denn die Band hat auch einiges von den skandinavischen Neo-Sleaze-Bands zu bieten, die heute wohl am überzeugendsten die 80er-Fönfrisur – äh – in den Wind halten. Es gibt einen leicht europäischen Einschlag, auch Bands wie PRETTY MAIDS klingen immer mal wieder durch, und eine gewisse Erdverbundenheit. Es ist keineswegs so, dass MAVERICK rein äußerlich Wert auf perfektes Styling legen, in Videos sieht man sie auch mal mit Basecap und Metal-Kutte. Sie headbangen auf der Bühne, Sänger David Balfour trägt im Video zu „Sweet Surrender“ ein SODOM-Shirt. Bitte erwartet hier keine Pudelband, ich will keinen falschen Eindruck erwecken. Es geht auch um Schweiß, um kleine verrauchte Clubs, um dreckige Energie. Zuweilen erinnert der Enthusiasmus an Bands wie BLACK STONE CHERRY, wenn auch ohne Southern- und Neogrunge-Momente.

Sänger David Balfour ist ohne Zweifel ein Aushängeschild der Band. Mit seiner kraftvollen und vielseitigen Stimme meistert er sowohl hohe Töne als auch rauere Momente, immer mit einer leicht rauchigen, kehligen Note – und das auf höchstem technischen Niveau. Wie gut ist Balfour? Am Ende ihres Albums covern die Iren den Song „We All Die Young“ von STEELHEART. Ihr kennt sicher die Audition-Szene aus dem biederen Film „Rock Star“, in der Mark Wahlberg den gerade ausgestiegenen Sänger seiner Lieblingsband ersetzen soll, erst nervös und unsicher wirkt und dann plötzlich alle verblüfft, weil er leidenschaftlich und kraftvoll Töne trifft, die für einen Rocksänger ungewöhnlich sind? Seine Freundin, gespielt von Jennifer Aniston, steht mit weit aufgerissenem Mund da und ist überwältigt. Natürlich singt nicht Mark Wahlberg, sondern Miljenko Matijevic, einer der besten seines Fachs. Balfour meistert diesen Song ebenfalls beeindruckend. Ein möglicher Kritikpunkt könnte sein, dass seine Interpretation dem Original zu nah bleibt.

MAVERICK bewegen sich in den Genrekonventionen, sind aber raffinierte Songwriter

Das Songwriting bewegt sich im Rahmen der Genre-Konventionen, ist aber raffiniert und variabel genug, um nicht cheesy zu sein. Ja, es gibt „Whoawhoowhoo!“ und „Yeah Yeah Yeah!“-Momente aus der Mottenkiste des Singalongs, die hier aber gut eingebettet sind – und in der Regel funktionieren. Und es gibt eine druckvolle, angenehm wuchtige Produktion, die alle Beteiligten gut in Szene setzt. Dass das Album in mehreren Studios aufgenommen wurde, hört man ihm nicht an: ein transparenter Sound, der modern, aber nicht künstlich klingt und die erdige Note betont.

Höhepunkte finden sich bereits im ersten Drittel des Albums. Da startet der Opener „Puppet Show“ mit pulsierendem Bass und tight groovendem Schlagzeug, um im schnelleren Midtempo einen Refrain auszupacken, der live schnell sitzen sollte und aus zwanzig wie aus zwanzigtausend Kehlen funktionieren könnte. Es folgt mit „Sweet Surrender“ der vielleicht heimliche Hit des Albums, Refrain und Postchorus sind infektiös und clever gesetzt. Die Powerchords des Gitarrenduos Ryan Balfour und Ric Cardwell klingen angenehm schroff und halten die Balance zwischen tiefem Groove und dezenter Verspieltheit. Die Soli sind großartig.

Hardrock-Perlenfischer sollten sich vom etwas plakativen Beginn des dritten Songs „Daywalker“ nicht abschrecken lassen. Wenn Sänger Ryan mit kraftvollem Timbre zum Refrain ansetzt, erinnert das an die sträflich unterschätzten und zu Unrecht vergessenen Melodic-Metal-Virtuosen GLENMORE. Exzellent! Hier zeigt sich die songwriterische Reife der Band, sodass man das kraftvolle, aber etwas konventionelle Riff gerne mitnimmt. Auch die folgende Halbballade „Lorelei“, ein sehnsuchtsvolles Stück Powerballade, das Ende der 80er gute Chancen auf MTV-Rotation gehabt hätte, trägt das GS-Gütesiegel.

Musik für Leinenhemd-Träger und BMX-Kleinstadtrebellen

Der Mittelteil des Albums fällt dann etwas ab, bietet aber immer noch genügend Hooks und erinnerungswürdige Momente, um mit einem deutlich überdurchschnittlichen Ergebnis über die Ziellinie zu brausen. „Halfway to Heaven“ ist ein treibender Rocker mit geschickt gesetzten Lead-Harmonien und einprägsamem Refrain, „Evenfall“ ein sehr okayer AOR-Rocker zwischen Midtempo und Ballade: „The second Kiss is never the same“, singt Balfour in dem Song, der wieder gut komponiert ist, aber nur knapp am Etikett „zu gefällig“ vorbeischrammt. Und wer den Refrain von „Bloody Mary“ nicht nach dem zweiten Hören mitsingen kann, sollte mal dringend seine Ohren untersuchen lassen.

Es folgt mit „Time“ der Schwachpunkt des Albums, wenn auch dieser noch okay ist: eine angenehm und stimmungsvoll düstere Strophe nimmt im Prechorus ordentlich Anlauf – um einen Refrain zu präsentieren, der große Ballade sein will, aber doch etwas erzwungen und verkrampft klingt. Die Latte ist nicht gerissen, nur leider ist der Hochspringer darunter durchgesprungen. Mögen oder nicht mögen? Ich habe mich tendenziell zu letzterem entschieden, behalte mir das Recht auf Korrektur meiner Meinung aber vor.

Entschädigt werden Hörer mit „Hideaway“, bei dem sie sich auf den Lederbezügen eines weißen Ferrari Testarossa wiederfinden, an den schlanken Palmen von Miami vorbeirauschen und in Art-Déco-Villen mit Sonny Crockett Kriminalfälle lösen. Der rosafarbene Leinenanzug sitzt perfekt, und die Girls winken. Ein flottes Stück 80s-AOR mit breiten Kotflügeln. Auch der kraftvolle Rocker „Do Or Die“ ist mit seinem eleganten Refrain, verschnörkelten Soli und den Mitsingmomenten ein weiteres Highlight. In seinen hohen Stimmlagen zeigt hier David Balfour wieder, welch exzellenter Sänger er sein kann.

Weil auch „Cheyenne“ ein exzellenter Track mit melodischen Riffs, flotter Strophe und tollem Refrain ist, steigen wir zufrieden und mit breitem Grinsen aus dem Ferrari aus, um uns abends noch ein bisschen im weißen Sand zu sonnen. MAVERICK bieten mit „Silver Tongue“ ein starkes und zuweilen euphorisierendes Hardrock-Album, das Kuttenträgern mit Vokuhila ebenso empfohlen sei wie Seidenhemden-Trägern am Strand von Miami oder am Starnberger Ufer. Und natürlich ist es auch ein Tipp für BMX-fahrende Kleinstadtrebellen, die vom zweiten Album der Überflieger NESTOR etwas enttäuscht waren. Denn hier geht es rauer und druckvoller zur Sache. Gerade live, da bin ich mir sicher, kann diese Musik wunderbar funktionieren: Augen auf, wenn sie mal in der Gegend sind!

VÖ: 21. Juni 2024

Spielzeit: 48 Min. 52 Sek.

Line-Up:
David Balfour – Vocals
Ryan Balfour – Guitars, Keyboards
Ric Cardwell – Guitars
Richie Diver – Bass
Mike Ross – Drums

Label: Metalapolis Records

MAVERICK „Silver Tongue“ Tracklist:

1. Puppet Show
2. Sweet Surrender (Offizielles Video bei Youtube)
3. Daywalker
4. Lorelei
5. Halfway To Heaven
6. Evenfall
7. Bloody Mary (Offizielles Video bei Youtube)
8. Time
9. Hideaway
10. Do Or Die
11. Cheyenne
12. We All Die Young

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