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HOST: IX

Nick Holmes und Greg Mackintosh auf „Mission späte Gerechtigkeit“: Die späte Anerkennung von PARADISE LOSTs Album „Host“ dient als Katalysator des neuen Projekts HOST, deren Debüt „IX“ den damaligen Spirit wieder aufleben lässt und in die Neuzeit transformiert.

Man darf sich Berufsgrantler Nick Holmes vorstellen, als irgendwann in den frühen 2010er Jahren die Synthwave-Welle zu einem Tsunami wurde. Denn PARADISE LOST, die sich in den späten Neunzigern mit dem unvergessenen „One Second“ freizuschwimmen begannen und eine Transformation in Richtung Synthpop begannen, kehrten nach einer kommerziellen Bauchlandung reuig wieder zum klassisch-metallischen Sound zurück. Zunächst nicht sonderlich authentisch, eben wie eine arrangierte Ehe – und erst später war die Liebe (zum Metal) wieder richtig gewachsen. Und Nick Holmes, der die Missmutigkeit zur Kunstform machte, musste vor zehn Jahren ansehen, wie Metal-Fans allerorten zu Synthwave tanzten und tobten, als wären sie seit den Achtzigern Spezialisten für diese Musik.

Holmes’ imaginären Zähneknirschen ist absolut berechtigt, erinnert man sich, wie PARADISE LOSTs elektronischstes und poppigstes Album 1999 unterging und geradezu in der Luft zerrissen wurde, seitens der engstirnigen Presse und der wutschnaubenden Fans. „One Second“ ging ja gerade noch in Ordnung, aber „Host“?! Immerhin erfährt das Album 20 Jahre später dann doch die späte Gerechtigkeit. Wenig verwunderlich, dass Greg Mackintosh und Nick Holmes sich trotzig in die Hände klatschen und es erneut versuchen. Wohin sie mit ihrem Nebenprojekt HOST stilistisch wollen ist nun wirklich kein Rätsel, eine Kopie des 1999er PARADISE LOST-Albums ist „IX“ aber auch nicht geworden.

Wohin HOST mit „IX“ wollen, überrascht nicht – und doch werden PARADISE LOST anno 1999 nicht kopiert.

Gregor Mackintosh, treibende Kraft hinter dem Duo HOST, begeht aber nicht den Fehler, eine ausschließliche Reise in die Vergangenheit zu starten. Viel mehr ist „IX“ näher am Puls der Zeit, oder vielleicht der Trends, als zu vermuten wäre. Das liegt natürlich an dem wuchtigen, basslastigen Sound, aber auch daran, dass die Synthwave-Welle an ihm nicht gänzlich vorbei zog. Eine knappe Dreiviertelstunde erzeugen er und Nick Holmes ein Spannungsfeld aus dem PARADISE LOST-Klassiker, der so schnell keiner werden durfte, der Retromoderne und Power der neuen Synthwavebewegung und den großen Pop-Momenten des Gothrock und Synthpop.

Glücklicherweise empfand Mackintoshs Kollege Nick Holmes die Idee an diesem Projekt als schlüssig. Dessen dunkler Gesang passt hierzu perfekt und wirkt keinen Deut verbrauchter als noch 1999. Ich möchte klarstellen: Ich liebe diese Vocals – Punkt. Dass die beiden auf diese Art einige starke Songs verzeichnen können, ist wenig verwunderlich. Songwriting, das können die beiden – und weil sie dabei so frei von Druck und Erwartungen agieren können, ist die Erfolgsdichte recht hoch, und das obwohl „Wretched Soul“ ein überraschend doomiger, trister, langsamer Auftakt geworden ist, dessen pulsierender Synthesizer neben schweren Gitarrenriffs vorab überrascht. Ein Hit klingt anders. Und ist „IX“ dann doch eher ein neues „One Second“?

Als Songwriting-Team zeigen sich Greg Mackintosh und Nick Holmes stark wie eh und je – auch unter dem Banner HOST.

Nein, denn nachdem die vierzig Minuten verstrichen sind, mag es so wirken, als wäre „IX“ viel eher um „Tormorrow’s Sky“ herum komponiert worden, denn diese Nummer hat eine starke Hook, einen stoischen Beat, einen Nick Holmes, wie ich ihn liebe, und lädt unumwunden dazu ein, die Tanzfläche zu stürmen. Mit grimmigem Gesicht und Zornesfalten, aber immerhin. „Tomorrow’s Sky“ ist ein verdammter Hit und überstrahlt HOSTs Einstand deutlich, sendet daneben einen Gruß an die CARPENTER BRUTs und PERTURBATORs dieser Welt, gemäß dem Motto: „Daddy’s Home!“ Aber daneben hat das Duo weitere starke Songs zu bieten, die sich vielleicht nicht so ganz aufdrängen.

In der Folge bleibt der Dancefloor also manches mal leer. „Divine Emotion“ ist so etwas wie erwachsener Gothpop mit spannenden Streichern und überraschend viel Drama. In eine ähnliche Kerbe schlagen „A Troubled Mind“, das DEPECHE MODEeske „My Only Escape“, das gegen Ende immer rockiger und ausladender, aber auch irgendwie träger wird, und „Instinct“, das als fast Clubhit taugen könnte, aber etwas zu simpel geraten ist, um zu begeistern. „Hiding From Tomorrow“ bringt dann Gothrock per excellence und überrascht mit seiner Energie ebenso, wie das brodelnde „Years Of Suspicion“, das mit unerwarteten Details wie der einen oder anderen FIELDS OF THE NEPHILIM-Verneigung aufwartet. „Inquisition“ mit seiner brodelnden Atmosphäre und das FLOCK OF SEAGULLS-Cover „I Ran“ runden das Album souverän ab.

Viele starke Songs und ein großer Hit: Auf „IX“ dürfen HOST ohne Leistungsdruck komponieren und mit der Musik spielen.

HOST landen mit ihrem Debüt also im Spannungsfeld zwischen Pop und Experiment. Da sie so frei von Erwartungen an das Songwriting gehen konnten, funktioniert das Vorhaben auch größtenteils – und das, obwohl kein zweiter, wirklicher Hit auf „IX“ zu finden ist. Sei es drum, Holmes und Mackintosh sind und bleiben die Bud Spencer und Terence Hill der Düstermusik und zeigen sich auch nach so vielen Jahren noch frisch und schlagkräftig. Wer es schon immer schade fand, wie sich PARADISE LOST ab Anfang der 2000er entwickelten, den „Host“-Zeiten berechtigterweise (!) hinterher trauert oder das Album erst recht spät entdeckte, bekommt einen spannenden Nachschlag mit starken Songs zu hören. Da ist es egal, dass es kein ähnlich kontroverses und somit charakteristisches Werk wie „Host“ geworden ist. Ob „IX“ ebenso gut altern wird, darf auch vorsichtig bezweifelt werden. Immerhin ist die Zeit, in der die Zähne eines Nick Holmes knirschen, weil sich dies und das im Metal nicht gehört, weitgehend vorbei.

Wertung: 8 von 10 Filmnächte mit „Vier Fäuste für ein Halleluja“

VÖ: 24. Februar 2023

Spielzeit: 42:03

Line-Up:
Nick Holmes – Vocals
Greg Mackintosh – Guitars, Synths & Programming

Label: Nuclear Blast Records

HOST „IX“ Tracklist:

1. Wretched Soul
2. Tomorrow’s Sky (Official Video bei Youtube)
3. Divine Emotion
4. Hiding From Tomorrow (Official Video bei Youtube)
5. A Troubled Mind
6. My Only Escape (Official Lyric-Video bei Youtube)
7. Years Of Suspicion
8. Inquisition
9. Instinct
10. I Ran (FLOCK OF SEAGULLS-Cover)

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