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NAPALM DEATH: Scum

Wo hat der Krach-core seine Wurzeln?

Wir schreiben das Jahr 1987. Acts wie THE BANGLES, HEART, WHITESNAKE und BON JOVI tummeln sich in den Charts. Der Klassische Heavy Metal ist groß und JUDAS PRIEST haben gerade ein sehr kommerziell orientiertes Turbo auf den Markt gebracht. Plastik-Pop ist noch unbekannt, die meisten Popstars sind noch wirklich Musiker. Ebenso unbekannt sind aber auch die schätzungsweise 10.000 anderen Musikstile, die sich in der Zukunft entwickeln sollten. Es ging alles ziemlich schnell, stellvertretend für eine Gesellschaft, in der Fastfood das Nonplusultra ist und niemand mehr Zeit für nebensächliche Dinge hat, weil er sie damit verschwendet, noch nebensächlichere Dinge zu tun. Wo es anfangs nur Heavy Metal gab, gibt es heute unzählbare Kategorien, Stile, Unterkategorien und Schubladen. Als innovativ gelten Bands, die darauf pfeifen und Grenzen sprengen, aber da innovativ-sein auch in ist, ist selbst das kein Garant mehr für wirklich erfrischenden Sound.

Man kann heute davon ausgehen, dass alle Stile so gut wie ausgereizt sind, etwas wirklich Neues kann man im Sektor der harten Musik nicht mehr bieten. Und wozu auch? Blicken wir deshalb zurück auf eine Veröffentlichung, die man allgemein hin als eine der Wurzeln des Grindcore bezeichnet. Und eben das dürfte Scum vielleicht sein. Nicht die Tatsache, dass NAPALM DEATH besonders neu waren (D.R.I. und S.O.D. hatten bereits vergleichbar schnelle und kurze Songs geschrieben), oder besonders innovativ, sondern das Vermögen, Bestehendes zu etwas Besonderem zu verarbeiten. Zu etwas besonders Extremen im Falle von Scum. Das Fundament des Punk, mit seiner rebellischen Attitüde, der Mythos und der Idealismus des Hardcore und die Aggressivität des Metal bilden die Essenz dieses Albums.

NAPALM DEATH sind zur Zeit der Aufnahmen nicht mal eine Band. Die beiden Seiten des Albums werden von beinahe komplett unterschiedlichen Musikern eingespielt, unter ihnen Bill Steer (später CARCASS), Lee Dorian (heute CATHEDRAL) und Mick Harris (u.a. auch bei EXTREME NOISE TERROR tätig gewesen).

Man kann so ein Werk heute nur als Geschichte betrachten, würde man 2004 ein Album im Stile von Scum herausbringen, würde man wahrscheinlich schwerlich ernst genommen werden. Aber die Wurzeln dürfen alles. Tief verborgen im Untergrund, dreckig, erdig und unnachgiebig, das Wort Wurzeln passt hier mehr als alles andere. Ebenso muss man Scum als Gesamtwerk betrachten. Man kann keine Songs hervorheben. Wobei wir auch schon bei den wesentlichen Punkten der Scheibe wären. 28 Tracks werden in 33 Minuten dargeboten, 14 pro Seite. Die Songlängen fallen entsprechend kurz aus, etwas das den Grindcore in der Zukunft besonders prägen sollte. Die Songs auf Scum sind kurz, knackig und extrem. Der Sound ist knirschend und roh (engl. grind=mahlen, zerrreiben) und der Gesang brutal und unverständlich. Texte existieren hinter dem wütenden Brüllen und Kreischen dennoch, Texte, die das vermeintlich Primitive der Musik Lügen strafen: gesellschaftskritische, subversive aber auch selbstkritische, anarchistische und antifaschistische Themen sind erkennbar. Man spürt den Dreck der Birminghamer Industrielandschaft und anderer englischer Großstädte, in deren Umfeld Grindcore hauptsächlich entstand. Scum kommt einem mit Liedern, wie Multinational Corporations und Polluted Minds vor wie eine postnatale Gegenbewegung zur industriellen Revolution, wie ein missratenes Kind, das sich gegen seine Rabeneltern wendet. Verbitterung und Hoffnungslosigkeit (Sacrifice, Life) treffen auf die Wut über eine versklavte Gesellschaft (Control, Born On Your Knees) und mutieren zu einer Revolte gegen eine Welt, in der die Normen der Gesellschaft über dem Individuum stehen, in der unbewusste Zwänge und unterschwellige Manipulation herrschen und alle gute Miene zum bösen Spiel machen.

Scum schlägt in diese Stimmung ein, wie eine Bombe (allerdings nicht in kommerzieller Hinsicht). Grindcore ist erschaffen, lässt sich aber nicht limitieren, zieht Leute aus vielen verschiedenen Szenen an, bleibt aber trotzdem ein reines Underground-Phänomen, was sich bis heute nicht ändern sollte.

Scum ist und bleibt ein Meilenstein. Ein Relikt, das Respekt genießt, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Noch heute ist das Album in jeder Hinsicht extrem und die Message, die die Musik transportiert ist heute – in Anbetracht der gesellschaftlichen Situation unserer Welt – nicht einmal angestaubt, sondern aktuell, wie nie.

Die Musik auf Scum ist inhaltsgleich mit dem, was sie transportiert, während die Bands sich heute überwiegend mit Klischees und Images zu übertrumpfen versuchen, um krampfhaft die Härtesten zu sein.

Die Essenz von Scum könnte man – wenn man dem leicht träumerischen Ausbruch dieses Reviews folgt – folgendermaßen auf den Punkt bringen: Oft zitiert, doch nie verstanden.

Veröffentlichungstermin: 1987

Spielzeit: 33:18 Min.

Line-Up:
A-Seite:

Nik Bullen – Bass/Vocals

Justin Broadrick – Guitars

Mick Harris – Drums

B-Seite:

Lee Dorrian – Vocals

Bill Steer – Guitars

Jim Whiteley – Bass

Mick Harris – Drums

Produziert von Napalm Death
Label: Earache

Homepage: http://www.enemyofthemusicbusiness.com/

Tracklist:
A-Seite:

01.Multinational Corporations

02.Instinct Of Survival

03.The Kill

04.Scum

05.Caught…in a dream

06.Polluted Minds

07.Sacrificed

08.Siege Of Power

09.Control

10.Born On Your Knees

11.Human Garbage

12.You Suffer

13.Life?

14.Prison Without Walls

B-Seite:

15.Point Of No Return

16.Negative Approach

17.Success?

18.Deceiver

19.C.S.

20.Parasites

21.Pseudo Youth

22.Divine Death

23.As The Machine Rolls On

24.Common Enemy

25.Moral Crusade

26.Stigmatized

27.M.A.D.

28.Dragnet

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