DESPAIRATION: Songs Of Love And Redemption

Der Hörer kann in bislang ungekannte Abgründe eintauchen, um noch nie gesehene Wunderwelten zu erblicken. Es steht jedem von euch frei, die nächste Lohntüte für musikalische Alltagskost rauszuballern oder euch dieses Festmahl dunkler Musizierkunst zu sichern!

DESPAIRATION haben sich für den schweren, dornigen Weg entschieden. Ein leichtes wäre es für sie gewesen, die positiven Gothic Metal-Ansätze des letzten Albums Scenes From A Poetical Playground auszubauen und es sich irgendwo zwischen DREADFUL SHADOWS, HIM und DEINE LAKAIEN kommerziell gemütlich zu machen. Doch nix ist es mit Easy Listening auf S.O.L.A.R., denn die Band um Sangeswunder Sascha Blach und Hauptsongwriter Martin Jungkunz ließ sich lieber auf eine Abenteuerreise durch verschiedenste dunkle Gefilde der Musikwelt ein. Gothic, Metal, Trip Hop, Electro, Klassik – all diese Facetten bilden gemeinsam den nun endgültig einzigartigen Gesamtsound der Franken. Selbst vor einigen jazzigen Farbtupfern schrecken die Jungs nicht zurück, welche jedoch leider etwas deplatziert wirken. Was zählt, ist jedoch das Gesamtbild, und das ist bei S.O.L.A.R. äußerst beeindruckend und vielschichtig. Am besten spiegelt vielleicht Subsoil Pedestrians – mein persönlicher Favorit neben Transcen-Dance – wider, wie DESPAIRATION es verstehen, epische Refrains, ausladende Spannungsbögen und hypnotische Beats miteinander zu verbinden, als wäre es das Normalste der Musikwelt. Doch auch ruhige Balladen wie End Of Green und das von SCREAM SILENCE-Sänger Hardy Fieting mit Backings veredelte Melissa Kissed The Sky bringen DESPAIRATION überzeugend und Gänsehaut erzeugend rüber, vielleicht gerade weil sie konsequent auf billigen Kitsch verzichten. Innovation statt tausend Mal gehörte Herzschmerzmelodien, so lautet das Motto der Band, die mit Transcen-Dance sogar ein Lied im Programm hat, das die Klasse von TIAMATs A Deeper Kind Of Slumber-Meisterwerk besitzt. Schamanengesänge gehen über in dunkle Elektronik und PINK FLOYD-artige, sphärische Klänge, bevor der Refrain eine metallischere Richtung einschlägt. Spätestens hier wird deutlich, dass der Drumcomputer von DESPAIRATION nicht mehr als Notnagel, sondern als zusätzliches, voll integriertes Stilelement eingesetzt wird.

Den größten Trumpf im Ärmel stellt jedoch Saschas Gesangsstimme dar. Mal meint man, Nick Holmes persönlich hätte einen Song wie Cosmic Trigger eingesungen, dann wieder scheint Dave Gahan von DEPECHE MODE Pate für die Gesangslinien zu Magic Caravan gestanden zu haben – all dies ist natürlich lobend gemeint, denn Sascha entwickelt genügend eigenes Charisma, um sich von Vorbildern wie den oben genannten oder auch dem DEINE LAKAIEN-Maestro Alexander Veljanov zu emanzipieren. Und wo gewöhnliche Schwarzkittel über Gemeinplätze wie Rotwein, laszive Engel und allerlei Unfug, den man mit Rasierklingen anstellen kann, singen, taucht Sascha tief ein in Seelenwelten, arbeitet mit oftmals düsteren Metaphern, die aber noch nicht abgedroschen sind, und fesselt so die Aufmerksamkeit des Hörers endgültig. Schade nur, dass dies nicht die Zeit ist für vielschichtige Kunstwerke ist, die einem volle Konzentration und Hingabe abverlangen. Und so steht zu befürchten, dass S.O.L.A.R. von der allmonatlichen Veröffentlichungswelle verschlungen und nur an einige ausgewählte Strände gespült werden wird, so Moonstorm denn nicht das ungeheure Potential ihrer Schützlinge erkennen und kräftig die Werbetrommel rühren.

So bleibt mir nichts, als jedem Freund melancholischer Klänge, der nicht an krankhaftem Schubladisierungswahn leidet, fast schon zu befehlen, S.O.L.A.R. und DESPAIRATION eine Chance zu geben. Denn schon zu lange ist es her, dass TIAMAT mit A Deeper Kind Of Slumber einen komplett außerhalb aller (oder über allen?) Genregrenzen stehenden Ausbund an Kreativität, Emotionalität und Intensität veröffentlicht haben. Ein weiteres Argument sollte sein, dass lediglich die durchaus ansprechende Coverversion von R.E.M.s Man On The Moon gegen das restliche Material abfällt und sich ansonsten mit dem von völlig unpassenden, den roten Faden absichtlich ganz weit weg pfeffernden Jazzparts verunzierten Instrumental Liquid Divine nur ein einziger Ausfall findet. Die restlichen fünfzig Minuten kann der Hörer in bislang ungekannte Abgründe eintauchen, um noch nie gesehene Wunderwelten zu erblicken. Es steht jedem von euch frei, die nächste Lohntüte für musikalische Alltagskost rauszuballern oder euch dieses Festmahl dunkler Musizierkunst zu sichern!

Veröffentlichungsdatum: 29.03.2002

Spielzeit: 54:59 Min.

Line-Up:
Sascha Blach – Gesang

Martin F. Jungkunz – Gitarre, Programming, Keyboards

Christian Beyer – Klavier, Synthies

Christoph Grünert – Bass

Produziert von Hardy Fieting
Label: Moonstorm/EFA

Homepage: http://www.despairation.de

Email: info@wintersolitude.de

Tracklist:
Blue Haven

Magic Caravan

Subsoil Pedestrians

End Of Green

Man On The Moon

Cosmic Trigger

The Electric Shaman

Cygnet

Liquid Divine

Celestial Winter

Melissa Kissed The Sky

Transcen-Dance

VeloCity

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