Eigentlich hätte das Demo „Now I Am Become Death, The Destroyer Of Worlds“ ein Vorgeschmack auf das Debütalbum von LAST GRAIN IN THE HOURGLASS werden sollen, doch dazu wird es nun nicht mehr kommen. Nach vier Jahren und drei Veröffentlichungen in EP-Länge hat die Freisinger Post Rock-Formation das Ende ihrer Lebensspanne erreicht. Viel zu früh, wie viele der Anwesenden an jenem Abend bekunden. Dennoch der richtige Schritt, glaubt man der Band selbst. Zum Abschluss, bevor die verbliebenen Sandkörner das Stundenglas endgültig herabrieseln, laden die vier Musiker jedoch ein letztes Mal ein – zum gemeinsamen Abschied nehmen, zum Zuhören, zum Davonschweben und natürlich zum Feiern. Das Resultat: Ein unvergesslicher Abgesang auf eine Band, die während ihrer vergleichsweise kurzen Existenz unsere musikalische Landschaft ungemein bereichert und geprägt hat, und die man gar nicht würdiger hätte zu Grabe tragen können…
GRAVE NEW WORLD
Bevor es allerdings soweit kommt, eröffnen zuerst GRAVE NEW WORLD aus Landshut den Abend im beschaulichen Vis-á-Vis in Freising. Mit einer eingängigen Mischung aus 80er Thrash und Melodic Death Metal-Akzenten gehen die Jungs direkt in die Vollen und können dank Retro-Charme bei gleichzeitiger Originalität schnell die Sympathien des Publikums gewinnen. Mit catchy Riffing und Hochgeschwindigkeitssoli geben die Gitarren die Richtung vor, während Jonas Baumgartl (Ex-OBSCURA) hinter dem Schlagzeug souverän das Klanggerüst mit spannenden Details verziert.
Einen deutlichen Kontrast zum sonst eher zugänglichen Material setzt Sänger Fabs, der normalerweise bei der Sludge-Band COLTAN LEECH aktiv ist und mit seinem markanten wie unbarmherzigen Organ dem Gesamtwerk einen brachialen Stempel aufdrückt. Keine Frage, dass die fünf Bayern in erster Linie in den höheren Temporegionen wildern, was vor allem bei „Outride The Devil“ Laune macht, aber momentan noch im Gegensatz zur verhaltenen Bühnenpräsenz steht. In dieser Hinsicht wirken die Musiker nämlich noch etwas unsicher und steif. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn GRAVE NEW WORLD kommen gut an, weshalb die Band auch im Laufe des 40-minütigen Auftritts zusehends auftaut und letztlich einen absolut positiven Gig für sich verbuchen kann.
PATH OF SAMSARA
Nach einer kurzen Umbauphase stehen mit PATH OF SAMSARA schließlich die ursprünglichen Initiatoren des Abends auf den Brettern, die aber angesichts der Umstände den Headlinerslot im Vorfeld bereitwillig an die scheidenden LAST GRAIN IN THE HOURGLASS abgetreten haben. Obwohl die Nachwuchsband in der gegenwärtigen Formation erst seit vergangenem Jahr besteht, ist es bemerkenswert, in welch großen Schritten sich die vier Freisinger mit jedem Auftritt entwickeln. Deutlich vom 70er-Jahre Progressive Rock beeinflusst, füllen PATH OF SAMSARA ihre eigens geschaffene Neo-Retro-Rock-Ecke souverän aus und bestechen ein ums andere Mal durch raffinierte Arrangements sowie unzähligen Feinheiten in der Umsetzung.
Im Vergleich zum brandneuen Demo, welches die Band kostenlos verteilt, frönt insbesondere Lead-Gitarrist Niko auf der Bühne seiner Liebe zum Detail und kehrt bei „Pilgrim“ und „Ambassador“ im Live-Gewand deutlich mehr Facetten hervor als auf Platte – ein Indiz, dass die Band gerade erst am Anfang ihres Schaffens steht. Unterstützt werden PATH OF SAMSARA bei diesem Auftritt im Übrigen von HOKUM-Gitarrist Michael Vogl, der für den zeitlich verhinderten Sebastian eingesprungen ist. Zum 70er Sound gesellen sich gelegentliche härtere Ausbrüche, welche die Brücke zur Moderne schlagen und einen großen MASTODON-Einfluss nicht leugnen können. Dass diese Parts live besonders kraftvoll und packend gelungen sind, ist da natürlich mehr oder weniger Formsache. Zwar merkt man während der 40-minütigen Show Bassist und Sänger Benny ab und an noch die Nervosität in der Stimme an, aber in Anbetracht der bisherigen Entwicklung und stetigen Steigerung der noch jungen Band, die ihre Musik auf der Bühne sichtlich zu leben scheint, ist das ein Umstand, der mit wachsender Bühnenerfahrung von alleine verschwinden wird.
LAST GRAIN IN THE HOURGLASS
Es ist bereits nach halb Zwölf, als LAST GRAIN IN THE HOURGLASS ein letztes Mal zum Intro ihrer selbstbetitelten Debüt-EP die Bühne erklimmen. Ein Hauch Nostalgie weht durchs Vis-á-Vis als die Band das Konzert im Anschluss mit ihrem allerersten Song „Chronophobia“ eröffnet. Zeit für Schwermut bleibt jedoch nicht, denn der Song geht direkt nach vorne und zeigt die Jungs um Frontmann Christoph ganz von ihrer ungestümen Seite. Die soll später mit dem Noisecore-Stück „Army Of Butterflies“ zwar ein weiteres Mal nach außen gekehrt werden, aber ansonsten prägen die ausladenden Midtempo-Songs das Set, die irgendwo zwischen Sludge, Post Rock sowie Post Hardcore der Marke ISIS ihr Metier gefunden haben und für welche die Fans ihre Band so lieben. Von Letzteren haben sich im Übrigen an die 120 Stück eingefunden, um dem sympathischen Quartett die letzte Ehre zu erweisen und sich noch ein weiteres Mal von der Magie solcher Stücke wie „Ice“ oder „The Derelict Yellow House“ davontragen zu lassen.
LAST GRAIN IN THE HOURGLASS scheinen ihr Abschiedskonzert zu genießen
Angesichts der bedrückenden Umstände wirft sich das Publikum umso mehr ins Zeug, so dass das finale Kapitel von LAST GRAIN IN THE HOURGLASS schließlich zu einem ganz besonderen wird. Vor allem beim Hit „1500 Miles North“ von der EP „Following The River, Finding The Sea„, das dem Filmteam des zugehörigen Videoclips gewidmet wird, darf der geneigte Beobachter ein Meer aus fliegenden Haaren begutachten. Ein Anblick, der Sänger Christoph im Laufe des ausgiebigen Sets nicht nur ein ums andere Mal ein Grinsen aufs Gesicht zaubert, sondern den er sogleich mit den Worten kommentiert, man müsse sich scheinbar erst auflösen, um so etwas erleben zu können.
Überhaupt scheinen die vier Musiker ihr Abschiedskonzert wahrlich zu genießen – eine Tatsache, die ohne Vorbehalte auch auf die treue Fanschar, zu der wir uns unverhohlen ebenfalls zählen wollen, übertragen werden kann. Und das liegt nicht einfach am tadellosen Sound im Vis-á-Vis – vielmehr ist es diese einzigartige, schwer greifbare Atmosphäre, welche diesen Abend zum Ende hin prägt. LAST GRAIN IN THE HOURGLASS leben dieses letzte Gastspiel: Bassist Flo gibt sich ganz und gar der Musik hin, Drummer Max ist eins mit seinem Instrument und Gitarrist Stefan stellt den eher in sich gekehrten Ruhepol dar, während Frontmann Christoph seine Texte mit Hingabe zwischen kathartischer Ruhe und ungezügelter Wut interpretiert. Ein Bild, das niemanden im Saal unberührt lässt, geschweige denn loslassen kann.
Ein wenig Melancholie ist natürlich auch mit dabei, bedenkt man, dass Kompositionen wie das wahnsinnig intensive „The Ivory Tower“ oder das drückende „Homewrecker“ niemals den Weg auf eine Veröffentlichung der Freisinger gefunden haben und somit wahrscheinlich nach diesem Abend nie wieder gehört werden können. Ganz ausblenden kann man dieses Gefühl ohnehin nicht, als LAST GRAIN IN THE HOURGLASS zum Ende ihres 80-minütigen Auftritts mit „Elemental“ eine ihrer tiefgreifendsten und spannendsten Kreationen als Abschied wählen. Was leise und schwermütig beginnt, steigert sich zum Ende hin bis zu einem furiosen Finale, das nichts Geringeres als die Essenz des Seins in seinen Grundfesten offenlegt und so den einzig würdigen Schlusspunkt für das letzte Kapitel einer großartigen Band darstellt. Den zahlreichen Forderungen nach einer Zugabe kommt die Band nach dieser emotionalen Reise zu fortgeschrittener Stunde nicht mehr nach. Einerseits schade, da somit LAST GRAIN IN THE HOURGLASS endgültig beerdigt sind; andererseits die richtige Entscheidung, da der Abschied, das letzte Kapitel dieser Band, so nicht hätte schöner gewählt sein können – „We live for this – for nothing else.“
LAST GRAIN IN THE HOURGLASS Setlist
- Intro
- Chronophobia
- Homewrecker
- The Ivory Tower
- Ice
- The Fork In The Glass-Eye
- The Derelict Yellow House
- Army Of Butterflies
- 1500 Miles North
- An Imbalance Of Seeds
- If Then Else [Sleepless In Vienna]
- Elemental
Fotogalerie: LAST GRAIN IN THE HOURGLASS, PATH OF SAMSARA, GRAVE NEW WORLD
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