Schöne Grüße aus Pjöngjang: Auf ihrer „The Sound Of Music“-Welttournee machten die slowenischen Industrial-Pioniere LAIBACH Station in Nürnberg – und sangen in einer ehemaligen Nazi-Kaserne von Diktaturen und knusprigem Apfelstrudel. Diesmal war es jedoch nicht nur ein musikalisches Gastspiel – die Stadt wurde regelrecht (künstlerisch) okkupiert: Der örtliche Fanclub NSK Nürnbach-Laiberg, der sich ebenfalls als Teil des erdachten Kunstprojekt-Kosmos inszeniert, machte mobil und veranstaltete rund um das Konzert im Z-Bau ein üppiges Rahmenprogramm mit Vorträgen, Filmabenden, Buchvorstellungen, Partys, einer sehenswerten Ausstellung und einer Podiumsdiskussion mit LAIBACH-Kopf Ivan Novak.
Die Geschichte von LAIBACH ist eine lange Geschichte von Missverständnissen
Die Geschichte von LAIBACH ist eine lange Geschichte von Missverständnissen. Von provozierten Missverständnissen. Die reichen zurück ins kommunistische Jugoslawien, wo diese seltsame Elektronik-Truppe in den frühen 1980er Jahren als Teil der Künstlerbewegung „Neue Slowenische Kunst“ (NSK) loslegte. Als die Musiker bei einem staatlich ausgeschriebenen Plakatwettbewerb ein verfremdetes Motiv aus Nazi-Deutschland einreichten und prompt gewannen, waren die sozialistischen Machthaber not amused. Erste Auftrittsverbote folgten.

Schön ist auch die Geschichte hinter der LAIBACHs „Geburt einer Nation“, wo zu Trommeln und Fanfaren mit schwerem rollendem R gesungen wird: „Ein Fleisch, ein Blut, ein wahrer Glaube. Eine Rasse und ein Traum, ein starker Wille. Ja! Ja! Gebt mir ein Leitbild!“. Bei genauem Hingucken entpuppt sich die Nummer jedoch als eine textlich 1:1 ins Deutsche übersetzte Version des Stücks „One Vision“ der britischen Rockband QUEEN…
Laibach – Geburt einer Nation (Opus Dei) Official Video, 1987
Bekanntes wird komplett hinterfragt
Zwei Beispiele für das Spannungsfeld, das LAIBACH (der deutsche Name der slowenischen Hauptstadt Ljubljana) bis heute mit aller gebotenen Chuzpe beackern. Das verstörende, jedoch stets ironische weil zweideutige Spiel mit brutal überzeichneter Ästhetik und Symbolik prägt seit vier Jahrzehnten die collagenartige Arbeit der sich ständig im Wandel befindlichen Industrial-Formation. Da wird sich bei sozialistischer Erbauungskunst ebenso bedient wie bei Propagandamaterial aus dem Dritten Reich, christlicher Ikonographie, amerikanischer Popkultur und deutscher Wagnerianik. Ob Stalin oder die Maria Mutter Gottes, die BEATLES oder My Little Pony: Bekanntes wird auseinandergenommen, anders zusammengesetzt und neu interpretiert, bis hin zur grotesken Überzeichnung – und damit immer auch komplett hinterfragt.
LAIBACH gründen 1992 ihren eigenen Staat – und treten 2015 in Nordkorea auf
So verwandelten sich die Slowenen im Laufe der Jahrzehnte von einer Band im herkömmlichen Verständnis in ein interdisziplinäres Kunstprojekt, das – ähnlich wie die deutschen Kollegen von KRAFTWERK – inzwischen regelmäßig in Museen und auf Theaterbühnen zu erleben ist. 1992 gründeten die Avantgarde-Künstler folgerichtig den fiktiven NSK-Staat, der bewusst auf ein Territorium mit festen Grenzen verzichtet und stattdessen die Zeit als sein Herrschaftsgebiet beansprucht („Staat in der Zeit“). Für das erdachte Land wurden sogar Reisepässe und Nationalitätskennzeichen fürs Auto ausgegeben. Mit diesen täuschend echten Dokumenten wiederum gelang es Menschen im jugoslawischen Bürgerkrieg Mitte der 90er Jahre, sich über internationale Grenzen in Sicherheit zu bringen…
Aktuell ist die Gruppe wieder in einer ganz anderen Mission unterwegs. 2015 ereilte die sperrige Konzeptband eine Einladung aus Nordkorea: Nicht U2 und nicht die ROLLING STONES, sondern ausgerechnet LAIBACH, die Anti-These einer Rockband, sollte als erste westliche Musikgruppe in der schärfsten Diktatur der Welt auftreten – man rieb sich weltweit die Äuglein.
John Oliver – Laibach goes to North Korea (netter TV-Mitschnitt, in dem viel erklärt wird)
Während die Gelehrten noch darüber diskutierten, ob hier Künstler einem Regime auf den Leim gehen oder andersrum, brachte sich die nordkoreanische Zensur bereits in Stellung. Doch das LAIBACH-Kollektiv verstand sich schon immer auch als Dienstleister: Für ihre Klassenfahrt nach Pjöngjang („Es ist ein kleiner Schritt für LAIBACH und ein großer für die Menschheit“) nahmen sich die Dekonstrukteure das Broadway-Musical „The Sound Of Music“ aus dem Jahr 1959 vor, das sich in dem abgeschotteten Land großer Beliebtheit erfreut und als eines der wenigen Stücke westlicher Popkultur in Nordkorea offiziell erlaubt ist.
Das kitschige Rührstück wanderte in den musikalischen Häcksler, bekam eine Extraportion Pathos verpasst und wurde ordentlich verlaibacht. Sänger Milan Fras mit Grabesstimme über Edelweiß, beigefarbene Ponys, knusprigen Apfelstrudel und Schnitzel mit Nudeln singen zu hören, ist bizarr. Doch wie immer ziehen LAIBACH ihre Mission steif und unbeeindruckt durch. Ihre Bearbeitung von „The Sound Of Music“ haben sie inzwischen auf Tonträger veröffentlicht – inklusive des Volkslieds „Arirang“, das als inoffizielle Hymne der beiden Koreas gehandelt wird. Mit der Platte und dem Programm ihres vielleicht größten PR-Coups ging es nun erneut auf Welt-Tour, unter anderem mit einem Halt in Nürnberg, wo die Band stilecht in einer ehemaligen SS-Kaserne auftrat, in der sich heute das mit EU-Geldern aufwändig sanierte alternative Kulturzentrum Z-Bau befindet.
LAIBACH sind in Nürnberg in runderneuerter Besetzung

An diesem historisch vorbelasteten Ort treten die Dekonstrukteure aus dem Osten in wieder einmal runderneuerter Besetzung an. Milan Fras bleibt mit seinem charakteristischen Sprechgesang das Aushängeschild der Gruppe. Statt Mina Špiler ist diesmal die schwedische Jazz-Sängerin Marina Mårtensson an seiner Seite. Boris Benko (vom slowenischen Synth-Pop-Duo SILENCE) grüßt als lustig-lüsterner Jäger von der großen Leinwand im Hintergrund, auf der zu sämtlichen Songs beeindruckende Videos und Visuals laufen. Die Musiker sind großartig, der Sound im großen Saal des Z-Baus ist laut, aber kristallklar. Die Besucherschaft an diesem Abend präsentiert sich buntgemischt, von in die Jahre gekommenen Gothics über ein neugieriges Hochkultur-Publikum hin zum jungen Metalhead im HEATHEN-Leibchen.
Der Abend ist in zwei Akte unterteilt. Los geht’s mit der LAIBACH-Bearbeitung des „The Sound Of Music“-Musicals, das in seiner unbarmherzigen Schmalzigkeit schwer zu ertragen ist, hier jedoch stoisch runtergespielt wird. „Denen kommt tatsächlich kein Schmunzeln aus“, staunt nicht nur meine Begleiterin, während mir der grauhaarige Headbanger mit der ranzigen Kutte, der neben mir steht, begeistert ins Ohr brüllt, dass ich mir zu Hause unbedingt den Videoclip zu „So Long, Farewell“ angucken muss…
Zweiter Akt: Blick in den Rückspiegel

Dann: Eine kurze Pause, in der eine große Uhr die Zeit bis zum Beginn des zweiten Akts runterzählt. Der entpuppt sich als tiefer Blick in den Rückspiegel. Unter dem Motto „Revisited“ tauchen LAIBACH in ihre eigene Bandgeschichte ab und packen Lieder aus ihrer Frühphase aus – Nummern wie „Smrt za Smrt“, „Nova Akropola“ und das großartige „Vier Personen“, in denen harsche Industrieklänge auf Geräusche und Frequenzen treffen. Hier ein schrilles Fiepen, dort ein dumpfes Wummern – in der Wiederauflage jedoch komplett neu- und mit echten Instrumenten arrangiert. Der Sound bleibt trotzdem Industrie oder je nach Hörgewohnheit bzw. -erfahrung auch BLANKER LÄRM!!!, hier nur eben handgemacht und mit einer ganz leisen Jazz-Note versehen.

Der Zugabenteil startet mit dem bekannten ROLLING STONES-Cover „Sympathy for the Devil“, zu dem Wladimir Wladimirowitsch Putin diabolisch-fotogen von der Riesenleinwand herab lächelt, bevor zwei Stücke vom Soundtrack zu der bitterbösen finnischen Naziploitation-Kinokomödie „Iron Sky 2“, die zufälligerweise am nächsten Tag in den deutschen Kinos anläuft, den Sack zu machen. Und das ist die dritte und finale Überraschung: Das Titelstück klingt wie ein glamouröser James Bond-Song (unglaubliche Performance von Sängerin Marina Mårtensson!), „Surfing Through the Galaxy“ hingegen entpuppt sich als eine smarte amerikanische Country-Radionummer, zu der die LAIBACH-Musiker folgerichtig riesige Cowboyhüte tragen. Dienstleister – wir hatten es eingangs schon.
Was für ein Schlusspunkt unter einen fulminanten Konzertabend, dessen musikalischer Spannungsbogen nicht weiter gespannt hätte sein können. Auch nach über 35 Bandjahren haben es LAIBACH ein weiteres Mal geschafft, sich künstlerisch neu zu erfinden und mich einmal mehr staunen zu machen. Das ist nicht nur eine Band, hier klappt eine ganze künstlerische Welt auf – ein ganz eigenes Universum. Heißer Anwärter auf das Konzert des Jahres!

gNSKadiator
Herzlichen Dank an Arne Marenda für die Fotos!
facebook.com/arne.marenda/
rudeartfotografik.com/
LAIBACH Setlist „The Sound of Music Tour 2019“
String Intro
Act 1: The Sound of Music
The Sound of Music
Climb Ev’ry Mountain
Do-Re-Mi
Edelweiss
My Favorite Things
The Lonely Goatherd
Sixteen Going on Seventeen
So Long, Farewell
Maria/Korea
Arirang
Intermission
Act 2: Revisited
Mi kujemo bodočnost
Smrt za Smrt
Nova Akropola
Vier Personen
Krvava Gruda – Plodna Zemlja
Ti, Ki Izzivaš
Encore
Sympathy for the Devil
The Coming Race
Surfing Through the Galaxy
Link zum Rahmenprogramm des LAIBACH-Auftritts in Nürnberg
www.nsk-nuernbach-laiberg.de