Die weltweite Covid-Situation hat auch die extrem fleissigen Live-Kreaturen von BEHEMOTH in ihrem Schaffen eingeschränkt. Lange hat sich die polnische Ausnahmeband von Online Stream-Konzerten – BEHEMOTH live bei dir im Wohnzimmer – ferngehalten. NECROPHOBIC versuchten sich als eine der ersten Bands am Live-ins-Wohnzimmer-Medium. ENSLAVED haben mittlerweile schon zwei Online-Live-Gigs hinter sich. Beim ersten war die Absenz des Publikums zwar noch spürbar, gleichzeitig legten ENSLAVED die Latte für die Wohnzimmerkonzerte auch soundmässig hoch.
BEHEMOTH – was lange gärt, wird endlich gut
BEHEMOTH haben sich im Vergleich dazu länger Zeit gelassen – dafür ist vieles wie bei einem “richtigen” Konzert: man kauft sich im Vornherein ein Ticket für 18 US$ für den “Director’s Cut”. Wer acht Kameras gleichzeitig zur Verfügung haben will – ein Schelm, wer denkt, dass dies v.a. den Nergal-Fanboys/girls zu Gute kommt – muss etwas mehr berappen. Ansonsten ist man wirklich im Wohnzimmer – Sofa vor den Computer stellen, Krakenrum-mit-Cola im Cocktailglas mischen (endlich Glas statt Plastik), das Wissen, dass man fürs Klo garantiert nicht anstehen muss – der Nietengurt bleibt indes dennoch an, schliesslich kann man nicht den letzten Funken Trveness auch noch Covid opfern. Merchandise gibts online in gewohnter BEHEMOTH-Qualität, doch das Rumschlendern vor der riesigen Merchandise-Galerie und das dazugehörige Geplänkel über Sinn und Unsinn spezifischer Produkte entfällt. Oder auch nicht – man erinnert sich schliesslich gerne an das BEHEMOTH-Konzert 2019 zurück.
IMPERIAL TRIUMPHANT
Gegen 19:15 melden sich IMPERIAL TRIUMPHANT aus New York. An die Vorband haben BEHEMOTH also auch gedacht, selbst wenn sie nicht in derselben “geheimen Kirchlocation” in Polen vor Ort sind. IMPERIAL TRIUMPHANT treten mit Masken auf, die an die Orgien von “Eyes Wide Shut” erinnern. Musikalisch sind die Amis indes überhaupt nicht majestätisch – Tech Black Death Metal soll es sein, was IMPERIAL TRIUMPHANT fabrizieren.
Alles kakophonischer Acid Jazz oder was?
In Tat und Wahrheit wähnt man sich eher auf einem wild-lärmigen, kakophonisch-überdrehten Acid Jazz-Trip. Der Bassist ist extrem fingerfertig und kompetent, aber das resultierende Krachkarussell ist nicht besonders überzeugend. Immer wieder öffnet man das andere Fenster, in welchem BEHEMOTH ihren Countdown zum Showbeginn laufen lassen – man will diesen ja nicht vor lauter IMPERIAL TRIUMPHANT verpassen. Gegen 20 Uhr ist fertig mit der Live-Schalte in die Staaten und man schafft es, genau auf 00:00:00 vor dem Schirm zu sitzen.
BEHEMOTH – Act I
Nach einigen “Warnhinweisen” und Problembehebungsanleitungen, ist es Zeit, den Chat wegzuklicken (“Come to Brazil!” / “SLAYER!”) und sich ganz auf die BEHEMOTH-Vorstellung zu konzentrieren. Und BEHEMOTH gehen – noch bevor sie den ersten Ton gespielt haben – in die Vollen: Die vier Reiter der Apokalypse galoppieren über ein weites Feld. Bezüglich epischer Dimension bewegen sich die Polen damit glatt in der Lord of the Rings – The Fellowship – Sphären und es ist klar, dass heute Abend Klotzen statt Kleckern angesagt ist.
Auch in einer Kirche tight
Songtechnisch mischen BEHEMOTH in diesem ersten Akt Neues (“Evoe”), Bewährtes (“Wolves of Siberia”) und Altes (“Pagan Vastelands”). Letzteres natürlich mit Triggern, doch das ist ein vernachlässigbarer Wermutstropfen – für Nostalgiegefühle kann man sich schliesslich die Originalversion anhören. Akustisch ist am Sound nichts auszusetzen – und BEHEMOTH sind von der ersten Sekunde an unglaublich tight unterwegs. Jedes Solo sitzt und das Timing ist perfekt. BEHEMOTH fühlen sich in ihrer Privatkirche sichtlich wohl und anders als beim ersten ENSLAVED-Auftritt scheinen die Polen ihr Publikum überhaupt nicht zu missen. Ansagen gibt es auf jeden Fall keine.
BEHEMOTH – Act II
Im zweiten Akt – man denkt beinahe schon ans “Diablo”-Game – widmen sich BEHEMOTH dem Feuer. “Blow your trumpets, Gabriel” wartet mit Pyroeffekten auf, die einen – aufgrund des stilvollen Kirchengemäuers – an IMMORTALs “Diabolical Fullmoon Mysticism”-Coverartwork denken lassen. Feuer gespuckt wird indes nicht, aber dafür steigt die Erwartungshaltung, endlich umgekehrte Kreuze zählen zu dürfen. BEHEMOTH liefern erst ansprechende weibliche Ästhetik mit Akrobatik in einem schwebenden Ring zu “Antichristian Phenomenon”.
„We gather here in this unholy church to celebrate BLACK METAL“
Nun lassen sich BEHEMOTH auch zu ihrer einzigen – kurzen – Ansage hinreißen. Nergals “We gather here in this unholy church to celebrate BLACK METAL” führt auch auf dem heimischen Sofa für Gänsehaut. Gleichzeitig fühlt man sich an die Zeiten erinnert, in denen Live-DVDs zur regelmässigen Abendfüllung gehörten. Mit “Lucifer” geht der zweite Akt zu Ende und die Frage stellt sich, ob BEHEMOTH einer Trilogie folgen werden oder ob es wie bei Shakespeares klassischen Tragödien fünf Akte (Pentagramm und so) sind.
BEHEMOTH – Act III
Im III. Akt steigern BEHEMOTH die Blasphemie-Rate auf den Höhepunkt zu. Zuerst gibt es nur drei umgekehrte Kreuze, dann wird “Ora pro nobis Lucifer” gepflegte Fleischerhaken-Schwebe-Bondage betrieben. Die schöne Gefesselte wird langsam und sorgsam hin und her geschwungen, gleitet mutig durch die Luft unter der hohen Decke der Kirche. BEHEMOTH setzen hier wieder auf Schwarzweiß-Bilder und der Regisseur brilliert damit, stets den richtigen Winkel für den Director`s Cut zu wählen. BEHEMOTH beweisen mit dieser Einlage ihr Faible für unerwartet-erotische Ästhetik, während Nergals Ansprache als “Führer” mit Megafon vor “As above so below” eher an MARILYN MANSON gemahnt. Nach “Chant of Eschaton 2000” fühlt es sich an, als sei die dichte Konzert-Trilogie am Ende.
BEHEMOTH – Act IV
Doch BEHEMOTH haben noch nicht fertig – ein gewandeter Corpsepaint-Krieger mit brennendem Pfeil setzt den Bogen an und kurz darauf zählt der geneigte Sofasatanist an die 17 lodernde Kreuze. Auch im Hintergrund der Bühne züngeln nun Flammen und BEHEMOTH setzen zu ihrem Zugaben-Block an. Dieser ist immerhin vier Songs lang – und umfasst unter anderem den “Hit”-Song des aktuellen “I loved you at your darkest”-Albums, “Bartzabel”.
Neue Maßstäbe für Online Stream-Konzerte?
BEHEMOTH sind noch immer tight und energisch unterwegs, aber Nergals Stimme verrät während dem fulminanten “O Father o Satan o Sun”, dass dieser Abend eine Tetralogie ist und keine klassische Tragödie. Und das ist perfekt so – denn das dargebotene starke audiovisuelle Spektakel erweist sich als intensive Erfahrung, die noch lange in einem drin nachwirkt. Gleichzeitig tun BEHEMOTH an diesem Abend das, was sie schon mit ihren Live-Shows gemacht haben – neue Maßstäbe setzen im Medium Online-Streaming-Konzerte. Und zwar ohne zu kleckern…
Setliste BEHEMOTH In Absentia Dei, 5. September 2020
Act I
1. Evoe (Live Debüt)
2. Wolves of Siberia
3. Prometherion
4. From the Pagan Vastlands
Act II
5. Blow your trumpets, Gabriel
6. Antichristian Phenomenon
7. Conquer All
8. Lucifer
Act III
9. Ora Pro Nobis Lucifer
10. Satan`s sword (I have become)
11. Ov fire and the void
12. Chwala mordercom Wojciecha (997-1997 dziesięć wieków hańby)
13. As above so below
14. Slaves shall serve
15. Chant for Eschaton 2000
Act IV
16. Sculpting the Throne of Seth
17. Bartzabel
18. Decade of Therion
19. O Father O Satan O Sun!
Offizielle Live-Fotos von: Grzegorz Gołębiowski