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ULME: Reisi steckt in uns allen

Obwohl es Herbst ist, blüht die ULME nun in voller Pracht. Mit ihrem sensationellen neuen Album "Tropic Of Taurus" hat die Hamburger Noise Rock-Band ein enorm abwechslungsreiches, stimmiges, spannendes und originelles Werk parat, dass einem viel zu wenig beachtetem Genre die Aufmerksamkeit einbringen könnte, die es verdient. Per E-Mail erzählen Bandgründer Arne, Schlagzeuger Lutz und Bassist Tim über Reifeprozesse, Teamarbeit und Vergangenheitsbewältigung.

Obwohl es Herbst ist, blüht die ULME nun in voller Pracht. Mit ihrem sensationellen neuen Album Tropic Of Taurus hat die Hamburger Noise Rock-Band ein enorm abwechslungsreiches, stimmiges, spannendes und originelles Werk parat, dass einem viel zu wenig beachtetem Genre die Aufmerksamkeit einbringen könnte, die es verdient. Per E-Mail erzählen Bandgründer Arne, Schlagzeuger Lutz und Bassist Tim über Reifeprozesse, Teamarbeit und Vergangenheitsbewältigung.

 

Tropic Of Taurus hat einen sehr metaphorischen, rätselhaften Albumtitel, Taurus, der Stier steht für mich für einen westlichen Wendekreis. Aber im Westen hat sich nur geändert, dass der Osten wieder dazugehört. Aber ich glaube, ich bin auf einer ganz falschen Fährte…

Lutz Möllmann: Richtig, das ist die falsche Fährte. Gemeint ist genau der Wendekreis des Stiers. Dieses Sinnbild übergeben wir gerne in treue Fanhände.

Arne Heesch: Der Titel bezieht sich darauf, dass wir alle unbewusst von bestimmten Konstellationen beeinflusst werden, besonders in Zeiten starker Veränderung. Es geht um Ausdauer, Mut und Hingabe an seinen eigenen Weg.

Die Musik auf Tropic Of Taurus ist deutlich besser als auf der im Februar erschienen EP The Sea In Me, die auf mich so gewirkt hat, wie ein Lebenszeichen nach dem Motto: Nein, ULME haben sich nicht schon wieder aufgelöst. War das eine songschreiberische Kurzschlussreaktion, oder hätten die Songs im Albumkontext besser gewirkt?

Lutz: Du sprichst von der Qualität der Songs und nicht vom Sound, gell? Schön, dass Dir die Songs der Tropic Of Taurus gut gefallen. Wir mochten die Songs von The Sea In Me auch und mögen Sie noch heute. Eine Kurzschlussreaktion war das damals definitiv nicht. Eher eine Art Momentaufnahme. Die neue Besetzung von ULME war gefestigt, die ersten Shows gespielt und wir wollten ein erstes Lebenszeichen in die Welt senden. Also haben wir uns kurzerhand ein Wochenende in einem alten Kino verschanzt und die 3 Songs mit einem guten Freund live eingespielt. Die gesamte Produktion umwehte ein DIY-Spirit, alles live, alles rau – ganz anders, als unser Ansatz bei Tropic Of Taurus.

Arne: Ja, so war es. Die Songs auf der EP The Sea In Me stehen eher lose für sich, ohne speziellen Kontext, während die Stücke auf Tropic Of Taurus in ein bestimmtes Thema eingebettet sind.

Arne, kurz nach dem Erscheinen von Dreams Of The Earth hat dein Bruder Jan-Eric ULME wieder verlassen. War er doch nicht mit ganzem Herzen an der Reunion beteiligt? Wie ist es, wenn ein Familienmitglied in einer Band aussteigt? Man hat ja zwangsweise noch Kontakt, fühlt sich das nicht traurig an?

Arne: Erstmal vorweg, Jan-Eric ist mein Cousin und nicht mein Bruder. Klar fühlt sich das Scheiße an, wenn ein geliebter Mensch den Kontakt abbricht, aber wir haben uns in gegenseitigem Einverständnis getrennt und losgelassen. So ist es halt manchmal besser.

Nun aber zu eurem neuen Album Tropic Of Taurus. Das neue Material erscheint mir zwar schon reifer, aber doch wieder mit mehr Liebe zum einfachen, radikalen Rock ausgestattet, ich denke nur mal an Rubber P., My Heart Stops Beating (When Yours Is Near) und Jewels.

Lutz: Die 3 von Dir angesprochenen Songs sind definitiv im weitesten Sinne Rocknummern, die allerdings in sich auch schon verschiedene Facetten abdecken. Insgesamt bin ich auch der Meinung, dass Tropic Of Taurus ein – im besten Sinne des Wortes – reifes Album geworden ist: Härte gepaart mit Zerbrechlichkeit. Wir haben uns bewusst der gesamten Klaviatur bedient und im Zweifel auch mal etwas weggelassen, um alles in Dienst des jeweiligen Songs zu stellen.

Arne: Die neuen Songs repräsentieren ganz gut, wo sich ULME heute befinden. Die Härte in der Tradition unserer alten Songs ist ebenso vorhanden, wie auch die stillen Momente, in denen sich alles wieder zu sammeln scheint. Die Reife der Platte resultiert auch aus der hervorragenden Zusammenarbeit mit unserem Produzenten Kurt Elbelhäuser, der es wie kein anderer schafft, neue Facetten an bekannten Strukturen zu entdecken.

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Den tieferen Sinn muss man in der Mitte der Erde suchen. Lutz goes Twin Peaks? Fakt ist, in diesem Booklet stecken kryptische Botschaften.

Daneben gibt es auch für ULME recht ungewöhnliche Momente, Orpheus ist zum Beispiel der beste DEFTONES-Song seit Digital Bath. Und überhaupt, haben es euch die DEFTONES ein wenig angetan?

Lutz: Den Vergleich mit den DEFTONES hören wir in letzter Zeit erstaunlich häufig. Witzig, da Arne die Band eigentlich nicht kennt. Tim und ich mögen die DEFTONES auf jeden Fall. Danke fürs Kompliment.

Arne: Nö, die DEFTONES hab ich nie wirklich gehört. Aber gut, ist dann wohl so.

Auch Little Spark ist ein spannender Song, der mich sogar an die eine oder andere Band der lebenden Legende WINO erinnert, nicht zuletzt wegen dem Gesang und den doomigen Riffs. Ist WINO überhaupt so etwas wie eine Inspiration für euch?

Arne: Der gute WINO begleitet mich schon seit ich angefangen habe, bewusst Musik zu hören, sei es mit SAINT VITUS oder THE OBSESSED. Klar ist man von so einem Schaffen beeinflusst, es gibt aber noch genügend andere gute Künstler, die mich inspirieren und die ich bewundere. Letztendlich haben wir mit ULME ja unseren eigenen Stil entwickelt, so dass ich über gewisse Ähnlichkeiten zu anderen Bands nicht bewußt nachdenke.

Das beste Lied des Albums ist Girl Of The Sea mit seinem Grand Finale und seinem leidenschaftlichen Gesang. Überhaupt, am besten gefallen mir immer die etwas dunkleren Momente auf euren Alben. Mir kommt es allerdings so vor, als würdet ihr zwei, drei derartige Songs einbauen, um die dunkle Seite auszuleben.

Lutz: Kein Licht ohne Schatten. Genau wie Härte in meinen Augen nicht ohne Zerbrechlichkeit entstehen kann verhält es sich auch mit der dunklen Seite. Wir wollen bewusst beides zulassen. Eine ausschließlich brillante und flirrende Rockplatte mit hymnischen Refrains wird ULME nie abliefern. Eine ausschließlich düstere Platte da schon eher, haha. Es ist ja auch nicht alles schlecht im Leben – eben nur ein verdammt großer Teil.

Arne: Ich gebe nur das wieder, was mir im Leben widerfährt. Die sogenannte dunkle Seite ist auch die Seite mit der intensivsten Energie, sie generiert Wachstum und Stärke. Sie auszuleben, bedeutet auch sich von quälenden Gemütszuständen zu befreien und diese in etwas Konstruktives umzuwandeln. Eine Art von Therapie und Heilung also, und für mich der wichtigste Grund Musik zu machen.

Auffällig ist auch, dass Tropic Of Taurus nach einem furiosem Start immer ernster wird, wie eine Spirale, die nach unten geht. Das kann kein Zufall gewesen sein!

Lutz: Nein. Es wird immer bedrohlicher und setzt mit Saviour einen ganz bewusst gewählten Schlussakord.

Arne: Die Reihenfolge der Songs trifft ganz gut, wie es sich im Leben oft verhält: Erst kommt der Ausbruch mit seiner ungezügelten Energie, dann kommen die Reflexion und die Besinnung. So, als würde sich der aufgewühlte Grund langsam absenken. Das Wasser wird wieder klar.

Arne, als letztes Stück gibt es noch die Solonummer Saviour von dir. Der Text hat etwas von einen Abschied, handelt er von deinem Cousin, der jetzt seinen eigenen Weg geht?

Arne: Nein, dieser Song handelt nicht von Jan-Eric. Er ist vielmehr als Metapher zu verstehen und handelt eigentlich von der Hingabe an die eigene, innere Kraft und Wahrhaftigkeit.

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Es geht um Ausdauer, Mut und Hingabe an seinen eigenen Weg. Arne (rechts) über die Bedeutung hinter dem Titel Tropic Of Taurus.

Die Songs klingen sehr nach einer Gemeinschaftsarbeit der ganzen Band. Hat das gut funktioniert? Wie lange habt ihr an dem Material geschrieben?

Lutz: Auf jeden Fall. Arne schreibt die Lieder zu Hause und kommt dann mit Gerüsten der Songs in den Proberaum. Dort wird dann gefeilt und herum arrangiert, und innerhalb einer Probe ist ein Song im Normalfall dann auch schon fertig. Wir sind aber bei dieser Platte auch andere Wege gegangen. So haben wir beispielsweise My Heart Stops Beating (When Yours Is Near) basierend auf meinem Groove in den Strophen geschrieben, also quasi ein Riff kreiert, das zu meinem Groove passt. Sehr spannend.

Eure Inspiration scheint sehr breit gefächert zu sein. Von Noise Rock über die DEFTONES und Grunge bis hin zu Metal gibt es alles mögliche zu hören. Und ich bin mir sicher, dass euch auch die eine oder andere neuere Band inspiriert hat, richtig?

Lutz: Klar hören wir alle viel Musik. Ich persönlich wurde aber von keiner aktuellen Band wirklich inspiriert.

Arne: Ganz genau. Mich inspiriert Musik, die vom Herzblut des Musikers lebt, und bei der man merkt, das etwas Echtes und Wahrhaftiges dahinter steckt.

Ich liebe Trios, die können sich meistens optimal kreativ austoben und gehen offener ans Songschreiben ran. Ihr klingt so, als wäre es bei euch nicht anders.

Lutz: Ich sehe das genauso. In einem Trio haben alle Instrumente optimale Entfaltungsmöglichkeiten und können ganz andere Räume füllen. Auf der anderen Seite kann man sich auch nicht verstecken und muss definitiv total tight und eingespielt sein.

Arne: Beim Trio kommt die Energie gezielt auf den Punkt, man verliert sich vielleicht nicht so leicht in Spielereien. Und man muss beim Songschreiben weniger Kompromisse eingehen.

Die Texte scheinen nicht selten von nicht erwiderter oder verlorener Liebe zu handeln. Als gäbe es einiges in der Vergangenheit, das es zu verarbeiten gilt.

Arne: Ich habe in den vergangenen Jahren sehr schmerzliche menschliche Verluste hinnehmen müssen. Du bist in solchen Zeiten mehr denn je auf dich selbst gestellt und durchläufst nahezu alle Phasen der Trauer, selbst wenn die geliebte Person, um die es geht, noch lebt. Die Musik hilft, diese Gefühle zu verarbeiten und zu einem gesunden Abschluss zu bringen.

Daneben steht mit The Web auch ein Song, dessen Text sich mit dem Akzeptieren des Sterbens am ehesten erklären lässt. Wie jemand, der lange im Sterben liegt und nun endlich entschlafen kann. Ein sehr persönliches Lied?

Arne: Gerade bei The Web geht es um das Hingeben und die Kraft, Aufgeben zu können um sich selbst zu retten. Wenn du zu lange in der Vergangenheit lebst und zu sehr festhältst, fängst du an zu erstarren und gehst mit der ganzen Scheiße unter. Also loslassen und mit einem inneren Lächeln neu beginnen. Man stirbt Tode durchaus auch seelisch, ohne wirklich körperlich zu sterben.

Auch Little Spark scheint von einem anderen Thema zu handeln – ein erster Kontakt mit einer harten Droge wie Heroin oder Crack.

Arne: Nein, es geht hier nicht um Drogen, und auf eine Erfahrung mit harten Drogen kann ich auch gut verzichten. Der Song bewegt sich auch im Kontext Liebe und Wahnsinn.

In der Mitte des Booklets steht der kryptische Satz Join the Church of Reisi. Was zur Hölle bedeutet das? Ich komme auch nach Wochen schärfstem Überlegen noch nicht drauf…

Lutz: Den tieferen Sinn muss man in der Mitte der Erde suchen…

Arne: Wenn die Menschen soweit sind, werden sie merken, das Reisi auch in ihnen steckt…

Sehr aufschlussreich, danke. Das Artwork zeigt Ausschnitte von einem deiner Gemälde, hier ist gelb die dominierende Farbe, eine Farbe mit der ich Sand, Hitze und Schmutz verbinde. Dazu passt, dass Tropic Of Taurus ziemlich dreckig und erdig klingt. Ist das einfach nur eine passende Kombination?

Arne: Das Prinzip des Ineinanderfließens sollte zum Ausdruck kommen, Dinge die ineinander übergehen und etwas Neues bilden. Diese Schnittmengen faszinieren mich, sie repräsentieren das Leben. Geordnetes Chaos.

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Die sogenannte dunkle Seite ist auch die Seite mit der intensivsten Energie. Musik als Therapie.

Bist Du schon länger als Künstler aktiv? Entstand dieses Betätigungsfeld in der ULME-freien Zeit zwischen 1999 und 2005?

Arne: Eigentlich fotografiere ich mehr, als dass ich male. Der Ausflug in die Malerei ergab sich aus dem Bedürfnis, mal was anderes zu machen und dies in den ULME-Kontext zu stellen.

Kurt Ebelhäuser hat jedenfalls einen gigantischen Sound mit einer unglaublichen Gitarrenwand geschaffen. Liegt das mächtige Ergebnis an den Amps, an der Produktion oder an beidem?

Lutz: Definitiv beides. Der Gitarrensound von ULME ist total einzigartig. Aber Du brauchst in jedem Fall jemanden der diesen Sound versteht und einfangen kann… Kurt halt.

Ansonsten sind die Drums ultramächtig und der Bass drückt brachial. Klingt so, als hätte Kurt euch keine Standard-Produktion verpassen wollen, sondern dass er auch unbedingt mit euch arbeiten wollte und schon lange Zeit Fan von euch ist.

Lutz: Genauso war und ist es. Brüder im Geiste haben sich endlich zusammen gefunden. Kurt hatte schon lange bevor wir zu ihm kamen die Vision die nächste ULME-Platte zu machen. Das war ihm eine Herzensangelegenheit.

Arne: Mit Kurt verbindet mich eine gemeinsame musikalische Vergangenheit. Wir waren früher, zu BLUNOISE-Zeiten viel zusammen mit seiner Band SCUMBUCKET auf Tour. Er kennt unseren Sound seit den Anfängen. Mit ihm zusammen zu arbeiten war eine Offenbarung, sowohl menschlich als auch musikalisch.

Arne, dein Gesang klingt großartig, gerade in den melodischen Momenten. Im Studio singst du sicherlich die melodischen Sachen getrennt vom Geschrei ein, aber wie funktioniert das live? Und dann noch zusammen mit dem Gitarrenspiel? Ist das Übungssache?

Arne: Ich singe eigentlich beides zusammen, ohne Unterbrechung. Die Übergänge zwischen den Schreien und dem Singen sind fließend. Das klappt auch live! Und mit Gitarre! Komm mal vorbei, dann wirst du es hören, hehe.

Mittlerweile seid ihr bei NOISOLUTION gelandet – warum seid ihr nicht mehr bei BLUNOISE? Passt es bei NOISOLUTION besser?

Arne: Mit Arne von NOISOLUTION zusammen zu arbeiten ist großartig. Wir wollten mit dem Labelwechsel noch mal eine Veränderung für unsere Band erreichen. Die zeit bei Guidos Label BLUNOISE war unbeschreiblich gut und wichtig. Er hat damals den Weg für Bands wie uns geebnet und vom Gefühl her gehört er definitiv zu ULME, auch wenn wir jetzt getrennte Wege gehen.

Vor kurzem wart ihr auf Worship the Riff-Tour mit CELAN und DYSE – ein super Line-Up, aber eine sehr kurze Tour. Wenn es erfolgreich wird, steht da mehr an? Ist das erstmal ein Test, ob so eine Tour in Deutschland funktioniert, und warum zur Hölle sollte es NICHT funktionieren?

Lutz: Klar funktioniert so was. Die Shows haben da eine eindeutige Sprache gesprochen und ich denke, das soll nicht das letzte Mal gewesen sein. Insbesondere mit unseren Freunden DYSE wollen wir gerne wieder zusammen auf die Bretter. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

Werdet ihr vielleicht im Jahr 2010 mal den südlichen Wendekreis der Republik bereisen? Ist das überhaupt die lange Fahrt wert? ULME haben sich hier die Jahre über seit der Reunion mehr als rar gemacht, könnten euch da nicht die Süddeutschen beleidigt sein?

Lutz: Asche auf unser Haupt, aber das ist für uns Hamburger nun mal das andere Ende, haha. Wir werden vom 3. bis zum 5.12. mit den großartigen BEEHOOVER im Süden unterwegs sein. Checkt einfach unsere Myspace Seite – das wird groß.

Arne: Yeah, der Süden wird definitiv nachgeholt! Und ja nicht nachtragend sein. Echte Liebe übersteht alles, haha.

Jungs, das wars. Vielen Dank für das Interview! Wenn ihr noch was loswerden wollt, bitte. Hier ist genügend Platz!

Arne: Danke auch, vielleicht trifft man sich ja mal auf einem unserer Konzerte, auf ein Bier oder zwei.

Tim Liedtke: Pflanzt mehr Ulmen!

 
Bilder: (c) Rebecca Hoppé

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