blank

END OF GREEN: Wenn sich die Leichen im Keller melden…

Michael Setzer, Gitarrist der Gothic-Metaller END OF GREEN, ist ein redefreudiger Mensch. Und so gab er beim Interviewtermin nicht nur Auskünfte über die neue Platte “Dead End Dreaming”, sondern stellte auch mal eben seine Jugend in Frage und philosophierte über Themen wie die korrekte Anrede des IN EXTREMO-Sängers, den Zusammenhang zwischen Metal und Fußball und Freddie Mercurys Kompatibilität mit der Black-Metal-Szene.

Michael Setzer, Gitarrist der Gothic-Metaller END OF GREEN, ist ein redefreudiger Mensch. Und so gab er beim Interviewtermin nicht nur Auskünfte über die neue Platte “Dead End Dreaming”, sondern stellte auch mal eben seine Jugend in Frage und philosophierte über Themen wie die korrekte Anrede des IN EXTREMO-Sängers, den Zusammenhang zwischen Metal und Fußball und Freddie Mercurys Kompatibilität mit der Black-Metal-Szene.



Klärungsbedarf besteht zunächst mal bei der doch etwas kryptischen Info-Überschrift: “Schwarz ist das neue Schwarz”…

Es gab vor einigen Jahren diese dusselige Bewegung namens “Quiet is the new loud” mit Bands wie KINGS OF CONVENIENCE. Das waren lauter Achtzehnjährige, die SIMON AND GARFUNKEL-mäßig plötzlich auf der Akustikgitarre gespielt haben. Sie wollten die leise Musik als das neue Laute verkaufen, weil die nun das verkörpert, wofür früher das Laute stand. Da war ein ganzer theoretischer Aufbau dabei. Wir meinten dagegen: “Schwarz ist schwarz”. Als Hieb in diese Richtung fanden wir “Schwarz ist das neue Schwarz” einen echt coolen Slogan. Gleichzeitig geht das gegen diese Bands, die ständig einen neuen Stil ausloben. Erst hieß das Metal, dann Nu Metal, jetzt wahrscheinlich New Nu Metal (lacht) oder Screamo. Bevor wir also unsere Musik Depressed Subsubsubcore nennen, sagen wir einfach “Schwarz ist das neue Schwarz”, denn die Grundhaltung ist bei uns gleich geblieben.

Dennoch nehme ich mal an, dass ihr in den Details sehr wohl Veränderungen vorgenommen habt.

Klar, unser Schwarz hat viele Schattierungen. Persönlich tue ich mich allerdings damit schwer, Unterschiede zu den Vorgängern zu benennen. Den Wandel bekommt man als Musiker selber nicht so mit. Uns ist diesmal erst im Studio aufgefallen, dass die neuen Songs doch deutlich mehr nach vorne losgehen und direkter gehalten sind. Wir kommen einfach schneller auf den Punkt. Für das, was wir heute in dreieinhalb Minuten aussagen können, hätten wir früher länger gebraucht. Beabsichtigt war das aber nicht. Die Grundpfeiler sind auf alle Fälle gleich geblieben. Wir hatten nicht das Bedürfnis, uns neu zu erfinden.

Nicht gerade neu ist auch der Vergleich mit TYPE O NEGATIVE, der euch nun schon eine halbe Ewigkeit verfolgt. Fast scheint es mir, dass ihr auf “Dead End Dreaming” bewusst mit diesem Vergleich spielt. Oder wollen sowas nur Journalisten hören?

Ich glaube, dass es recht einfach ist, zu sagen: “Dicke Gitarren, tiefe Grabesstimme: TYPE O!” Aber ich kenne das ja von mir selbst. Wenn ich einem Kumpel am Telefon eine neue Platte beschreiben soll, nehme ich dafür den naheliegendsten Vergleich. Ich verstehe also die Vergleiche, muss aber gleichzeitig sagen, dass ich mit SISTERS OF MERCY und FIELDS OF THE NEPHILIM weitaus mehr anfangen kann. Die SISTERS haben das, was TYPE O gemacht haben, schon viel früher vorexerziert. Wir müssen wohl einfach damit leben, mit TYPE O verglichen zu werden.

Nun klingen beispielsweise aber gerade die ersten Takte vom Opener “No Coming Home” fast schon überspitzt nach euren New Yorker “Lieblingen”.

Was mir durch den Kopf gegangen ist, als ich den Song das erste Mal außerhalb vom Proberaum gehört hab´, war ganz klar die Ähnlichkeit zu den SISTERS, was ich vollkommen o.k. fand. Wir versuchen nicht krampfhaft, Ähnlichkeiten zu anderen Bands auszumerzen. Ich sehe da einfach eine Reihenfolge von Einflüssen, bei der die SISTERS ganz vorne stehen mit ihren durchgängigen Beats und der verzerrten Gitarre, die dazukommt. Daher ärgert mich der ständige Vergleich mit TYPE O schon, auch wenn ich die Band eigentlich mag. Das ist ein bißchen so, als ob meine Mutter BON JOVI mit JUDAS PRIEST vergleichen würde.

Den Vergleich mit SENTENCED, den ein Journalist auf der Listeningsession anbrachte, konntest du ebenfalls nicht so besonders nachvollziehen. Hat sich das inzwischen geändert?

Den Gesang von denen mag ich nach wie vor nicht so besonders. Außerdem waren die für mich immer eine Deathmetalband, bis du mir damals beim Lauschangriff was Neueres von ihnen vorgespielt hattest und ich mir eine CD von ihnen rausgelassen hatte. “Excuse Me While I Kill Myself” war echt das Highlight von denen, das höre ich nach wie vor gerne. SENTENCED spielen für uns ansonsten gar keine Rolle, auch wenn wir dem gleichen Genre zugehören. Wir sind stilistisch Nachbarn, wobei sie mir etwas zu plakativ vorgehen mit ihren Todesanzeigen.

Jetzt hab´ ich dich erst mal genug mit Vergleichen geärgert, lass uns zum aktuellen Album kommen. Der Titel klingt etwas undurchsichtig – wie kann man sich das Sackgassenträumen vorstellen? Ist das ein Alptraum?

Es wird auf alle Fälle zu einem. Man versucht vor der Realität zu fliehen, zieht sich mit seinen Träumen in eine Ecke zurück und kommt da nicht mehr raus, was sich dann als ekelhafter Alptraum herausstellt. An diesem Punkt setzt die Platte ein. Viel beängstigender fand ich jedoch noch eine weitere Bedeutung, die auf den zweiten Blick deutlich wird: der Verweis auf den Tod und die Frage, mit welchem Traum man danach eine Ewigkeit lang gestraft wird. Prinzipiell war der Grundgedanke jedoch dieses Beharren auf die eigenen Träume, die du als Rückzugsmöglichkeiten missbrauchst, nur um zu merken, dass es dir damit genauso scheiße geht.

…und dann säuft man sich in den Schlaf, wie in “Drink Myself To Sleep” beschrieben?

“Drink Myself To Sleep” ist insofern faszinierend, als dass ich die Musik geschrieben habe und der Michael [Huber, Gesang und Gitarre – Anm. d. Red.] den Text dazu verfasste – und dabei kam genau das raus, was ich mir erhofft hatte. Der Text war zu hundert Prozent deckungsgleich mit meinen Vorstellungen. Es geht um diese Unart, zwei, drei Stunden vor dem Schlafengehen noch mal ordentlich zu trinken, dann wird man schon auf andere Gedanken kommen oder zumindest schlafen können, statt im Bett zu liegen und sich ständig Gedanken darüber macht, was heute schon wieder schief lief. Die Leichen im Keller melden sich immer dann, wenn man sich gerade hinlegt. Das ist eines unserer offensten Lieder bislang. Mich haut das Lied echt um, denn bei diesem Text fühle ich mich gleich doppelt berührt, da Michael und ich, ohne vorher darüber zu reden, ein Lied gemacht haben, das etwas, bei dem wir sofort wissen, was gemeint ist, so treffend beschreibt. Ich empfand das als ein gutes Zeichen, dass diese inhaltliche Übereinstimmung bei uns nach wie vor vorhanden ist, gerade auch bei der Thematik. Ich schlafe in letzter Zeit ganz ehrlich besser.

Ein weiteres beeindruckendes Lied ist “She´s Wild”. Wie groß war für euch die Versuchung, die fast unmenschliche Spannung, die ihr den ganzen Song über aufbaut, mit der groben Kelle aufzulösen statt diese verdeckte Fiesheit bis zum Schluss durchzuhalten?

END OF GREEN auf dem SUMMER BREEZE 2005
‘Wer solistisch scheiße ist, braucht live einen Tontechniker, der auf 11 schiebt!’ meint zumindest der Sad Sir – als Liveband sind sie es garantiert nicht, wie auf dem diesjährigen SUMMER BREEZE wieder zu erleben war!

Von der natürlichen Dynamik, die dieses Lied aufbaut, her war die Verlockung ziemlich groß. Die Spannung wird so aber immer fieser und unerträglicher, nur um ohne reinigendes Gewitter auszuklingen. Statt zu explodieren, implodierst du dabei gewissermaßen. Das Lied hat einen ganz bedrückenden Charme, und ich bin im Nachhinein gottfroh, dass wir die Bratgitarren außen vor gehalten haben. Selbst kurz vor dem Studio konnten wir uns aber noch kaum gegen das Gefühl wehren, dass der natürliche Verlauf des Liedes derbe Gitarren einfordert. Doch die erwartete Explosion würde dem Lied seine Unvorhersehbarkeit nehmen. Dabei ist der Gitarrenanschlag bei den Song weitaus schneller als bei härteren Tracks, zum Spielen ist das für mich körperlich anstrengender als die straighten Rocksongs, genauso wie die Zupfteile bei “Speed My Drug”…wobei ich da ja vom Titel vorgewarnt war (lacht).

Gibt es bei “She´s Wild” eine Parallele zum Text des Songs?

Wohl eher nicht. Ich habe nie mit Michael über die Lyrics zu “She´s Wild” gesprochen, aber soweit ich das herauslesen kann, explodiert die Frau und hat dazu auch jedes Recht. Für mich ist der Text eine ganz böse, dunkle Geschichte.

Habe ich beim ansonsten so finsteren “All About Nothing” richtig gehört? Erklingt da im Hintergrund ein Pfeifen?

Dieses Pfeifen kam im Studio zustande. Beim Einspielen der Pilotgitarre wusste ich bei dem Song nicht, wann wieder die Gitarrenmelodie einsetzen würde. Also meinte der Huber, dass er an der Stelle eh Gesangspause hätte und die Melodie einfach mitpfeifen würde, damit ich weiß, wann ich in den nächsten Teil reinrutschen muss. Das Pfeifen blieb dann die ganze Zeit über auf der Pilotspur versteckt, bis der Krull [Produzent – Anm. d. Red.] meinte, dass da irgendwo ein Pfeifen drauf wäre, das müsse raus. Wir hinderten ihn aber daran, die Stelle zu löschen. Was am Anfang als reine Hilfestellung gedacht war, entwickelte während der Aufnahmen eine richtige Eigendynamik. Ich kannte dabei Pfeifen vorher nur aus komischen Liedern. Wenige meine Lieblingslieder haben einen Typen drin, der pfeift (lacht).

Wie, kein “Wind Of Change”-Fan, hehe?

Nein (lacht)! Das Pfeifen in “All About Nothing” ist nun nicht unbedingt gerade oder gar eingeübt, das verleiht der Aufnahme echt Leben. Für mich ist das auch eine schöne Erinnerung an die Aufnahmen, wenn ich den Huber vor meinem inneren Auge pfeifen sehe. Und wir haben jetzt quasi unser eigenes “Wind Of Change” (lacht).

Mir schien, dass ihr bei “Weakness” ebenfalls sehr viel noch im Studio an dem Song gefeilt habt. Irgendwie wirkt der Song verhaltener und düsterer als live, wo er eher der direkte, harte Gothicrocker ist…

Wir haben ihn etwas umarrangiert. Der Song entstand als erster nach der letzten Platte. Wir haben ihn erstmals auf dem Summer Breeze 2003 gespielt und bringen ihn seither regelmäßig live. Beim Konzert ist der Song schon noch mal heftiger, was damit zu tun hat, dass wir ihn immer am Anfang spielen, wo wir quasi direkt aus den Käfig rausgelassen werden und keine Gefangenen machen. Deshalb finde ich nach wie vor, dass der Song viel Energie hat. Für mich ist der Song schlicht DAS erste Lied bei einem END OF GREEN-Konzert.

In meinem Bericht von der Listeningsession habe ich “The Farewell Song” einfach mal auf die Auswechselbank verfrachtet. Was passiert in Realität mit dem Lied? Auf der Promo-CD fehlt er.

Wir sehen ihn eher als Ergänzungsspieler. Oder als Einwechselspieler…der Joker, der aufs Feld kommt und gleich einen reinmacht. Auf dem Digipack der Erstauflage ist er auf alle Fälle enthalten. Schließlich können wir auch mal zwölf Leute auf den Platz stellen (lacht). Wir brauchen da eine Sonderregelung bei der Fifa. Silverdust meinten, wir sollten einen Track zurückhalten, aber bei dieser Platte hatte ich mehr als je zuvor das Gefühl, gleichbleibend hochwertige Sachen verewigt zu haben. Wir nehmen unsere Lieder schließlich nicht zum Spaß oder als Lückenfüller für eine Single auf. “Farewell” ist das Untypischste, was wir bislang gemacht haben, deswegen tut es mir schon Leid, dass der Song nur auf der Erstauflage drauf sein wird. Allein der Gedanke, einen Song einzig und allein für eine B-Seite zu verwenden, kam für uns nicht in Frage. Was soll das? Sowas machen wir nicht. Entsprechend froh war ich, dass wir den Kompromiss mit der Erstauflage gefunden haben.

Wo wir als Stuttgarter gerade schon bei der Fußballmetaphorik gelandet sind: Was würde denn Giovanni Trappatoni zu END OF GREEN sagen? Euer neues Cover ist ja schon in den Vereinsfarben Rot und Weiß, hehe.

Ich weiß nicht, ob wir mit ihm ins Gespräch kommen würden. Vielleicht könnten wir die eine oder andere Flasche mit ihm leer machen (lacht). An der B10 hängt in Stadionnähe derzeit ein schönes Plakat von ihm, der Slogan heißt einfach: “Wolle Spaß, fahre rechts!” Aber ich fürchte, dass er uns möglicherweise nicht leiden kann als bekennender Klassikhörer. Da könnten wir eher beim Markus Babbel punkten, der ist bekennender Rockhörer. Letztens habe ich ihn in einem ALICE COOPER-T-Shirt gesehen.

Für den Videodreh zu “Dead End Hero” habt ihr vorab im Netz Statisten gesucht. Wer folgte eurem Aufruf?

Das funktionierte besser, als wir gedacht hatten. Wir wussten, dass der Laden, in dem wir drehen wollten, groß ist, also brauchten wir viele Leute. Letztlich tauchten da die unterschiedlichsten Leute auf, einerseits viele Fans, aber auch Leute, die in einem Video zu sehen sein wollten und von der Musik vorher nichts gehört hatten. Wir hatten uns früher gegen Videos eher gesträubt, zumal die Ideen, die wir hatten, dann gleich so aufwendig ausgefallen wären wie ein RADIOHEAD- oder BJÖRK-Video. Dabei war uns natürlich bewusst, dass das zeitlich und finanziell nicht möglich war. Obwohl, die Zeit hätten wir gehabt, nur niemanden, der so lange das Filmteam bezahlt (lacht). Beim Video zu “Dead End Hero” war die Ansage klar: Wir hatten die Diskothek für ein paar Stunden und sollten nun daraus was Realistisches machen. Entsprechend wussten wir, dass wir uns da nicht in irgendeiner künstlerisch hochwertigen Geschichte verlieren konnten, sondern das zeigen müssen, was wir auch live bringen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass der Dreh mit Playback ablief. Dabei kommt man sich völlig komisch vor. Wir standen auf der Bühne, gingen ab und wussten dabei genauso wie das Publikum, dass wir nicht live spielen. Aber das Ergebnis war es wert, egal ob das Video irgendwo läuft.

Ihr seid jetzt aber nicht auf den Playback-Geschmack gekommen und tourt fortan als MODERN TALKING des Gothicmetals durch die Gegend, hehe?

Nein! Ganz ehrlich, als wir danach “Dead End Hero” zum ersten Mal wieder im Proberaum gespielt haben, baute jeder von uns zunächst mal nur Mist, bis wir uns wieder daran gewöhnt hatten, richtig zu spielen. Playback ist eine Welt, die mir gar nicht gefällt. Klar, bei einem Videodreh ist der Einsatz von Playback nötig, aber ansonsten werden wir davon immer schön die Finger lassen. Es ist einfach albern für den, der spielt, und für alle Zuschauer.

Leider endet euer unterhaltsames Online-Tagebuch im Jahr 2003. Plump gefragt: Was geschah seither?

Ich werde ständig bei den Proben damit aufgezogen, weil ich nichts dazugeschrieben habe. Die Zeiten waren zwar ähnlich unterhaltsam seither, aber ich kam einfach nicht dazu, die Erlebnisse seit der UNDERTOW-Tour in Worte zu fassen. Alleine diese Geschichte, dass wegen einem kaputten Zahn von unserem Sänger die letzten drei Gigs abgesagt werden mussten und wir alle rumstanden wie die trotzigen Kinder, die nicht heimgehen wollten… Bei einem Konzert hat Joschi, der Sänger von UNDERTOW, ein paar Songs gesungen, weil die Zuschauer schon den Club füllten. Bei der kommenden Tour werden wir in dem Club wieder spielen, die wundern sich wahrscheinlich dann, dass wir einen neuen Sänger haben (lacht). Die Idee für das Tagebuch bestand darin, allen, die nicht dabei sein können bei einem Konzert, teilhaben zu lassen am Bandgeschehen. Allerdings stellten wir da keine eigenen Konzertkritiken oder so rein, sondern unsere Beobachtungen und Erlebnisse rund um den jeweiligen Gig. Es ist schon schade, dass das ein wenig eingeschlafen ist. Aber bei einigen Geschichten ist es vielleicht auch besser, wenn sie nicht veröffentlicht werden (lacht).

Da wäre es doch eigentlich an der Zeit für eine MTV-Dokusoap über END OF GREEN, hehe?

END OF GREEN auf dem SUMMER BREEZE 2005
‘Es gibt keine andere Band, die sich so oft streitet und dann wieder versöhnt wie wir.’
Wollen wir nur hoffen, dass sich Sänger Michelle Darkness diese Blessuren nicht beim bandinternen Gerangel zugezogen hat!

Oh Gott, da dürfte man die Hälfte nicht senden! Ich kann mir das auch gar nicht vorstellen, überall mit einem Kamerateam im Nacken rumzurennen, wie das die TOTEN HOSEN oder dieser Marc Terenzi gemacht haben. Es gibt keine andere Band, die sich so oft streitet und dann wieder versöhnt wie wir – und das dann im Fernsehen sehen zu müssen, das wäre zu heftig.

Wobei es doch eine Herausforderung wäre, die Aktionen von OZZY OSBOURNE zu toppen, oder?

Na gut, Sachen werfen können wir auch ganz gut (lacht). Ich bin aber schon froh, dass ich keine so dummen Kinder hab´ wie Ozzy. Sonst würde ich mir echt Gedanken machen müssen, wie das passieren konnte.

Wer wäre denn euer Einschaltquotenkönig?

Matze! (Lacht) Jeder von uns hat so seine Momente, wo er was unglaublich Dummes anstellt. Aber Matze hat damals alles getoppt, als er sich einen Wodka Lemon über den Kopf geschüttet hat, weil er dachte, in dem Becher sei Wasser. Der Drink war uns von einem Fan spendiert worden, der sein letztes Geld auf einem Festival in Österreich dafür ausgegeben hatte. Wenn ich eines Tages sterbe und vor meinem inneren Auge der Film meines Lebens abläuft, wird dieses Szene garantiert dabei sein. Den Blick des Fans werde ich nie vergessen.

Demnächst steht unter anderem ein Auftritt beim Up From The Ground-Festival inmitten etlicher Deathmetalbands für euch auf dem Programm. Wie stellt ihr euch auf das Publikum dort ein?

Wir sind da schon mal vor zwei Jahren aufgetreten und waren damals schon die einzige Band, die weder Death- noch Blackmetal gespielt hat. Es gab dann schon so manche Anfeindung uns gegenüber, wenn auch nur verbaler Art. Das Festival war dennoch cool für uns, nicht zuletzt weil ich den Eindruck hatte, dass einige Leute ganz froh waren, dass da mal zwischendurch eine Band kommt, die verständlich singt. Naja, zumindest die Freundinnen der Metaller…(lacht) Ich hab´ gar nix gegen Death- und Blackmetal, bin aber der Meinung, dass man gottfroh ist, wenn auch mal was Anderes kommt, nachdem man die Musik sechs Stunden am Stück gehört hat. Dieses Jahr mache ich mir allerdings richtig Sorgen, wenn ich mir das Programm so anschaue. In dem Rahmen sind wir echt die Weicheier (lacht). Ein Blick ins Gästebuch hat uns gezeigt, dass sich einige da richtig auf uns “freuen”. Wirklich willkommen fühlen wir uns nicht. Dabei verstehe ich die Typen nicht, die sich über uns aufregen. Wer uns nicht mag, kann doch einfach ein Bier holen gehen, das Deo auffrischen…oder “SLAAAYER!” schreien (lacht). Das geile Gefühl ist, dass wir da hinfahren können und wissen, dass wir nichts zu verlieren haben. Und vielleicht sind ja doch ein paar Leute dabei, die unseren Gig als ganz entspannend empfinden.

Zur Not gibt´s ja noch Defensivtaktiken von Trappatoni, hehe…Da ich dich in den bisherigen Interviews bereits mit einer Track- und einer Coverattack geplagt hatte, habe ich mir für dieses Interview zwei weitere Specials überlegt. Zunächst möchte ich dir einige Stellen aus dem wunderbar selbstironischen Buch “Hell Bent For Leather” von Seb Hunter (ISBN 0-00-716176-X) zeigen, in denen er seine ersten Gehversuche in einer Metalband beschreibt, und würde gerne deinen Kommentar dazu hören. Hier der erste Ausschnitt: Er muss sich selbst das Gitarrespielen beibringen und sieht darin einen Vorteil, denn “du besitzt einen eigenen Stil” und hast für dein miserables Spiel “die perfekte Ausrede: Hey, woher zur Hölle sollte ich das besser können?” [S. 49, Übersetzung d. Red.]

Unterschreibe ich sofort! Bei mir lief das ganz ähnlich. Ich wünschte mir damals eine Gitarre und bekam sie unter der Voraussetzung, Unterricht zu nehmen, damit ich auch eine Weile dranbleibe. Das Problem war, dass der Gitarrenlehrer ein Countrygitarrist war, während ich lieber coole KISS-Riffs lernen wollte. Entsprechend schnell hörte ich mit dem Unterricht auf und begann, mir zuhause das Gitarrespielen selbst beizubringen. Ich schaute natürlich auch anderen Gitarristen auf die Finger. Das festigt auf alle Fälle den eigenen Stil (lacht). Die Frage ist nur, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn ich das gescheit gelernt hätte, statt diese Ausrede gebrauchen zu müssen. Wer weiß, vielleicht hätte ich mal lieber dem Countrygitarristen eine Weile zugehört und wäre der weltbeste Zupfer geworden. Ich bewundere immer, wie schnell die Gitarristen bei Country zupfen können.

Dann hättest du jetzt bei “She´s Wild” keine Konditionsprobleme, hehe…

(Lacht) Das würde ich dann mit einer Hand spielen!

Das nächste Zitat hat mit Lautstärke zu tun. Hunter behauptet, Lautstärke sei lebenswichtig für den Metal, da “er ansonsten außerordentlich langweilig wäre.” Man muss sich einzig und alleine fragen, “wann in einem Metalsong das Gitarrensolo kommt,” ansonsten hat man alle Zeit der Welt, um “herumzuspringen und mit seiner Hand das Teufelszeichen zu machen.” [S. 10]

(Lacht) Ich habe neulich ein Statement von Lemmy gelesen: Ein guter Song dauert zwei Minuten dreißig, und der Gitarrist hat dabei 20 Sekunden Zeit zu zeigen, dass er die coolste Sau der Welt ist. Ich bin ein großer Befürworter von Lautstärke. Wir sind bei Konzerten immer lauter, als wir es sein müssten. Nachdem wir alle keine begnadeten Solisten sind, müssen wir das eh durch die Lautstärke vertuschen (lacht). Die Grundregel lautet: Wer solistisch scheiße ist, braucht live einen Tontechniker, der auf 11 schiebt (lacht)! Wahrscheinlich werde ich das in zwanzig, dreißig Jahren bereuen, nachdem es in meinen Ohren jetzt schon ständig leise pfeift und rauscht. Aber selbst die beschissenste Musik wird bei extremer Lautstärke erträglicher, finde ich. Letztes Wochenende musste ich mir in Köln recht obskuren Minimaltechno anhören, und als das richtig laut lief, ging´s so halbwegs. Wenigstens knallen kann´s. Solange es nicht ein Lautstärkepegel ist wie bei MANOWAR, die damit prahlen, dass sie die Lautesten sind. Dabei haben die ja genügend Gitarrensolos…und sogar Basssolos!

Das dritte Zitat behandelt die erste Bandprobe. Die vierzehnjährigen Jungs machen eine Pause und sitzen im elterlichen Garten auf Schaukeln. Dabei besprechen sie gleich mal, wann sie “Konzerte geben,” und entwerfen passend zum flugs gefundenen Bandnamen ARMAGEDDON´S RING ein Logo: “einen Ring, den man am Finger trägt, der aber statt einem Juwel einen Atompilz in der Mitte hat.” [S. 53] Was sind deine Erinnerungen an deine erste Bandprobe? Habt ihr auch gleich die erste Merchandising-Kollektion entworfen?

O Gott, o Gott! ARMAGEDDON´S RING…bestes Logo aller Zeiten (lacht)! Das sieht schon imposant aus! Goldig…Als ich angefangen habe, in einer Band zu spielen, stellte ich mich erst mal mit meinem Amp und meiner Gitarre hin, haute mal in die Saiten, eine Minute später noch mal und dachte, ich hätte schon voll das geile Lied geschrieben. Die allererste Bandprobe war mit ein paar Freunden im Keller. Das Schlagzeug bestand aus Töpfen und Blech, wir trugen unsere kleinen Verstärker dazu rein und schon waren wir eine Band. Wobei zwei Mitschüler von mir die Band schon vorher gegründet hatten. Ruckzuck hatten wir zwölf Lieder und wunderten uns, warum nicht langsam mal einer in den Proberaum kommt und uns auf Tour schickt oder eine Platte aufnehmen lässt (lacht). Wir waren damals felsenfest der Überzeugung, das wär´s schon, und waren knapp davor, in der achten Klasse die Schule abzubrechen für eine Welttour, denn da draußen wartet man ja nur auf uns. Vor lauter Begeisterung hatten wir sogar schon Kapuzenpullis machen lassen. Das war direkt nach unserem ersten Konzert, bei dem wir selbst noch heimlich”Zugabe” gerufen hatten in der Hoffnung, dass jemand mitbrüllt. Das war in einer Kneipe, deren Wirt wohl Mitleid mit uns hatte und ein Auge auf die Schwester des anderen Gitarristen geworfen hatte. Sie organisierte das Konzert für uns. Noch heute zucke ich zusammen, wenn ich in Heilbronn an der Stelle vorbei fahre, wo früher die Kneipe war. Wenn ich die Erzählungen vom Matze [Siffermann, Schlagzeuger – Anm. d. Verf.] und vom Huber so höre, haben END OF GREEN nicht viel anders angefangen.

END OF GREEN 2005
END OF GREEN anno 2005 jetzt mit ihren neuen Pseudonymen v.l.n.r: Sad Sir (git), Kirk Kerker (git), Michelle Darkness (voc, git), Cardinal Mazinger (dr), Rainier Sicone de Hampez (b)
“Schließlich sind unsere bürgerlichen Namen nicht so griffig.” verriet der Sad Sir im Interview

Abschließend gibt´s jetzt noch ein kleines Pseudonymquiz: Ich präsentiere dir die bürgerlichen Namen einiger mehr oder weniger bekannter Metal- und Rockmusiker, und du musst das Pseudonym und die zugehörige Band rausfinden.

Chaim Witz

Ha, das ist Gene Simmons von KISS. Bei ihm kriege ich mittlerweile das kalte Grausen, wenn ich sehe, was er so macht. Selbst HipHopper wie EMINEM und 50 CENT sind ja noch bescheiden gegen den Kerl.

Stanley Eisen

Paul Stanley, ebenfalls KISS. Ich war ja ein großer, großer KISS-Fan, bis ich vor zwei Jahren versucht habe, eine 90-Minuten-Kassette mit coolen KISS-Liedern aufzunehmen, und mir nach 60 Minuten keine mehr einfielen. Da stellt man dann doch mal eben seine ganze Jugend in Frage…

Conrad Lant

Das ist Cronos von VENOM. Verdammt, das ist alles unnützes Wissen, das im Kopf wertvollen Speicherplatz belegt (lacht).

William Bailey

Klar, Axl Rose.

Warum der sich wohl umbenannt hat? Bei uns kam die Vermutung auf, dass er als W. Axl Rose auf die Initialen W.A.R. scharf war.

Naja, das ist ein Anagramm. Wenn du Axl Rose neu zusammensetzt, kommt oral sex dabei heraus. Ich hatte mich nämlich immer gefragt, warum er bei Axl das ´e´ herausgelassen hatte.

Robert Hackl

Oh je, das wird schwer, ihm das richtige Pseudonym zuzuordnen. Uns verbindet eine dicke Freundschaft mit JACK FROST, aber wir reden die Jungs natürlich nie mit ihrem Pseudonym an. Mournful Morales, oder? Ja? Eines der besten Pseudonyme der Welt.

Kim Bendix Petterson

Also jetzt wird´s echt fies langsam. Petterson…KING DIAMOND, oder?

Wie bist du drauf gekommen?

Bei dem Nachnamen dachte ich mir, die arme Sau kommt sicher aus einer Ecke, in der die Kinder den Vornamen ihres Vaters im Nachnamen tragen. Sein Sohn wird dann wohl mal Kimson heißen…oder Bendixson?

Jan Vetter-Marciniak

Marciniak sagt mir nix, aber Jan Vetter, das ist Farin Urlaub von den ÄRZTEN. Das ist hart mit dem Doppelnamen. Obwohl, meine Mutter hat mir, als ich sieben war, auch eröffnet, dass ich einen Doppelnamen bekommen könnte. Ich Idiot hätte Höll mit zweitem Nachnamen heißen können und wollte aber weiterhin Setzer heißen. Dabei wäre Höll viel mehr Metal gewesen (lacht)!

Michael Rhein

Matthias Reim??? Hm. Michael Kiske auch nicht?

Ein Tipp: Sein Pseudonym ist auch der Titel eines Zeichentrickfilms.

Duffy? Tweety? Snoopy? Goofy?

Oh je, das bringt dich auf die falsche Fährte. Er ist ein Mittelaltermusiker.

Das letzte Einhorn von IN EXTREMO. Der ist ein ganz arg netter Typ. Wir haben uns bei einem gemeinsamen Konzert mal gefragt, wie man ihn denn nun eigentlich anspricht. “Ey, Einhorn!” oder “Letzter!” kam uns irgendwie komisch vor. Aber wir haben dann glücklicherweise mitbekommen, dass er Michael mit Vornamen heißt.

Brian Warner

Das ist der MARILYN MANSON. Finde ich ein prima Pseudonym, während Brian Warner sehr nach nettem, durchschnittlichem Amitypen klingt. Ich konnte den Typen anfangs gar nicht leiden, finde ihn aber inzwischen besser, wenn ich mir seine Äußerungen so anhöre. Seine Musik gefällt mir aber nach wie vor nicht.

Farrokh Bulsara

Das klingt schon wie ein Pseudonym! Wenn ich in einer Blackmetalband spielen würde, wäre das doch schon ein prima Name (lacht). Absolut empfehlenswert, vorwärts wie rückwärts.

Naja, ob die intoleranteren Blackmetaller sich so mit seiner sexuellen Ausrichtung hätten anfreunden können…?

Puh, aber der Rob Halford ist es doch nicht, oder?

Nein. Weiterer Tipp: Er lebt nicht mehr.

Da war mal ein Metalmusiker so weltoffen, dass er sich geoutet hat? Da geht´s doch sonst fast so verklemmt zu wie in der Bundesliga. Bei so einer Anhäufung von Männern müssen doch auch ein paar Homosexuelle dabei sein.

Also gut, ich löse auf: Freddie Mercury von QUEEN

Ach was! Heftig…Gut, man hätte draufkommen können, dass Mercury nicht sein echter Nachname war.

Peter Ratajczyk

Der spielt bestimmt in einer Band aus dem Ruhrgebiet. Nein? Echt? Ach, Peter Steele von TYPE O NEGATIVE! Der Peter Stahl. Insofern war Ruhrgebiet gar nicht schlecht (lacht).

Ian Fraser

Keine Ahnung. Ian Fraser?

Er ist schon etwas älter, Jahrgang ´45.

Engländer?

Ja, wohnt aber mittlerweile in den Staaten, weil ihn die englische Steuerbehörde genervt hat.

Das ist der Lemmy! Ich dachte, Kilmister wäre sein echter Nachname und fand das enorm cool. Ich glaub´, ich spinn´! Übrigens, wir haben jetzt auch alle neue Pseudonyme!

Jepp, das war der Auslöser für dieses Quiz, ich wollte nämlich abschließend danach fragen, wie sich jemand namens Michelle Darkness zu euch verirren konnte.

Wir haben auch den Kardinal Matzinger in der Band (lacht), ich bin der Sad Sir, nahe liegend bei meinem Nachnamen, dann wäre da noch der Reinier Sikoje di Hampez. Und der Merkle heißt jetzt Kirk Kerker (lacht). Schließlich sind unsere bürgerlichen Namen nicht so griffig, ähnlich wie bei den grad genannten Kollegen.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner