EMPEROR: Das letzte Kapitel

So ist das mit den berühmten zwei Seiten einer Medaille: Wir freuten uns unheimlich darauf, dieses Interview mit Ihsahn von EMPEROR zu führen, doch der Anlass unseres Gesprächs war nicht unbedingt ein angenehmer: "Prometheus – Of Fire And Demise", das neue, fantastische Album von EMPEROR, wird zugleich die letzte Veröffentlichung der Band sein, da sich die Band danach auflösen wird. So schließt sich das eine Kapitel an diesem Punkt, während andere ihren Anfang nehmen, wie Ihsahn uns erzählte…

EMPEROR: Ihsahn über das neue Album, die Hintergründe der Bandauflösung und die
Zukunftsaussichten der einzelnen Musiker…

So ist das mit den berühmten zwei Seiten einer Medaille: Wir freuten uns
unheimlich darauf, dieses Interview mit Ihsahn von EMPEROR zu führen, doch
der Anlass unseres Gesprächs war nicht unbedingt ein angenehmer: Prometheus – Of
Fire And Demise
, das neue, fantastische Album von EMPEROR, wird zugleich
die letzte Veröffentlichung der Band sein, da sich die Band danach auflösen
wird. Ihsahn will sich PECCATUM voll widmen, während Samoth und Trym sich auf
ZYKLON konzentrieren werden. So schließt sich das eine Kapitel an diesem Punkt,
während andere ihren Anfang nehmen, wie Ihsahn uns erzählte:

Du hast öfters schon verlauten lassen, dass EMPEROR fortan lediglich als
Studioact weiterexistieren werden, und es gab auch Verlautbarungen, dass dies
euer letztes Studioalbum sein wird…

Das sind nicht bloß Gerüchte. Prometheus – Of Fire And Demise wird definitiv unser letztes Album sein. Die Gründe dafür sind gleichzeitig sehr
kompliziert und sehr einfach. Wir fühlen, dass wir alles mit der Band erreicht haben,
was in unseren Möglichkeiten lag. Wir haben immer 100 Prozent gegeben, alles,
was in uns drin steckte. Und letzten Endes waren wir sehr glücklich, den
Zeitpunkt der Auflösung selbst bestimmen zu können. Wenn man unsere Karriere vom
kommerziellen Punkt aus betrachtet, sind EMPEROR nun auf dem Gipfel dessen,
zu was wir fähig sind, angekommen. Natürlich bekommen wir enttäuschte
Rückmeldungen von vielen Leuten, beispielsweise in Interviews oder auch von Fans. Die
meisten von ihnen respektieren unsere Entscheidung jedoch voll und ganz und
sind froh, dass wir es selbst nicht so schwer nehmen. Mit etwas Abstand
betrachtet werden alle hoffentlich vollkommen zufrieden damit sein, was wir auf
den vier Alben, dem Livealbum und den EPs erschaffen haben und wie wir danach
dies haben ruhen lassen, fortschreiten und uns anderen Dingen zuwenden, ohne
dass wir dafür EMPEROR hätten ändern müssen. Ich will nochmals betonen, dass
EMPEROR zwar nicht weiter existieren wird, wir als Musiker aber sehr wohl.
Manch einer redete schon mit mir, als ob ich knapp davor wäre, zu sterben
(lacht).

Du hast nun also vor, dich auf PECCATUM zu konzentrieren?

Ja, wobei wir bei PECCATUM eine ganz andere Arbeitsweise haben. Wir proben
und jammen nicht wie eine gewöhnliche Band, sondern gehen anders an die Sache
heran. Ihriel hat meines Wissens viele Pläne und Ideen für neue Songs und ist
auch sehr motiviert, diese auszuarbeiten. Im Moment ist sie jedoch dabei,
ein Soloalbum fertigzustellen, das wiederum in eine ganz andere Ecke geht. Bei
mir genießt dieses Projekt jedenfalls die höchste Priorität momentan,
außerdem will ich auf eigene Faust mehr machen, bin aber noch unsicher, wie das
aussehen wird. Ich würde vermutlich mit Musikern zusammenarbeiten, die aus ganz
anderen Richtungen kommen und verschiedene Einflüsse mitbringen. Musik ist
etwas so Vielfältiges und es gibt so viele Wege, sie zu erschaffen, weshalb die
Auflösung von EMPEROR auch einen gewissen befreienden Aspekt besitzt.

Bei skandinavischen Musikern ist es fast schon zur Regel geworden, dass
sie Nebenprojekte am Start haben. Wieso sind diese wichtig? Helfen sie, die
Hauptband nicht vom Wege abkommen zu lassen und dennoch neue Einflüsse ausleben
zu können?

Natürlich steckt zwar mehr Herzblut dahinter, wenn man eine Band zu seiner
Hauptband erklärt. Aber obwohl EMPEROR fast immer im Zentrum bei mir stand und
auch am meisten Alben verkaufte, ist mir alle Musik, die ich mache, gleich
wichtig. Ich setze also nicht den Schwerpunkt auf ein Projekt und lasse zwei
andere nebenher laufen. Trotzdem ist die Rolle, die ich in PECCATUM spiele,
gänzlich verschieden zu der, die ich bei EMPEROR inne hatte, da ich bei
ersterer Band die Gitarrenarrangements passend zu Ihriels Musik machen muss, was
wiederum einen Einfluss auf meine Art, Gitarre zu spielen, hat. Was Samoths und
Tryms Nebenaktivitäten angeht: Alles verbindet sich, und es ist eben dieses
Zusammenwirken der verschiedenen Leute in der Band, ihre Vorlieben und auch
die Unterschiede zueinander, wovon die Band profitiert hat.

Zu welchem Grad waren Trym und Samoth bei eurem neuen Album eigentlich
involviert? Texte, Musik und Arrangements gehen schließlich alle auf deine
Kappe…

Trym drückte den Drumparts definitiv seinen Stempel auf. Ich bin äußerst
zufrieden mit seinem Schlagzeugspiel, da ich lediglich äußerst einfache
Grundpattern vorprogrammiert hatte, um ihm eben zu zeigen, was ich mir grob
vorstellte. Er trug sehr viel zu der extrem aggressiven und hysterischen Atmosphäre
bei, die mir unheimlich wichtig war. Er hatte also großen Anteil am Album. Bei
Samoth war es so, dass er mit ZYKLON sehr beschäftigt war. Sie schrieben
gerade an neuen Songs und bereiteten sich zugleich auf eine Tour vor. Er und ich
arbeiten aber schon seit meinem 13 Lebensjahr zusammen, also länger als mein
halbes Leben. Daher kenne ich seine Art zu schreiben und seine Vorlieben sehr
gut. Letztlich fiel uns erst zum Schluss auf, dass ich alle Tracks
geschrieben hatte, was nicht zuletzt auch damit zusammenhängt, dass ich die
Möglichkeit habe, in meinem eigenen Studio zu arbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass
Prometheus – Of Fire And Demise ein Soloalbum von mir ist. Es ist definitiv
ein EMPEROR-Album! Ein Soloalbum von mir würde komplett anders klingen. Es
kommt bei uns nicht darauf an, wer letzten Endes was macht, sondern darauf, dass
die Kommunikation zwischen uns vorhanden ist.

Handelt es sich bei dem Cover um ein weiteres Werk von Gustave Doré?

Wir fanden leider diesmal kein Gemälde von Doré, das den Titel illustriert
hätte, doch wir verwendeten immerhin einen Kupferstich, so dass der Stil
ähnlich ist. Das Cover zeigt Prometheus als alten Mann, am Boden liegend, wie ihn
der Adler auseinanderreißt. Das passt auf der symbolischen Ebene hervorragend
zum Konzept und zum Titel des Albums, ebenso wie das dunkle und abstrakte
Layout.

Woher kommt die Faszination für Doré?

Die Illustrationen stammen aus einer Bibel, jemand zeigte sie uns und sie
passten perfekt zu der pompösen und mächtigen Atmosphäre, die wir mit EMPEROR
stets zu erzeugen versucht haben. Eine der Illustrationen landete auf dem
Cover der Split-EP mit ENSLAVED und gewissermaßen als Konzept ein Gemälde auf In
The Nightside Eclipse. Ursprünglich war sogar geplant, dieses Bild selbst
auszubauen, so dass es ein riesiges Bild ergeben hätte, wenn man alle Cover
zusammengelegt hätte. Es kam jedoch anders, da es sich zu einem Markenzeichen
von uns entwickelte, Dorés Bilder zu verwenden, zumal sich jedes Mal etwas
fand, das das, was uns vorschwebte, darstellte.

Ist das neue Album ein Konzeptalbum?

Mehr oder weniger schon, ja. Die zugrundeliegende Geschichte ist kompakter
als bei den vorhergehenden Alben, allerdings mit der Einschränkung, dass die
ersten zwei, drei Songs die Story vorantreiben, während sich das in der Mitte
des Albums etwas ausfranst, da werden verschiedene Dinge aus
unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Gegen Ende wird das Ganze wieder
zusammenhängender, als die Person stirbt. Es gibt zwei Erzählperspektiven, mal schreibe ich in
der dritten Person, mal aus der Ich-Perspektive des Erzählers. Das hängt mit
der Story zusammen, brachte aber auch ein wenig Distanz zwischen den Gesang
und die tatsächlichen Ereignisse. Das geschah wohl hauptsächlich unterbewußt
meiner Meinung nach, gewissermaßen eine Distanzierung zwischen EMPEROR und
mir als Song- und Textschreiber, da dies ja das letzte Album werden sollte.

Was ist eine größere Herausforderung für dich gewesen, eine Konzeptstory
auszuarbeiten oder Texte für einzelne Songs zu schreiben?

Zumindest für dieses Album war es einfacher, der Storyline zu folgen, denn
Texte zu verfassen ist wohl mit das Schwerste, das es für mich gibt. Mir
fliegen Texte nicht zu, ich muss sehr hart um jedes Wort kämpfen. Ich versuche
dabei möglichst ehrlich zu sein, gewissermaßen als selbstauferlegte Grenze und
Leitlinie. Hinzu kommt die Vorstellungskraft, und am Schluß bringe ich noch
verschiedene Symbole mit hinein als Anspielungen auf verschiedene
Themenkomplexe, über die ich sonst jeweils komplette Lyrics schreiben könnte.

Auffällig ist, dass du sehr viel Wortmalerei und Metaphern einsetzt, die
du selbst entwirfst, beispielsweise sehr kraftvolle Vergleiche mit
Naturkräften. Wo nimmst du dafür die Inspiration her?

Ich fühle mich dabei ein wenig als Dieb, der sich bei althergebrachten
Traditionen bedient, wenn ich alte Bilder und Symbole benutze, die starke
Assoziationen mit sich bringen und von allen nachvollzogen werden können. Es handelt
sich also bei mir um eine Mischung aus Erfinden und Weiterverwerten von
Mythen und Symbolen, die bereits auf eine Bedeutung festgelegt sind. Das soll zur
Atmosphäre und zur Auslegung der Texte beitragen. Aber auch in der Musik
selbst illustriere ich gewisse Inhalte. Bei In The Wordless Chamber
beispielsweise erklingen diese Hörner, die bei jedem von uns Assoziationen wecken. Dabei
entsteht ein Kontrast zwischen dem beinahe klaustrophobisch anmutenden Text
von In The Wordless Chamber und diesem offen wirkenden Element. Texte sind
bei mir also stets eine Mischung aus Innovation und starker Inspiration durch
Althergebrachtes.

Wieso habt ihr euch für euer Konzept diesmal den Mythos von Prometheus
ausgesucht? Was genau interessierte und faszinierte euch dabei?

Wir hatten schon früher Mythen benutzt, die von Luzifer und Ikarus. Nun war
Prometheus an der Reihe. Er kommt allerdings nur auf dem Cover und dem Titel
direkt vor, in den Lyrics kann man ihn vergeblich suchen. Die Inspiration,
den Prometheusmythos zu verwenden, kam vermutlich von Ihriel, da sie viel
antike Geschichte studiert und sich sehr intensiv mit griechischer Mythologie
beschäftigt. Sie lernt zudem Latein. In der Zeit wurde ich also sehr davon
beeinflusst und benützte davon das, was mir hilfreich für meine Zwecke erschien.
Prometheus verwendete ich deshalb, weil er wie auch Ikarus und Luzifer eine
Figur war, die einen entgegengesetzten Weg einschlug, alle Konventionen
mißachtete und letztlich dafür bestraft wurde. Sie alle folgten ihrem Herzen und
beugten sich nicht dem Willen der höheren Macht. Sie waren von Natur aus
rebellisch und wollten herausfinden, wie weit sie gehen konnten. All dies passte
hervorragend zu meinem Konzept, das sich ebenfalls darum dreht, mit Konventionen
zu brechen, Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen und bereit zu sein,
all das, was man gemeinhin als sicher betrachtet, in Frage zu stellen. Es
gibt aber auch Anspielungen auf moderne Themen neben den antiken Elementen. Die
Symbole spielen dabei auch auf das Ende von EMPEROR an sowie darauf, wie wir
als Band uns entwickelt haben, vor allem textlich: die Sachen, die anfangs
uns am Herzen lagen, wie sie sich immer wieder geändert haben und wie sie nun
zu einem Ende gebracht werden. Nicht zu vergessen ist in dem Zusammenhang der
Untertitel des Albums: Of Fire And Demise. Feuer ist etwas sehr
Zerstörerisches und zugleich auch etwas Konstruktives, da es etwas hinterlässt, aus dem
Neues entstehen kann.

Die Rebellion gegen einen Gott, um der Menschheit Licht und somit Wissen
zu bringen, ist ein ziemlich breitgefächertes Thema, immer wieder taucht
dieses Element, heiliges Wissen an die Menschen weiterzugeben und damit den Gott
zu erzürnen, in religiösen Schriften auf – Fortschritt durch
unkonventionelles Handeln…

Es ist vergleichbar mit den Menschen, die wir heute als Genies bezeichnen.
Sie wären keine Genies, hätten sie nicht die vorherrschende Sicht der Dinge zu
ihrer Zeit in Frage gestellt. Ein Beispiel ist dafür ja alleine schon der
Glaube, die Erde sei eine Scheibe. Unkonventionelles Handeln und das Denken
über vorherrschende Grenzen hinaus führen zu Fortschritt, wobei ich damit nicht
sagen möchte, dass Fortschritt notwendigerweise etwas durch und durch Gutes
ist, da er auch sehr zerstörerische Auswirkungen mit sich bringen kann. Ein
Teil der menschlichen Natur ist er aber auf alle Fälle. Wir alle sind gierig,
wir wollen immer mehr und bekommen nie genug.

Du hast schon konstruktive und destruktive Seiten angesprochen – ich habe
eine sehr interessante Aussage von dir in einem Interview gefunden, in der
du meintest, dass Satanismus und das Black Metal-Image anfangs sehr destruktiv
auf dich wirkten, dass beides aber sehr konstruktiv wurde ab einem gewissen
Punkt, nachdem du dir eine neue Basis gesucht hattest und das herkömmliche
Glaubenssystem, mit dem du aufgewachsen bist, losgeworden warst.

Das gleiche kann ich heute von mir behaupten, wenn auch aus anderen Gründen.
In gewisser Hinsicht ist das nicht zu weit von der christlichen Moral
entfernt mit all den Konventionen und festen Regeln, die einen in der Black
Metal-Szene limitieren. Für mich persönlich jedoch lag im Ver- und Befolgen dieses
Weges und seinen unkonventionellen Regeln auch eine sehr kreative,
konstruktive Quelle für das, was zu tun ich fähig war. So begann ich, mit den
entsprechenden Atmosphären und Bildern auf sehr produktive und konstruktive Art und
Weise zu arbeiten. Der ganzen Sache wohnt also eine sehr widersprüchliche Natur
inne, wie es bei anderen Religionen ebenso der Fall ist, würde ich sagen.
Satanismus gilt oft als eine Anti-Religion, doch das könnte auch auf das
Christentum zutreffen, gerade wenn man bedenkt, dass viele Leute ihre dunklen Seiten
unterdrücken und so das Ganze fast noch bösartigere Formen annimmt. Ich
selbst fühle mich weit jenseits von Satanismus und ähnlichen Strömungen,
zumindest in ihren konventionellen Bedeutungen. Daher würde ich mich nicht als
Satanisten bezeichnen, schließlich kann nicht alles, was ich erfahre und erlebe, in
einen satanischen Kontext gepresst werden.

Weil er zu limitierend ist?

Ja, die Grenzen sind zu eng. Ich kann es nachvollziehen, wenn Leute religiös
sind, um dadurch Antworten auf ihre Fragen zu finden und die Religion als
festen Halt, gewissermaßen als einen Anker der eigenen Existenz brauchen.
Inzwischen fühle ich mich ohne dies verlorener. Natürlich hatte ich meine eigenen
Anker, aber da ist immer noch so viel Chaos übrig – wenn man sich da auf
gewisse Regeln wie beispielsweise die des Satanismus limitiert, bleiben immer
noch zu viele Fragen offen für mich.

Du suchst also weiterhin nach Antworten?

Einerseits sehne ich mich sehr nach Antworten, andererseits fühle ich mich
auch sehr eingespannt durch das Alltagsleben, was mir das Gefühl vermittelt,
dass ich die wichtigen Fragen vernachlässige. Dies war auch schon ein Thema in
EMPEROR-Texten.

Inwiefern betrachtest du dann Satanismus als einen passenden
Ausgangspunkt, von dem aus Menschen Dinge in Frage zu stellen beginnen, die sie ansonsten
für gegeben nehmen und denen sie keine weitere Aufmerksamkeit schenken
würden?

Es ist ein Ausgangspunkt, aber ich finde es wichtig, nicht damit aufzuhören,
Dinge in Frage zu stellen. Klar, ich habe Bücher von Crowley, LaVey, Peter
Carroll und einigen aus seiner Richtung gelesen und auch vieles über
Chaosmagie. Darin fand ich einige überraschende, interessante Gedanken. Manchmal lag
dem auch nur die Genugtuung zugrunde, in einem intellektuellen Buch Gedanken
wiederzufinden, die man so oder ähnlich selbst schon hatte. So etwas
inspiriert und bringt einen weiter. Doch als ich ein paar Jahre später all diese
Bücher wieder zur Hand nahm, bedeuteten sie mir ganz und gar nicht mehr so viel
wie damals. Heutzutage sehe ich sie als eine abgeschlossene Sache an, doch
sie waren sehr hilfreich zur Zeit der ersten Lektüre. Trotzdem sollte man auch
sie in Frage stellen, was mir jedoch ebenfalls nicht immer vollauf gelingt.
So erklärt sich vielleicht, warum ich über das Ausbrechen aus althergebrachten
Konventionen und das Infragestellen von allem auf dem neuen Album
geschrieben habe: Ich habe vieles davon als Ziel formuliert, als das, was ich als
idealer Mensch tun sollte. Doch wie jeder andere auch bin ich nicht frei von
Fehlern und Schwächen. Ich denke darüber nach, diese Dinge zu tun, schreibe sie
als Ziele nieder, will sie umsetzen, doch das heißt noch lange nicht, dass ich
darin besser wäre als andere. Plötzlich alles im großen Stil zu ändern, das
muss vielleicht ja auch gar nicht sein, wichtig ist vielmehr, sich bewußt zu
machen, dass man irren kann, und gelegentlich innezuhalten, um sich zu prüfen,
ob das, was man im Moment tut, überhaupt richtig ist. Dieses Überdenken
seiner Handlungen ist ausschlaggebend, finde ich.

Du hast erwähnt, dass Fortschritt und damit Wissenschaft wichtig ist,
z.B. dass wir heute die Möglichkeit haben, zu fliegen, während das vor wenigen
Jahrhunderten noch als Hexerei gebrandmarkt worden wäre. Aber ist Wissenschaft
nicht auch der Natur entgegengesetzt?

Ist es das wirklich? Ist Wissenschaft nicht auf Entdeckungen in der Natur
gegründet? Wir können zwar sehr aufwändige Dinge wie einen Computer herstellen,
doch schau dir nur alleine mal die Komplexität einer Blume an, wie sie
aufgebaut ist, wie sie verschiedene Farben annimmt, um Insekten anzuziehen – das
ist ebenfalls sehr komplex, ohne dass wir Menschen irgendetwas damit zu tun
hätten. Die Wissenschaft ist für uns das schützende Dach mit seinen
Erklärungen, darüber ist die Religion mit den nach wie vor unerklärlichen Phänomenen,
Fragen und Problemen. Die Abbildung von Natur – auf Bildern oder Fotos – kann
zwar manchmal noch bezaubernder aussehen als das ursprüngliche Motiv. Manchmal
ist das Original aber auch jeder Abbildung überlegen, was wiederum ein Grund
dafür ist, warum ich die Natur so verehre. Andererseits schaffe ich es aber
selbst nicht so oft, wie ich es mir wünschen würde, mir die Zeit zu nehmen,
um hinaus zu gehen und die Natur in mich aufzunehmen.

Mehr als jedes andere Genre ist Black Metal mit Klischees in Verbindung
gebracht worden, wodurch diese Art von Musik in der Vergangenheit oft die
Musiker der Gelegenheit beraubte, sich frei auszudrücken, und auch die Fans
wurden dadurch eingeschränkt. Doch nun zeigt sich die Szene offener, nicht mehr so
limitiert und grimmig, es gibt Raum für Experimente – wie erklärst du dir
diese Veränderung?

Ich finde es zunächst einmal eine gute Entwicklung. Wobei da immer noch der
Nostalgiker in mir meint: Nun, als ich jung war, damals Mitte der Achtziger,
hatte man entweder eine einzelne Lieblingsband, die man vergötterte – ich
hatte beispielsweise ausnahmslos IRON MAIDEN-Aufnäher auf meiner Kutte – oder
man war eben ein Popper. In Zeiten, in denen Leute mal eben zwischen BRITNEY
SPEARS und JENNIFER LOPEZ ein wenig METALLICA und LIMP BISKIT
dazwischenschieben, könnte das ein wenig zu engstirnig sein (lacht). Aber ernsthaft, ich
halte es für extrem wichtig, Musik prinzipiell offen gegenüber zu stehen. Als
Musiker wächst glücklicherweise auch in einem die Fähigkeit, sich mit anderen
Arten von Musik kritisch auseinanderzusetzen. Ich empfinde es jedenfalls so,
dass ich Musik mehr schätzen kann, seit ich selbst Musik mache.

Interview: Claudia Feldmann für INVADER

Übersetzung: Rachendrachen

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