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ANDRE MATOS: Ein Licht am Ende des Tunnels

Im Telefongespräch aus Brasilien berichtet ehemalige ANGRA-Sänger von der Entstehung seines Solo-Debüts, sein Gitarrenspiel und die Emotionalität seiner Texte.

Auch wenn er in Deutschland bislang weder den großen Erfolg wie in Japan, noch den Kultstatus wie in Brasilien erreicht hat, ist ANDRE MATOS doch ein feste Größe in der Metall-Szene. Er wirkte u.a. bei AVANTASIA mit und gehörte zusammen mit RHAPSODY OF FIRE wohl zu Sascha Paeths treuesten Studiokunden. Nach dem SHAAMAN-Split machte der brasilianische Sänger bei einer Tommy-Inszenierung (THE WHO) mit und schien vorerst von der internationalen Bildfläche verschwunden zu sein. Im August 2007 erschien schließlich sein erstes Solo-Album in Japan, auf dem er melodischen Speed Metal in der Tradition der frühen ANGRA-Werke zelebriert. Nun kommt Time To Be Free, so der Titel der CD, auch in Deutschland in die Läden und alte wie neue Fans können sich selbst davon überzeugen, dass Matos sich nach zuletzt durchwachsen Alben wieder auf dem Weg der Besserung befindet. Im Interview erzählt der ehemalige ANGRA-Sänger von der Entstehung seines Solo-Debüts, seinem Gitarrenspiel und der Emotionalität seiner Texte.

An welchem Punkt deiner Karriere hast du zum ersten Mal mit dem Gedanken gespielt, ein Solo-Album zu machen?

Das ist noch nicht so lange her. Ich wurde im Laufe meiner Karriere häufig gefragt, ob ich nicht mal an einem Solo-Projekt interessiert wäre. Es war meiner Meinung nach aber nie der richtige Zeitpunkt dafür. Erst nachdem ich in drei Bands gesungen hatte und sich die letzte – SHAAMAN – getrennt hatte, machte es für mich keinen Sinn mehr, eine neue Band auf die Beine zu stellen oder zu einer alten zurückzukehren. Ich habe mir dann überlegt, ein Solo-Ding aufzuziehen. Offen gesagt betrachte ich es aber gar nicht als ein Solo-Projekt, sondern vielmehr als eine Solo-Band. Innerhalb der Band müssen wir Teamwork betreiben. Obwohl meine Name draufsteht, steckt also eine richtige Band dahinter.

Lastet nun trotzdem eine größere Verantwortung auf deinen Schultern?

Ja und nein. Einerseits habe ich bei der Organisation und beim Management jetzt mehr zu tun; andererseits gibt es keinen großen Unterschied zwischen der Arbeit, die ich jetzt mache, und der, die ich bei meinen früheren Bands gemacht habe. Ich war schon immer beteiligt, von der Produktion über die Rechteverwertung bis zu den Interviews. Ich spüre in dieser Hinsicht keinen großen Unterschied im Vergleich zu früher. Es ist eine größere Verantwortung, weil jetzt alles unter meinem Namen läuft. Ich muss dafür sorgen, dass alles gut und perfekt läuft. Mein Name leidet unter jedem Fehler. Deshalb muss ich alles doppelt so sorgfältig machen und abwägen.

Was hältst du von der Vorstellung, in Zukunft, beispielsweise bei deinem nächsten Album, selbst als Produzent tätig zu werden?

Obwohl ich natürlich die ganze Zeit über beim Produktionsprozess dabei bin und sehr eng mit meinen beiden Produzenten zusammenarbeite, gefällt mir die Vorstellung nicht so sehr, mein Album selbst zu produzieren. Nicht, weil ich es nicht könnte. Bei anderen Bands wäre ich durchaus in der Lage, das zu machen. Aber wenn es mit meinem eigenen Material und meiner eigenen Arbeit zusammenhängt, ist es wichtig, Unterstützung von außen zu haben, weil man bisweilen zu sehr im kreativen Prozess steckt und nicht mehr den nötigen Abstand hat. Manchmal ist man zu sehr darin verwickelt und erkennt ein Lösungsmöglichkeit nicht mehr, die andere Ohren finden würden. Die Produzenten sind eine große Hilfe bei der Weiterentwicklung des Materials.

Was ich schon immer wissen wollte: Wie gut kannst du Gitarre spielen?

Ich kann überhaupt nicht Gitarre spielen. Darin bin ich wirklich schlecht. Ich kann ein paar ganz simple Akkorde, aber ich bin kein Gitarrist. Würde man mir auf der Bühne eine Gitarre umhängen, käme nur Lärm raus. Ich spiele bisweilen ganz gerne Bass und auch Schlagzeug. Nicht besonders gut – aber es ist okay, wenn ich zum Beispiel einen AC/DC-Song spielen soll. Aber meine Hauptinstrumente sind das Klavier und die Keyboards. Den Großteils von meinen Sachen schreibe ich am Klavier.

In welcher Hinsicht unterscheiden sich die beiden Gitarristen in deiner Band?

Sie ergänzen sich sehr gut was ihre Spielweise anbelangt. Hugo kommt ursprünglich aus der Thrash Metal-Szene. Deshalb geht er seine Gitarre auf sehr aggressive und heftige Weise um. Andre Hernandez ist dagegen ein sehr technischer und virtuoser Spieler, der viele verschiedene Musikstile beherrscht. Im Endeffekt bilden die beiden so eine tolles Gitarrenduo. Wenn einer irgendwo eine Schwäche hat, kann der andere das kompensieren, und zusammen bilden sie ein gutes Team.

Richtet sich danach dann auch die Entscheidung, wer in einem bestimmten Lied das Gitarrensolo übernimmt?

Ja, das meiste schnelle und technische Zeug wird von Andre gespielt. Hugo steht mehr auf die melodischen Sachen und die Riffs. Er hat ein gutes Händchen für Riffs. Zwischen den beiden gibt es keinerlei Streitereien. Das alles ist sehr gut für die Band und den Bandsound.

Wie war es, nach so vielen Jahren wieder mit deinem ehemaligen Bandkollegen Pit Passarell zusammenzuarbeiten?

Wir haben uns die Jahre über immer wieder gesehen. Wir sind immer noch gute Freunde, meine ehemaligen Bandkumpels von VIPER und ich. Wir lebten in der selben Gegend und haben uns entsprechend häufig bei Konzerten oder in Clubs getroffen. Wir sind also in Kontakt geblieben, nachdem ich die Band verlassen hatte. Mit Pit bin ich gut befreundet und er ist ein toller Komponist, mit dem ich bei VIPER tolle Sachen gemacht habe. Wir haben uns bereits vor einigen Jahren zusammengesetzt und nachdem ich auf ihrem jüngsten Album bei einem Lied mitgesungen habe, lud ich ihn ein, an meinem eigenen Album mitzuarbeiten. Das war die richtige Entscheidung, weil er viele frische Ideen und Liedteile beigesteuert hat, die wir in einer sehr angenehmen Atmosphäre zusammengesetzt haben. Er ist auf alle Fälle einer meiner Lieblingsschreibpartner.

War das schon immer so? Wenn ich auf das Theatre of Fate-Album zurückschaue, ist er der alleinige Komponist der meisten Lieder.

Ja, das war bei Theatre of Fate damals der Deal. Er kam damit an und meinte, er habe das gesamte Album bereits so gut wie fertig. Wir ließen uns darauf ein. Wir hatten kein Problem damit. Der einzige Song, der nicht aus der Feder von Pit Passarell stammte, war Moonlight. Für mein neues Album Time To Be Free habe ich beschlossen, eben diesen Song neu aufzunehmen. Ich habe versucht ihn aufzupolieren und neu zu schreiben. Das war sehr wichtig für mich, denn Moonlight war das erste Stück, das ich je geschrieben habe. Es war wichtig für mich und es hat auch eine gewisse symbolische Bedeutung, dass es sich nun auch auf meinem ersten Solo-Album befindet.

Wie hat sich der Aufnahmeprozess im Laufe der Zeit, von den ersten Alben mit VIPER bis zu deiner neuen CD, entwickelt?

Das gab es viele, viele Veränderungen. Als wir unser allererstes Album mit VIPER aufnahmen, herrschte eine ganze andere Denkweise. Im Vergleich dazu gab es viele neue technische Entwicklungen. Ich persönlich finde, dass gerade das Theatre of Fate-Album einen ziemlich einzigartigen Klang hat. Das liegt daran, dass es in einem sehr guten Studio aufgenommen wurde. Wir nutzten damals alle Möglichkeiten, die uns die analoge Aufnahmetechnik bot. Wir hatten zudem das Glück, einen guten Produzenten zu haben, der alles schön abmischte. Deswegen ist es für mich eine Art Referenz. Immer wenn ich ein neues Album aufnehme, möchte ich diesen Klang nach Möglichkeit übertreffen. Tatsächlich habe ich altmodische Aufnahmetechniken sehr gern. Ich mag es, sie zu erkunden und ausnutzen.

Andre
Andre Matos über seine Mitmusiker: Obwohl meine Name draufsteht, steckt eine richtige Band dahinter. Von links unten nach rechts: Eloy Casagrande (Schlagzeug), Andre Hernandez (Gitarre), Hugo Mariutti (Gitarre), Andre Matos (Gesang), Fabio Ribeiro (Keyboard), Luis Mariutti (Bass).

Wie weit habt ihr den Song How Long als Band arrangiert und geprobt, bevor ihr ins Studio gegangen seid?

How Long ist ein Lied, das erst im Studio geschrieben wurde. Wir hatten die anderen Stücke alle fertig und Roy Z, unser Produzent, kam zu mir und meinte: Ich glaube, da fehlt noch was, ein geradliniger Uptempo-Song, noch etwas kraftvolles, ein guter, alter Heavy Metal-Song aus den 80ern. Das fehlt dem Album noch. Es ist bereits sehr technisch und sehr atmosphärisch, aber es fehlt noch etwas Ungeschliffenes, etwas Straightes. Ein paar Ideen gab es bereits im Vorfeld. Die haben wir ihm dann gezeigt und den Song zusammen geschrieben. Wir spielten die Akkorde, die Gitarristen steuerten ein paar Riffs bei, ich sang eine Melodie dazu. Der Song entstand so an einem einzigen Tag. Es ist einer der frischsten und kraftvollsten auf dem Album. Ich mag ihn wirklich sehr.

Looking Back ist ein anderer Song den ich sehr mag. Kannst du erzählen, wie dieses Stück zustande kam?

Das ist einer meiner Lieblingssongs, wenn ich es wagen darf, so etwas zu sagen.

Das darfst du ruhig sagen. Es ist schließlich dein Solo-Album.

Ja. Es ist ein sehr tragischer Song mit einer ziemlich einzigartigen Atmosphäre. Den ganzen Song über gibt es perkussive Elemente. Die Akustikgitarren und die Melodie sind sehr eingängig. Der Song handelt in erster Linie von Verlust, also wenn man jemanden verloren hat, sei es, dass diese Person gestorben ist, oder dass sie einen verlassen hat. Wir erleben solche Situationen immer wieder im Leben. Es ist sehr persönlich – ein sehr intimer Song.

Schreibst du deine Texte von Hand oder benutzt du einen Computer?

Ich schreibe immer mit der Hand. Wenn mich Leute fragen, wie ich meine Lieder schreibe, antworte ich immer, dass ich mich ans Klavier setzen und dazu singen muss. Erst später kann ich dann einen Text dazu schreiben. Zuerst kommt immer die Musik. Von ihr kann man auf ein Thema schließen, über das der Text handelt. Für mich sind die Texte ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil einer Komposition. Ich traue Leuten nicht, die einfach ihre Lieder schreiben und sich nicht um die Texte kümmern. Vielleicht machen sie sogar mehr als die Hälfte des Gesamtbilds aus. Ich muss mich mit einem Blatt Papier hinsetzen und die Texte von Hand aufschreiben. Die ursprünglichen Ideen werden dabei beständig überarbeitet und ich nehme nach und nach allerlei Korrekturen vor. Am Ende kommt eine Art Gemälde dabei heraus. Erst ganz am Ende gehe ich damit zum Computer, um es etwas klarer darzustellen.

Da du es ansprichst: Die Texte behandeln zum Teil sehr emotionale Geschichten. Doch obwohl du nach diversen Bandtrennungen und sonstigen Lebenserfahrungen sicher einige schlechte Erfahrungen gemacht hast, schreibst du nie hasserfüllte oder zynische Texte.

Ich versuche beim Schreiben der Texte möglichst reflektierend zu sein und eine Message rüberzubringen. Ich denke, das ist sehr wichtig. Texte sind ein mächtiges Werkzeug, um Leute zu beeinflussen. Man muss sie positiv einsetzen. Das versuche ich, wobei ich natürlich nicht über Partys und so schreibe. Ich bin keine amerikanische Hardrock-Band, die über solche Sachen singt. Auf der anderen Seite schreibe ich auch nicht so depressive Sachen, wie man sie in der Gothic-Szene findet – was ich wirklich respektiere; ich lese lieber etwas Deprimierendes, als etwas Oberflächliches. Ich versuche, ein Licht am Ende des Tunnels zu finden, wenn ich meine Texte schreibe. Ich möchte den Leuten in irgendeiner Form Hoffnung geben. Das ist im Wesentlichen meine Herangehensweise. Sie ist eher philosophisch angehaucht und behandelt innere Fragen, tieferliegenden Fragen der menschlichen Existenz. Es ist wichtig, die Leute von den Automatismen in ihrem Leben wegzuholen. Liedtexte sind wie Poesie und Literatur. Es ist wichtig, dass man tief in sie eintaucht, sie absorbiert und die zugrunde liegende Message begreift.

ANDRE
Die linke Hand wird von der rechten Gehirnhälfte gesteuert, welche zugleich die emotionalere ist. Insofern macht es Sinn, dass ich diese Energie, diese Kraft in meiner linken Hand halte. Andre Matos über das Titelbild seines Solo-Debüts

Bist du Links- oder Rechtshänder?

Rechtshänder. Warum fragst du?

Weil du auf dem Cover von Time To Be Free deine linke Hand ausstreckst.

Das hat sich so ergeben, weil es besser aussah, wenn ich in der rechten Bildhälfte stand. Aber ich finde es interessant, weil die linke Hand von der rechten Gehirnhälfte gesteuert wird, welche zugleich die emotionalere ist. Insofern macht es Sinn, dass ich diese Energie, diese Kraft in meiner linken Hand halte. Abgesehen davon tragen wir unser Herz auf der linken Seite. Letztlich fand ich, dass das Bild genügend symbolischen Gehalt besitzt. Allerdings schreibe und musiziere ich mit der rechten Hand und nutze wohl meine linke Gehirnhälfte entsprechend mehr.

Du hast als Teenager angefangen bei VIPER zu singen. Zu welchem Zeitpunkt bist du, was deinen Gesang und die Musik anbelangt, erwachsen geworden?

Das ist sonderbar, weil ich nie das Gefühl hatte, dass meine Stimme erwachsen wurde. Ich habe die Stimmcharakteristiken beibehalten, die ich als Teenager hatte. Ich sang damals sehr hoch und kann das heute noch immer. Mein Stimmumfang ist allerdings größer geworden. Ich kann jetzt auch tiefere Sachen singen. Das hat sich irgendwie so entwickelt. Auch in technischer Hinsicht habe ich mich entwickelt, indem ich viel geübt und gelernt habe. Es ist nicht die Stimme, die erwachsen wurde, sondern der Musiker hinter der Stimme.

Was passiert, wenn ihr bei einem Konzert das Lied Carry On nicht spielt?

Dann würde es einen kleinen Aufstand geben. Der Song wird stets gefordert, ganz egal wo, ob in Japan, Europa oder Brasilien. Als ich das Lied im Alter von 20 Jahren schrieb, rechnete ich eigentlich nicht damit, dass daraus eine Art Hymne werden würde. Ich sage immer, dass Carry On für mich das ist, was Satisfaction für die ROLLING STONES ist. Ich muss es bei jedem Auftritt spielen, was mit der Zeit schwieriger geworden ist, weil es in einer sehr hohen Lage gesungen wird. Wenn ich mal das Alter von Mick Jagger erreiche, wird es schwierig für mich werden, das noch zu bringen. Aber ich hoffe, dass es noch irgendwie gehen wird. Ich spiele Carry On nach wie vor sehr gerne. Ich habe absolut nichts dagegen. Es ist mein ältestes Baby und ich bin sehr stolz auf das Stück und darauf, dass ich damit einen Eindruck im Leben anderer Leute hinterlassen konnte.

Obwohl du noch nicht Mick Jaggers Alter erreicht hast, hast du in deinen bisherigen Bands – VIPER, ANGRA, SHAAMAN und die Jungs von SIEGES EVEN – nach der Trennung immer Nachfolger gehabt, die deinen Posten übernommen haben. Welcher dieser Sänger ist dein persönlicher Favorit?

Eindeutig Ricardo von VIPER. Als ich vor einigen Jahren Gesang unterrichtete, war Ricardo einer meiner Schüler, vermutlich einer meiner besten. Ich konnte damals schon erkennen, dass er eines Tages erfolgreich sein würde. Er hat ein großes Gesangstalent. Er meint, er habe viel von meinem Wissen übernehmen können. Es ist eine Art Erbe, das ich an ihn weitergereicht habe. Ich bin dementsprechend sehr stolz auf meinen Schüler und ich bin sehr glücklich darüber, dass er bei VIPER eingestiegen ist. Das macht in meinen Augen Sinn und hat auch den symbolischen Touch, dass ein Teil von mir mit von der Partie ist.

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