WHEEL: Preserved In Time

Ich hab mir in den letzten – sagen wir mal – fünf bis acht Jahren des Öfteren die Frage gestellt, was eigentlich aus Robert Lowe geworden ist. Jenem begnadeten Sänger, der mit SOLITUDE AETURNUS mehrere Doom-Perlen eingesungen und auch bei seinem drei Alben umfassenden Gastspiel bei CANDLEMASS eine mehr als ordentliche Figur abgegeben hat. Ein offenes Geheimnis war dabei natürlich auch seine Alkoholkrankheit und damit verbunden teils grottenschlechte Auftritte mit beiderlei Bands. In jüngster Zeit trat er unter anderem jedoch wieder auf den Releases der US-Metallern TYRANT und den Doomstern GRIEF COLLECTOR in Erscheinung, wobei gerade bei letzteren schon seine lange Abstinenz (bzgl. Studioscheiben, in Bezug auf die legalen Drogen wünsche ich ihm das natürlich in erster Linie) heraushörbar war.

Aber eigentlich gehts in diesem Review um WHEEL:

Nun, wer die unglaublich berührende Sogkraft von Herrn Lowe’s Stimmorgan und seine unvergleichlichen, mystisch angehauchten Gesangslinien kennt, bekommt wie ich möglicherweise auch (Entschuldige, Rob) Entzugserscheinungen, wenn über längere Distanz hinweg kein neuer Stoff verfügbar ist (das war jetzt auch garantiert der letzte schlechte Witz darüber).

WHEEL meißeln ein übergroßes Epic Doom-Monument

Doch mit dem aktuellen Output des nordrheinwestfälischen Gespanns WHEEL wird diese Lücke bravurös gefüllt. Bedingt durch verschiedene, für eine Bandkarriere meist ungünstige Umstände (Verlust des Proberaums, neue Jobs, Familiengründung) erscheint das dritte Album des Cruz Del Sur-Neulings erst geschlagene acht Jahre nach “Icarus” und sorgt dabei allerdings für nicht weniger als einen kleinen Paukenschlag. Denn nie und nimmer hätte ich WHEEL zugetraut, aus dem Stand weg ein solch übergroßes Epic Doom-Monument zu meißeln. Allein die ersten drei Songs von “Preserved In Time” nagen hart an der 10-Punkte-Grenze! “At Night They Came Upon Us” legt den Hebel sofort in den SOLITUDE AETURNUS-Modus und man kommt nicht herum, vor Arkadius Kureks zittrigem Timbre mit orientalischem Touch, das keinen Zweifel an der Ähnlichkeit zum Frontmann der texanischen Doomer aufkommen lässt, ehrfurchtsvoll innezuhalten. Kraftvoll, hallunterlegt und mit einer wohldosierten Theatralik versehen, fließen die bis in die obersten Tonlagen traumhaft sicheren Vokalmelodien vor sich hin und lassen fast völlig außer Acht, dass an der Instrumentalfront ebenfalls großartige Dinge passieren: Benjamin Homberger beispielsweise liefert zu dieser samtblumigen Verdunkelung erdiges, effektives Slowriff-Food in CANDLEMASS-Manier, daneben aber auch schnörkellos-TROUBLEige Melodien, die in einem solchen Maße bereichernd sind, dass sich bei den sieben dargebotenen Tracks bis auf wenigen Ausnahmen immer wieder lichtstrahlende Sonnenuntergangs-Horizonte vor dem geistigen Auge auftun. Altbackener Doom und filigranere Ornamentik gehen hier zauberhaft Hand in Hand.

Art Nouveau und Ohrenschmaus

Und mit diesem Ohrenschmaus lässt es sich auch nachfolgend bestens aushalten: “When The Shadow Takes You Over” ist eine weitere Offenbarung und befreit sich nach schleppendem Beginn aufgrund mittragender Gesangslinien, die sämtliche Bodenhaftung zu verlieren scheinen, immer mehr. Noch halb benommen, geht’s mit dem darauffolgenden, kompakten Doomrocker “After All” wieder etwas down to earth. Bei dieser stante pede ins Ohr gehenden Darbietung darf vor allem Herr Homberger mit astreinen und songdienlichen Soli glänzen.

Natürlich sollte man beim Genuß von “Preserved In Time” auch ab und zu die Aufmerksamkeit auf das vom österreichischen Art Nouveau-Künstler Koloman Moser (1868-1918) entworfene Gemälde wandern lassen, welches sich die Dortmunder für ihr neues Album als Coverartwork auserkoren haben. In Motiv und Farbtönen zur Mucke passend, geschmackssicher und stilvoll ausgewählt!

Die ebenfalls überzeugenden “She Left In Silence” und “Aeon Of Darkness” können das immens hohe Niveau nicht mehr ganz halten, dafür fehlt ihnen einfach jene überirdische Eingebung, welche Arkadius Kurek dann “Hero Of The Weak” wieder zukommen lässt. Das alsbald nach “Icarus” entstandene “Daedalus” (eigentlich logisch!) ist das feinfühligste unter den sieben “Preserved In Time”-Stücken und läutet mit seiner pathetischen Entschleunigung den gebührenden Ausklang dieses Kleinods ein, an dem im Prinzip kein Doomjünger, der GRIFTEGARD, PALLBEARER oder ORODRUIN anbetet, vorbeiziehen kann, ohne seinen Kopf in Demut zu neigen.

“Preserved In Time” bietet prickelnde Melancholie par excellence

“Preserved In Time” ist ein Album, welches durch seine lange Reifung zu besonderer Größe gewachsen, im bandeigenen Proberaum aufgenommen und von Dennis Koehne zu einer audiellen Wohltat gemixt und gemastert worden ist. Es ist zwar definitiv zu früh, um hier von einem Genre-Klassiker zu sprechen, Fakt ist aber: WHEEL machen bei ihrem bisherigen Meisterstück verdammt viel richtig, die Kompositionen überstehen zumindest den kurz- (und dank der langen Vorlaufzeit beim Rezensenten auch mittel-)fristigen “test of time” ohne jeden Kratzer und verweisen in punkto prickelnder Melancholie die letzten (keinesfalls mittelmäßigen) Routinealbum von SORCERER, PALLBEARER oder MY DYING BRIDE, aber auch vieles, was in diesem Sektor in den letzten Jahren erschienen ist, klar auf ihre Plätze. Ich fange jedenfalls jetzt schon mal an, einen Platz in meiner Jahreshighlightliste sauber zu machen. Und wenn man dem Grundgedanken des Albums Glauben schenken mag, dass die Zeit ein Gefäß ist und alles, was passiert, darin erhalten bleibt, solange sich jemand erinnert, dann wird “Preserved In Time” fortan mit Sicherheit bei einer nicht zu geringen Anzahl von Traditionsdoom-Connaisseur*innen diverse Weltalter überdauern.

Veröffentlichungsdatum: 09.04.2021

Spieldauer: 48:08

Label: Cruz Del Sur

Bandcamp: https://wheeldoom.bandcamp.com/

Facebook: https://www.facebook.com/Wheeldoom

Line-Up

Arkadius Kurek – Vocals
Benjamin Homberger – Guitar
Marcus Grabowski- Bass
Carsten Jercke – Drums

WHEEL „Preserved In Time“ Tracklist

1. At Night They Came Upon Us (Audio bei YouTube)
2. When The Shadow Takes You Over
3. After All
4. She Left In Silence (Video bei YouTube)
5. Aeon of Darkness
6. Hero of the Weak
7. Daedalus

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