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TYR: Hel

Ich habe eine merkwürdige Schwäche für Viking Metal. Merkwürdig ist an ihr z.B., dass ich mit vielem, was damit gemeinhin so assoziiert wird – althergebrachte Männlichkeitsklischees, Kriegs-Pathos, Patriotismus – herzlich wenig anfangen kann bzw. das meiste sogar für schädlich halte. Aber der Kitsch! Ich mag Kitsch und schöne Melodien, und ich kann einfach nicht anders, wenn z.B. EINHERJER damit erstmal loslegen, bleibt kein Auge trocken. Also, kann “Hel”, das neue und offenbar von vielen langerwartete Album der Viking-Veteranen TYR von den schönen Faröer Inseln, meine Tränendrüsen erreichen oder prallt es am stählernen Schild der alternativen Männlichkeit ab?

TYR meinen das mit der Folklore immer noch  ernst

Eher letzteres. Positiv fällt zunächst einmal auf, dass TYR das mit der Folklore immer noch wirklich ernst meinen und tatsächlich originale Lieder verarbeiten. Allerdings macht gleich der erste Song klar, dass es sich dabei meist eher um trinkfreudige Kneipen-Folklore als um Fjord-und-Wiesen-Weisen handelt. Wer das gut findet, der wird in “Hel” eine fröhliche Party feiern können – sofern er außerdem noch großer Gitarren-Freak ist. Denn an Gitarrensoli wird nicht gerade gespart, und auch die Riffs sind recht ausgefrickelt. Das kann Menschen wie mich, die beim Thema “Soli” ganz klar nach dem Prinzip “weniger ist mehr” leben, abschrecken bzw. langweilen. Wichtig ist dann, ob die Gesangslinien das Ganze zusammenhalten können und das Album als Ganzes einen nicht erschlägt, etwa aufgrund der Länge.

Für “Hel” braucht man Nerven aus Stahl – oder sehr viel Liebe zur Gitarre

Nun: ersteres ist nicht der Fall, zweiteres schon. Die Refrains sind nur selten so stark wie sie sein müssen (“Empire Of The North”), der raue Gesang wird zu häufig eingesetzt (und klingt mir zu sehr nach stumpfem Gegröhle), dem klaren Gesang fehlt es dem gegenüber etwas an Power, und spätestens nach acht Songs habe ich beim besten Willen genug Gitarrengefiedel und Kneipenchöre gehört, um noch einmal fast die gleiche Zeit durchzuhalten – das Ding dauert 70 Minuten! Vielleicht hätten TYR in der Zeit zwischen diesem und dem letzten Album einfach zwei Alben veröffentlichen sollen. So funktioniert das jedenfalls nicht. Immerhin kommen am Ende nochmal ein paar stärkere Songs, aber man muss wirklich Nerven aus Stahlsaiten haben, um die dauernden Soli zu ertragen, zumal die Produktion es vor allem mit Gitarren und Gesang sehr gut meint.

Fazit: “Hel” ist ein insbesondere instrumental sehr ambitioniertes Werk, dessen Schwächen in Songwriting, Konzeption und Gesang aber leider zu groß sind, um mich damit als Ganzes häufiger im Geiste zu Tränen gerührt zwischen Norwegen und Island aufs Meer starren zu lassen. Einzelne Songs in der Kneipe hingegen dürften prima funktionieren.

Spielzeit: 70 Min.
Veröffentlicht am 8.3.2019 auf Metal Blade

TYR – “Hel” – Tracklist

1. Gates of Hel
2. All Heroes Fall
3. Ragnars Kvæði (Video bei YouTube + Playlist mit weiteren Videos zum Album)
4. Garmr
5. Sunset Shore
6. Downhill Drunk
7. Empire of the North
8. Far from the Worries of the World
9. King of Time
10. Fire and Flame
11. Against the Gods

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