Trennungsschmerz aus Salt Lake City: Geweint habe ich nicht, als sich SUBROSA auflösten, aber traurig war ich schon. Die drei Alben „No Help For The Mighty Ones“, „More Constant Than The Gods“ und „For This We Fought The Battle Of Ages“ lege ich immer noch gerne auf und erinnere mich an die ergreifenden Konzerte der Band. Unter dem Namen THE OTOLITH haben vier ehemalige SUBROSA-Musiker*innen Ende 2022 ein sehr starkes Doom-Album veröffentlicht, nun ist die ehemalige Frontfrau Rebecca Vernon dran: Einem „Little Bird“ gleich lässt sie ihr Quasi-Solodebüt unter dem Namen THE KEENING aus dem Käfig in Richtung Freiheit fliegen.
Heaviness geht auch leise: THE KEENING fokussieren sich auf „Little Bird“ auf subtilen Momente
Ungleich ihrer früheren Band und THE OTOLITH entfernt sich Rebecca Vernon vom progressiven, an Sludge angelehnten Doom Metal, und es fühlt sich wirklich so an, als würde sie mit neugewachsenen Flügeln losfliegen. Generell fährt sie die Gitarren zurück, erst recht die Verzerrten. Dass Rebecca Vernon nach dem Ende von SUBROSA einen neuen musikalischen Ansatz sucht, überrascht nicht, somit wirkt das Ergebnis recht vertraut. Groß gedachter und instrumentierter Folk, mit dem langen Atem und den Arrangements des Doom Metal ist auf „Little Bird“ zu hören. Wer sich den dunklen American Goth-Folk von EMILY JANE WHITE im Gewand von SUBROSA vorstellen kann, hat eine ziemlich genaue Ahnung davon, wie THE KEENING klingen.
Dem Namen des Projekts entsprechend sind die Songs voll mit Schmerz und Trauer und doch voller Anmut und Größe. Somit dauert es auch, bis „Little Bird“ seine Kraft entfaltet. Der vierminütige Beginn mit „Autumn“ ist noch vergleichsweise unaufgeregt und ohne Profil, auch das von Orgeln schwere „Eden“ braucht, bis es spannend wird. Danach werden THE KEENING aber von Song zu Song besser. Das Titelstück mit knapp zehn Minuten Länge beginnt leise und melancholisch mit dem Klavier und steigert sich recht bald mit großer Instrumentierung, bis es ein zu Tränen rührendes Finale mit wundervollem Gesang erfährt.
Bewegend und üppig instrumentiert: „Little Bird“ illustriert den Selbstfindungsprozess von THE KEENING
THE KEENING mögen in Sachen Songwriting nicht immer derart mitreißen, die zweite Hälfte von „Little Bird“ ist allerdings fast durchgehend beeindruckend. „The HunterI und II“ fließt in Richtung Heaviness und ist mit Streichern, Bläsern, Hackbrett und Harfe sehr üppig instrumentiert. Mit wuchtigen Gitarren am Ende schaut das Doppel halbsentimental auf Vernons Doom Metal-Wurzeln. Das 17minütige Epos „The Truth“ ist ein raumgreifendes Stück, das in der ersten Hälfte noch ein paar Längen hat, am Ende in einen dramatischen Schluss fließt, in dem die ansonsten warme Stimme auch mal laut und sakral werden darf. Hier ist die Transformation vom Doom der Vergangenheit in dunklen Folk fast vollkommen.
Dass Rebecca Vernon mit „Little Bird“ nicht ganz an die Großtaten ihrer früheren Band heranreicht, liegt natürlich daran, dass sie unter dem Namen THE KEENING erst ihren Weg finden muss, und „Little Bird“ illustriert den Prozess der Selbstfindung sehr stimmig. Dass aber großes Potenzial in Vernons neuer Band liegt, wird spätestens ab dem Titelstück mehr als deutlich. Hier zeigt sie sich als mutige und gereifte Songschreiberin mit bewegenden und versöhnlichen Stücken, die ins Herz gehen. Offene Geister, die gleichermaßen dunklen Folk, als auch Doom lieben, etwas Geduld mitbringen und auf deren Nachttischkästchen Bücher von Cormac McCarthy und William Faulkner liegen haben, können THE KEENING definitiv lieben lernen.
Wertung: 7 von 10 offene Käfige
VÖ: 6. Oktober 2023
Spielzeit: 51:32
Line-Up:
Rebecca Vernon und Gäste
Label: Relapse Records
THE KEENING „Little Bird“ Tracklist:
1. Autumn (Lyric Video bei Youtube)
2. Eden
3. Little Bird (Official Video bei Youtube)
4. The Hunter I
5. The Hunter II
6. The Truth
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